Dezember 31st, 2021

X (aus #204, 2020)

Posted in interview by Jan

Eine Einleitung für ein X-Interview, ist für mich in etwa so, wie wenn ich über eine alte, verflossene Liebe schreibe, die immer noch in meinem Herzen verankert ist. Denn ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich Mitte der 90er von einem Streetworker, (der zu seiner Jugendzeit auf dem ersten Demotape von Body & The Buildings, Gitarre oder Bass spielte), mir einen Stapel Punkrockplatten ausgeliehen hatte. Neben den Dead Boys, Slaughter & The Dogs, Lurkers und Menace usw., verbarg sich ein ganz besonderer Schatz, von dem der Streetworker meinte, dass dies die beste Punkrockplatte seiner Sammlung sei. Es handelte sich um „Wild Gift“ von X und ich verstand sein Urteil und seine Meinung sofort und war Feuer und Flamme.

Woraufhin ich mir die beiden Dangerhouse Records Sampler bestellte, auf denen auch X vertreten waren. Während die Punks aus den Nachbarstädten und Käffern, bevorzugt lieber den klassischen U.K., Oi oder Deutschpunk hörten. Nahm meine Interesse für den Deutschpunk immer mehr ab und der L.A.-Punk von X und den Dangerhouse-Samplern, erweiterten auf eine positive Art und Weiße meinen Horizont. Das Gefühl das jene Bands wie The Alley Cats, The Dils, Weirdos, The Eyes usw. in mir auslösten, war irgendwie positiver, verrückter und weltoffener. Und ich fand damit, auch meine Vorliebe für den weiblichen Gesang, der bei X, im Duett zwischen Exene Cervenka und John Doe, seinen brodelnden, emotionalen Höhepunkt fand. Auch meiner ersten großen Liebe, gefiel der L.A.-Sound weitaus besser, als der herkömmliche Punkrock.

Was neben den vielen Powerfrauen, auch daran lag, das bei The Plugz und The Bags, dieses gewisse, südländische Chicano-Feeling aufkam und im Bezug zu X, es sich um richtig gute Musiker handelte, die Punkrock mit dem Rockabilly der 50er und dem Folk und Beat der 60er Jahre vermischten. Und diese brodelnd, emotionale, leidenschaftliche Performance von John und Exene, ist schlichtweg grandios und einzigartig. Ich habe zumindest nie wieder eine Punkrockband gehört, die einen solch ergreifenden Duettgesang zelebrierten, wie X.

Diese Begeisterung ging bei mir sogar soweit, dass ich ein paar Jahre später, in einem regionalen Veranstaltungsmagazin eine Annonce aufgab, um nach einer weiblichen Sängerin zu suchen. Leider antworteten daraufhin nur ein paar (ich möchte sagen) junge Poppertussis, die lieber so klingen wollten wie Mia, Christiana Stürmer oder Silbermond. Dieser überproduzierte Radio-Bullshit, war natürlich überhaupt keine Option für mich. So jetzt habe ich aber genug von den alten Zeiten geplaudert…

Das X-Debüt „Los Angeles“ und „Wild Gift“, besitzt noch diese brodelnde Aufbruchsstimmung, die damals in L.A. herrschte. Bei ihrem nächsten Album „Under The Big Black Sun“, verarbeitete Exene Cervenka den kurz darauf folgenden Tod ihrer Mutter und Schwester, dementsprechend melancholisch bis traurig wirkt das Album, ohne einen dabei mental herunterzuziehen. „More Fun In The New World“ fällt hingegen wieder sehr Lebensbejahend und positiv aus.

Darauf folgte mit dem Heavy Metal Produzenten und Tonabmischer Michael Wagener (u.a. Accept, Mötley Crüe, Metallica, Ozzy Osbourne, Bonfire, Skid Row, Lordi usw.), das ziemlich kommerziell ausgelegte Album „Ain´t Love Grand“, das zwar ein paar gute Songs bietet, aber wegen der glatten und Enthusiasmusberaubenden Überproduktion, als ein Flopp zu werten ist. Die meisten Fans halten auch „See How We Are“ und „Hey Zeus“, für zwei nicht wirklich, nennenswerte X-Alben. Ich kann den beiden Alben, aber dennoch viel abgewinnen.

Mit „Alphabetland“ erschien dieses Jahr ein neues X-Album, das überraschenderweise wieder etwas härter und straighter nach ihren Anfangstagen klingt und sehr zu überzeugen weiß, selbst wenn die einstigen Überhits zu fehlen scheinen, sind „Water & Wine“, „Alphabetland“ und „Goodbye Year, Goodbye“ sehr Nahe dran, am alten Zauber. Ein sehr gutes Comeback, auf dem hoffentlich eine Europatournee folgt. Leider sind diesbezüglich, die Chancen eher gering, wie ich im Interview erfahren durfte.

Zwar hätte ich lieber ein Gemeinschaftsinterview mit den beiden Sängern John Doe und Exene Cervenka geführt, aber auch ihr Schlagzeuger D.J. Bonebrake, erwies sich als ein sehr sympathischer und humorvoller Interviewpartner. Es mag in dem Interview oft um´s Geld gehen, aber X sind eben auch eine Band, die mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt verdienen und ich würde ihnen definitiv noch mehr Erfolg wünschen.

Für die jüngeren bzw. all den Lesern, die X noch nicht kennen sollten, gibt es hier an dieser Stelle, noch ein paar von mir persönlich, auserwählte Songs, ihrer frühen Alben.

Adult Books / We´re Desperate – Single

“Los Angeles” 1980
> Johny Hit And Run Paulene > Los Angeles > Sex And Dying In High Society > The Unheard Music

“Wild Gift” 1981
> The Once Over Twice > Universal Corner > In This House That I Call Home > When Our Love Passed Out On The Couch

“Under The Big Black Sun” 1982
> The Hungry Wolf > Riding With Mary > Dancing With Tears In My Eyes > The Have Nots

“More Fun In The New World” 1984
> We’re having much more fun > I Must Not Think Bad Thoughts > Drunk In My Past > True Love Pt. #2

Was mich schon immer interessiert hat, welchen Hintergrund hat dein Künstlername D.J. Bonebrake?
Als ich 1977 begonnen habe, bei THE EYES zu spielen, suchte ich nach einem Künstlernamen, aber jede Idee die mir einfiel, hörte sich lächerlich an, also behielt ich einfach meinen Vornamen. Als ich ein Jahr später bei X einstieg, schlug Billy Zoom, DJ (steht für Don James) als Künstlernamen vor, in Anlehnung an DJ Fontana, den Schlagzeuger von Elvis Presley. Der Ursprung von Bonebrake ist folgender: Daniel Beinbrech kam 1740 aus Schmallenberg – Deutschland, nach Amerika. Dewalt, einer seiner Söhne, änderte seinen Namen zu Bonebrake. Der Name wurde über Generationen weitergegeben, so dass ich diesen coolen Punkrock-Namen haben kann. Und das ist kein Witz!

Vor X hast du noch in der kurzlebigen, aber sehr tollen Band The EYES gespielt, die mit „TAQN“ nur eine Single veröffentlichten. Was gibt es wissenswertes über diese Band zu sagen?
Ich habe anfangs 1977 bei THE EYES angefangen. Joe Ramirez sang und spielte Gitarre, Charlotte Caffey hat ebenfalls gesungen und Bass gespielt. Charlotte spielte später bei THE GO-GO’S. Als ich bei THE EYES dabei war, haben wir die Single „Don’t Talk To Me“ auf What? Records veröffentlicht. „TAQN (Take A Quaalude Now!)“ wurde erst veröffentlicht, als ich schon nicht mehr dabei war.

Wie bist du damals zu X gekommen?
John Doe sah mich Ende 1977 bei einem THE EYES-Auftritt, im The Masque-Club. X hatten erst vor kurzem ihren Schlagzeuger verloren. Billy Zoom meinte zu John Doe, er wolle einen Schlagzeuger, der eine große Snare spielen kann und nicht viele Cymbals hat. Zu dieser Zeit benutzte ich ein 12 mal 15 Ludwig Marsch-Snare. Ich ging zu einer X Probe und habe vorgespielt. Ich glaube sie waren von meiner Darbietung beeindruckt und ich war von ihrem Sound und ihren Liedern beeindruckt.

Wie hast du die frühen Jahre von X in Erinnerung behalten?
Die erste Show, die ich mit X spielte, war in der Elk’s Lodge. Es war ein Benefizkonzert für das Masque und Exene trug während des Auftritts Boxhandschuhe. Das hat unsere Einstellung ziemlich genau definiert. Denn danach kann ich mich an viel harte Arbeit erinnern. Wir haben so viele Konzerte wie möglich in der Gegend gespielt. Manchmal in etablierten Clubs, wie dem Whisky a Go Go, manchmal in gemieteten Hallen oder in einer Spelunke. Wir hatten auch viele Auftritte in San Francisco, da es nur 7 oder 8 Stunden mit dem Auto entfernt lag.

Die Stadt hatte eine sehr lebendige Szene und bei vielen Gigs, spielten wir zusammen mit The AVENGERS, einer der besten Bands aus San Francisco. Nachdem 1978 unsere Single “Adult Books” veröffentlicht wurde, fuhren wir 3000 Meilen nach New York, um zwei Abende im CBGB zu spielen. Wir waren nur der Eröffnungsakt, nicht der Headliner. Keiner wusste wer wir sind. Wir hatten dort auch noch ein paar andere Auftritte. Das würde vermutlich heute nicht mehr gehen, denn die meisten Clubs sind schon sechs Monate im Voraus ausgebucht. Im Max’s in Kansas City haben wir ein Konzert gespielt, und andere Musiker*innen der Szene sind aufgetaucht.

Debra Harry war auf einem unserer Konzerte, was ziemlich cool war. Auf dem Hin- und Rückweg haben wir viele Abenteuer mit unserem Wagen erlebt. Ein Anhänger ging kaputt, kein Benzin mehr, Wasser das ins Innere des Auto drang, gefrorene Frosttropfen, Schnee, Regen, Kälte und in New York wurde der Wagen auch noch abgeschleppt. Um ihn wieder zu bekommen, mussten wir alles Geld das wir hatten, dafür ausgeben. Die meiste Zeit haben wir Bier getrunken. Um den Schauspieler WC Fields zu erwähnen: Manchmal hatten wir während Wochen nichts zum Überleben, außer Essen und Wasser!

Wie würdest du die L.A.-Punkszene der späten 70er umschreiben?
Es ist sehr schwer zu beschreiben. Kann ich ein bisschen albern sein, da ich das eh schon bin, und es mit einem Sci-Fi Film aus den 50ern vergleichen? Die Punkszene in LA war wie der Blob. Der Blob, ein riesiger Schleimklumpen, der die Stadt heimsucht, Bier trinkt und Schleim zurücklässt. Keiner hat es verstanden. Es muss doch einen Sinn haben? Frauen und Kinder haben geschrien! Männer haben es beschimpft und mit ihren Schuhen getretten. Die Polizei versuchte es einzusperren oder mit ihren Knüppeln zu schlagen, konnte es aber nicht kontrollieren. Teile des Blob haben sich abgespalten und gingen in die Vororte. Ich höre, er sei heute noch am Leben, habe aber seinen Job verloren. „Wir geben dir nun die Kontrolle deines Fernsehers zurück…“

Über den damaligen Veranstaltungsort Masque erschien bereits ein Buch und eine mehrteilige Samplerreihe. In welcher Weiße unterschied sich das Masque von anderen Clubs?
Das Masque hatte keine Lizenz. Es war in einem Keller, in der Nähe des Hollywood Boulevards, unterhalb des Pussycat Theaters. Der Eingang war in einer Gasse. Es gab kein Schild, kein Vordach, keine Bar und keine Tische. Nur ein Betonboden und viele Graffitis an den Wänden. Ursprünglich hat Brendan Mullen den Laden gemietet, dass Bands darin proben können. Aber es wurde auch zu einem Konzertlokal, weil die Bands, die darin geprobt haben, einen Ort zum Spielen brauchten, denn Punkbands hatte keine große Auswahl an Konzertlokalen. Obwohl es nur eine kurze Zeit, von August 1977 bis Januar 1978 bestand, war es der Haupttreffpunkt der frühen Punkszene in LA.

Hatte L.A. mit X, Alley Cats, The Bags, The Brat usw. mehr Bands in denen Frauen sangen oder beteiligt waren, als in anderen Städten oder Regionen der USA? Oder wie erklärst du dir den hohen Frauenanteil in der L.A.-Szene?
Ich glaube es war überall so in den USA. Früher gab es Girl Groups und Sängerinnen, aber Frauen in anderen Positionen waren selten, ich denke da an Ruth Underwood (Perkussionistin von Frank Zappa und den Mothers of Invention), oder Carol Kaye (Gitarristin und Bassistin, die u.a. die Hits „La Bamba“, „Wonderful World“ oder Nancy Sinatras „These Boots Are Made for Walkin“ mit einspielte und sie war auch einer der ersten Bassistinnen, die mit einem Plektrum spielte – Anmk. Bela). Ich glaube aber, dass Frauen in Bands heute allgegenwärtiger sind als früher. Das ist eine sehr gute Entwicklung!

Stimmt es das in den frühen 80ern, durch die vielen Hardcorebands, die Gewalt auf den Konzerten zunahm?
Ja, das stimmt. Einige der Konzerte wurden gewalttätig. Viele Frauen, aber auch Männer, gingen nicht mehr auf Konzerte, da sie Angst hatten, verletzt zu werden. Einige wendeten sich dem Rockabilly zu, da sie dort tanzen konnten, ohne verletzt zu werden.

Ihr hattet immer euren eigenständigen Stil und seid von 1000 anderen Bands herauszuhören. Eure Einflüsse lagen nicht nur im Punkrock, sondern auch im Rockabilly, Folk oder 60´s Rock. Welche Bands haben euch beeinflusst?
Ich wurde 1955 geboren. Die Musik der 60er hat daher einen großen Einfluss auf mich gehabt. Ich denke da an THE VENTURES, THE BEACH BOYS, THE BEATLES oder THE ROLLING STONES. Generell die Bands, die im AM Radio gespielt wurden. Später kamen dann JIMI HENDRIX, THE DOORS, CREAM, CAPTAIN BEEFHEART oder FRANK ZAPPA dazu. CAPTAIN BEEFHEART und FRANK ZAPPA hatten einen großen Einfluss auf meine musikalische Entwicklung. Als ich Billy Zoom traf, zeigte er mir 50s Rockabilly und andere Künstler*innen aus den 50ern. Ich höre aber genau so viel Jazz und klassische Musik wie ich Rock höre. Wer weiß schon, welche Einflüsse unsere Musik wirklich hat? Alle vier von uns haben verschiedene musikalische Geschmäcker. Wir treffen uns aber alle in der X-Zone, wo auch immer die ist.

Der abwechselnde Gesang von John und Exene sprudelt nur so vor intensiver Leidenschaft. Wie wichtig ist euch Emotionalität und Leidenschaft in eurem Songwriting?
Sehr wichtig! Bei X geht es um Leidenschaft. Billy Zoom ist dabei das Gegengewicht.

Vermutlich ist mein Eindruck etwas naiv, aber als außenstehender waren für mich Exene und John das Traumpaar des Punkrock. Deswegen würde mich interessieren, ob ihre Beziehung sich positiv auf das Songwriting auswirkte? Meinst du eure frühen Alben hätten anders geklungen, wenn die beiden zu jener Zeit, kein Liebespaar gewesen wären?
Ihr Talent, sowie auch ihre künstlerische Beziehung waren sehr wichtig. Vielleicht hat ihre Heirat das alles nur noch verstärkt. Bis heute können sie wunderbar zusammenarbeiten, obwohl sie nicht mehr verheiratet sind.

Euer Produzent war Ray Manzarek von den DOORS. Wie kam der Kontakt mit Ray zu Stande?
1979 gingen Ray und seine Frau Dorothy ins Whisky a Go Go, zu einem Konzert von LEVI AND THE ROCKATS. Wir haben als Opener gespielt und hatten ein Cover von Doors „Soul Kitchen“ im Programm, das so schnell war, dass Ray es nicht erkannte. Dorothy musste ihn erst darauf aufmerksam machen. Nach dem Konzert kam Ray zu uns hinter die Bühne, und fragte, ob er unser Produzent sein könne. Er versuchte seine Kontakte spielen zu lassen, um uns einen Plattenvertrag bei einem Major Label zu verschaffen, aber keines der Labels wollte eine Punkband unter Vertrag nehmen. Zumindest erschien uns das so. Als wir einen Vertrag mit Slash Records unterzeichnet hatten, war Ray der Producer. Weil wir so ein kleines Budget hatten, verlangte er kein Geld, sondern wurde prozentuell am Erlös beteiligt.

Waren eure Touren in den 80ern auch schon ausgiebig, wie heute? Und welche Konzert oder welche Städte oder Metropolen, blieben dir besonders in Erinnerung?
In den 80ern haben wir ungefähr gleich so viele, oder sogar ein paar Konzerte mehr gespielt als heutzutage. Anfangs der 80er tourten wir meistens für sechs Monate, um danach etwa sechs Monate am nächsten Album zu arbeiten. Das Schreiben hat manchmal etwas länger und manchmal etwas weniger lang gedauert. Wir wurden meistens auf College Radios gespielt. Daher waren wir auch in Städten wie Boston, New York, San Francisco, Chicago, Minneapolis, Austin und natürlich Los Angeles erfolgreich. Ich bin mir sicher, dass ich ein paar Städte vergessen habe.

In dem Song „Drunk in my past“ geht es über übermäßigen Alkoholkonsum. Hattet ihr bandinterne Probleme mit Alkohol oder Drogen?
Einige.

Hat es euch damals mehr Erfolg verschafft, als ihr von Slash Records zum Major Elektra gewechselt seid und auf „Ain´t Love Grand“, mit Michael Wagener den Produzenten gewechselt habt? Oder wäre es im Nachhinein besser gewesen, bei Slash Records und Ray Manzarek zu bleiben?
Eines der Probleme mit Slash war der Mangel an Vertriebskanälen. Damals wurden sie nicht von Warner Brothers vertrieben. Wir tourten, um die Platten zu bewerben, aber manchmal waren sie nicht mal in den Plattenläden erhältlich. In dieser Hinsicht war es ein wichtiger Schritt zu Elektra zu wechseln. Um das klarzustellen, wir haben Ray Manzarek als Produzent für die ersten beiden Alben auf Elektra, „Under The Big Black Sun“ und „More Fun In The New World“ behalten.

Als wir den Vertrag mit Elektra unterzeichneten, war eine unserer Bedingungen, dass wir Ray als Produzenten behalten können. Wir mochten ihn und wollten vermeiden, dass uns die Plattenfirma einen anderen Produzenten aufzwang, mit dem wir uns nicht verstanden oder dem wir nicht vertrauen konnten. Vertriebskanäle, Werbung und ein Budget für Musikvideos waren für uns als Band notwendig, um weiterzumachen. Slash konnte uns das nicht bieten. Damals gab es noch Telefonkabinen und Strassenkarten. Wir hatten keine Smartphones oder Social Media um auf uns aufmerksam zu machen oder Platten zu verkaufen.

In L.A. wurde Ende der 80er der Hairspraymetal um Guns´n´Roses, L.A. Guns usw. sehr erfolgreich. Wie hast du diese musikalische Entwicklung empfunden und hatte der Hardrock und Metal auch Einflüsse auf X oder anderen Bands aus der L.A.-Szene?
Sie waren nicht wirklich mein Ding. Ich mochte sie nicht und fühlte mich nicht zu ihnen hingezogen. Ich glaube Nickey Beat, der auch bei THE WEIRDOS tätig war, spielte einige Jahre bei den LA GUNS. Ich wurde von Nickey beeinflusst, als er noch bei THE WEIRDOS spielte. Er war ein großartiger Punkschlagzeuger. Ich kann mich noch daran erinnern, dass er während den Konzerten vom Schlagzeug aufgestanden ist und dem Publikum sagte, sie sollen sich die Haare schneiden. Die meisten Männer hatten damals lange Haare. Sie kamen anfangs zu einigen Konzerten mit langen Haaren, bevor sie die Haare sehr kurz schnitten oder sich den Schädel rasierten. Ich war da keine Ausnahme.

Aus welchen Gründen, habt ihr euch Ende der 80er aufgelöst? Und wie kam es 1992 mit dem Album „Hey Zeus“ zu einer Reunion?
Wir hatten uns 1988 nicht aufgelöst, wir haben eine Pause eingelegt. Exene bekam ein Kind und John wollte ein Soloalbum aufnehmen. Ich muss gerade daran denke, was für eine Kämpferin Exene während ihrer Schwangerschaft war. 1987 machten wir eine dreimonatige Tour, durch die USA und Europa. Als wir die Tour angefangen haben, war Exene im fünften Monat schwanger. Im Dezember sind wir nach Los Angeles zurückgekommen und haben ein großes Konzert im Universal Amphitheater und danach drei Konzerte am Stück im Whiskey a Go Go gespielt, bei denen wir auch unser Live-Album aufgenommen haben. Zu diesem Zeitpunkt war sie im achten Monat schwanger, aber hat sich nie beschwert. Naja, sie hat sich während der Busfahrten beschwert, da sie im Sitzen schlafen musste. In der Pause tourte ich mit Syd Straw und dann mit Michael Penn. Nach unserer Pause bot uns Mercury Records einen Plattenvertrag an. Das führte uns zu der Platte „Hey Zeus“.

Sehr viele Bands aus den USA kommen regelmäßig auf Europatournee. Soweit ich es auf dem Schirm habe, seid ihr bisher nur einmal als Support für Pearl Jam in Europa auf Tour gewesen. Wieso habt ihr Europa bisher gemieden? Und wird sich das mit der neuen Platte ändern?
Wir haben in den 80ern zwei Europa Tourneen gespielt. Eine 1984 und die andere, wie bereits erwähnt, 1987. Dies war nur möglich, weil uns Elektra unterstützte. Als Billy Zoom 1997 zur Band zurückkehrte, waren wir auf keinem Label. Wir mussten also auf den Konzerten Geld verdienen, um über die Runden zu kommen. Seitdem haben wir nicht mehr in Europa gespielt, und die Angebote der Promoter waren nicht gut genug. Wir hätten kein Geld verdient oder sogar noch draufzahlen müssen. Das konnten wir uns nicht leisten. Das ist heute noch so, trotz der Publicity, die wir durch die Tour mit PEARL JAM bekamen. Wir haben uns auf dem Markt zu wenig bewiesen. Vielleicht ändert sich das mit der neuen Platte. Ich weiß es nicht.

Wie kommt es das euch so viele berühmte Bands wie Pearl Jam, Red Hot Chilli Peppers, The Bronx usw. unterstützen oder eure Songs covern? Klärt uns doch mal über eure Popularität auf? Welchen Stellenwert habt ihr in den USA?
Hier in den USA waren wir bekannt, vor allem in Los Angeles. Ende der 80er hatten wir die RED HOT CHILLI PEPPERS, THE GO GO’S, JANE’S ADDICTION und sogar RANCID als Vorband. Als Eddie Vedder noch ein Teenager war, ging er in Chicago zu unseren Konzerten. Er hat uns erzählt, dass er bei einem Konzert in der ersten Reihe stand und Exene ihm ein Bier gab.

Er meinte noch, dass er es selbstverständlich nicht getrunken hat, da er noch minderjährig war und nicht gegen das Gesetz verstoßen wollte! Ich glaube wir haben einen großen, oder zumindest einen mittleren Popularitäts-Status in den USA. Viele Bands geben uns als Einfluss an. Seit über 40 Jahren spielen wir Konzerte, und die Leute kommen noch immer. Ich glaube dass wir besser spielen als je zuvor. Wir hatten Ausstellungen in Museum (stellt mich nicht ins Museum. „I’m not dead!“ „You will be!“ Danke, Monty Python), Dokus wurden über uns gedreht, Kinder und Haustiere (Hunde, Katzen, Molche) wurden nach uns benannt- Besser geht’s nicht.

John Doe und Exene Cervenka haben nie aufgehört neue Alben aufzunehmen. Wie sieht es bei dir und Billy Zoom aus. Wart ihr nachdem sich X in den 90ern aufgelöst haben, musikalisch aktiv?
Billy hat seit den 70ern, seine eigene Band, THE BILLY ZOOM BAND. Für einige Zeit hat er sie wiederbelebt und ich habe dort auch mal mitgespielt. In seinem Studio hat er Bands aufgenommen und produziert. Als wir uns 1998 auflösten, spielte ich ununterbrochen Musik. Ich habe in hunderten von Bands gespielt, Alben aufgenommen, war auf Tour, habe Filmmusik gemacht, bei TV Werbespots mitgemacht sowie auf Hochzeiten und Bar Mitzvahs gespielt. Also so ziemlich alles. 2006 habe ich in einer Jazzband auf ihrer Europatour das Vibraphon gespielt. Es war mit Steven Bernstein (von Sex Mob), für sein Projekt namens HOLLYWOOD DIASPORA. Eines unserer Konzerte war in Singen. Wir hatten einen Saxophonisten aus Wien in der Band, Clemens Salesny. Ein grossartiger Musiker. Ich hoffe er ist mittlerweile sehr berühmt!

Für euer neues und überraschend gutes Album „Alphabetland“, habt ihr viel gute Kritik bekommen. Was hältst du persönlich von eurem neuen Album?
Ich liebe die Platte! Die Songs sind gut und wir haben auch gut gespielt. Ich denke sie ist genauso gut oder sogar besser als unsere bisherigen Platten. Unser Produzent Rob Schnapf, hat einen sehr guten Job gemacht.

Habt ihr an der Fertigstellung eures neuen Albums lange gebraucht?
Ich denke die Zeit war bis jetzt noch nicht reif genug dafür, um eine neue Platte aufzunehmen. Wir hatten bis vor einigen Jahren keine Plattenfirma. Fat Possum, die unsere ersten vier Alben wiederveröffentlichten, boten uns an, ein neues Album zu veröffentlichen. Es schien ein guter Zeitpunkt, wir hatten einen guten Produzent, und jetzt auch noch ein Label. Also haben wir zugesagt.

Was hat es mit dem Albumtitel „Alphabetland“ auf sich? Und gibt es einen Themenschwerpunkt auf dem Album? Um was handeln die Texte auf „Alphabetland“?
Das Lied “Alphabetland” hieß ursprünglich “Mercury”. In dem Song gibt es die Zeilen „Alphabet Wreck“ und „Alphabet Mine“, die sich für Billy Zoom wie Alphabet Land anhörten. Exene korrigierte ihn immer wieder, aber er nannte den Song dennoch „Alphabetland“. Schließlich haben wir den Titel des Songs geändert und auch das Album so genannt. Ich weiß nicht, ob ich die Texte oder ihre Bedeutung beschreiben kann. Ich überlasse das den Hörer*innen.

Wie ist die Situation für Musiker und Künstler in den USA, während der Zeiten des Corona? Wie halten sie sich finanziell über Wasser?
Es ist sehr schwierig, weil Musiker*innen nicht live spielen können und so auch nichts verdienen. Eine harte Zeit für alle!

Was war in all den Jahren, die schönste oder aufregendste Erinnerung, die du von X behalten hast?
Es mag sich kitschig oder sentimental anhören, aber immer wieder sagt mir ein Fan, dass unsere Musik sein Leben veränderte oder ihn durch harte Zeiten half. Was gibt es schöneres?

Noch ein abschließendes Wort: Ich möchte Hal Willner würdigen, ein Musikproduzent aus New York, der am 7.April am Coronavirus verstorben ist. Er war kein enger Freund, aber ich kannte ihn und habe ein paar Mal mit ihm zusammengearbeitet. Für mich war er einer der innovativsten Produzenten, mit dem ich je zusammenarbeiten durfte. Ruhe er in Frieden. Ich will mein Beileid auch all denen aussprechen, die einen geliebten Menschen an das Coronavirus verloren haben.

Übersetzung: Marco Bechtiger
Interview: Bela

 

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