Dezember 5th, 2008

TURBOSTAAT (#127, 12-2007)

Posted in interview by jörg

Die Diskussionen waren groß um die neue Turbostaat-Platte! Nach „Flamingo“(2001) und „Schwan“ (2003) ist nun ihr dritter Vogel „Vormann Leiss“ auf Warner erschienen. Da ihr uns allen sympathisches Label Schiffen Records seine Pforten geschlossen hatte, mussten Turbostaat sich ein neues zu Hause suchen.

Durch ihre Freundschaft zu den Beatsteaks gelang ihnen nun ein großer Deal. Als eines der Aushängeschilder des deutschsprachigen diy-Punkrocks veröffentlichen Turbostaat nun auf dem Warner Unterlabel „Same Same But Different“, welches von dem Beatsteaks-Management gegründet wurde. Dass eine diy-Band zu einem Major wechselt ist zwar mittlerweile keine Seltenheit mehr, aber auch ist es zum Glück noch nichts Alltägliches.

Im Vorfeld zur Veröffentlichung gab es in den Medien sehr viel Präsenz von Turbostaat: Songs im Radio, Werbeanzeigen, die Singleauskopplung „Harm Rochel“ ist direkt in die MTV Charts eingestiegen und Turbostaat-Berichte erschienen in fast jedem deutschsprachigem alternativen (Musik-)Magazin. Man kann fast glauben, dass Turbostaat ein neuer Hype sind?!

Anfangs zweifelte ich, ob das TRUST noch ein weiteres Interview mit Turbostaat benötigt, doch blieben mir nach genauerem Betrachten der allgemeinen Medienberichte viele Fragen offen.

Am 17. August bin ich zur Releaseshow der neuen Platte nach Flensburg gefahren um die Band zu interviewen. Nach dem Soundcheck traf ich mich mit den beiden Gitarristen Marten und Rotze zum Gespräch. Trotz des Interviewmarathons um Turbostaat wirkten die beiden äusserst gelassen und nahmen sich die Zeit ausführlich auf meine Fragen einzugehen. Spätestens beim Konzert wurde endgültig klar, dass Turbostaat sich selbst treu geblieben sind und ihnen auch nach acht Jahren Bandgeschichte niemand den Spass am Spielen nehmen kann!

***

Heute ist der Erscheinungstag Eures Majordebuts „Vormann Leiss“. Darauf habt Ihr in den letzten Monaten gezielt hingearbeitet. Ihr habt den Soundcheck gerade hinter Euch gebracht und gleich spielt Ihr Eure Releaseshow. Bis Weihnachten wird es nicht ruhig um Turbostaat. Mich würde interessieren, wie Ihr den heutigen Tag bzw im speziellen die Releaseshow jetzt für Euch persönlich bewertet?

Rotze: Wir haben halt monatelang dafür gebuckelt, gemacht und getan und auch viel Nervscheiss gehabt. Jetzt geht es auch endlich wieder um Musik. Es wurde in den letzten Monaten speziell ganz viel geredet und gemacht. Es hatte auch alles seine Berechtigung aber jetzt fängt es endlich wieder an, dass es um das geht, worum es wirklich gehen soll, also um das Livespielen.

Marten: Und jetzt sind wir aufgeregt! Heute ist ja ein besonderer Tag, wenn die Platte rauskommt und wir hier diese Party machen, die ja nicht nur ein Konzert ist, sondern auch eine Party sein soll. Und da bin ich schon sehr aufgeregt.

Ihr seid derzeit nahezu überall vertreten. Man hört Euch im Radio, man sieht Euch auf MTV und auch sehr viele Magazine berichten über Turbostaat. Wie fühlt es sich an, Teil einer so großen Promotionkampagne zu sein?

Rotze: Es ist wirklich seltsam. Turbostaat machen halt auch vieles nicht, einiges probieren wir aus. Manches machen wir dann halt, wie zum Beispiel mit irgendwelchen Musikmagazinen reden, auch wenn dass dann grössere sind. Das ist kein Ding, da scheuen wir uns auch nicht vor.

Da sagen wir nicht „nein, nur die Fanzines“ oder so. Das ist schon okay, aber wenn dann halt irgendwie seltsame Sachen kommen… also da schütteln die von der Plattenfirma auch oft den Kopf, die haben da kein Verständnis für. Die sagen halt „meine Güte, was das für eine Chance ist!“, aber wir sehen das halt oft noch ein wenig anders.

Ich denke mal, dass da jemand viel Geld in Euch investiert und auch Geld mit Euch machen will.

Rotze: Na ja, viel Geld… die sind sich schon bewusst, wen sie sich da ins Boot geholt haben. Dass es nicht so fett nach vorne losgehen wird, das können sie sich ausrechnen. Aber die wollen schon nicht draufzahlen. Natürlich wollen die auf ihre Kosten kommen, klar!

Im Gegensatz zu den letzten beiden Releaseshows von Turbostaat, ist es doch dieses Mal schon ziemlich klar, dass diese Platte gut ankommen wird.

Marten: Also für uns ist das jetzt nicht klar!

So viele positive Kritiken, wie ihr schon vor der Veröffentlichung zu der Platte bekommen habt, Ihr seid direkt in die MTV Charts eingestiegen…

Rotze: Aber es ist nun nicht so, dass wir für die ersten beiden Platten schlechtere Kritiken bekommen hätten. Natürlich wird sie öfter und in mehreren Magazinen besprochen. Aber es ist ja nicht so, dass das jetzt die Platte ist, die man auf einmal kaufen kann.

Vielleicht interessieren sich jetzt im Vorfeld mehr Leute dafür, als noch bei der „Schwan“, geschweige denn vor der „Flamingo“. Aber für uns ist das immer noch so… ja ähh… (Zögern) Mal abwarten, was da rauskommt!

Ihr spielt ja schon ziemlich große Shows auf Eurer Tour.

Rotze: Das heisst ja nicht, dass sich jeder eine CD mitnimmt.

Marten: Und dass heisst auch nicht, dass die voll werden!

Im Vorprogramm von den Hauptbands wie zum Beispiel den Beatsteaks, ist es abzusehen, dass es voll wird!

Marten: Ja, aber das hat ja gar nichts zu bedeuten. Die schlechteste Band der Welt würde auch im Vorprogramm viele Zuschauer haben.

Wir reden hier aber nicht über die schlechteste Band der Welt, sondern über Turbostaat, die mittlerweile einschätzen können, dass sie Live beim Publikum gut ankommen.

Marten: Nein, ehrlich gesagt überhaupt nicht! Ich bin da relativ grün hinter den Ohren.

Rotze: Ich glaube die Leute, die zu den Beatsteaks-Shows gehen, die gehen auch noch anders da ran, an so ein Konzert. Unsereins geht zum Konzert, weil er die Band sehen will und dann ist es auch irgendwie ganz geil. Aber so geflasht, wie man das vor 15 Jahren mal war, das ist ja nicht mehr so. Also wenn man mal ehrlich ist.

So weggeblasen, wie man von seinen ersten zehn oder fünfzehn Konzerten war, das bekommt man ja heute nichtmal mehr mit der besten Band der Welt hin. Das Beatsteaks Publikum ist ja oft noch sehr jung, die gehen oft zu Konzerten, die sehr teuer sind und das heisst im Endeffekt, dass sie sich auch nicht viele Konzerte im Jahr leisten können. Und wenn sie dann auf ein Konzert gehen, dann wollen sie auch richtig Entertainment.

Dann wollen sie richtig aufs Horn kriegen und dementsprechend feiern die dann auch. Wenn dann da eine Band spielt, wie in dem Fall dann zufällig wir, dann haben die da auch Bock drauf. Egal was das ist, ob sie davon gehört haben, ob sie das jetzt privat gut finden würden, aber sie haben Bock darauf zu feiern oder die Band zu feiern. Das bedeutet aber nicht, dass sie gleich losrennen und sich die Platte kaufen.

Marten: Oder auf unsere eigenen Turbostaat-Konzerte kommen.

Ich kann mir das schon gut vorstellen, aber das müssen wir wohl abwarten!

Marten: Wenn es alles so bleibt wie vorher, bin ich auch nicht unglücklich.

Rotze: War ja auch immer geil, wie es war!

Marten: Es besteht kein Bestreben, dass wir das alles anders haben wollen oder so. Uns ist es recht so, wie es ist.

Rotze: Das mag man von aussen ja immer, einfach weil einem der Einblick fehlt, auch oft nicht so klar sein. Natürlich ist es ein großer Schritt, aber nicht so ein großer, wie er vielleicht von aussen betrachtet erscheinen mag.

Wir haben in den letzten vier Jahren immer unseren Kram gemacht und für uns kam immer ein Schritt nach dem nächsten. Nachdem Schiffen zugemacht hat, wir auf einmal kein Label mehr hatten und die Chance dann aufkam mit Torsten und Eric [Beatsteaks-Management] unsere Platten zu machen, das war dann schon irgendwie so „Geil, das ist ja immer noch Platten mit Freunden machen.“. Natürlich ist uns bewusst, dass das Level angehoben wurde, das es etwas Grösseres ist, aber im Prinzip sind es immer noch die Kumpels, mit denen wir Platten machen und die vorher auch schon Kumpels waren.

Wir haben die halt kennen, schätzen und lieben gelernt, lange bevor es, unter Anführung, ums Geschäft ging. Sie haben uns auch schon vorher, bevor wir für sie geschäftlich interessant wurden, in allen Belangen geholfen. Wenn wir Fragen hatten, waren sie halt immer da um uns an die Hand zu nehmen.

Marten: Und in so Momenten, in denen Du dann so einen Plattenvertrag unterschreibst, dann macht man sich natürlich viele Gedanken und fragt sich, was da auf einen zukommt. Man denkt „Euch gibt es ja schon acht Jahre, Ihr kennt das alles schon und Euch muss das natürlich alles bewusst sein, was da passiert“. Aber im Endeffekt ist einem nicht alles bewusst. Wenn jemand auf Dich zukommt und nach dem Motto sagt „Ja hier und dann MTV und so“, dann sagst Du vorher, wenn es noch weit weg ist „ja ja, kann man ja mal machen“.

Und wenn es dann da ist, dann steht man da so und denkt nur „das hätte ich jetzt nicht so erwartet“. Oder dass MTV das Video spielt, dass hätte ich nie gedacht. Ich hätte nicht für fünf Pfennig mit denen gewettet, dass irgendein Radio das spielt.

Nicht?

Marten: Nein!

Wieso nicht?

Marten: Meine Band wird nicht im Radio gespielt, das bin ich gewohnt. (Gelächter) Wir haben uns schon überlegt, dass es doch mal toll wäre im Radio zu laufen, aber nicht geglaubt, dass es wirklich hinhaut.

Rotze: Wir haben halt immer gedacht, dass es zu sperrig ist. Oder auch für so einen normalen Radiohörer oder Musikfernsehenkucker zu anstrengend. Das da jemand sagt „geil, das ist ja mal was anderes“, damit hätten wir nicht gerechnet. Und dass dann da ein für unsere Verhältnisse relativer Schub hintersass, dass war dann schon eine überraschung und ist es bis heute noch. Es ging ja um diese Single am Anfang. Das war ja auch das erste Mal für uns eine Singleauskopplung zu machen, sowas haben wir ja früher auch immer für völlig unsinnig gehalten.

Also wenn ich eine Band und Lied gut finde, dann kaufe ich mir eine Platte und nicht ne Single oder eine Maxi CD. Aber die arbeiten eben so und das Geschäft dahinter läuft über dieses Gelutsche hintenrum: so mit „hast Du keine Single, kannst Du nicht im Radio gespielt werden“ oder „hast Du keine Single, kannst Du nicht im Fernsehen laufen“. Das ist halt eben so und das kam alles neu auf uns zu.

Wir sollten uns da mal Gedanken machen, was wir denn so gutfänden als Single von den elf Liedern, die wir auf dieser Platte veröffentlichen. Das haben wir dann auch im Stillen gemacht und haben überlegt, vielleicht eine gefällige Nummer oder sowas, was vielleicht auch im Radio laufen könnte. Dann haben wir uns mit denen getroffen, jeder hat auf den Tisch gepackt, was er sich so gedacht hat und dann kamen die halt mit „Harm Rochel“ an.

Und das war für mich eine totale überraschung, weil es für mein Ohr ein sehr sperriges Lied ist. Wenn ich so denke, da läuft den ganzen Tag so Kram im Radio, den man hören oder auch ignorieren kann und dann kommt auf einmal so ein Ding, wo bis zum ersten Refrain gar keine Gitarren sind. Da habe ich schon gestutzt. Es war überraschend, dass sie so mutig sind, es so zu machen. Sie haben da total dran geglaubt und ja, so ist es eben.

Ihr habt gerade gesagt, dass Ihr Eure Platte bei Warner rausgebracht habt, weil es Eure Freunde sind. In „Melles Mixtape“ auf Delta Radio habt Ihr das eher so dargestellt, als hätte es mehrere Angebote gegeben und das sei das Beste gewesen?

Marten: Wir haben komischerweise, nachdem Schiffen dichtgemacht hat, Angebote bekommen. Das schraubte sich immer weiter nach oben und da kamen plötzlich immer grössere Läden an. Dann waren wir auch mal bei so einem größeren Label und haben uns das da angekuckt.

Eric und Torsten [Beatsteaks-Management] haben das dann irgendwann in die Hand genommen, weil wir gesagt haben, dass wir uns vor diesen Leuten nicht selber repräsentieren können. Das haben sie dann alles gemacht. Dann kam auch noch der glückliche Zufall, dass sie gerade eine Label gegründet haben um diese Platte zu machen.

Ihr hattet doch auch ein Angebot von Tim Renner [Motor Music], der das Buch „Kinder der Tod ist gar nicht so schlimm“ geschrieben hat und damit die Musikindustrie umfassend wie kein anderer in Deutschland kritisiert hat.

Marten: Also dass wüsste ich nicht…

Rotze: Doch, doch…

Marten: Ja?

Rotze: (zustimmend) Hmmmhhh..

Marten: (erstaunt) Von Tim?

Rotze: Ja

Marten: (erstaunt) Renner??

Rotze: Ja, also Motor…

Marten: Das wusste ich nicht…

Ich dachte, das wäre doch großartig. Ich hatte gerade das Buch von ihm gelesen und war doch sehr beeindruckt.

Rotze: Ich glaube, dass ist auch ein ganz geiler Typ so. Aber das Ding war halt, dass wir überraschenderweise und glücklicherweise relativ viele Optionen hatten, um unsere nächste Platte zu machen. Uns wurde geraten, dass auf 2-3 Sachen zu beschränken, weil man sonst an zu vielen Fronten kämpft und den überblick verliert. Dann haben wir das halt beschränkt und da fiel Motor schon relativ früh raus.

Marten: Hmn…

Rotze: Ja, so war das…

Marten: Ja… ja ja, ich glaube dir das aufs Wort…

Rotze: Wir haben ja erst gedacht „wir machen das alleine“, weil wir so aufgewachsen sind und auch so sozialisiert wurden. Wir haben uns dann auch zu fünft, alle aufgereiht wie die Maulaffen, bei der ersten Firma ins Büro gesetzt. Da drüben saß dann die Frau von der Plattenfirma und hat uns erzählt, was sie so vorhatte. Sie hatte da so einen Vertrag und dann ging man die Punkte durch und das Gespräch hat fünfeinhalb Stunden gedauert.

Marten: Nach ner halben Stunde sind wir vom Kopf her ausgestiegen!

Rotze: Echt, nach einer viertel Stunde bluteten einem schon die Ohren und man hatte auch keine Ahnung mehr, worum es ging. Wir wussten nicht mehr, was gut und was böse ist. Am Ende ging man da raus, man war ganz schwindelig und müde. Torsten, Eric [Beatsteaks-Management] und Robert, der da auch noch mit drin ist, haben dann irgendwann nachgefragt, wie es gelaufen ist. Wir haben es ihnen erzählt und ein Freund von Marten hat sich den Vertrag angesehen, der sich auskennt mit dem Kram. Für einen selbst hörte sich das halt irgendwie, ja vielleicht nicht optimal an, aber es klang okay.

Die haben aber alle mit den Händen über dem Kopf zusammengeschlagen. Sie haben gesagt, das geht überhaupt nicht so. Totale Scheisse und da haben wir als Turbostaat gemerkt „Okay wir können es nicht alleine!“. Hut ab vor einer Band wie Depeche Mode, die wirklich World Player sind und sich dabei über die ganzen Jahre immer noch selber managen.

Das ist echt eine große Sache. Wir hätten das auch mit einem dicken Kopf machen können, aber man hätte echt scheisse abgeschnitten. Dann haben die uns dabei geholfen und wie Marten schon sagte, war es halt geil, dass die beiden das Label auch gerade aufgemacht haben um diese Platte zu machen. Es funktioniert bisher ganz hervorragend!

Welche Ziele haben Turbostaat jetzt auf dem Major? Ist das so nach dem Motto, dass Ihr nun neue Möglichkeiten habt und die alten dabei nicht verloren habt?

Rotze: Ach, wir haben keine Ziele! Wir wollen ja keine Karriere machen. Wir wollen nicht berühmt werden oder so. Wir wollen einfach unseren Kram machen und Konzerte spielen. Es ist schön, wenn Leute zu den Konzerten kommen, da freut man sich und wenn jemand noch eine Platte kauft ist das auch toll. Aber wir haben keinen Masterplan dahinter.

Dadurch, dass Ihr jetzt manche Sachen abgegeben habt, habt Ihr DIY streckenweise ein wenig hinter Euch gelassen…

Rotze: Ja.

Glaubt Ihr, dass DIY Grenzen hat?

Marten: Vom Umfang der Arbeit hat das natürlich Grenzen. Wir können einfach nicht mehr alles regeln. Das geht vom Umfang einfach nicht mehr. Klar, kannst du in jedes Thema reinkommen, aber das geht von der Zeit nicht mehr. Da müssten wir alle Vollzeit alle zu fünft im Büro arbeiten. Das können wir gar nicht, wir haben ja noch ein Leben nebenbei.

Rotze: Wir müssen halt Arbeiten gehen und wir haben inzwischen vier Kinder in der Band. Das muss halt alles geregelt werden. DIY ist eine geile Sache und ich stand da immer drauf! Wie gesagt gibt es auch Bands, die das auf hohem Level weiterführen können, aber das hat bei uns nicht geklappt. Trotzdem machen wir immer noch viel selber.

Marten: Wir machen die Platte nicht, aber wir haben die Platte noch nie selber gemacht.

Schiffen ist aber ein DIY-Label!

Marten: Ja, aber wir haben natürlich unsere Platte abgegeben. Wir mussten auf sie Vertrauen, dass das alles gut läuft mit dem Preis etc. Das haben wir jetzt auch. Ausserdem haben wir noch einen Teil vom Booking abgegeben. Peter macht auch noch einen Teil davon, aber er konnte einfach nicht mehr. Er hat von morgens bis abends nichts anderes mehr gemacht. Das geht halt nicht mehr, aber den Rest machen wir halt noch alleine.

Rotze: Tobi hat das Layout für die ganze Platte und die T-Shirts gemacht. Er hat dafür Tage vorm Rechner verbracht und das läuft immer noch so, wie wir das halt kennen.

Marten: Die LP machen wir ja auch selber, da haben wir jetzt eine eigene Plattenfirma.

Inwieweit haltet Ihr denn die Diskussion um Majors innerhalb der Punk / Hardcore – Szene noch für aktuell? Das Thema wurde bereits in den letzten 10-15 Jahren ausgiebig diskutiert!

Marten: Das hat sich aber auch mit der Zeit geändert. Die Majors haben dazugelernt und leider haben auch die Indies dazugelernt – und zwar von den großen Plattenfirmen. Ketzerisch gesagt, waren die Grenzen streckenweise so verschwommen, dass man bei einer Indiefirma, die quasi bis zum Rande ihrer Möglichkeiten für diese Platte arbeitet, mehr diesen Druck und Erfolgswillen gemerkt hat, als bei der Firma, bei der wir jetzt sind. Also das ist mein Eindruck und es hat mich sehr verwundert.

Rotze: Grundsätzlich halte ich das schon noch für aktuell. Es ist nicht mehr dieses Schwarz / Weiss: dieses Klassische „Indie gut, Major böse“. Natürlich ist da streckenweise auch viel Verachtenswertes bei, was Majors so produzieren. An Musik und wie teilweise auch gearbeitet wird.

Wie Künstler platziert werden und mit der ganzen Kacke wollen wir auch nichts zu tun haben! Man kann uns vielleicht auch einen Strick daraus drehen und sagen „ja aber Ihr macht ja da mit“ und „Euer Arsch hilft mit, dass sowas weiter funktionieren kann“, aber ich glaube so einfach ist das nicht mehr. Das ist meine Erfahrung!

Marten: Hmn… Knebelverträge und so, das machen die ja auch nicht mehr. (Zögern) Also jedenfalls nicht bei uns!

Glaubt Ihr, dass Majorlabels aus den Fehlern mit Hardcorebands in der Vergangenheit gelernt haben? Sie haben ja schon einige Bands heruntergewirtschaftet bzw. zerstört.

Marten: Ich glaube in gewissen Punkten mussten diese Majorlabels einfach etwas lernen, weil sie einfach auf die Nase geflogen sind damit und Einbussen hatten. Einfach von der Labelpolitik her, dass sie jede Drecksband von der Strasse wegecastet haben und dann ein Fass aufgemacht haben.

Wenn die Band auf dem Boden gelandet ist, kamen die Unkenrufe von hinten. Ich kenne mich da aber auch zu wenig aus um zu sagen, dass machen sie heute gar nicht mehr oder die anderen machen das auch oder sonstwas.

1994 kamen Green Day ganz groß raus und die Majors haben dann eine Punkband nach der anderen gesignt, was halt oft nicht erfolgreich war.

Rotze: Die musikalisch ähnlich klangen, Jawbreaker waren glaube ich auch dabei…

Jawbreaker, Jawbox, Samiam…

Rotze: Von den DC Bands haben sie ein paar geholt. Da war es halt tatsächlich so, dass sie nicht das versprochene große Ding wurden und sie dann einfach fallengelassen wurden. Die Platten wurden nicht mehr aufgelegt und die gab es dann auch einfach nicht mehr. Da ist glaube ich schon relativ viel Scheisse gelaufen.

Ich habe vor vielleicht 10 Jahren mal ein Interview mit Rocket From The Crypt gelesen, die ja auch mal auf einem Major und dann wieder auf einem Indie waren. Sie haben gesagt, dass die Erfahrung wohl ganz gut war, aber sie froh sind, dass sie da wieder weg sind. Sie haben zum Beispiel erzählt, dass Majorfirmen nicht billig arbeiten können. Er hat das Beispiel Poster genannt. Die haben Rocket From The Crypt Poster zu gleichen Konditionen gemacht wie Michael Jackson Poster, was halt hammerteuer war. Es wurde auch immer alles auf den Deckel geschrieben.

Dass da am Ende nichts bei rumkommt, kann man sich leicht ausrechnen. Sie haben ein Verfahren für alle Künstler und bemessen nicht, ob das überhaupt gerechtfertigt ist. Ob man das vielleicht anders machen könnte und da haben wir schon noch ein Auge drauf. Dass wir sagen, macht das doch mal so oder so, wir haben damit Erfahrungen und es geht auch günstiger.

Glaubt Ihr denn, dass die „Punkszene“ aus den Fehlern, die in der Vergangenheit mit Majors gemacht wurden, gelernt hat?

Marten: Natürlich war man vor ein paar Sachen gewarnt. Zum Beispiel vor einer Vinylplatte für 30 Euro, wie sie jetzt bei vielen Künstlern auf einem Majorlabel angeboten wird. Weil sie einfach auch eine ganz andere Struktur haben, weil sie feste Presswerk haben, bei denen sie zu festen Preisen pressen müssen.

Da haben wir schon ein Auge drauf, dass das nicht so teuer wird. Da kann man schon sagen, dass wir von Fehlern gelernt hätten, aber so in letzter Konsequenz kann man das nicht sagen. Die Platte kommt heute raus und mal sehen, was wir in zwei Jahren über das Ganze sagen. Ich wäre mir auch nicht zu fein, dann zu sagen „Oh, da haben wir nicht so aufgepasst und da dann wieder.“.

Rotze: Bei den Gesprächen wurde auch immer gleich darauf geachtet, das ist ja auch oft nicht üblich, dass wir CDs auf den Konzerten verkaufen können. Oft ist das ja so, dass wenn eine Band auf Tour geht, kommt da der örtliche Saturnmitarbeiter, damit sie alle über so einen Scanner laufen und dass die CD 15-18 Euro kostet.

Unsere kostet jetzt bei Amazon knapp 12 Euro. Wir verkaufen die auch weiterhin auf Konzerten für 12 Euro, die Platte für 10 Euro, also ist alles geblieben wie immer. Da haben wir schon drauf geachtet, dass es nicht so läuft, wie es oft laufen muss.

So wie ich das einschätze, spielt Ihr mit Euren Wünschen und Forderungen auf Warner eine ziemliche Sonderrolle? Sowas werden die ja nicht alle Tage hören?

Rotze: Ja!

Marten: Wir hatten das große Glück, aus irgendeinem unerfindlichen Grund, den wir selber nicht kennen, die ganzen Plattenfirmen Interesse an uns hatten und wir nicht an denen. Deswegen haben wir auch gleich von vornherein gesagt „Alter, wir sind echt Gurken!“ und die so „Ja klar, aber das wird total super!“. Ich meine wir sind richtige Gurken, wir können gar nichts!

Rotze: Und wir wollen auch vieles nicht!

Marten: Wir haben die so häufig gewarnt, aber die wollen ja nicht hören.

Rotze: Früher haben sie halt immer gesagt „Ja ja, klar, kennen wir ja, das ist gar kein Problem, das wird alles super und das musst Du ja auch nicht alles machen.“. Jetzt sieht das schon immer ein bisschen anders aus. Sie fragen „Aber warum macht Ihr das denn nicht?“ – „Ja, darum nicht!“ – „Ja aber WARUM denn nicht?“ – „Ja darum nicht!“

Marten: „Lasst Euch das nochmal ECHT durch den Kopf gehen!“.

Rotze: Dann ruft irgendwie der vierte andere von der Firma an und fragt „Ja warum denn, das ist doch voll die Chance und so.“. „Ja, aber wollen wir nicht!“. Also diese Verweigerungshaltung ist bei uns schon noch da. Dass wir mit vielem auch einfach nichts zu tun haben wollen.

Marten: Und das ist neu! Schiffen hat zum Beispiel nie Werbung gemacht und hat sich für nichts interessiert, was das angeht. Wenn da irgendwas lief, dann lief das über uns oder wie bei Dir jetzt zum Beispiel über Interesse von Leuten, die ein Heft machen oder sowas. Und jetzt wirst Du halt täglich beballert mit Sachen. Gerade kommen pro Tag 10-12 Mails mit wichtigen Sachen und die müssen unbedingt sofort entschieden werden.

Rotze: Schiffen war ein sehr, jetzt lieb gemeint, ambitionsloses Label. Der hatte einfach Bock gute Platten zu machen und zu mehr hatte er auch keine Lust. Der hat nie Anzeigen geschaltet oder ähnliches gemacht. Das hatte er auch nicht nötig, da die Rachut-Bands einfach immer von alleine super liefen. Die gehen da jetzt aber anders ran, die wollen auch beissen!

Marten: Ausserdem, wer kauft sich eine Platte, weil sie bei Warner erschienen ist?

Rotze: Die Mudder von Warner.

Marten: Tante Warner.

Für Euch ist nicht nur die Musik fester Bestandteil von Turbostaat, sondern eben auch das Booking, Selbstgestalten des Artworks etc. Gleichzeitig sagt Ihr aber auch, dass Ihr vom Umfang nun an Euren Grenzen angekommen seid. Was macht Ihr, wenn Turbostaat grösser werden? Ihr müsstet Aufgaben abgeben, aber würde dann nicht ein wesentlicher Teil von Turbostaat verloren gehen?

Marten: Also dieses Grundmanagement würden wir immer selber behalten. Wenn wir gewisse Sachen nicht mehr machen können oder nicht mehr wollen, dann holen wir uns meistens Freunde ins Boot, die uns dann helfen. Wie zum Beispiel der Friese, der unten die Platten verkauft. Der ist immer mit uns auf Tour und verkauft die Platten und T-Shirts. Da hatten wir auch irgendwann keine Lust mehr drauf.

Erst das Konzert zu spielen, dann den Stand aufbauen und da rumzusitzen und Plattenverticken. Das könnte ich mir vorstellen, aber das ist auch alles Zukunftsmusik oder eben auch nicht Zukunftsmusik. Wir sind da eher so, dass irgendwas an uns herangetragen wird und in dem Moment entscheiden wir das. Es könnte auch sein, dass es morgen ganz anders entschieden wird. Es ist alles relativ spontan, was wir machen.

Wie ist das denn jetzt mit Euren alten Fans, die diesen diy-Background haben? Müsst Ihr jetzt ein wenig zwischen denen und Eurem Major vermitteln oder wie geht Ihr damit um? Da gibt es ja sicher auch Kritik an Euch?!

Marten: Natürlich kommt da Kritik und auch von gewissen Seiten zurecht. Ich finde es auch völlig okay. Das kann ja die absurdeste Vorstellung sein, wie zum Beispiel „ich gehe auf keine Konzerte, die teurer sind als zwei Euro“. Dann ist das okay, dann geht er halt nicht auf solche Konzerte. Das muss man ja respektieren und das ist ja auch völlig okay.

Rotze: Ich habe mir in den letzten 2-3 Monaten mit einem Mario geschrieben, den ich nicht weiter kenne. Der hat irgendwann mal eine Mail geschrieben und hat gesagt „Turbostaat, das war einmal etwas, was mir echt ganz nah war und was ganz ganz viel für mich bedeutete.“. Und er hat halt geschrieben, dass er das jetzt nicht mehr kann. Er sagt, wenn er das jemandem gönnt, dann uns. Trotzdem kann er jetzt nicht mehr mit, aufgrund der Veränderungen, die ja nicht von der Hand zu weisen sind.

Mit dem habe ich mir dann diverse Male hin- und hergeschrieben, habe versucht darauf einzugehen und ihm viele Sachen zu erklären. Vieles hat er dann verstanden und bei vielem, habe ich dann auch sagen müssen, dass verstehe auch ich. Und wenn das wirklich Dein Standpunkt ist, dann ist das eben so. Sowas gibt es natürlich! Eine 16jährige Gothikpunkerin aus dem Saarland hat mir eine ganz kurze bitterböse Mail geschrieben.

Sie ist von völlig falschen Standpunkten ausgegangen, hat aber erstmal ordentlich draufgespuckt und da bin ich auch ein bisschen böse geworden. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass mir eine 16jährige Punkerin die Welt erklären will. Die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, von völlig falschen Sachen ausgeht, aber uns erstmal ordentlich an den Karren pisst. Und das finde ich dann schon scheisse! Wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt und auch Ahnung hat, dann ist das völlig okay!

Es ist ja auch sicherlich viel Kritik gerechtfertigt, zumindest von deren Standpunkt. Aber dieses grundlose „jetzt seid Ihr auf nem Major, jetzt seid Ihr auf MTV – jetzt seid ihr der Teufel“, das kann ich nicht nachvollziehen, da höre ich dann auch gleich auf bei der Diskussion.

Marten: Das gab es aber auch schon vor fünf Jahren. Vor fünf Jahren haben Leute rumerzählt „Turbostaat, da musst Du mindestens 1000 Euro Festgage hinlegen!“. Das wurde geglaubt und hatte sich verbreitet und dann hat man darüber einen Anschiss bekommen.

Rotze: Wir spielen immer auf Eintritt!

Letzte Frage zum Majordeal. Wie bewertet Ihr die Zusammenarbeit bis zum jetzigen Zeitpunkt? Was hättet Ihr Euch vielleicht anders vorgestellt?

Rotze: Ich fand es grundsätzlich alles gut bisher. Im Großen und Ganzen bin ich auch sehr zufrieden. Was ich mir anders vorgestellt habe, ist dass ein „nein“ von unserer Seite mehr bedeutet. Wenn wir beim ersten Mal „nein“ sagen, dann wird das halt meist nicht geschluckt und wenn man dann erklärt, warum man „nein“ gesagt hat, dann wird das auch oft nicht geschluckt, weil die das halt so wichtig finden.

Wenn man dann zum fünften oder sechsten Mal „nein“ sagen muss, dann wird das halt schon anstrengend. Dann ist auch irgendwann gut, dann muss man das auch nicht machen und dann ist einem auch keiner böse. Aber da hätte ich halt wirklich gedacht, dass es einfacher ist.

Um nun auch auf die neue Platte von Turbostaat einzugehen: ich hätte nicht damit gerechnet, dass Ihr den Konsens Eurer Albentitel brechen würdet!

Marten: Wir fanden das selber langweilig. Also jetzt noch einen Vogel herbeizuziehen, das wäre…

Rotze: Marten hat mal bei einem anderen Interview ganz zurecht gesagt, dass man da ja auch selber nicht mehr drüber gelacht hat. Bei der ersten war der Name halt einfach da, weil da dieses beschissene Bild mit den Flamingos drauf war. Beim zweiten Bild war es so ein bescheuerter Privatwitz, dass da halt ne Blume drauf ist und die hiess halt „Schwan“. Sich aber jetzt vier Jahre zu überlegen, welcher Vogel als nächsten kommen sollte…

Marten: Man konnte ja schon Plattencover sehen! Deshalb spielt man ja in ja in einer Punkband und nicht in einer Rockband, denn man will ja nicht zu seiner eigenen Pose oder Kunstfigur verkommen. Wir sind keine Kunstfigur.

Als neulich jemand sagte „finde ich schon geil, wie Ihr da alle in schwarz auf der Bühne steht“, zack haben wir das nächste Konzert mit Jeans gespielt, weil man da keinen Bock drauf hat. Das ist mehr was für die Entertainmentgruppe.

Eine Sache, bei der ich inhaltlich ein wenig den Faden verloren habe, ist Eure Umgebung und Eurer Verhältnis zu ihr, die ihr ja in Texten immer wieder thematisiert. 2001 wart Ihr alle in Husum ansässig und habt dafür eingestanden und betont wie wichtig es Euch ist, für Eure Umgebung einzustehen (Song „Drei Ecken, ein Elvers“). Jetzt singt Ihr nicht gerade positiv über Husum (Song „Insel“)?

Rotze: „Drei Ecken“ ist ja glaube ich nicht auf Husum bezogen und es geht darum, dass Du dir deine Umgebung so einrichtest, dass sie dir gefällt.

Marten: Es geht in „Insel“ auch nicht direkt nur über Husum. Im Grunde genommen geht es um die Demütigung in der Jugend, die in einem wieder hochkommt beim Besuch seiner Heimatstadt. Husum ist natürlich unsere Heimatstadt und dieses „Husum, verdammt“ ist ja eigentlich ein Zitat von Nina Simone, einer Jazz- Bluessängerin, die „Mississippi goddamn“ gesungen hat.

Rotze: Ich glaube die Geschichte ist so, wenn Marten mit seiner Freundin nach Husum kommt und wie im Text dann gesagt wird „Das ist doch alles total schön hier. Kuck doch mal, da der Hafen, die schöne Promenade und das geile Wetter. Das ist doch alles geil, ich weiss gar nicht, was Du hast.“. Und sie die andere Seite immer sieht, wie schön es dort ist, aber man selbst nur sieht, dass man den Demütigungen der Jugend ausgesetzt ist.

Marten: Und dem ganzen Pöbel, diese ganzen Volksmechanismen mit der Hexenjagd und all so ein Zeug, was man dann selber mitbekommen hat, wenn man irgendwie anders war. Und deswegen auch der Verweis auf Nina Simone, die auch mit ihrer Heimat abrechnet.

Letzte Frage: warum habt Ihr diese widerliche Turbojugend in die Welt gesetzt?

Rotze: (zögerlich) Was sollen wir denn jetzt darauf antworten?

Denkt Euch was aus!

Marten: Haben wir nicht!

Rotze: Haben wir nicht! Punkt! Wir wollen damit auch nichts zu tun haben.

Marten: Ja oder auch nicht nicht. Also eigentlich geht uns das doch am Arsch vorbei.

Rotze: Nervt schon ein bisschen.

Marten: Mir ist das latte. Sollen die doch ihren Club haben.

Rotze: Ist ja nicht unser, hat mit uns überhaupt nichts zu tun. Das ist so wie FC Bayern Fan sein, dann ist man ja auch nicht automatisch FC Köln Fan, nur weil es das gleiche Präfix hat. Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun. (allgemeines Gelächter)

Marten: Ich glaube „nein“ hat einfach gereicht!

***

Interview & Einleitung: Benjamin Schlüter

Links (2015):
Turbostaat Homepage
Turbostaat auf Wikipedia
Turbostaat auf Facebook
Turbostaat-Discography auf Discogs

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