April 26th, 2019

Damp 2000, Reaktion auf „Punk 2000“ von Martin Büsser (#74, 1999)

Posted in artikel by Thorsten

Im letzten Heft (gemeint ist Trust #73, 1998)  konnte unsere geneigte Leserschaft, die übrigens und durchaus nicht zu unserem Ärgernis sowohl aus männlichen als auch aus weiblichen Menschen besteht, einen Aufsatz von Martin B. aus M. lesen, der sich unter dem Titel ‚Punk 2000‘ (Untertitel: Eine Nestbeschmutzung) einem Thema widmete, das im Rahmen des sogenannten ‚Popdiskurses‘ seit einer ganzen Weile durch Studentenzimmer geistert.

In diesem Aufsatz attestiert der Autor besagten Textes der Punk- und Hardcore-Szene, sie unterscheide sich gegenwärtig kein bißchen von allem, was sich so unter dem weiten Mantel des Pop derzeit tummle, sei mittlerweile eben genauso konservativ und indiskutabel, wie das, wogegen sie einst angetreten sei.

Hardcore habe also einmal eine gewisse Qualität besessen, die diese Musik „wichtig“ (Büsser) gemacht habe. Möglicherweise bin ich nicht der einzige, der sich in so einem Fall, nämlich, wenn eine Band, eine Platte, eine ganze Musikrichtung oder Kunstprodukte als wichtig bezeichnet werden, fragt:

WICHTIG WOFÜR?

Nicht, daß ich diese Frage nicht beantworten könnte. Es gibt sogar eine ganze Reihe von Antworten darauf. Der eine verdient sein Geld damit, die andere tanzt gern zu Musik, hier wieder gibt es einen, der seine Geranien mit Barockmusik wässert, dort hört eine einfach nur gern zu und verschafft sich so ein gutes Gefühl, und im Wald pfeift einer, weil er Angst hat, während ein paar tausend Kilometer weiter eine Kompanie sich mit einem kämpferischen Lied Mut ansingt. Und für manche ist Musik auch von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wenn sie sich Aufmerksamkeit erheischen möchten, wofür sich diese Kunst besser als alle anderen eignet, weil sie mit einem relativ erschwinglichen Aufwand hergestellt werden kann und es eben eine beträchtliche Zielgruppe für Musik im Allgemeinen gibt, so daß potentiell eine ganze Menge Leute davon Kenntnis erhalten können. Wer geht schon auf Dichterlesungen? (Ich weiß das, ich habe mal ein paar gegeben…). Die meisten dieser (möglicherweise ja wiederum kritikablen) Zwecke kann Hardcore wie andere Musikspielarten nach wie vor erfüllen. Welche Wirkungskraft soll denn Hardcore also dann verloren haben?

Eine Antwort, die ‚Punk 2000‘ gibt, ist, daß Hardcore „musikalisch sehr wichtig“ (Büsser) war, was ich mal ganz keck so verstehe, daß Hardcore wie Punk einst etwas neues in die Musik brachte, eine Radikalität, die Schule machte. Wichtig also insofern war, als daß die Erfinder des Hardcore eine ganze Lawine von aufregender Musik inspirierten. Das führte bekanntlich schon früh zu den mir seit jeher gleichgültigen Diskussionen über Kommerzialisierung und Ausverkauf, und es führte auch dazu, daß, wo anfangs ein paar versprengte wie verschwitzte Dutzend zu No Means No und Fugazi (die nehme ich einfach mal als Beispiel, weil sie auch in ‚Punk 2000‘ vorkommen) gingen, sich nach ein paar Jahren Hunderte und Tausende vergnügten. (Mittlerweile ist das ganze wieder auf ein kleineres Maß geschrumpft und die Klagen mancher Verbliebener, wo denn das alles enden solle, haben sich ulkigerweise umgekehrt proportional dazu vermehrt.)

Mittlerweile sei also Hardcore „musikalisch“ (Büsser) nicht mehr „wichtig“ (Büsser). Daß eine Band wie No Means No ihre Musik grundsätzlich nicht mehr verändert, ist kaum zu bestreiten. Daß in der kleinen Hardcore-Welt derzeit wohl wenig passiert, was unbehelligt als echte musikalische Innovation durchgehen kann, mag auch richtig erkannt sein. Das verhindert aber ganz sicher nicht, daß ich auch an Musik, die ich bereits kenne, größte Freude haben kann, daß ich auch Musik erfreut begrüßen und in mein Hirnkasterl schließen kann, die dem Anspruch nicht gerecht wird, innovativ zu sein – und ich spreche ausdrücklich auch von Sachen, die starke Ähnlichkeiten zu Dingen aufweisen, die ich bereits kenne. Darüber hinaus empfinde ich es bisweilen durchaus erfrischend, mit etwas Neuem konfrontiert zu werden. Wichtig ist für mich aber nach wie vor auch manche Musik, die dieser Anforderung nicht entspricht. Und dieser akademische Ansatz kann ja schließlich überhaupt nur für solche Menschen sinnvoll sein, die, über die Zugangsmöglichkeiten zum gegenwärtigen Entwicklungsstand der Musik hinaus, auch noch das Interesse haben, stets über das adäquate Wissen diesbezüglich zu verfügen.
Was mir gefällt, möchte ich für meinen Teil davon allerdings auf keinen Fall abhängig machen! Das zur ersten Antwort, die recht offenkundig vor allem Geschmackssache zu sein scheint.

Eine andere Antwort auf meine Frage findet sich aber auch noch im Text. Ich darf zitieren:

„Im Pop sind antikapitalistische Statements, Anti-business-Bewegungen ja stets strategischer Art: Sie schaffen den Kapitalismus nicht ab, sie sorgen im besten Fall nur dafür, im richtigen Moment einer wuterfüllten Generation den richtigen Ort zu stellen, an dem diese Wut abgelassen werden kann.“ (Büsser)

Hier finden wir nun eine größere Perspektive: Unsere Gesellschaft. Der Satz klärt uns auch darüber auf, was eine „Pop-Rebellion“ (Büsser) können soll, nämlich unzufriedenen (jungen) Leuten Gelegenheit geben, ihre Aggressionen abzureagieren. Das sei, wie der zitierte Satz besagt, gleich schon das Optimum dessen, was Musik leisten kann.

Musik soll also ein Mittel sein, welches in irgendeiner Form gegen die Verhältnisse in Stellung zu bringen sei. Und somit gäbe es also eine jeweils richtige „Musik zur Zeit“ (Spex), die dann jeweils dafür sorgt, daß die zornigen jungen Menschen diese „Wut“ (Büsser) ablassen können. Vielleicht erhellt einmal ein anderer Text, ein anderer Autor die Frage, was damit gewonnen ist, wenn Leute, die aus unterschiedlichen Gründen „wütend“ (Schmidt) sind, einen Ort haben, an dem sie dieses Gefühl wieder loswerden können, außer daß sie danach nicht mehr wütend sind und dann möglicherweise wieder in eben dieser Gesellschaft funktionieren können. Sicher ist das eine ganz grundlegende Erholungstätigkeit, die auch erstmal nicht zu kritisieren ist. Höchstens dann, wenn ein Interesse besteht, die materiellen Grundlagen für die Notwendigkeit dieser Art von Reproduktion zu kritisieren.

Gestehen wir nun zu, daß es wichtig ist, eventuell vorhandene Wut abzulassen, sei es beim Sport, bei Tanz oder was auch immer, um geistig nicht vor die Hunde zu gehen, so böte dies zwar Anlaß zur Kritik an Ursachen für diese Wut. Es folgt aber daraus noch nicht die Notwendigkeit, diesen Gedanken auch zu denken. Eine Majorität von Bevölkerung erledigt das Thema schließlich derart, daß eine vorgestellte Veränderung ihrer Verhältnisse sich in einem Spektrum bewegt, das ziemlich genau mit dem der hierzulande wählbaren politischen Parteien abgedeckt werden kann, auch wenn es da marginale Abweichungen nach links und rechts geben dürfte. Das schließt aber auch ein: Den Teil, der sich die ganzen heißen Scheiben kauft! ‚Punk 2000‘ weiß um dieses. Und ‚Punk 2000‘ will auch durchaus eine Stellung beziehen, die sich in Opposition dazu befindet.

Nur: Ist der vermeintlich desolate Zustand der populären Musik in eins zu setzen mit dem Bewußtsein der Mehrheit der Bevölkerung, die von einer grundsätzlichen Kritik an der mittlerweile weltweit siegreichen Produktionsweise und Staatsform gar nichts wissen will? Und ist das Mittel, wuterfüllten Menschen einen Ort zum Ablassen dieser Wut zu stellen, geeignet, das Bewußtsein von Menschen so zu manipulieren, daß sie nicht nur ihre Wut ablassen, sondern sich gleich noch antikapitalistisch betätigen? Und hierbei geht es ganz sicher auch um die Leute, die sich in irgendwelchen alternativen Trachtenvereinen herumtreiben, egal, ob sie nun auf Johnny Rotten, John Coltrane oder Theodor W. Adorno schwören. Oder auf Mao oder Marx.

Es ist, auch dies wird in ‚Punk 2000‘ bedingt, nämlich für die Gegenwart, zugestanden, eine Frage des Geschmacks, der sich wiederum Moden unterwerfen kann, an welchem Stammtisch sich jemand nun herumtreibt. Nur soll dies einmal anders gewesen sein.

Wann, bitte, soll das gewesen sein?

Hat es denn, seit es Popmusik gibt, in Deutschland, den USA oder in Großbritannien, wo Popmusik präsenter war als anderswo, etwas von nennenswerter Breitenwirkung – es ist immerhin die Rede von einer „wütenden Generation“ (Büsser) – gegeben, was sich konsequent antikapitalistisch betätigt hätte? Ganz zu schweigen davon, daß eine Rebellion keineswegs das gleiche ist, wie eine Revolution, bei der es ja erst wirklich zu einer Umwälzung der Machtverhältnisse käme?

Selbst die Studentenbewegung, die zumindest in Europa vorrangig eben nicht durch Musik, sondern durch Inhalte verbunden und geprägt war, und Punk, die beiden letztlich umfangreichsten Jugendkulturen der letzten fünfzig Jahre, führten nicht zu einem grundlegenden Wandel von Verhältnissen. Zwar hatten die, je nach Standpunkt, Bewegung, Rebellion, Revolte, Kulturrevolution oder Revolution titulierten Ereignisse um 1968 durchaus eine Auswirkung auf die Gesellschaft. So änderten sich verschiedene Moralvorstellungen, auch in Bezug auf Sex, die durchaus als fortschrittlich gegenüber der durchgesetzten Moral der fünfziger Jahren betrachtet werden können.

Das ist zwar schon eine ganze Menge, aber wenn selbst eine Bewegung, die sich so explizit kritisch und teils unter Berufung auf kommunistische und anarchistische Theorien zu den vorgefundenen Verhältnissen stellte, teils wirklich antikapitalistische Vorstellungen hatte, die ich damit inhaltlich übrigens noch nicht bewertet haben will, wenn also solch eine Bewegung, die tatsächlich ja auch eine gewisse Breitenwirkung hatte, keinen grundlegenden Wandel bewirken konnte, verwundert es nicht, wenn Popkulturen wie Punk oder Techno, bei denen es ja nun ganz primär um eben jene „rebellischen“ (May) Gesten ging, sich dann auch in selbigen erschöpfen. Daß Hardcore bereits für tot erklärt wurde, sobald sich mehr als ein paar Versprengte dafür interessierten, die Szene sich also eine Massenwirksamkeit gar nicht wünschen mochte, mag ja mit Verweis auf das Wirken der Integrationskräfte des Kapitalismus begründet werden können, aber ein Zusammenschluß von Menschen, die gesellschaftliche Verhältnisse verändern möchten, müßte doch genau dies, ein möglichst hohes Maß an Unterstützung, als zumindest eines seiner Mittel zumindest anstreben.

Wofür wäre Hardcore wichtig gewesen, als für einen sehr begrenzten Kreis von Individuen, die bei Interesse in Szene-Zusammenhängen angefangen haben mögen, sich mit bestimmten (auch) politischen Inhalten zu beschäftigen? Die möglicherweise auch dort am Anfang einen geeigneten Ort gefunden zu haben glaubten, sich mit Gleichgesinnten zu assoziieren, sei es auch nur für eine Nacht voller Schweiß, Krach und Schnaps?

Als Gegenprobe sei noch kurz auf tatsächlich stattgefundene gesellschaftliche Veränderungen grundlegender Art verwiesen. Was es auch immer in den vergangenen Jahrzehnten von anarchistischen und kommunistischen Räterepubliken, die allerdings ja auch fast sämtlichst scheiterten, bis zu konterrevolutionären Umstürzen und bürgerlichen Revolutionen gegeben hat: Nichts davon setzte sich zum Ziel, rebellische Geste zu sein, ein Ort, wo Wut abgelassen werden konnte, nichts davon war eine „Pop-Rebellion“ (Büsser).

Das Beispiel RAF, welches auch in ‚Punk 2000‘ Erwähnung findet, sei hier auch noch ganz kurz in diesem Zusammenhang eurer Betrachtung anempfohlen. Die Entscheidung zwischen Punk und Technohouse sei ein Akt modischer Willkür, läßt uns der Autor von ‚Punk 2000‘ wissen.

„Ist nicht mehr wie einst, als es den schönen Feind Kapitalismus noch gab, eine Entscheidung für RAF oder Helmut Schmidt, sondern ist heute nur noch eine Entscheidung für CDU oder SPD, für Lederjacke oder Cord.“ (Büsser)

Richtig ist, daß es eine oppositionelle Vereinigung von der Art der RAF zur Zeit nicht gibt (abgesehen davon, daß ich sie auf gar keinen Fall vermisse). Richtig ist fernerhin, daß ganz generell, wie auch oben schon angedeutet, an fundamentaler Kritik am „schönen Feind Kapitalismus“, den es ja nach wie vor gibt, derzeit nicht gar zu viel kursiert. Schließlich haben, wie allerdings auch schon vor zwanzig und dreißig Jahren, die meisten Bürger ihr Kreuz bei CDU und SPD und FDP und Grünen gemacht, besser: sich als Stimmvieh affirmativ betätigt.

Die Entscheidung für die eine oder die andere Musik war nie etwas anderes als ein Akt geschmacklicher Willkür. Die offensichtlich verführerische Vorstellung, es gäbe die richtige Musik zum fortschrittlichen Bewußtsein läßt sich so nicht belegen.

Und ich habe auch andere Gründe, dies nicht anzunehmen.
Mochte Lenin Zwölftonmusik? Was hielt Adorno von Popmusik? War Schönberg denn nicht in seinen politischen Ansichten weit weniger fortschrittlich, als in seiner Musik?

Wenn ich mich so umschaue und umhöre, wer die gleiche Musik hört wie ich, herauszufinden suche, wer sich über seine Lebensumstände, die zumeist die gleichen sind, wie meine auch, Gedanken macht, die ich für nachvollziehbar und korrekt halte, dann komme ich zu dem Schluß, daß das eben so oft miteinander einhergeht, wie es das nicht tut. Darf denn mein Freund Peter (Name von der Redaktion geändert) seine Manowar-Platten nicht mehr hören? Was ist, wenn meine Freundin Nora (dto.) trotz der Sozialdemokratenhaftigkeit von NOFX bei deren Songs im Takt mitwippt und sich einen feuchten Kehricht um die musikalische Avantgarde schert?

Das Bewußtsein von den Widersprüchen, in die Peter und Nora ständig mit der sie umgebenden Gesellschaft geraten, und ihre daraus resultierende Kritik funktioniert auch ohne das Wissen um das, was sich eine gebildete Clique von Musikern und Musikwissenschaftlern so ausdenkt, selbst, wenn sich meine Freunde Peter und Nora dafür interessieren mögen.

Ich erwähnte eben Lenin… Auch zu jener Zeit war man sehr wohl der Ansicht, sich die Künste zu politischen Zwecken zunutze machen zu können. Nur gab es eben ein politisches Fundament mit einem Zweck, der sich eine Kunst zunutze machen konnte, von der auch damals behauptet wurde, sie habe eine ganz bestimmte wissenschaftlich ableitbare Gestalt zu haben.

Ich erwähnte außerdem weiter oben, daß Musik für Menschen aus verschiedenen Gründen wichtig ist. Nun ist es aber eben nicht nachweisbar, daß ein bestimmtes Geschmacksurteil bestimmte Gedanken bedingt. Musik kann ein Katalysator sein, kann in bestimmten Situationen Menschen derart stimulieren, daß sie leichter zu agitieren sind, könnte in dieser Form also möglicherweise wirklich ein geeignetes Mittel für einen politischen Zweck sein. Ich denke da zum Beispiel an die Arbeiterlieder der zwanziger und dreißiger Jahre.

Wäre nun Musik ein Mittel, besonders geeignet oder das Gegenteil davon, dann fehlte aber immer noch ein Zweck. Im Prinzip bleibt hier bezogen auf Punk und Hardcore nichts als darauf hinzuweisen, daß ‚Punk 2000′ hinsichtlich dessen nichts anderes beklagt, als was schon in einem Buch des gleichen Autors behauptet wurde, daß nämlich eine Qualität dieser Zusammenhänge verloren gegangen sei, die in kollektiv durchgesetzten Zielen (im allgemeinen), von einem antikapitalistischen Standpunkt (im besonderen) aus vertreten, bestanden haben soll.

Das mag ja jemandem, der voll jugendlichen Leichtsinns und wahrscheinlich mit einem gerüttelt‘ Maß an Idealismus in einer sehr überschaubaren, aber wachsenden Szene bei lauter Musik wirklich aufregende Dinge erlebt hat, so vorgekommen sein, aber es sieht davon ab, daß es trotz Vorhandensein dieser Ideen in der Mehrheit eben keinen Standpunkt der oben beschriebenen Art gegeben hat. Der Autor weiß auch um diesen Widerspruch.

„Auf dem Gang durch die Punk- und Hardcore-Geschichte (…) wird klar, daß nur eine Handvoll Bands sich tatsächlich einer linken Terminologie bedienten; der Rest sich einfach nur Platz verschaffte gegen eine allgemeine, schwer lokalisierbare Unlust und Enge.“ (Martin Büsser „If the kids are united“, Mainz 1999)

Ich denke da an Marlon Brando in ‚The Wild One‘, der die Frage, wogegen er eigentlich rebelliere, mit der Gegenfrage beantwortet, was denn im Angebot sei.
Rebellion ist Aufstand. Wer die Verhältnisse von einem antikapitalistischen Standpunkt aus verändern will, hört dabei vielleicht gern Musik, vielleicht auch freut er oder sie sich, daß diese Musik frisch, wild, lebendig ist, und sicherlich wird es von ihm oder ihr als Vorteil empfunden, wenn die Menschen, die diese Musik herstellen oder hören, die gleichen politischen Zwecke wie er oder sie verfolgen. Vor allem aber wird das Ziel nicht der Aufstand sein, sondern eine Umwälzung der Verhältnisse.

Es wird ihm oder ihr nicht genügen, eine rebellische Geste zu vollführen, ja, er oder sie hat vielleicht sogar einen guten Grund dies nicht zu tun, weil es seinem weitergehenden Zweck eher noch hinderlich sein kann.

Ein Unbehagen, das Gefühl einer allgemeinen „Unlust und Enge“ (Büsser) mag sich ja darin ergehen, sich des gerade modischen Ausdrucks (oder eben dessen Gegenteils) zu bedienen. Es ist ja deshalb Mode, weil da, wie zur Liebesparade, ganz viele andere auch hingehen und echten Spaß haben. Weil es, ganz sicherlich, einen netten rebellischen Touch hatte, sich in fadem Gelaber gegen ‚die Spießer‘ eine Nische für die Veranstaltung eigener „Folklore“ (Büsser) einzurichten, oder es ist eben schick, sich mit akademischem Habitus im altersweisen Spott über Ewiggestrige zu echauffieren oder eine Krise der Künste zu beschwören, von der wir nie geahnt hätten. Ist es denn nicht unglaublich konservativ, noch 1998 den alten „Adorno“ (Büsser) zu zitieren, seinen Lesern mit Dialektik zu kommen? Hier ein Trachtenverein von Bunthaarigen, die ihre Zigaretten selberdrehen und Bier aus der Büchse trinken, dort ein Stammtisch von Typen, die französische Zigaretten rauchen und Rotwein aus dem Glas trinken. Die einen regen sich über die Spießer auf, die anderen stellen fest, daß die einen auch nicht viel anders sind, womit sie nebenbei bemerkt gar nicht so falsch liegen, und stellen dann in ihrem Zentralorgan fest:

„Wenigstens in testcard bleibt die Welt, wie wir sie wünschen, in Ordnung.“ (Testcard #6, Mainz 1998)

„Nein, ich verschone – fast – keinen.“ (Büsser)

Adorno wäre so, das weiß ich, noch nicht inhaltlich kritisiert, so wenig, wie das dialektische Verfahren hier auf seine Effektivität hin untersucht ist. Es geht hier darum, ein bestimmtes Verhältnis zu derlei Dingen zu beschreiben, nämlich das des modischen Chic. Es ist eben auch keine inhaltliche Kritik, sich darüber zu beschweren, daß eine Band seit zehn Jahren die gleiche Musik spielt. ‚Inhaltlich‘ zwar in Bezug auf ihre Musik, aber nicht hinsichtlich eines „Antikapitalismus“ (Büsser) derjenigen, die diese Musik herstellen.

Der in ‚Punk 2000‘ formulierte Widerspruch, der sich zwischen dem Selbstverständnis einer Szene und ihrer tatsächlichen Wirkung auftut, scheint vor allemmer auch der des Autors zu sein. Anstatt aus der Feststellung des vermeintlichen Versagens der Subkulturen (wieso Versagen? Waren sie denn keine rebellische Geste?) darüber nachzudenken, ob nicht vielleicht das Mittel ein falsches für den Zweck ist, bei dem es wiederum zu fragen wäre, inwieweit der nicht schon allzu übermütig als ein gemeinsamer unterstellt wird. Stattdessen lesen wir in ‚Punk 2000‘ folgende Schlußfolgerung, daß Pop

„einen Antikapitalismus anbieten müßte, der auf Identitätsbildung und einheitlich durchsetzbare Utopie verzichtet (…)“ (Büsser).

Das alles soll nun Musik können und hat es doch noch nie gekonnt!

Ach, und es ist ja so verführerisch sich einzureden, mit dem Konsum einer bestimmten, beziehungsweise (noch) zu bestimmenden Musikform gleich auch noch an den Grundfesten der Gesellschaftsform, an der man leidet, zu rütteln.

Aus der Enttäuschung darüber, daß es erstens eine ganze Reihe von Menschen mit dem gleichen Musikgeschmack gibt, denen offenkundig so gar nichts an einer solchen Veränderung liegt, beziehungsweise, die bei etwas nachdrücklichen Insistierens gar nichts mehr als das vage Gefühl, wohl gegen irgend etwas sein zu müssen, artikulieren können, die in der „Szene“ einfach nur ihren Spaß suchen, was nebenbei ein ebenso korrektes Interesse ist, wie sich seinen Lebensunterhalt dort zu verdienen; daß zweitens selbst eine prächtige Rebellion, wie Hardcore einst eine gewesen sein mag, nicht anders endete als die Rolling Stones… Aus dieser Enttäuschung heraus den Leuten ihren Feierabendspaß verderben zu wollen, indem man einfach ihren Musikgeschmack als reaktionär denunziert, geht eben von zwei falschen Prämissen aus.

Daß erstens ein festgestellter Musikgeschmack es ermögliche, die übrigen Gedanken des Subjekts abzuleiten, und daß es zweitens ein durchgesetztes Interesse wäre, sich in Opposition zum Kapitalismus zu stellen, was sich nicht einmal für die Leute sagen läßt, die in einem antagonistischen Widerspruch zum Kapital stehen, sprich: die eigentlich Gründe hätten, dies zu tun.

Wie es zu erreichen wäre, so denn das Interesse bestünde, einen „Antikapitalismus“ (Büsser) umzusetzen, ist ein anderes Thema, zudem eines, das vermutlich Bände füllt. Aus den Feststellungen, die in ‚Punk 2000‘ über Punkrock und Hardcore getroffen werden, läßt sich dergleichen nicht ableiten.

Höchstens, daß es nicht sehr aufregend ist, sich auf Konzerten herumzutreiben, wenn man die Musik nicht mehr mag, die dort gespielt wird. Sich deshalb für schlauer zu halten, ist zumindest gewagt.

Höchstens läßt sich noch ableiten, daß es möglicherweise die falsche Strategie ist, mit dem Bemühen um eine neue Musik den Kapitalismus abschaffen zu wollen, der genau dieses Produkt binnen kürzestem zur Ware machen würde. Deshalb die Musik, die man selbst langweilig findet, als auch für andere nicht interessant denunzieren zu wollen, mag ja durchaus nicht die Absicht haben, den eigenen Geschmack schlichtweg verabsolutieren zu wollen. Was denn aber kommt sonst unterm Strich dabei heraus? Der Gegenbeweis wäre noch zu erbringen.
Ich weiß ja selbst, welches Grausen mich überkommt, wenn ich das Radio einschalte. Ich weiß auch, daß sich eine Menge Leute von wichtigtuerischen Klugschwätzern einreden lassen, Platte A oder Künstler B seien genau das, was die Musik zur Zeit ist, mithin relevant und man selbst ein langweiliger alter Furz, wenn man das nicht kapiert. Ärgerlich, daß sie sich das einreden lassen…

Ich könnte mir ein besseres Radioprogramm ebenso vorstellen, wie eine Gesellschaft, in der ich nicht ständig von der Befriedigung meiner Bedürfnisse abzusehen habe. Ich erkenne sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit des Radioprogrammes und den Besitzverhältnissen, wie mir bewußt ist, wie viel ärgerliche Gedanken in den Werken nicht nur der populären Kultur verbreitet werden.

Und es ist ohne Zweifel eine Möglichkeit, sich vermittelt über die Künste ein Bild von den ihnen zugrunde liegenden Verhältnissen zu machen. Eine – zugegeben – interessante Form, weil die Künste eben so überaus aufregend sein können.

Um allerdings eine Kritik an den Verhältnissen zu entwickeln, die schließlich etwas sind, wogegen sich auch der Autor von ‚Punk 2000‘ ausspricht, um dann gegebenenfalls eine Strategie zu entwickeln, wie diese zu ändern wären, erscheint es mir äußerst fragwürdig, die Schlacht auf dem Feld der Kunst führen zu wollen, zumal gerade Musik in ihren Inhalten so unkonkret ist.

Was in aller Welt sollte es für mein Denken bedeuten, daß ich Punkrock höre, oder Blues, oder Jazz, oder orchestrale Zwölftonmusik, oder eine Oper von Richard Wagner, oder was es auch immer sei? Was, wenn ich im nächsten Frühjahr ganz sicher zu Fugazi gehen werde, wie ich vor kurzem bei den Goldenen Zitronen war?

Was – um Himmels willen! – will da jemand rausinterpretieren?

Der Autor von ‚Punk 2000‘ schreibt an anderer Stelle, „mensch hört, was mensch ist“ (Martin Büsser irgendwo in „Antipop“, Mainz 1998). Ist Peter Heavy Metal? Ist Nora melodischer Hardcore? Bin ich Dinosaur jr. oder Hüsker Dü? Wie soll das gehen? Ist aus einer bestimmten Geschmacksentscheidung schon ablesbar, warum jemand eine bestimmte Sache mag? Eine zentrale These, die nicht nur nicht belegt ist, sondern die sich, selbst wenn man sie nicht allzu wortwörtlich versteht, an leicht vorzufindenden Gegenbeispielen blamiert. Möchte ich etwas über einen Menschen wissen, kann es ja ganz unterhaltsam sein, seinen Musikgeschmack zu kennen. Geht es aber darum, politische Interessen zu ergründen, wäre es einigermaßen töricht, so zu verfahren.

Wie ich sehen muß, ist ja nun hier doch alles etwas lang geworden, und vielleicht bin ich inzwischen auch schon alleingelassen von der werten Versammlung unserer Leser, unter denen sich bekanntlich, und das keineswegs zu unserem Ärgernis, auch Frauen befinden, weshalb ich alles weitere ersteinmal auf später verschiebe.

Mit der herzlichen Bitte an euch alle, nicht dumm zu sein, und der Einladung, Stellung zu beziehen, schließt vorerst

STONE

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