März 20th, 2020

TROY BRUNO aus # 72, 1998

Posted in interview by Jan

Freitagnacht in Berlin mit Troy Bruno von Balthazar

MUSIC IS GOOD
Es regnete, als ich die Stadt verließ, in der ich wohne. Als ich in Berlin ankam, schien die Sonne von einem blauen Himmel. Das kommt vom kontinentalen Klima. Und der kleine Club in Mitte war voller kleiner Mädchen, die gekommen waren, um Dirk und Troy zuzuhören und zuzusehen, wie sie sich, angetan mit Zigaretten und Bier und Gitarren, an ihren eigenen und Lieblingssongs zu versuchen. Ersterer verdient seine Brötchen bei Tocotronic, zweiterer, wenn auch deutlich weniger derselben, bei Chokebore.

Nach der Show spricht Troy mit einem Mädchen, das mir schon während des Konzertes aufgefallen ist. Sie sagt, seine Songs haben sie glücklich gemacht. Er fragt, ob traurige Songs sie glücklich machten, und sie bejaht.

Er streckt ihr seine Hand hin.
„Mein Name ist Troy.“
„Ich bin Simone“, sagt das Mädchen.

„Ich wollte schon lange akustische Gitarre spielen. Und ich erzählte Anthony von unserem Label, er solle mir ein paar Shows geben. Und er meinte, das sei schwierig. Aber vielleicht könnten wir Dirk von Tocotronic dafür kriegen, zwei Leute wären interessanter. Und Dirk sagte ja.“

Viel mehr als Musik machen will der Mann gar nicht. „Ich bin ein einfacher Typ. Ich will Songs spielen.“ „Music is good!“, wie er später sagt.

Deshalb nimmt er mit seiner Band Jahr um Jahr Platten auf, eine wirklich immer noch trauriger als die andere, begibt sich auf ausgiebige Konzertreisen, und jetzt tut er es eben auch noch akustisch. Zwar erbte Troy von seiner Großmutter vor einer Weile ein Haus in Los Angeles, das nun die Homebase für Chokebore darstellt – ein kleines Studio ist auch drin –

„Aber wir sind fast nie dort. Wie sind für gewöhnlich auf Tour.“

Genug ist ihm das noch nicht. Tagsüber in irgendeinem Café, nächtens dann elektrisch verstärkt in den einschlägigen Clubs, das wäre ein Leben ganz nach seinem Geschmack. Weiß Troy eigentlich, was für eine Art von Band Tocotronic sind. Eine Band für kleine Mädchen, eine Band, die nicht zuletzt ihrer Lyrik wegen goutiert wird.

„Dirk hat mir ‚Christmas Eve‘ übersetzt. Wirklich traurig.“

Tocotronic-Texte hören sich jedenfalls ganz gut an, wie Troy sagt. Auch wenn man sie nicht versteht.

A TASTE FOR BITTERS

„Ich hatte den Job, Pizza auszufahren, in Hawaii, und hörte die ganze Zeit David Bowie, ‚Hunky Dory‘ und ‚Ziggy Stardust‘. Und ich versuchte, es zu singen. Er hat so eine hohe, großartige Stimme, ich liebe das. Und ich versuchte es jede Nacht zu singen. Ich habe es nie geschafft. Ich kann es immer noch nicht. Aber bei dem Versuch lernte ich zu singen. Der Job war Scheiße, Mann. Ich fuhr die Straße runter. Ich war so müde, ich schlief immer ein bis zur nächsten Ampel. Ich wachte zehn Sekunden später bei der nächsten Ampel auf. Das war beschissen. So gefährlich. Und dann wurde ich wirklich wütend und gab den Job auf. Aber es half mir, singen zu lernen.“

Sein letzter Job war im Hardrock-Café in Los Angeles.
„Das war Scheiße. Fick diese Leute. Gottverdammt.“

Nach einer Pause fragt er: „Weißt du, warum ich gekündigt habe?“
Natürlich weiß ich das nicht…

„Stimmt, du weißt das nicht. Ich wischte den Boden. Und die Frau dort sagte: Hey, sie müssen lächeln, wenn sie aufwischen. Warum lächeln sie nicht? Fuck that bitch. Sie wollten mich zwingen zu lächeln, während ich den verdammten Boden wischte. Das war Scheiße. Ich hasse diese Leute.“

Und nach einer weiteren Pause:
„Ich habe von dem Essen dort immer Durchfall gekriegt. Das war mein letzter Job. Und ich schwor mir, nie wieder einen Job anzunehmen.“

Also mußte er versuchen, von der Musik zu leben. Ganz dünn ist Troy jetzt, weil es nicht so viele Brötchen wie bei Tocotronic gibt. Aber besser als Pizza fahren und den Boden vom Hardrock-Café aufzuwischen ist das allemal.

THE REST OF THE EVENING
„Ein paar Bier trinken, mit einem Mädchen reden, das einen Freund hat, aber keinen haben sollte, und dann gehe ich wahrscheinlich ins Hotel und schlafe.“

Vielleicht ist es Simone, die keinen festen Freund haben sollte. Aber das interessiert mich nicht. Ich gehe hinaus, um ein bißchen in der lauen Sommernacht herumzuhängen. Die Misfits haben heute im SO36 gespielt, und auf der Oranienstraße trifft sich alles, was in Kreuzberg Rang und Namen hat.
Und auch fast alle anderen.Ich treffe zufällig eine Bekannte, die mir erzählt, sie wohne jetzt auch in Berlin. Ich bin nur mäßig überrascht. Das passiert mir ungefähr jedesmal in dieser Stadt. Eines Tages werde ich mir selbst in irgendeinem Club begegnen, überrascht, weil ich vergessen habe, mir mitzuteilen, daß ich neuerdings in Berlin wohne.

„Hi Stone“, wird er dann zu mir sagen, der
STONE

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