Dezember 31st, 2021

TWINS aus #203, 2020

Posted in Allgemein by Jan

TWINS – Vom Fallschirmspringen für die Ohren.

Es gibt Bands, die kommen nicht, um zu gefallen. Die wollen anstrengen, verwirren, Leute aus dem Konzept bringen, provozieren, das Gewohnte hinterfragen, alles Mal so richtig durchschütteln. TWINS aus Dresden sind so eine Band, die einen wild boxenden Mix aus Math, Skramz, Indie, Emo, Noise, Punk und Post Hardcore aus dem Boden gestampft und in Form ihres Erstlings „soon“ auf Platte gepresst haben.

Die Band besteht dabei aus den vier Herren Tom Jetski und Jakob Schäfer (beide Gesang & Gitarre), Steffen Oks (Bass) sowie Tom Pätschke (Schlagzeug), wobei ich mit Steffen zusammen vor vielen Jahren in einer Hardcore Punk-Band gespielt habe und dabei immer seine Liebe für gute, also wirklich gute Musik sehr geschätzt habe, aber auch seine gesunde Distanz zu Szene-Geklüngel und wilden Band- und Trend-Buzzes. Und auch TWINS sind voller Liebe zur Musik, ohne Scheuklappen, falscher Szene-Prioritäten und Genre-Beschränkungen. Und oben drauf schaffen sie es, den Hörenden immens herauszufordern, ihm aber nicht das Gefühl zu geben, hier einem chaotisch-fahrigen Erguss zu lauschen, sondern sie geben ihm die Möglichkeit für die Erkenntnis (sie kommt meist nach drei bis vier Durchläufen): Das passt ja zusammen. Nein!

Das muss so klingen. Eben weil ein innere Logik vorhanden scheint, eben weil Schönheit und Schroffheit, laut und leise, Kanten und Flächen, Hass und Liebe zusammengehören und vielleicht ja auch gar nicht existieren können, wenn das jeweils andere nicht da ist. TWINS ist eben diese Leistung gelungen, sie haben mit ihrem Debüt „soon“ eine mitreißende Melange aus ungemein vielen Einflüssen erzeugt, die einen in der einen Sekunden unter Wasser drückt und im nächsten Moment in eine Achterbahn steckt, danach als Boxsack aufhängt und zum Abschluss klitschnass vor einen flirrenden Sonnenuntergang setzt. „soon“ ist eine Art tabula rasa: danach ist erst einmal nichts. Alles aus. Nur man selbst, der geschundene Körper, der dröhnende Kopf und dieses Zwicken im Bauch…
Doch genug der Vorworte, sollen die Herren doch mal selbst zu Wort kommen.

Steffen, von dir weiß ich, dass du, während wir gemeinsam bei cllhn gespielt haben, noch in einer Jazz-Band aktiv warst und dann eben bei der Emo Rock-Band Mikrokosmos23 eingestiegen bist. Habt ihr alle so unterschiedliche musikalische Hintergründe und Betätigungsfelder?
Steffen: Ja, das stimmt. Aber das mit der Jazzband ist auch wirklich lange her. Mich hat nur schon immer Musik fasziniert, die sich einem nicht sofort erschließt. Als ich 16 Jahre alt war, hat mir ein damaliger Freund die erste Platte von The Mars Volta gezeigt und das hat mich damals weggeblasen und mich bis heute nachhaltig musikalisch geprägt. Dadurch entdeckte ich erst Bands wie At the Drive-In und Refused. Die haben mich wiederum zu vielen anderen, großartigen Bands unterschiedlicher Genres geführt. Deshalb ist es auch schwierig zu sagen, was genau mein musikalischer Background ist. Aber verkürzt würde ich laute und experimentelle Gitarrenmusik, bei der man die Texte mitschreien kann, sagen. Und das trifft wiederum auch auf jedes Bandmitglied zu.

Erstmal Respekt für eure Platte, finde sie ist richtig stark geworden und trotz ihrer hibbeligen Sperrigkeit gut in einem Rutsch hörbar. Wenn ich eure Platte höre, stelle ich mir eine tausendteilige Puzzlesammlung vor, die ihr in mühsamer Kleinarbeit zu kleinen Bilder zusammenbringt, die wiederum ein großes Gemälde ergeben. Wie schreibt ihr eure Songs? Wie schafft ihr es, den roten Faden nicht zu verlieren? Was sind für euch die Eckpunkte, die euch sagen, wo ein Song endet und wo ein neuer Song beginnt?
Tom P.: Wir haben uns während des Schreibens dieser Platte immer alle Freiheiten gelassen, denn niemand wartete auf uns. Niemand hatte irgendeine Vorstellung von dem was wir machen oder eine wie auch immer geartete Erwartung daran. Das habe ich für meinen Teil unglaublich genossen. Unsere Lieder mussten weder hörbar noch eingängig sein, sie konnten einfach zu jedem Zeitpunkt alles sein oder zu etwas ganz anderem werden. So entstanden mit der Zeit wilde, hybride, herausfordernde aber dennoch irgendwie mitreißende Lieder ohne klare Enden, Strukturen oder Refrains. Das war wirklich befreiend und letztendlich hat uns dann auch die Auswahl von Singles oder Vorabsongs gezeigt, dass sich diese Band nur schwer mit einem einzelnen Song beschreiben lässt, sondern eher mit dem gesamten Album.
Tom J.: Ja und du hast dir die Frage ja eigentlich schon zur Hälfte selbst beantwortet – mit einer sehr schönen Umschreibung. Es war wirklich ein bisschen wie puzzlen bis wir am Ende der Meinung waren, dass ein stimmiges Gesamtbild entstanden ist. Einen roten Faden hatten wir nur grob – meistens achteten wir nur darauf, dass sich vielleicht Ruhe und Explosion die Waage halten, dass die Parts ineinander übergehen können oder es gar nicht dürfen. Wo ein Song dann endet und wo er anfängt, haben wir auch unserem Gefühl überlassen. Manche Parts, die auf der Platte inmitten eines Songs passieren, waren zu Anfang noch ein Intro oder umgekehrt. Dass zu einem Lied dann ein zweiter oder dritter Teil hinzu kam, war auch einfach der Tatsache geschuldet, dass wir am Ende eines Songs noch so viele Parts hatten, die wir nicht benutzt haben, die uns aber wahnsinnig gut gefielen, so dass wir mit diesen Versatzstücken dann einfach weiter geschrieben haben.

In euren Sound fließen unzählige Stile ein, Mathcore, Emo, Indie, Skramz – hattet ihr ein konkretes Bild, wie euer Sound klingen soll, als ihr begonnen habt mit TWINS? Oder hat sich das so ergeben?
Tom J.: Jakob und ich hatten ein sehr konkretes Bild und Steffen und Tom hatten ihrerseits auch eines. Diese beiden standen sich allerdings ziemlich konträr gegenüber. Wir wollten es ruhig und verspielt angehen, die beiden anderen wollten es eher krachig und kompliziert. Wir vier haben sehr viel Zeit verbracht, uns aneinander anzunähern und einen Nenner zu finden, den alle gut finden, ohne dass es sich wie ein Kompromiss anfühlt. Ansonsten verleugnen wir nicht unsere Einflüsse und ich finde, man hört sie auch heraus, wobei wir festgestellt haben, dass viele uns mit Bands vergleichen, die wir gar nicht kennen.
Steffen: Mir geht es auch so. Viele vergleichen uns mit Bands, die ich persönlich gar nicht höre und auch nicht als Referenz nehmen würde. Wie Tom schon sagte, haben wir viel Zeit gebraucht, einen gemeinsamen Kern zu finden. Ich bin rückblickend sehr froh drüber, dass wir diesen Prozess durchgestanden und nicht zwischenzeitlich aufgegeben haben. Am Ende hat es uns gut getan andere Perspektiven einzunehmen und nur das zu machen, was auch allen gefällt. Das hört man dem Album glaube ich auch an.

Wie wichtig ist es euch, die Hörenden zu irritieren? Legt ihr es darauf an, sprich fließt das in euer Songwriting ein?
Tom P.: Ich persönlich mag vor allem den Gedanken, musikalisch von etwas verwirrt zu werden, was ich selbst geschrieben habe. Und das bedingt natürlich auch irgendwie, dass andere Hörende irritiert zurückbleiben werden. Aber eigentlich ging es dabei selten um die Anderen, denn wir waren sehr auf uns fixiert und egoistisch im Guten, wenn man das so sagen kann. Wir haben nicht daran gedacht, ob den Kram jemals irgendjemand hören oder gar mögen könnte, sondern stets gemacht, was wir wollten. Und so konnte aus besonders witzigen Verspielern auch ohne Bedenken ein eigener Part werden.
Tom J.: Das war zum Beispiel bei „Cockroaches II“ so und ich kann mich noch an die ersten Konzerte erinnern, wo wir in den Gesichtern der Leute sehen konnten, dass der Gedanke im Raum herumging, dass wir uns gerade fürchterlich verspielen würden! Rückblickend betrachtet war es wohl ein sehr paradoxer Schaffensprozess. Einerseits waren wir wie gesagt in der glücklichen Lage, dass uns niemand kannte und wir somit frei von äußeren Einflüssen und Erwartungen schreiben konnten. Andererseits hatten wir schon den Anspruch, etwas zu machen, was sich nicht direkt erschließt und wo das Nicken mitunter schwerfällt. In der Hauptsache ging es uns aber um die Musik und mir zumindest ging es in Bands immer darum, dass ich mich als Musiker weiterentwickle, wie ich es alleine nicht könnte, und dass ich mit Menschen, die ich mag zusammen etwas schaffe, was (platt gesagt) mehr als die Summe aller Teile ist.

Man musste lange auf eure Platte warten. Seid ihr Perfektionisten bzw. freaky Detailjäger?
Tom P.: Absolut. Wir sind schmerzhaft perfektionistisch! Doch meint Perfektionismus hier keineswegs die Jagd nach dem was man gemeinhin als „perfekt“ beschreiben würde, sondern vielmehr das Ringen mit den eigenen Ansprüchen. Mit anderen Worten soll unsere Musik auf keinen Fall fehlerfrei, steril oder tot-quantisiert sein, ganz im Gegenteil: Wir feiern den Fehler, wir lieben die Imperfektion. Aber wir wollen alle in jedem Moment mit allem glücklich sein was wir tun und so suchen wir öfter das Gefühl, dass etwas eben irgendwie „genau so“ und nicht anders sein muss. Und das dauert hin und wieder.

Eure Lyrics sind generell sehr melancholisch und voller Lebenserfahrungen, die eher negativ ausfallen. Auch das Alleinsein wird des Öfteren thematisiert – seht ihr euch selbst eher als zurückgezogene Wesen, die gar nicht mehr darum kämpfen, verstanden zu werden?
Tom J.: So hart würde ich das jetzt nicht formulieren, allerdings haben Jakob und ich relativ ähnliche Erfahrungen gemacht was das Erleben von Gruppendynamiken und das Bilden der eigenen Identität in Abhängigkeit von anderen bedeutet. Ich habe mich zwar manchmal bestimmten Gruppen oder Szenen zugehörig gefühlt, aber schnell gemerkt, dass ich da nicht vollends akzeptiert werde, wenn ich mich nicht richtig kleide, mich nicht richtig verhalte, nicht die richtige Musik höre usw. Identitäten entstehen ja zwangsläufig durch Abgrenzung von anderen Menschen, Meinungen und Lebensstilen und ich hab lange gebraucht, um zu verstehen, dass das überall so ist, egal wie offen man sich nach außen hin geben mag.

Zum anderen spielt ihr auch sehr mit der Sprache, gerade bei den (wenigen) deutschsprachigen Passagen, etwa „Manchmal verschlingst du Teller voll aufgewärmter Bauchgefühle und steckst den Finger in den Hals mit dem Fallschirm auf dem Rücken. Zu zweit Schwimmen gehen fühlt sich halt immer noch sicherer an, wenn dem anderen das ausgespuckte Wasser in die Ohren läuft“. Wieso packt ihr immer wieder kurz einige deutsche Textpassagen in die Songs? Was steckt da dahinter bzw. haben sie eine besondere Bedeutung?
Tom J.: Ich hab früher ausschließlich Songs auf Deutsch geschrieben, weil ich auch mit viel deutscher Musik aufgewachsen bin, vor allem mit so lokalen Sachen wie MK23 und Adolar und da hat sich das recht organisch ergeben. Allerdings war ich in den letzten Jahren immer unzufriedener mit dem, was ich auf Deutsch fabriziert hab. Es hörte sich alles nur noch furchtbar pubertär und kitschig an und gerade diese Welle der „Deutschpoeten“ in den hiesigen Charts mit ihrer Bügelmusik-Lyrik hat mir die Sprache mehr und mehr vergrault. Zudem hat das für mich immer so einen bitteren nationalistischen Beigeschmack, vor allem, wenn man dann noch Quoten für deutschsprachige Musik im Radio fordert. Irgendwann war ich an dem Punkt, an dem ich keine zusammenhängenden Texte mehr auf Deutsch schreiben wollte, aber ich durch Künstler wie z.B. Delbo die Erfahrung gemacht hatte, dass deutsche Texte auch schön sein können, wenn sie nicht zugänglich sind. Für mich war das dann ein Kompromiss. Letztlich orientieren sich die deutschen Textzeilen an dem Leitfaden, den wir im Proberaum hatten: Wenn es passt und sich gut anfühlt, dann machen wir es.

Einer meiner Lieblingssongs ist „Dog Ears“ mit seiner wunderschönen Zeile „There’ll be no company in the darkness from old books and tv shows. And now you’re sitting alone in a bathroom trying to concentrate on your breath.“ Wovon handelt der Song?
Tom J.: Ich müsste dazu weit ausholen und das würde wohl den Rahmen hier sprengen. Er behandelt sehr viele verschiedene Themen, unter anderem meine Jugend, meine Depression und meine Suche nach einem Platz, wo ich mich aufgenommen fühle. Was ich wohl sagen kann, ist, dass ich sehr dankbar dafür bin, dass meine Schwester diese Stelle mit mir gesungen hat, da wir viele Sachen, die ich in diesem Text besinge, zusammen erlebt und überwunden haben.

Wie kam es eigentlich dazu, dass euer Debüt über so viele Labels und in doch so verschiedenen Ländern erscheint? Sind das vormals Kontakte oder habt ihr eure Platte rumgeschickt und eben so viel positives Feedback bekommen?
Tom P.: Als die Platte fertig war, wollten wir sie natürlich am liebsten so schnell wie irgendwie möglich mit anderen Menschen teilen. Letztlich sind wir aber dennoch den ausgesprochen klassischen Weg gegangen und haben angefangen, den Kram rumzuschicken. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, dass diese Situation echt aufregend und wichtig für uns vier war, da die Lieder bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich zwischen uns existierten. Glücklicherweise kam uns aber schnell viel Begeisterung entgegen und wir durften viele großartige und unglaublich engagierte Menschen aus aller Welt kennenlernen. Und jetzt sind wir irgendwie in die wunderschöne Situation geraten, dass unser allererstes Album nicht nur in Deutschland, sondern auch in Kanada, Italien, Frankreich und der USA rauskommt. Immer noch etwas unwirklich irgendwie.

Wie sieht euer aktuelles Bandleben in Zeiten von Corona aus? Habt ihr digitale Lösungen am Start bzgl. Proben oder Songschreiben? Oder ganz andere Wege?
Tom J.: Über die Ferne hinweg können wir nicht wirklich proben, das haben wir schon sehr zeitig festgestellt. Wenn wir etwas zustande bringen wollen, müssen wir vier uns in einem Raum aufhalten. Das ist derzeit überhaupt nicht machbar, da Jakob und Steffen in anderen Städten wohnen und ich in einem Job arbeite, in dem ich täglich mit hunderten Menschen zu tun habe und nicht weiß, ob ich morgen vielleicht schon selbst ein Überträger bin, ohne es zu wissen. Aber jeder arbeitet gerade für sich Ideen aus, die wir dann zusammen führen oder als Orientierungspunkte nehmen, wenn wir wieder proben können. Ansonsten wollen wir demnächst skypen, um das Skript für das nächste Musikvideo zu entwickeln. Es geht also trotzdem irgendwie voran, wenn auch auf anderen Wegen.

Was ist eigentlich bei Mikrokosmos23 der Stand? Macht ihr noch eine Pause oder gibt es die Band an sich nicht mehr?
Steffen: Das ist tatsächlich nicht so einfach zu beantworten. Wir haben nie offiziell etwas dazu gesagt. Wir sind auch alle außerhalb des Bandkontexts miteinander befreundet, verstehen uns super und haben sogar vor knapp zwei Jahren gemeinsam ein Cover-Set auf Toms Hochzeit gespielt. Ich würde sagen, dass wir eine kreative Pause eingelegt haben, in der wir uns auf andere Sachen konzentrieren. Sei es der Job, Familie oder andere musikalische Projekte, wie TWINS in unserem Fall. Das schließt aber nicht aus, dass wir irgendwann wieder zusammen Musik machen werden. Es ist nur noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen.

Ihr habt euren Sitz in Dresden, wie ist der generelle Stand im Bereich Untergrund-Musik, Punk und Hardcore? Gibt es eine Szene, die in einer Form kollaboriert und sich gegenseitig unterstützt? Oder seid ihr mit eurem progressiven Sound eher in einer Art Außenseiterrolle?
Tom J.: Es gibt eine Szene, sie ist aber sehr überschaubar und ich habe das Gefühl, dass sie jährlich schrumpft. Viele Leute ziehen nach Leipzig oder Berlin. Viele Locations, vor allem die selbstverwalteten, müssen schließen oder bekommen von der Stadt strenge Auflagen aufgedrückt, weil sich Nachbarn beschweren oder weil der Stadtteil sauber durchgentrifiziert wird. Nichtsdestotrotz gibt es aber noch eine Hand voll wahnsinnig engagierter Menschen, die sich dafür einsetzen, dass eine D.I.Y.-Kultur noch stattfinden kann und diese Menschen gilt es auf alle Fälle zu unterstützen.

Vielen Dank.

Interview: Lars Schubach

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