September 3rd, 2013

(((UNARTIG))) (# 158, 02-2013)

Posted in interview by jörg

„Unter anderem meinte Joly nach der Show zu ihm, ob er sich noch daran erinnern könne, wie der Sänger seiner damaligen Band Mitte der 70er vom proben aus dem Keller in die Küche hoch kam und verkündete, dass das alles nichts mehr für ihn sei und dass er jetzt eine neue Band hätte. Joly weiter: „Mit dem neuen Bandnamen kannst du gleich einpacken, das wird NIE was.” Auf meine Nachfrage, wie denn der Name lautete, kam ein kurzes „The Police” zurück.“

Interview mit (((unartig)))

Realistisch gesagt: fast jeder, der sich für HC-Punk und Underground interessiert und online nach gefilmten Konzerten sucht (sowohl für die 90er als auch 2000er), der ist sicher schon mal auf der Videoseite von (((unartig))) gelandet. Bei diesem „jungen“ Menschen, den einige auch noch als Trust-Mitarbeiter in Erinnerung haben (seine Kolumne „Kommando friesische Wiese“ polarisierte gerne und gut), zog vor Jahren von Norddeutschland nach New York City.

Seit dem Beginn seiner Filmerei von Konzerten 1992 baute sich der Wahnsinnige ein komplett geiles Archiv auf, dass auf seiner Webseite kostenlos zur Verfügung und Vergnügung steht. Und er macht in New York ja weiter mit dem filmen, d.h. das Archiv geht fast die ganzen 90er lang und hört heute noch lange nicht auf, ich sage mal, es ist fast alles dabei, wirklich! Zusätzlich kommen laufend neue Aufnahmen dazu.

Zudem macht er hin und wieder auch Online Video Retrospektiven zu bestimmten Bands, ergänzt durch Texte von befreundeten Schreibern und Musikern. Dass hier auch gerne der klassische New York Hardcore, aber auch völlig andere Musik gefilmt wurde (und schon immer), brauche ich ja gar nicht zu sagen oder? (((unartig))) „produzierte“ auch drei eigene 60min Screener, u.a. die letzten Konzerte im CGBGs.

Es bedurfte ein wenig Überredungskunst, um den Mann zum Interview zu bekommen, da gewisse Vorbehalte aufgrund der eigenen inzestuösen Heft-Vergangenheit bestanden. Aber ich finde das online-Archiv total geil und hab schon manches Mal mit Kumpels und ner Kiste Bier und Schnaps das Archiv rauf und runter geschaut und gefreut. Zudem ist es mir auch immer schon wichtig gewesen, dass nicht immer die gleichen Leute vors Mikro gezerrt werden; ihr wisst schon, Interviews mit Bands und Labels gibt es viel mehr als mit den Leuten, die einfach aus Bock, aus Spass an der Freud aktiv im HC-Punk sind. Sei es als Tourfahrer, Fotograf, Konzertgruppe, Radio, VoKü usw.

Und bitte, tut mir den Gefallen und schaut euch auf der (((unartig))) Seite das Konzert von Sheer Terror Ende der 90er im Wiesbadener Schlachthof an. Ihr werdet es nicht bereuen, der Begriff „Zwei Gehirnzellen Mosh“ bzw. „jede Band hat die Fans, die sie verdienen“ bekommt eine eigentümliche bizarre Konnotation.

Als Appetizer für das nun folgende Gespräch noch einige Beispiele für die Specials: u.a. mit Absolution, At-The-Drive-In, Black Dice, Hot Water Music, Krallice, Neurosis, Seven Sioux, Yuppicide. Und stellvertretend für das Gesamtarchiv habe ich nun völlig subjektiv einige Clips herausgezogen. Der Stand bei der Recherche zum Interview war Ende 2012. Das Symbol (…) bedeutet, dass es mehrere gefilmte Konzerte der jeweiligen Bands/ Musiker gibt, ich hab dann nur das zuerst gefilmte genannt.

Es ist einfach eine musikalisch explosive wilde Mischung aus HC, Punk, Metal, Hip Hop, Trash und vielem mehr auf hohem technischen Qualitätsniveau. Du kannst übrigens bei ihm auf der Seite auch nach „Künstler“ oder nach „Stadt“ suchen. Frei nach Body Count, selbstverständlich 1997 live gesehen, ihr gottverdammten Punks, hier geht die Nachbarschaft:

76% UNCERTAIN 2008/12/06 USA New York City Knitting Factory – Main Room (…)
ANTIDOTE 2008/12/06 USA New York City Knitting Factory – Main Room (…)
BANE 2000/09/17 GER Berlin Wild at Heart
BIKINI KILL 1996/03/20 GER Hannover UJZ Kornstrasse
CANNABIS CORPSE 2009/08/21 USA New York City Charleston (…)
CHAIN OF STRENGTH 2012/10/11 USA New York City The Acheron
DACKELBLUT 1997/05/09 GER Hannover Bei Chez Heinz (…)
DAS KLOWN 1998/10/18 GER Celle Celler Loch
ENTOMBED 1997/08/23 GER Dietzenbach Strange Noise Festival
EVENS 2005/11/18 GER Hannover UJZ Kornstrasse
FEAR 2009/08/02 USA New York City Club Europa
FUGAZI 1999/09/17 GER Bremen Schlachthof Kesselhalle (…)
GENERATORS 1998/08/26 GER Celle Celler Loch (…)
GO! 2010/06/12 USA New York City Abc No Rio (…)
HIGHSCORE 1998/02/28 GER Bremen Gruenenstrasse (…)
INEPSY 2008/10/16 USA New York City Market Hotel
INTO ANOTHER 1996/02/23 GER Salzgitter Forellenhof (…)
JARBOE 2009/06/27 USA New York City Santo’s Party House (…)
JETS TO BRAZIL 1998/06/04 GER Hannover UJZ Kornstrasse
KICK JONESES 2009/12/19 GER Frankfurt Exzess
LEATHERFACE 2001/05/31 GER Muenster Sputnikhalle (…)
KID CONGO POWERS 2009/06/20 USA New York City Market Hotel
LITURGY 2008/12/19 USA New York City Market Hotel (…)
MAGRUDERGRIND 2011/02/18 USA New York City Club Europa
SAM McPHEETERS 2009/01/24 USA New York City Silent Barn
NAKED RAYGUN 2009/09/12 USA New York City Music Hall of Williamsburg
NEGATIVLAND 2006/09/29 USA New York City Theresa Lang Community and Student Center@The New School
DAS OATH 2006/11/04 USA New York City 538 Johnson Ave
ONLY LIVING WITNEss 1994/06/04 GER Hannover Glocksee Indiego Halle
PATTI SMITH 2006/10/15 USA New York City CBGB
PENTAGRAM 2012/09/01 USA New York City Warsaw
PIssED JEANS 2008/02/15 USA New York City Silent Barn (…)
QUEST FOR RESCUE 1996/03/22 GER Syke JUHA
CHUCK RAGAN 2007/12/01 USA Babylon, NY Looney Tunes Records (…)
Vágtázó Halottkémek/Rasende Leichenbeschauer 1992/06/24 HUN Budapest Palvoelgy Barlang (…)
RORSCHACH 2009/09/25 USA New York City Santos Party House (…)
SCREAM 2010/07/02 USA New York City Knitting Factory Brookly
SHADES APART 1997/08/28 GER Hannover UJZ Kornstrasse
TEAM DRESCH 1996/03/20 GER Hannover UJZ Kornstrasse
TINSEL TEETH 2009/10/16 USA New York City Death by Audio (…)
UNIVERSAL ORDER OF ARMAGEDDON 2010/07/25 USA New York City Death By Audio (…)
UP FRONT 2010/07/17 USA New York City Mercury Lounge
VATICAN COMMANDOS 2010/07/17 USA New York City Mercury Lounge
VAZ 2006/05/26 USA New York City The Place (…)
WIRE 2008/05/30 USA New York City South Street Seaport Pier 17
WITCH HUNT 2007/01/13 USA New York City Abc No Rio (…)
XBXRX 2007/08/02 USA New York City Silent Barn
YOUNG GODS 2007/05/04 USA New York City Swiss Institute
ZENI GEVA 1996/12/11 GER Braunschweig Brain Club
ZORN 1995/04/15 GER Hannover UJZ Kornstrasse

Ihr wisst, was nun zu tun ist.

***

Hi (((unartig))), du in New York City, Dietmar in New Jersey und Jochen in Sydney; es scheint, dass diese Auswanderungswelle von Trust-Leuten mir sagen will, dass es woanders besser ist als in good old Germany. Vielleicht beschreibst du erst mal, was du so in Deutschland gemacht hast, bevor du nach NYC umgezogen bist. Dass du lange fürs Trust die Kolumne „Kommando Friesische Wiese“ und viele viele Reviews und Interviews gemacht hast, haben vielleicht einige nicht mehr auf dem Schirm. Weisst du noch, wie du und das Trust sich getroffen haben?

(((unartig))): Bei Dietmar und mir ist es ja eher so, dass wir hierher „verschleppt“ wurden. Ohne da zu sehr für Dietmar sprechen zu wollen, aber das war wohl kaum unser Lebenstraum. So läuft´s halt, wenn du, wie in meinem Fall, eines schönen Abends die grosse Liebe im CBGB triffst.

Ein paar Jahre später sitzt du dann mit einem Six Pack Pacifico auf deinem Dach in Brooklyn und stellst fest, dass das Leben dich doch eigentlich gar nicht so sehr gefickt hat. Wie das mit dem Trust anfing? Artikel geschrieben, Fax nach Augsburg geschickt und wenige Stunden später Dolfs Anruf völlig verpeilt mit „Ah, der Lundgren!” beantwortet.

Du hast ja auch André, unseren Layouter seit Mitchs Ende 2009, „akquiriert“, wie kam das noch mal?

(((unartig))): Ja, das geht anscheinend wirklich auf meine Kappe. Anfang 2000 gingen die weltweiten Pritt-Vorräte zur Neige. André, den ich bereits aus seinen Rockstar-Tagen kannte, behauptete, ohne Pritt zu können, was nachweislich wohl auch der Wahrheit entsprach.

In einem Interview hast du deine ersten Gehversuche im Bereich Konzerte filmen beschrieben: „Wenn mich nicht alles täuscht, dann waren das Sisters of Mercy in Bremen 1992, und ein paar Wochen später die Rasenden Leichenbeschauer in Budapest. Ich war so naiv zu glauben, dass sich diese Aufnahmen super verkaufen liessen. Die Lehrgeldentrichtung sollte allerdings nicht lange auf sich warten lassen.“ Also, kann man jetzt provokativ sagen, du machst das deshalb für ohne Geld, weil es (bislang) noch nicht klappte, dass jemand dir Geld zahlt?

(((unartig))): Man kann alles provokativ sagen, auch, das Boney M. schlimmer als Hitler sind. Generell ist es so, dass es in unserer Gesellschaft für fast Alles vorgegebene moralische Eckpunkte gibt, einen gesetzlich abgesteckten Bewegungsradius. Auf diesen kann man sich einlassen oder eben nicht. Konformist oder „1%´ler“, eine andere Wahl gibt es nicht. Persönlich würde ich es daher eher so ausdrücken: Als nicht komplett lern- und merkbefreites Individuum springst du als Nichtschwimmer maximal einmal in Gewässer, in denen du nicht stehen kannst.

Du hast dann in den 90er sehr viele Konzerte von Punk-HC-Bands gefilmt in (Nord-) Deutschland, von AJZ bis grössere Hallen. Hattest du ein Vorbild, die „Target“-Videos aus USA? Oder in Deutschland, damals gab es ja auch noch Video-Fanzines, Oli von Cluster Bomb Unit hat ja auch viel gefilmt in Süddeutschland und in den 80er gab es von Lärm das „Defintive Choice“ Video-Ding?

(((unartig))): Mir kam in den 80ern mal ein Artikel über Vinyl-Bootlegs in die Finger. Seither war ich von nicht offiziellen Veröffentlichungen fasziniert. Was lag da näher, als die zwei geek-igen Interessengebiete Musik und Video zu einem zu verschmelzen? Wollte schon viel früher mit dem Filmen von Bands anfangen, konnte mir aber keine eigene Kamera leisten. Und mein Vater wollte seine für diese „Hottentotten Veranstaltungen” nicht raus rücken.

Was sind deine all-time Lieblingsfilme? Siehst du da einen Zusammenhang zu deinen Konzertdokumentationen?

(((unartig))): Das Eine hat mit dem Anderen null zu tun. Muss immer schmunzeln, wenn mich Leute als „Filmemacher“ bezeichnen. Was für ein Quatsch. Egal. Filme, derer ich auch beim fünfzigstem Durchlauf nicht überdrüssig werde, sind definitiv „Dünyayä? Kurtaran Adam“, „Wir können auch anders” und “Zugvögel… einmal nach Inari”.

Diese unfassbare Anarchie, mit der Çetin ä?nanç “Dünyayä? Kurtaran Adam” zusammengeschustert hat, die wird mich auch noch mit 80 faszinieren. Ebenso Buck’s furztrockener Humor in „Wir können auch anders” oder Króls Verschrobenheit in „Zugvögel”, eingebettet in eine komplett unkitschige nordische Liebesgeschichte. So etwas geht mir gut rein.

Der Name (((unartig))) klingt für amerikanische Ohren sicherlich merkwürdig, wie kamst du auf den Namen, das ist sicher eine total geile popkulturelle Referenzhölle, auf die ich nicht komme, ha?

(((unartig))): Vor betreiben der Seite sind mir viele Leute hier immer übelst auf den Zeiger gegangen. Von wegen „your art… video art… bla“. Wenn mein Schaffen Kunst ist, dann ist Volksmusik Punk. Daher der für englische Zungen leicht unaussprechliche Name.

Man kann auch gerne noch einen bad boy-Aspekt hinein interpretieren bezüglich angepisster Rechteinhaber, die es nicht immer begrüssen, wenn ein Konzert mitgeschnitten wird. Frei nach dem Motto „Shoot first, ask questions later”.

Wenn du die Bedingungen vergleichst, unter denen du in den 90ern in Deutschland und unter denen du 2013 in New York filmst; hat sich ausser möglicherweise dem Equipment, dem Internet etc. etwas speziell verändert, ich meine so was in die Richtung, wie es auch langsam für Punk-Fotographen zur Regel wird, so Anweisungen, die es in den 90ern nur für Metal-Bands gab, „Only fotos during the first three songs“, also auf filmen jetzt übertragen?

(((unartig))): Die grösste Krätze, die ich in der Art und Weise aus Deutschland nicht kenne, sind Originalton- und/oder Site-Fees, die viele Konzertorte einem als Videographer aufdrücken wollen. Im Klartext heisst das, wenn du ein Konzert filmen willst, ganz gleich ob die Band dem zugestimmt hat, dann verlangt der Veranstalter, je nach Grösse der Halle, eine Gebühr zwischen $250 und $3000 pro Kamera. Du wirst es daher nicht erleben, dass ich in solche von „LiveNation“ oder „Bowery Presents“ geführten Läden eigen-initiativ auch nur einen Fuss setze.

Wie war das beim ersten Mal in Brooklyn und dem Typ mit dem Biohazard-Shirt?

(((unartig))): Als ich in den 90er das zweite Mal nach 1988 in New York war und nicht wirklich wusste, wo etwas geht, habe ich mich in Manhattan im Tompkins Square Park stalkermässig an die Fersen von einem Typen geheftet, der einen Yuppicide-Pullover trug. Leider stellte sich nach wenigen Minuten heraus, dass das auch ein deutscher Tourist war. Damals konnte man aber noch verlässlich gute Infos auf der Strasse abgreifen. Da waren die Laternenmasten zugepflastert mit Flyern aller Art. So bin ich dann im Brownies beim Tribe 8 / Black Market Baby / The Smears – Konzert gelandet.

Hast du erst in New York „so richtig“ angefangen mit der (((unartig))) Seite oder hast du einfach genauso weitergemacht wie in Deutschland? Hattest du Bammel, dass du deine Leidenschaft in NYC nicht „pflegen“ könntest, da muss es doch auch bei Non-Profit-Filmern eine harte „Konkurrenz“ geben, sicher nicht so viel wie bei den Konzertfotographen, aber…? Was waren denn so in all den NYC-Jahren die besten und ärgerlichsten Erlebnisse im Zusammenhang mit deinen Filmen bei Konzerten?

(((unartig))): Die Seite gibt es erst seit 2008, das ist richtig. Vorher war die Qualität der hoch geladenen Videos aufgrund begrenzter technischer Möglichkeiten schlicht zu erbärmlich. Ausserdem war es auch nie ein prinzipielles Anliegen, die Aufnahmen in solcher Form zu präsentieren. Habe die ersten 15 Jahre im Wesentlichen für mich selbst gefilmt. Aber irgendwann gibt man eben klein bei und halst sich auch diesen Mehraufwand noch auf. Glücklicherweise kann ich einen Grossteil der post-Production aber als background Prozess während meiner Arbeit laufen lassen. Die damit „verplemperte“ Zeit hält sich somit in Grenzen. Konkurrenzkampf?!

Du hast Vorstellungen, Junge Junge. Das komplette Gegenteil ist der Fall. Jeder kennt jeden, man hilft sich, wo man kann und versucht, den anderen nicht all zu sehr zu behindern. Natürlich kommt es auch mal vor, dass mir bestimmte Fotografen tierisch mit ihrem Gehampel auf die Nüsse gehen. Aber die sind alle ganz handzahm und durchaus offen für Kritik. One family, oi! So richtige Arschgeigen sind mir bisher nicht untergekommen.

Super ist es immer, wenn die älteren Semester der Photo- und Video-Brigade am Start sind. Big Cinema. Mein Freund Joly zum Beispiel, der die Punkcast-Seite betreibt. Der hat damals in den 70er, als er noch in England wohnte, die gesamte Musikbranche mit Pins versorgt. Ich war mal vor ein paar Jahren mit ihm beim Savage Republic –Konzert. Mit deren Bassisten ging er wohl früher gemeinsam zur Schule.

Die beiden hatten sich 25 Jahre nicht gesehen und sich einiges zu erzählen. Unter anderem meinte Joly nach der Show zu ihm, ob er sich noch daran erinnern könne, wie der Sänger seiner damaligen Band Mitte der 70er vom proben aus dem Keller in die Küche hoch kam und verkündete, dass das alles nichts mehr für ihn sei und dass er jetzt eine neue Band hätte. Joly weiter: „Mit dem neuen Bandnamen kannst du gleich einpacken, das wird NIE was“. Auf meine Nachfrage, wie denn der Name lautete, kam ein kurzes „The Police” zurück. Joly war bei dieser ganzen 70er Explosion voll aktiv dabei. Sex Pistols, Clash, Joy Division, alles. Dessen Stories sind besser als jeder Film.

Ich habe das ja selber mal live vor Ort gesehen, wie ausdauernd du beim filmen bist, als wir in Brooklyn bei einem Konzert waren; du gehst ja echt nicht von der Kamera weg, nie aufs Klo…hasse da schon den Ruf „Oh my God, jetzt kommt DER wieder an…“?

(((unartig))): Keine Ahnung. Die Menschen sagen dir hier ja nicht unbedingt auf den Kopf zu, was sie denken. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass tatsächlich jemand so etwas hinter meinem Rücken sagt. Gewöhnlich halte ich mich mit der Kamera im Hintergrund, versuche, niemandem auf den Sack zu gehen. Ein Herumgeturne vorne in der ersten Reihe bei vollen Shows ist nicht mein Ding. Und wenn, dann positioniere ich mich so, dass ich nicht im Mittelpunkt stehe. Niemand, wirklich niemand kommt zu einer Show, um ein 1,80 Meter grosses Arschloch filmen zu sehen.

Ich bin auch schon mal von Konzerten abgehauen, weil die Umstände ein filmen, so wie ich mir das vorstelle, nicht zu liessen. Konkret war das Bastard Noise im Death by Audio. Knüppelvoller Laden und noch ein anderer, chronisch „über-motivierter“ Filmer am Start. Bei dessen respektlosem Verhalten den ganzen Abend über war sonnenklar, dass es früher oder später richtig knallen würde.

Grosse professionelle Kamera in der zweiten Reihe immer schön über Kopf, so dass keiner hinter ihm die Band sehen konnte. Habe dann lieber zusammengepackt, anstatt noch zusätzlich die Gesamtsituation mit einer weiteren Kamera im Raum zu befeuern. Wie mir tags drauf erzählt wurde, ist unser „Freund“ während Bastard Noise wohl auch nur knapp dem Lynchtod entgangen, nachdem er sich in der Mitte der ersten Reihe vor der Bühne eine Empore gebaut hatte, auf der stehend er dann die Show filmte.

Wie war das eigentlich mit TOMTE in NYC?

(((unartig))): Du meinst die Nummer mit Thees Uhlmann bei mir auf dem Dach. Thees ist St. Pauli-Fan und wir haben in Brooklyn einen St. Pauli supporters Club namens „East River Pirates”. An den hatte sich Thees mit der Bitte um Hilfe beim auftun von guten Filmlocations in New York gewandt. Da Alicia (meine Frau) und ich recht präsent sind bei diesem Club, landete Thees, sein Manager Rainer und ein kleines Kamerateam dann folgerichtig bei uns in Brooklyn auf dem Dach. War ein super Tag.

Hat sofort geklickt zwischen uns, so als kenne man sich schon ein halbes leben. Alicia hat sich auch noch breitschlagen lassen, in dem Video zu „…und Jay-Z singt uns ein Lied” als Ansagerin mitzuwirken. Abends haben wir in der East River Bar zusammen das Pauli-Spiel geschaut und Uhlmann hat noch zwei Stücke live in der Halbzeitpause angestimmt.

Die Biopics und Dokus von Punkbands selber nehmen ja rasant zu. Interessiert dich so was, bleibst du da am Ball? Würdest du auch Auftragsarbeiten für Labels oder Band-Biopics/Dokus für Geld machen, wenn die dir nix vorschreiben? Du willst ja schon explizit, dass du es non profit machst, gleichzeitig ist es ja nun aber so, dass du ja quasi – so könnte man es sehen – für lau Werbefilme für die machst, jetzt hart provokativ gesagt…

(((unartig))): Interessiert es mich, selbst Biopics und Dokus zu drehen? Nein, keinen Meter. Aber mein Material stelle ich Copyright- und Publishing-Right- Inhabern schon auch entgeltlich für derlei Zwecke zur Verfügung. Diese Jay Reatard Doku „Better than something” zum Beispiel beinhaltet Material von mir. Auch kommt es vor, dass Vice oder andere online Outlets mal Rohmaterial brauchen. Genauso können mich Bands, Labels oder wer auch immer für Auftragsarbeiten buchen. Ich annonciere das nicht unbedingt am Times Square, aber nein sage ich in der Regel nicht, wenn mir so etwas ins Haus flattert.

Zu At-the-Drive-In gibt es ein fettes (Video-)Special bei dir, sie gibt es ja nun wieder für den Festivalmarkt. Würde dich nicht trotz deiner Vorliebe für die kleinen süssen DIY-Läden mal eine Filmerei auf dem Coachella oder was weiss ich reizen? Das stelle ich mir als einmalige Erfahrung schon irgendwie geil vor, 50.000 Leute vor der Linse zu haben, ich weiss nicht, hasse wahrscheinlich schon gemacht?

(((unartig))): Das ist auch eine unglaubliche Erfahrung, vor 50.000 Leuten auf der Bühne zu stehen. Been there, done that. Interessiert mich als isolierter Reizpunkt nicht mehr. Würde ich bestimmte Bands auf grossen Bühnen filmen, wenn das stressfrei möglich wäre? Bei zwei drei Bands täte ich garantiert nicht nein sagen.

Würdest du sagen, deine Videos sind IMMER authentisch? Oder ist es nicht so, dass ne Band ganz anders auftritt, wenn sie wissen oder sehen, dass sie gefilmt werden?

(((unartig))): Es ist nicht unbedingt der Umstand, dass eine Band anders auftritt, wenn eine Kamera im Raum ist, als vielmehr die Tatsache, dass du immer nur einen Ausschnitt des Gesamtgeschehens einfangen kannst. Nichts von dem ist somit wirklich authentisch. Es ist ein isolierter Blickwinkel, mein Blickwinkel. Hinzu kommt noch das editieren. Da erzeugst du leicht eine Illusion, die mit dem tatsächlichen Geschehen kaum etwas zu tun hat. Bestes Beispiel ist der OFF!-Mitschnitt aus dem Club Europa. Im Video kommt der Auftritt sehr tight und direkt rüber, wohingegen das in Wirklichkeit ein gähnend lahmer Zock war.

Fünf minütige Ansagen zwischen den Liedern, altersschwache Verschnaufpausen. Fürchterlich. Auf der anderen Seite ist meine Art, „Dinge zu dokumentieren“, sicherlich tausendmal authentischer, als ein multi-Kamera-Schnittgewitter im Stakkato-Takt. Wie dem auch sei, Authentizität ist eine Illusion. Ich will, dass es optisch und akustisch knallt wenn ich mir den fertigen Edit anschaue. Damit wäre auch gleich der Punkt abgehandelt, warum ich kaum komplette Shows poste. Dieses Gebiet der unbarmherzigen Langeweile überlasse ich gerne anderen.

Was ist auf deiner Seite am beliebtesten, also hat am meisten „Traffic“ bzw. Klicks? Ist dir so was wichtig?

(((unartig))): Isaac Hayes „Theme from Shaft“. Die Show im Prospect Park in Brooklyn war eines der letzten Konzerte, die er vor seinem Tod gespielt hat. Da gehen die Leute richtig steil drauf. Mir wären Klicks eventuell wichtig, würden die Videos geschaut, weil ich sie gedreht habe. Von solchen Ego-Aspekten macht sich ja niemand frei. Nur ist es den Leuten doch völlig egal, wer was gedreht hat. Unter diesem „Dienstleister-Gesichtspunkt“ ist mir „Traffic“ ziemlich latte.

Du bist ja auch noch fester freier Mitarbeiter bei der Seite Brooklynvegan. Was ist das?

(((unartig))): Ich bin kein offizieller Mitarbeiter von BV, dem grössten lokalen Musikblog hier. Aber circa 70 Prozent meiner Videos werden in deren Berichterstattung eingebunden. Fred, der dort den Bereich Punk und Metal bedient, ist ein Freund von mir. Da liegt es auf der Hand, dass er sich bei mir „bedient“. Offiziell als selbstverantwortlicher Autor wirke ich nur bei WFMU und freewilliamsburg mit.

Du hattest das CBGB ja noch live von innen erlebt und bei den letzten Tagen auch vom Soundboard alles live mitgeschnitten, es gibt Gerüchte, dass es wieder aufmachen soll?

(((unartig))): Ja, habe auch gehört, dass irgendwelche minderbemittelten Geldvernichter diesen abgewirtschafteten Unsinn wieder reanimieren wollen. Das funktioniert vielleicht als Touristen-Attraktion, aber die eigentliche Karawane ist doch bereits Jahre vorm 2006er Kollaps weitergezogen.

Deine Filme wurden in u.a, London, Paris, China und Nepal gezeigt. Kannst du uns ein wenig zu den Filmen „Free NYC“, „The Silence After“ und „Kellerkinder“ erzählen?

(((unartig))): Da musste halt ein wenig das eigene Ego bedient werden. Im Grunde war das ziemlich unausgegorener Kokolores, auch geboren aus der völligen Reizüberflutung, die mit einem Umzug nach New York City verbunden ist. Bestimmte Dinge erscheinen in einer solchen Situation wichtiger und mitteilungswürdiger, als sie bei klarer Betrachtung sind. Was nicht heissen soll, dass Brooklyn im letzten Jahrzehnt nicht unter Feuer gestanden hat.

Der Ruf kommt schon nicht von ungefähr. Das war grosses Kino hier. An jeder Ecke eine wilde Party oder Show. Alles DIY, kein spürbarer Kommerz. Geschaffen von Leuten, die auf etablierte, zu dem Zeitpunkt im Mainstream verankerte, Punk- und Hardcore-Strukturen keinen Bock hatten. Ein paar Jahre später begannen dann Hohlfrüchte, die keine Ahnung hatten, wovon sie reden, das als Hipster-Kultur zu verschreien. Und noch viel später war’s dann in der Tat irgendwann so scheisse, wie es die Dummbrausen von den Dächern pfiffen.

Hat New York immer noch nach deiner Meinung diese Strahlkraft, also, dass, was heute vor 34 Leuten in einem coolen Keller auf der Lower East Side spielt, da kann man meistens davon ausgehen, dass das in Deutschland ein Jahr später der heisse Shit werden oder zumindest eine ganz andere Form der Rezeption bekommen wird?

(((unartig))): Klar hat die Stadt eine riesige Strahlkraft. Ansonsten wäre es wohl kaum vorstellbar, dass so viel dieser mit dem Etikett „NYC“ oder „Brooklyn“ behafteten Grütze profitabel in Europa vermarktet wird.

Wie geht’s dem ABC NO Rio, bist du oft da?

(((unartig))): 98 Prozent der Bands, die dort spielen, interessieren mich keinen Meter. Bin somit auch nur sporadisch, ein bis zwei Mal im Jahr dort. Den Laden als Konzept finde ich natürlich super, habe ja selbst jahrelang in Deutschland in einem solchen Rahmen Konzerte mit veranstaltet.

Ein Freund von mir ist aktiv in die ABC-Konzerte involviert, aber ich selbst kann mich nur selten überwinden, mir eine Show anzugucken. Das ist musikalisch leider häufig sehr durchgekaut, was dort präsentiert wird.

Stimmt das eigentlich, was „wir“ in Deutschland uns über NYC HC immer so zusammenreimen, dass diese DMS-Madball-AF-Stigma-Skarhead-Pose Schläger, Machos, Kriminelle sind? Oder ist das ein Mythos, aus dem diese Bands ihre ganze „Street Credibility“ ziehen, also so von wegen „total gefährlich da“, weil die Überwachung und Zero Tolerance-Politik wäre ja die andere Seite der Medaille…

(((unartig))): Mit Vinnie Stigma kann man super einen trinken. Der hat in einem solchen Kontext ähnliche Entertainerqualitäten wie zum Beispiel Daniel und Al (beide Ex-Trust). Soweit ich das aus meinem zugegebenermassen recht beschränkten Blickwinkel beurteilen kann, war’s das aber auch mit den Gemeinsamkeiten.

Alicia und ich waren eine Zeitlang häufiger mal in dessen Tattoo Shop „NYHC Tattoo“ zugegen, weil sich ein gemeinsamer auswärtiger Freund dort hat stechen lassen. Das hatte immer recht ordentlichen Unterhaltungswert. Aber wie gesagt, du beschränkst dich bei solchen sozialen Aktivitäten schon sehr auf unverfängliche Schnittmengen. „Ah, you are German! RHEINHEITSGEBOT“. Ja Vinnie, lustig, lass noch einen trinken, prost!

Spielen Antidote echt „Foreign Job Lot“ live?

(((unartig))): Sicher. Ist ja einer ihrer Songs. Anderseits ist aber genau das der Grund, weshalb wir sie nie eingeladen haben, mal beim St.Pauli Supporters Club zu spielen.

Was war dein bestes bzw. dümmstes Konzert in der City?

(((unartig))): Erykah Badu in Damon Dash’s Keller in Tribeca vor 60 Leuten war der Hammer. Ebenso Lee Scratch Perry in einem Schrebergarten. Und natürlich 2006, das Matt & Kim Konzert in einem Hinterhof in Williamsburg, als Brooklyn noch Brooklyn war. Also kein von Bumsmongos überlaufener Hochglanz-Plastik-Verschnitt mit teuren Penthouses und Skyline-Blick. Alicia und ich waren den Abend erst in Manhattan in der Carnegie Hall bei Ornette Coleman. Später sind wir rüber nach Brooklyn zu dieser „Garten Party“ mit Matt & Kim.

Die ganze Gegend sah aus wie frisch importiert aus dem Kosovo. Zerfallene Gebäude rechts und links, kaum ein Mensch auf der Strasse. Und mitten drin diese Show. Der totale Abriss. Keine Bühne, ein tobender Mob, umstürzende Boxen-Türme, ins drumkit fliegende Menschen. Ohne scheiss, die geilsten „Punk“- Shows hier Mitte bis Ende des letzten Jahrzehnts waren alle mit Matt & Kim.

Du arbeitest in Manhattan, doofe Frage, aber interessiert mich: hast du manchmal irgendwie Angst, dass du da im potentiellen „Target“ mittendrin bist, also wegen 11.9.? Fragen deine Eltern dich sicher immer, ich hab natürlich vorher mit Ihnen gesprochen, ha.

(((unartig))): Im täglichen Leben spielt das keine Rolle, nein. Das meine Eltern dies anders sehen, glaube ich gerne.

Wie schaust es mit Heimweh aus, ist das so ein geiler Trip in NYC oder vermisst du Deutschland manchmal?

(((unartig))): Ich bin zwischen zwei und vier Mal im Jahr in Deutschland. Das Heimweh hält sich in Grenzen.

Ich danke dir für das Interview, lieber (((unartig))), und sage mal „Don´t forget the streets…“ Willst du unseren Lesern eventuell noch was sagen?

(((unartig))): „Reviews abschaffen“.

***

Kontakt: unartignyc.com
Fotos: ZZ1: Christian Gyllensvärd, ZZ2 bis ZZ4: Markus Shaffer, ZZZ5: Daniel Mitchell
Interview: Jan Röhlk

 

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