Mai 18th, 2020

Wels Music Unlimited Festivalbericht aus #129, 2008

Posted in interview by Jan

Wels Music Unlimited
Höhepunkte kalifornischer Musikerzeugung

Es war mein drittes Music Unlimited – und vieles sprach dafür, dass hier ein einsamer Höhepunkt meiner ganz persönlichen Konzertgeschichte stattfinden würde, eine Kulmination jahrelanger Beschäftigung mit verschiedenen Musizierweisen, die sich an eben nicht zuletzt einem Ort zu einem kaum entwirrbaren Knäuel verflochten und mich immer wieder überraschten, angefangen wohl mit „Nothing Show“ von Idiot Flesh, die mich mit dem darauffolgenden Album „Fancy“ auf das Vaccination-Label und damit weitere Exponenten der Oaklander Szene stieß, und von dort aus ging es immer weiter und hörte bis heute nicht auf. Umso mehr ein innerer Vorbeimarsch dann dieses Festival, bei dem sich Musiker und Publikum vermischen, weil die Musiker immer auch Fans sind, der Rahmen überschaubar genug, und sich 2007 sowieso alles schon aus der Nachbarschaft kannten, aber in so geballter Konzentration (so und so) daheim nur selten aufeinandertreffen. Und der kleine Stone mittendrin – ich sag euch, das war was…

Nun aber doch noch ein wenig Geschichte: Zum ersten Mal war ich 2005 nach Wels in Oberösterreich zum Music Unlimited gefahren, weil dort eine Aufführung von „Electric Ascension“ stattfand, für die das ROVA Saxophone Quartet aus der Bay Area, dessen Mitglied Larry Ochs wiederum das Festival kuratiert hatte, unter anderem Nels Cline eingeladen hatte, der auch noch in zwei weiteren Gruppen auftrat. Schön, dass auch noch das Tin Hat Trio dabei war, Trevor Dunn’s Trio Convulsant und etliche andere, aber nicht zuletzt war ich wegen Nels Cline dort. Für das nächste Jahr war dann für das 20. Music Unlimited ein kaum weniger aufregendes Programm annonciert: Fred Frith spielte an allen drei Abenden, Charming Hostess waren dabei, The Ex, wieder Carla Kihlstedt, die im Vorjahr als Teil von Tin Hat sowie im Duo mit Satoko Fujii aufgetreten war.

Charming Hostess, Carla Kihlstedt – das reicht auch zurück in die Jahre, in denen ich die Szene in Oakland entdeckte, in der sich auch neben Idiot Flesh so erfreuliche Formationen wie Ninewood, Mumble & Peg, Giant Ant Farm, GrndNtl Brnds, Eskimo herumtrieben, deren Aktivitäten sich wiederum zurückführen ließen und überschnitten mit Bands wie Fibulator, Molecules und so weiter und so fort.
Deswegen war klar, dass ich dabei sein wollte, als zu lesen war, Carla Kihlstedt würde 2007 das Music Unlimited XI kuratieren. Kihlstedt sorgte zu diesem Anlass dankenswerterweise für einen Auftritt von Sleepytime Gorilla Museum, bei denen sie mitspielt und mit Teilen deren Belegschaft sie auch Charming Hostess zur „Bigband“ machte, engagierte Secret Chiefs 3 von Ex-Mr.-Bungle Trey Spruance, rief die kürzlich aus alter Liebe wiederformierten Molecules herbei, ließ Faun Fables antreten, die mit Sleepytime Gorilla Museum eng verbandelt sind, und karrte noch einen ganzen Schwung weiterer Nachbarn aus Oakland und Umgebung heran. Dass ich das nochmal erleben durfte – war ich doch eigentlich auch immer gern vor Ort, um all das zu sehen, was sich aber in einigen Fällen gar nicht, in anderen eben nur sehr sporadisch ereignete.

Was genau an jenem Ort so anders oder zumindest immer wieder aufregend ist, ließ sich theoretisch nur ansatzweise klären (wie die Interviews mit Carla Kihlstedt und Dan Rathbun, Nils Frykdahl und Michael Mellender zeigen), wird aber zumindest skizzenhaft klarer, wenn man sich vor Augen führt, was dort so im Einzelnen geschieht. Dass hier die ganz großen Namen fehlen mögen, aber so etwas wie eine Community besteht, innerhalb derer das spontane gemeinsame Musikmachen Alltag ist, zahllose Projekte gedeihen, die zwischen Americana und freiem Spiel kaum etwas auslassen.

Das setzte sich in Wels unmittelbar um in ein gemeinsames Fest voller euphosirierender Momente – denn schließlich hat man ja auch zuhause kaum Gelegenheit drei Tage lang auf einem Fleck zu hocken – während es draußen stürmt und schneit, zumal – und einander in Ruhe zuzuhören.

Der Reigen wurde von Gino Robair (Schlagzeug) und John Butcher (Saxofon) im freien Flug der Einfälle eröffnet, „klassische“ freie Improvisation, das Forschen nach neuen Klängen, die Bearbeitung von Instrumenten mit anderen Mitteln, die Sprengung jeglicher Form. Dann kam das Violet Quartet mit Christof Kurzmann, John Tilbury, Stevie Wishart und Werner Dafeldecker, dann das Ben Goldberg Quintet, unter anderem mit Carla Kihlstedt, Devin Hoff und Ches Smith, die im weiteren noch ein paarmal zu hören sein würden, beides schon eher freier Jazz, weiters das etwas anstrengende Trio Bolivar Zoar und schließlich ein äußerst kurzweiliger Auftritt der Molecules um Ron Anderson, die mit den Mitteln von Hardcore Rock zerlegten und dabei Teile der Jazz-Geschichte gleich noch mit. Gegen Ende gab es ein ergreifend schepperndes „Lonely Woman“ (Ornette Coleman) zu hören. Das war dann allerdings in seiner Spazzness selbst für das durchaus belastbare Publikum etwas zu viel des Guten, weshalb die Halle nur schwach besetzt war.

Der zweite Tag begann mit einem Gesangsstück von Lisa Bielawa, die für Kihlstedt die „Kafka Songs“ komponiert hatte, die letztes Jahr aufgeführt wurden – von der Geiger und Sängerin souverön gespielt und zugleich gesungen, in ebenjenem Pavillon, in dem Bielawa ihr „Collective Cleansing“ zeigte.
Danach machten sich Matthias Bossi (auch einer der beiden Schlagzeuger von Sleepytime) und Scott Amendola (häufig als Schlagzeuger mit Nels Cline zu hören) im Kornspeicher, einer weiteren externen Spielstätte, dran, über ein kleines Motiv zu improvisieren.

Auch der Samstagabend begann improvisationslastig mit Ellery Eskelin, Andrea Parkins und Jim Black, das Duo Marina Rosenfeld und Christof Kurzmann reduzierte im Anschluss noch weiter, Larry Ochs & Drumming Core mit den Schlagzeuger Scott Amendola und Donald Robinson sowie Trompeter Natsuki Tamura und Pianistin Satoko Fujii verfolgten Free Jazz und Improv in offenen Kompositionen, dann kam der ätherische Folk von Faun Fables, deren Anführerin Dawn McCarthy über eine ganz und gar beeindruckende Stimme verfügt, die auch auf dem grandiosen Album „The Letting Go“ von Bonnie „Prince“ Billy zu hören ist (bitte: wer es noch nicht getan hat, höre dieses Album – es ist ein Klassiker!). Mit Meredith Yayanos, Kirana Peyton und dem schon etwas länger beteiligten Nils Frykdahl (Sleepytime Gorilla Museum) stellte sie die neue Besetzung der Band vor und wirkte innerhalb des doch recht avantgardistischen Programms seltsam aus der Zeit gefallen, mit wallenden Kleidern, Flöten und Klageliedern über Reisende. Aber ganz toll!

Das Finale des Abends dann mit den grandiosen Secret Chiefs 3, die nach Angaben von Trey Spruance viel zu selten spielen, was sich nunmehr ändern soll – was wünschenswert wäre, denn ihre Mischung aus arabischer Melodik, surfenden Gitarren und Heavy-Metal-Cut-Up-Techniken war äußerst einnehmend. Musiker wie Ches Smith und Shahzad Ismaily, die beide zu den meistbeanspruchten Musikern des Festivals gehörten und sich in den unterschiedlichsten Settings bewährten, machten den Auftritt zu einem veritablen Erlebnis in erhabener Lautstärke.

Sonntag, leichte Katerstimmung, große Vorfreude. Und ein Beispiel für den Community-Gedanken: In der Galerie der Stadt Wels ist Carla Kihlstedts „Sympathy And Difference“ zu hören. Auf die Ecken und Ränder des Raums verteilt sitzen die meisten der an diesem Wochenende auftretenden Musiker, sortiert nach Instrumentengruppen, wobei zu den gewohnten Instrumenten Dinge wie Flaschen und Gläser kommen. Ein Gesangstrio, zwei Glasorgeln, ein Flaschenblaskreis, ein Violinentrio (an den Wänden Bilder einer Ausstellung über Branding – so und so: als Marken und als Brandzeichen, das Nike-Symbol Gesichter eingebrannt) spielen bereits, als das Publikum den Raum betreten darf. Was zunächst kunstvoll esoterisch anmuten könnte, entwickelt sich mit spannungsreichen Intervallen zu einem humorvollen Stück, in dessen Verlauf sich die Musiker gar schelmisch zuprosten.

Dann waren Devin Hoff (Bass) und Ches Smith (Schlagzeug) an der Reihe, die im Kornspeicher als Good For Cows eine beeindruckende Vorstellung gaben, athletisch, behände zwischen subtilem Spiel und Free-Metal-Ausbrüchen changierend, die Grenzen zwischen Komposition und Improvisation konsequent zum Ausgangspunkt erklärend. Hier ließ sich hören wie wenig sich diese Musiker um Genres scheren: Von Jazz bis Heavy Metal reicht das Material ihrer Musik.

Der letzte Abend begann wundersam anders: Wu Fei aus Peking, die singt und die alte chinesische Harfe Gu-Zheng spielt, spielte zarte Kompositionen mit gelegentlichen Exkursen ins Freie. Danach folgte ein Ausflug in den Free Jazz mit dem niederländischen Trio aus Michiel Braam, Wilbert de Joode und Michael Vatcher, zupackend, kraftvoll, bevor Carla Bozulich die Bühne betrat, mit einem beeindruckenden Aufgebot an Begleitmusikern, die zwar sämtlichst irgendwann schon einmal Teil ihrer Entourage waren, aber hier erstmal gemeinsam die Sängerin begleiteten. Tara Barnes, Marika Hughes, Shahzad Ismaily, Ches Smith und Carla Kihlstedt unterlegten einen Sound, wie ihn vermutlich Velvet Underground vergeblich versuchten, auf Band zu bannen, krachend, pulsierend, intensiv. Bozulich, angesichts dessen beinahe zu Tränen gerührt, polarisierte zwar, gehörte für mich aber zu den unverzichtbaren Bestandteilen des Festivals. Neben dem alten Fibbers-Song „Arrow To My Drunken Eye“ und dem Low-Song „Pissing“ stach vor allem ein ganz neues Stück heraus, das laut Shahzad Ismaily bald auf einer neuen Platte zu hören sein wird – kompakt, laut, treibend, toll.

Terrie Ex und Moe!Staiano (früher auch mal Schlagzeuger bei Sleepytime und zum ersten Mal außerhalb der USA zu sehen) mochte ich mir danach nur auszugsweise anhören. Ich wartete auf Sleepytime Gorilla Museum. Und das war ein Fest. Nach dem Einzug der Musiker in einer unglaublichen Lumpenprozession zwangen sie das Publikum in die Knie. Laut, komplex, hart, aber auch von verblüffender Schönheit und überraschendem Humor. Darauf hatte ich ungefähr seit zehn Jahren gewartet. Ein Fest. So sehr, dass ich am nächsten Morgen glatt meinen Zug verpasste, aber das ist eine andere Geschichte…

Dank sei gesagt an Wolfgang Wasserbauer, Österreichs Antwort auf Buzz Osborne, und das Team vom Alten Schlachthof für dieses Ereignis!

Keine Hierarchien
Carl Kihlstedt

Eigentlich wollte ich Carla Kihlstedt treffen, als ich im September für drei Wochen in der Bay Area war, um über das anstehende Music Unlimited zu sprechen, etwas zu erfahren über die besonderen und allgemeinen Umstände des Musikerlebens in San Francisco, über die Vereinbarkeit „esoterischer“ Free-Improv-Welten mit Prog-Rock, den auch Metaller gutfinden können, über Willie Nelson und Van Halen – was aber nicht ging, weil sie just am Tag meiner Ankunft für genau die Zeit verreiste, die ich blieb. Weshalb wir uns später telefonisch unterhielten, Carla Kihlstedt zwischen einem Berg von Projekten, teils mit dem Festival verbunden, dass sie letztes Jahr kuratierte, teils mit neuen Alben, die die produktive Violinistin und Sängerin aufgenommen hatte. Mir begegnete sie zuerst bei Tin Hat Trio, ein Folk-Klez-Jazz-Kammermusikensemble, mittlerweile nur noch Tin Hat, außerdem spielte sie in früheren Inkarnationen von Charming Hostess (wieder die Vaccination-Connection) und gründete Sleepytime Gorilla Museum mit. Außerdem betreibt sie die Band 2 Foot Yard, Book Of Knots und spielt mit der Creme der Avantgarde. So war sie bei der Einspielung von „Electric Ascension“ involviert, erst kürzlich erschien ein Album mit Improvisationen, die sie mit der japanischen Pianistin Satoko Fujii einspielte. Eine unglaubliche Musikerin, soviel steht fest.

Womit bist du gerade beschäftigt?
Carla Kihlstedt: Willst du das wirklich wissen? Ich versuche viel Geld aufzutreiben, schreibe Anträge für ein Projekt und ich arbeite an den letzten Grafiksachen für die neue 2-Foot-Yard-Platte, die morgen früh ins Presswerk muss, und ich versuche alles für die Sleepytime-Tour zusammenzubekommen und noch eine Million anderer Dinge, die ich zeitgleich tun muss.

Ihr geht also auf eine komplette Tournee mit Sleepytime.
Alles ist schon nach Europa verschifft.

Ihr scheint eine Menge Dinge zu brauchen für eure Konzerte.
Wir haben viele selbstgebaute Instrumente, so dass die Clubs sie uns nicht zur Verfügung stellen können.

Ich warte schon so lange darauf, euch zu sehen.
Wir haben es ein parmal versucht. Jetzt kommen wir zum zweiten Mal, und es ist finanziell kaum machbar, vielleicht kommen wir plus minus Null raus, was fantastisch wäre, aber wir werden nicht mit Geld herauskommen. Es ist ein bisschen unhandlich. Ich wünschte, wir könnten einfach unsere Instrumente auf den Rücken packen und uns ins Flugzeug setzen, um rüberzukommen. Aber bei uns muss alles etwas schwieriger sein.

Reden wir über das Unlimited. Ich war in den letzten Jahren dabei, du hast dort auch gespielt. Deswegen haben sie dich wahrscheinlich eingeladen.
Ich denke ja. Ich war drei Jahre in Folge da, und ich war dort mit sehr unterschiedlichen Projekten. Ich war dort mit 2 Foot Yard und Tin Hat, habe mit Fred Frith improvisiert und mit Satoko Fujii, was eine andere Art zu improvisieren ist. Ich habe die „Kafka-Songs“ (von Lisa Bielawa) gemacht. Ich denke, weil ich meine Finger in sehr unterschiedlichen Arten von Musik habe, dachten sie, dass das gut wäre…
Auf deiner Homepage ist ein Zitat von dir: „Musik ist ein wirklich sicherer und spaßiger Ort, um alle Möglichkeiten emotionaler Extreme zu erforschen, sowohl für mich als Performerin, als auch für das Publikum. Musik ist ein Medium, wo du tatsächlich nach dem Song fühlst, dass du auf eine Art kleine Reise gegangen bist. Es ist ein Ort, wo Menschen die Extreme von Emotionen erforschen könne, die in manch anderem Medium vielleicht gefährlicher sind.“ Wenn man so ein Festival kuratiert… Das Music Unlimited ist ja schon eine Art Jazz-Festival…

Eine Art, aber ich denke, das Tolle an diesem Festival im Unterschied zu anderen Jazz-Festivals in Europa ist, dass sie es „Music Unlimited“ nennen und es wirklich meinen. Es hat keine ästhetischen Leitlinien hinsichtlich dessen, was sie angemessen finden oder was sie ihrem Publikum zumuten. Als Teil des Publikums habe ich Dinge gesehen, die völlig sanft und melodisch waren und ich habe absoluten Krach gehört. Und ich habe alles dazwischen gesehen. Und es scheint, dass sie ein Publikum entwickelt haben, das bereit ist, in all diese Extreme zu gehen und bereit für die unterschiedlichsten Sachen ist. Das sagte Wolfgang als wir anfingen, uns darüber zu unterhalten. Er sagte, wir versuchen wirklich, kein Jazz-Festival oder nur ein Improvisationsfestival zu sein – sie wollen nicht einsortiert werden. Deswegen haben sie ein wirklich interessantes Publikum entwickelt, das genau deswegen nach Wels kommt, nicht, weil es eine bestimmte Sache sehen will. Und ich denke, das trifft auf viele Jazz-Festivals nicht zu.

Ich stimme dir da zu und denke auch, dass die interessantesten Dinge im Jazz außerhalb des Jazz stattfinden.
Ich sollte eine Art Essay einschicken für das Programmheft. Und einer der zentralen Punkte ist, dass diese Begriffe dir nicht helfen, Musik zu hören. Sie helfen nur, Musik zu verkaufen. Sie helfen dir nicht als echtem, gegenwärtigem Hörer. Und Musik hat mehr mit Hören zu tun als mit Bezeichnung.

Deine Künstlerauswahl hat einen starken Fokus auf der Bay Area…
Das kam einfach so. Ich hätte auch gern ein Festival gehabt, das nicht so sehr amerikanisch ist, aber es ist schwierig, weil man damit beginnen muss, was einem am nächsten ist. Es ist viel hin und her, weil viele Leute, die ich gern eingeladen hätte und die nicht Amerikaner sind, keine Zeit hatten. Es ist also eine Mischung aus meiner Wunschliste und Logistik. Jetzt ist es schon stark auf die Bay Area konzentriert, weil meine Verbindungen hier so stark sind.

Ich bin ja sehr froh darüber, weil ich auf diese Weise endlich Sleepytime Gorilla Museum, Faun Fables und die Molecules, die sich vor zehn Jahren aufgelöst haben, zu sehen bekomme.
Genau, ich wollte auch Leute einladen, die normalerweise nicht in so einem Kontext spielen. Weniger offensichtliche Musiker, denen ich die Gelegenheit geben wollte. Es war wirklich hart, ein Dreitagefestival zu buchen. Es wäre viel einfacher gewesen, einen Monat zu buchen. Drei Tage sind wirklich nicht viel. Deswegen musste ich ein paar Entscheidungen treffen, die für mich unbequem waren.

Ich denke, dass die Szene in der Bay Area eine Herangehensweise teilt, die sich von Chicago, New York oder Berlin unterscheidet – so wie diese Szenen ihre Eigenheiten entwickelt haben.
Ich denke nicht, aber ich weiß nicht genau, was du meinst. Wenn ich vergleiche, wie Faun Fables, Ben Goldberg, Larry Ochs und Sleepytime Gorilla Museum komponieren und spielen, dann sind das völlig unterschiedliche Herangehensweisen. Ich sehe nicht wirklich einen einheitlichen Ansatz im Programm. Dann ist da Wu Fei, eine chinesische Gu-Zheng-Spielerin, dann ist da Lisa Bielawa. Es ist ein ziemlich weites Spektrum von Konzepten und Musik. Ich bin nicht sicher, wie ich das beantworten kann.

Ich denke, es gibt in der Bay Area vielleicht andere Traditionen, weniger Scheu vor Van Halen…
Hahahaha…

Viele Musiker, die ich dort kennen gelernt habe, hatten da einen sehr entspannten Umgang mit verschiedenen Musikstilen, keine Hierarchien.
Ich kann das einfach nicht. Ich kann einfach keine Hierarchien entwickeln und an sie glauben. Ich denke, dass Hierarchien meistens auferlegte Strukturen sind, die wir benutzen, um zu rechtfertigen, was wir denken. Und für mich ist das kein Weg zu existieren. Und es gibt einige Improvisatoren hier in der Bay Area – ich nenne keine Namen -, für die freie Improvisation die einzig akzeptable Weise ist, Musik zu machen. Und es gab sogar Leute, die mich im Internet Verräter genannt haben, weil ich nicht nur improvisierte Musik spiele sondern auch Klassik spiele und Songs schreibe und singe. Ich glaube einfach nicht daran. Ich kann nicht hinter so einer Haltung stehen. Es ist so traurig, es schneidet dich von so vielen verschiedenen Perspektiven ab. Jede Art von Musik hat so viel zu bieten.

Einen perfekten Pop-Song zu schreiben, ist so schwer. Wenn du einen perfekten Pop-Song hörst, ist das eine unglaublich befriedigende Erfahrung auf eine Weise, die es sonst nicht gibt. Und dann gibt es fantastische Improvisatoren wie Fred Frith und es ist die erstaunlichste spontane Komposition, die du je gehört hast. Dann wieder etwas zu hören, was eine sehr rigorose Struktur hat, wie manches von den Secret Chiefs 3, ist ebenfalls eine sehr kraftvolle Sache. Ich könnte nie guten Gewissens einen ganzen Ansatz von Musik abschreiben. Innerhalb jedes vorhandenen Ansatzes gibt es Leute, die es wirklich ernsthaft betreiben, und andere, die einfach eine Struktur ausfüllen. Ich glaube eher an intuitive Urteile über Musik.

Wie ist deine Verbindung zu Carla Bozulich?
Wir haben oft zusammen gespielt, es gibt ein Live-Album, auf dem ich spiele, ich war mit auf Tour in ihrer Band. Ich glaube, das erste Mal, das wir zusammen gespielt haben, war eine Tour ihrer Band mit 2 Foot Yard und seitdem bewundern wir uns gegenseitig. Ich bin ein großer Fan von ihr.

Und ihr seid beide große Fans von Willie Nelson.
Ja, genau.

Und ihr habt ihn beide auf Platten (auf „Red Headed Stranger“ von Carla Bozulich ist er ebenso zu hören wie auf „The Rodeo Eroded“ von Tin Hat Trio).
Vor ein paar Monaten habe ich mit ihm gespielt, auf einer Hochzeit. Ich stand auf der Bühne neben ihm und das war so so toll… Er ist ein Held von mir. Es gibt eine Menge Country Musik, die ich mir nicht anhören kann, aber dann hörst du Willie Nelson und es ist so transzendent, seine Phrasierung als Sänger und Gitarrist ist so tief und so rein und schön – absolut transzendente Musik. Es geht nicht um die Art von Musik, die er spielt, sondern um die Haltung und den Geist, den er entwickelt hat. Du kannst Menschen nicht nach der Musik beurteilen, die sie spielen.

Er hat sogar eine Reggae-Platte aufgenommen.
Ich hab ein bisschen Angst davor, hahaha…

Sleepytime Gorilla Museum
Eine Menge Musik in der Musik

Zum Gespräch nach dem Soundcheck am letzten Tag des Festivals, dessen krönender Abschluss der Auftritt von Sleepytime Gorilla Museum, umwerfende Nachfolger der großartigen Idiot Flesh, war, traf ich mich mit Dan Rathbun, Nils Frykdahl (beide vorher bei den besagten Idiot Flesh) und Michael Mellender, seit drei Jahren bei Sleepytime Gorilla Museum (im folgenden SGM genannt) und zuvor unter anderem in der Band Schloss, von denen noch ein Album im Polymorph-Studio der Veröffentlichung harrt (neben einem von Idiot Flesh), das Rathbun mit zwei Kollegen betreibt und in dem u.a. beinahe das komplette Programm das hier im Heft des öfteren gewürdigten Labels Vaccination Records entstand.

SGM begannen 1999, gleich nach dem Ende von Idiot Flesh?
Dan: Direkt danach, ja, nach sechs Monaten begannen wir zu proben, aber dann haben wir ein Jahr lang geprobt und komponiert, ohne überhaupt aufzutreten. Bis 2002 haben wir kaum getourt. Danach haben wir sehr viel gespielt.

Ihr wart sehr viel in den Staaten unterwegs.
Dan: Wir touren die ganze Zeit in den Staaten, jedes Jahr drei bis fünf Monate.

Ihr habt damals gesagt, ihr hättet mit Idiot Flesh aufgehört, weil es zu groß wurde?
Dan: Richtig. Weil es genau das wurde, was wir bekämpfen wollten, gemäß den Prinzipien von Rock Against Rock. Die Band wurde langsam Rock und musste deswegen aufgelöst werden.

Und dann habt ihr die RAR-Koalition verlassen?
Dan: Nein, wir betrachten, das, was wir machen, immer noch als Rock Against Rock, mit einer neuen, weniger rockigen Band.

Man könnte allerdings sagen, dass ihr rockiger seid, als Idiot Flesh. Musikalisch konzeptioneller …
Dan: Ja… Wer weiß, was es wirklich ist. Aber als wir aus Idiot Flesh kamen und diese Band begannen, war einer der philosophischen Gedankengänge, nicht zu rocken. Und es gibt ein paar Songs auf der ersten CD, die ganz eindeutig nicht rocken.

Das stimmt. Musikalisch seid ihr über die Jahre wesentlich dunkler, düsterer geworden.
Nils: Manchmal habe ich den Eindruck, dass es wirklich dunkel ist, die Songs handeln von potenziell traurigen Dingen wie dem Tod und irgendeiner Art von Finalität. Und am nächsten Abend denke ich, dass wir so albern sind, wir sind eine Comedy-Truppe.

Dan: Ich denke, dass die dunkelste Zeit ganz am Anfang war. Idiot Flesh hatten sich zu einem Punkt großer Albernheit entwickelt und wir zogen das wieder zurück. Unsre ersten SGM-Touren und Alben waren viel ernster. Und langsam entwickelte es sich wieder in Richtung Albernheit. Das ist die Bühnenshow. Die Platten selbst und die Musik… Ich kann nicht sagen, ob sie wirklich dunkler geworden sind, ich bin mir nicht sicher, möglicherweise.

Nils: Es gibt definitiv eine schwere vorherrschende Stimmung auf dem neuen Album. Notwendigerweise nicht auf der Bühne. Hinsichtlich des Auftretens gibt es eine Menge Ansagen, Kommunikation mit dem Publikum, was es anfangs gar nicht gab. Teilweise, weil wir nach Idiot Flesh nicht in den gleichen Unterhaltungsmodus zurückfallen wollten. Gene Jun (einer der Sänger von Idiot Flesh) war sehr schnell und sehr lustig, spontan – und so hatten wir beide so eine Art Abbott & Costello Routine auf der Bühne entwickelt.

Dan: Wir wollten auch etwas machen, was mehr mit Raum und Textur zu tun hatte und weniger mit Noten. Wir haben uns nicht hundertprozentig daran gehalten. Aber nach Idiot Flesh war das ein weiteres thematisches Statement, nicht so viele Noten…

Nils: Mehr Textur, Klang…

Es ist aber immer noch sehr komponiert in einem Artrock-Sinn.
Nils: Ja, das ist ein bisschen die Spannung zwischen unseren Altlasten, da wir als Band zumeist aus sehr „notenschweren Verfahrensweisen“ kommen. Woher auch immer. Bei Carla ist es ein klassischer Hintergrund, bei uns eher Artrock. Aber die Idee, zum Beispiel die selbstgebauten Instrumente, die Sounds sprechen zu lassen, ist sicherlich Teil unseres bewussten Ziels. Aber wenn wir lange an einem Song arbeiten, tendieren wir dazu, hier noch ein paar Töne zu spielen und da noch was einzubauen.

Dan: Wir mögen es, Dinge aus Musik zu bauen. Und manchmal legen wir viel Musik hinein.

In die Musik?
Dan: Ja, wir tun eine Menge Musik in unsere Musik.

Nils: Und versuchen, Raum für die Nichtmusik zu lassen.

Nils, du hast Faun Fables auch in dieser Richtung beeinflusst. „Early Songs“ (das Dawn McCarthy allein komponiert hat) war so rein und einfach…
Nils: Dieses Album entstand, als Dawn ihre Band in New York verließ, eine akustische Gitarre nahm und durch Europa reiste. Sie hatte noch nie Gitarre gespielt, lernte drei Akkorde und reiste durch Europa. Es ist erstaunliches Zeug. Und dieses Album besteht aus den Songs, die sie schrieb, als sie vielleicht fünf Akkorde konnte. Es war für mich eine Offenbarung, das zu hören. Als ich diese Aufnahmen und ihre frühen Songs hörte, hat es mich umgehauen, wieviel Gefühl, Reinheit und Wirkung sie erreichen konnte. Einige meiner Lieblingssongs aus der Zeit sind tatsächlich die Songs, die nur einen Akkord haben und die Stimme macht alles! Ich dachte: Wow! Daraus kann man Musik machen. Der Einfluss ging in beide Richtungen.

Dan: Als wir sie kennen lernten, beim „Burning Man“-Festival, sagte sie, als sie uns zum ersten Mal gesehen habe, sei sie fest entschlossen gewesen, uns kennen zu lernen. Es gab Korrespondenz und so weiter, bevor wir direkt miteinander in Kontakt kamen. Und sie entschied, dass wir eine Gruppe von Künstlern waren, die sie kennen wollte.

Nils: Sie zog nach Oakland wegen uns. Das Theater, was wir gemacht haben, war etwas, das sie anzog. Idiot Flesh waren unglaublich theatralisch, mit Kostümwechseln und so weiter. Dieser Aspekt sprach sie an, weil sie aus einer „Ernst wie die Hölle“-Szene in New York kam, wo man seine normalen Klamotten anzog. Diese glitzernde kalifornische bunte Verrücktheit sprach sie an.

Gibt es eigentlich Aufnahmen von Idiot-Flesh-Shows in anständiger Qualität?
Nils: Vielleicht gibt es bald etwas Offizielles. Wir haben mit Dren (ehedem Betreiber von Vaccination Records) darünber gesprochen, uns mit Gene Jun zusammenzusetzen und etwas zu machen. Es gibt Zeug da draußen, Sachen, die wir nie gesehen haben.

Dan: Derzeit aber ist der einzige Weg es zu finden, es zu finden. Es ist da, im Internet, aber wir haben offiziell nichts veröffentlicht.

Nils: Wir haben es offiziell nicht einmal. Leute kommen bei Konzerten an und wollen Idiot-Flesh-DVDs signiert haben, die ich vorher noch nie gesehen habe.

Ihr habt etwas typisch Kalifornisches angesprochen – gibt es auf dieser ästhetischen Ebene einen Unterschied zwischen New York und Kalifornien?
Dan: Es gibt wahrscheinlich eine Menge intellektueller Unterschiede zwischen den Küsten, aber ein Unterschied, dessen wir uns sehr bewusst sind, heißt Immobilien. Niemand in New York kann es sich leisten, genug Platz zu haben, mit soviel Zeug so viel zu proben wie wir. Unser Aufbau basiert stark darauf, dass wir Platz haben, unser Zeug aufzubauen und es stehen zu lassen. Wer einmal in New York Musik gemacht hat, weiß, dass es sehr schwierig ist.

Man nimmt sich sein Instrument und steigt in ein Taxi, fährt zu einem gemieteten Proberaum und hat eineinhalb Stunden Zeit zum Proben auf einer Anlage, die du zum ersten Mal spielst. Das produziert sehr fähige Musiker, die in jeder Situation arbeiten und schnell und geschickt reagieren können. Aber es erlaubt ihnen nicht, in die Tiefe temporaler Entwicklung zu gehen, die wir erreichen. Unser Proberaum ist wie eine Werkstatt mit den ganzen selbstgebauten Instrumenten, wo wir wirklich in die Feinabstimmung gehen können.

Nils: New York ist ein Ort der improvisierten Musik, wo die Leute mit ihren Instrumenten herumlaufen, du probst nicht zusammen, sondern triffst die Leute beim Gig, und es sind alles Virtuosen. Nicht dass es das in Kalifornien nicht gäbe, aber in New York ist das ein viel wichtigerer Teil. Und die andere Sache, die damit einhergeht, ist, Theaterelemente mit Rockmusik zu verbinden. Davon gibt es viel in Kalifornien, die Residents sind das bekannteste Beispiel, und wir haben alle irgendwann mal die Residents gesehen.

In New York gibt es eine Trennung zwischen ernstem Theater und Musicals auf dem Broadway und Nachtclubbands und Jazz. Es sind verschiedene Disziplinen, und es gibt nicht viele Musiker, die alles machen. Während in Kalifornien diese Theater-Musik-Welt nicht so etabliert ist, sondern mehr Leute Dinge vermischen. Und die Psychedelik-Ästhetik mit ihren Happenings mit Rockmusik, Action Painting und Theater ist sicherlich auch eine Tradition, die fortwirkt.

Baut ihr alle selbst Instrumente?
Dan: Das ist mein Ding. Ich baue sie und gebe sie dann jemandem, der mir passend erscheint. Es gibt ein paar Rollendefinitionen in der Band. Meine Rolle sind Tieftöner. Michaels Rolle ist…

Michael: Konstantes Solieren in pentatonischen Skalen…

Dan: Er kann eine pentatonische Skala auf Instrumenten spielen, die aus einem einzigen Löffel bestehen. Wenn ich also ein Perkussionsinstrument baue, geht das an Michael. Wenn es eher ein Melodieinstrument ist, geht es an Carla. Bei uns kann jeder alles spielen, aber ein bisschen Rollendefinition macht die Show flüssiger. Wenn wir bei jedem Song die Instrumente wechseln würden, würde es die Show verlangsamen. Wir haben aber auch den Mund von Nils, den ich drücken kann, wenn ich Zeit für Umbau brauche. Wenn ich fertig bin, schalte ich ihn wieder aus.

Könnt ihr mir was erzählen über… Ich fand die Sache mit dem Museum und der schwarzem Mathematik immer sehr passend zur Musik, weil es so viel kryptische Information ist. Wie ernst ist es euch damit?
Nils: Ein Teil davon ist Anerkennung schon für den Namen, Sleepytime Gorilla Press und so weiter. Es ist eine Ästhetik, der wir uns verwandt fühlen. Ein Element von Selbstwiderspruch, das fanden wir sehr ansprechend, und die Tatsache dass es so ein historisches Strohfeuer war, war ein Teil des Reizes – dass sie nicht berühmt sind. Ich mag kleine unentdeckte Dinge in der Geschichte, und es gibt Millionen und Milliarden davon. Wir sind schon zu Zeiten von Idiot Flesh darauf gekommen und dachten: Sleepytime Gorilla Museum wäre ein toller Bandname, dann dachten wir, nee, der ist zu lang. Und als die Zeit kam, haben wir ihn genommen. Ich denke, wir haben es nicht bereut. Irgendwann denkst du nicht mehr darüber nach. Wie die Butthole Surfers oder Fuck.

(text und fotos: stone)

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