Juni 12th, 2015

TOXIC REASONS (#55, 12-1995)

Posted in interview by Jan

Ja ja, mal wieder eine meiner Lieblingsbands zu Gast in Frankfurt. Und das Konzert findet auch noch in der Au statt. Das heißt: korrekte Preise und nette Menschen, sowohl vor, wie auch auf der Bühne. Die Toxic Reasons schaffen es auch, mit jedem Song die gut 250 Besucher mitzureißen.

Vorher hatte ich noch genug Zeit, ein kleines Interview zu führen. Ein rundherum gelungener Abend. Was ich erst nach dem Konzert erfahre und zuerst als Witz abtue, ist die Story des Schlagzeugers J.J.: Er hatte 9 Tage vor diesem Konzert, mitten in der Tour, einen Herzinfarkt und lag 5 Tage im Krankenhaus. ???? Hatte ich diesen Menschen nicht gerade interviewt, hatte er nicht gerade knapp 90 Minuten Schlagzeug gespielt wie ein Verrückter?

Ich kann diese Coolness kaum begreifen. Er meint noch am Schluß, er dürfe noch nicht so viel Bier trinken, deswegen würde er jetzt von Bier auf Wasser umsteigen. Da hatte er aber schon ein paar intus. Fatalismus hin oder her, gut waren sie live auf jeden Fall! Daß eine Band, in der die ersten körperlichen Ausfallerscheinungen auftreten, so frisch klingen kann, hätte ich nicht gedacht. Hoffentlich bleibt es dabei.

***

Wie kommt es eigentlich, daß von eueren 8 Alben vier auf deutschen Labels herausgekommen sind?

J.J.: Wir haben unsere Aufmerksamkeit von Amerika nach Europa verlegt, nachdem wir das erste Mal hier getourt hatten. Es gab einfach unheimlich viele Orte, an denen wir spielen konnten. In Amerika ist das viel schwieriger, du machst ein Konzert und fährst anschließend 12 Stunden im Van zum nächsten Gig. Es ist, war einfach zuviel Arbeit in den USA konstant zu touren. In Europa ist es möglich, in ein paar Monaten, vier oder fünf Länder abzufahren. Es ist hier einfach leichter, als Band am Leben zu bleiben. Du kannst uns jetzt faul nennen, aber wir hätten in den Staaten nicht überleben können, in Europa schon.

Bruce: Wir hatten dadurch auch niemanden, der unsere Platten veröffentlichen wollte.

Was war mit Alternative Tentacles, Biafra….

J.J. : Er machte eine Platte, das wars!

Tufty: Und die kam auf A.T. England raus, nicht in den USA.

J.J.: Es wurde auch nie diskutiert, ob er uns jetzt richtig auf dem Label haben will…

Bruce: Es ist auch von uns nie viel geplant worden.

J.J.: Unser Problem ist, daß wir nie gute Arschkriecher gewesen sind, sonst hätten wir uns bei Labelleuten besser eingeschleimt. Wir hoffen immer, daß die Musik für sich spricht und Leute wegen ihr mit uns arbeiten wollen. Wenn die Musik nicht reicht, werden wir auch keine Ärsche küssen, um irgendeinen Vertrag zu bekommen. Und realistisch gesprochen, es hat uns bis jetzt kein US-Label gefragt.

Sind die Bitzcore-CDs denn in den Staaten zu bekommen? Im MRR sind ja Anzeigen, daß sie über Rotz-Rec. vertrieben werden?

J.J.: Sie sind teuer und schwierig zu bekommen. Ich würde sagen, daß fast alle, die in den Staaten Bitzcore CDs kaufen, auch Jürgen Goldschmitt persönlich kennen. Es ist meistens so, daß mir Leute sagen: „Oh ja, Jürgen hat jetzt auch die neue Toxic Reasons!“ und nicht „da ist eine neue Toxic Reasons CD.“ Das sind meistens reine Insider.

Tufty: Unsere neue CD wird in den Staaten von Century Media rausgebracht.

Von dem Metallabel….

J.J.: Die haben früher mal Metal gemacht, machen jetzt aber auch so Sachen wie die English Dogs.

Tufty: The Business, Peter & The Test Tube Babies …. Die CD ist seit ca. 6 Wochen draußen und wir haben schon ein paar tausend verkauft, was für uns sehr gut ist, da wir schon lange nicht mehr in den Staaten getourt haben.

Weiß das Publikum in Amerika denn überhaupt, daß es euch die ganze Zeit noch gab oder denken die, daß ihr euch reformiert habt.

Tufty: Oh ja, in Interviews fragt man uns oft, ob wir wieder zusammengekommen sind wegen des neuen Punkrevivals.

J.J.: Oft kommen Typen nach der Show zu uns und fragen, ob wir wirklich dieselben Musiker sind wie damals, denn die denken, daß wir schon seit Jahren in Rente sind.

Tufty: Das Publikum für Punkrock in den Staaten ist im Moment auch viel jünger als hier.

J.J.: Aber da wir nur in Bars spielen, können die uns garnicht sehen wegen des Alkoholverbots. Die wissen garnicht, daß es uns gibt. Wir haben meist ältere Zuschauer, die sich nicht mehr die neuen Bands anschauen, sondern uns schon vor Jahren gemocht haben.

Also seid ihr in gewisser Weise eine Oldie-Band mit einem Oldie- Publikum?

Bruce: Ja, aber so sehen wir das nicht. Für uns ist die Band die Möglichkeit, als Freunde zusammen etwas zu machen. Wir wollen garnicht so viel touren und damit reich und berühmt werden. Wir haben zuhause auch alle normale Jobs.

Tufty: Für uns ist das eine Art gemeinsamer Urlaub. Alles, was ich machen muß, ist, 6 Wochen lang Bier zu trinken und mit meinen Kumpels abends auf der Bühne unseren Spaß zu haben.

J.J. : 6 Wochen nicht arbeiten, ist doch toll!

Gab es eine Zeit, wo ihr von der Band leben konntet?

J.J.: Wir haben Jahre von der Band gelebt, aber frag‘ nicht wie…

Bruce: Wir haben überlebt, mehr auch nicht, wir haben im Van geschlafen, hatten keine richtigen Wohnungen.

Tufty: Du machst das 5 Jahre und die Leute kommen auf dich zu und sagen dir wieviel Glück du hast, daß du die Welt siehst, all diese Länder bereist, vergessen aber, daß sie im Gegensatz zu uns nach Hause gehen und in einem Bett schlafen, fernsehen und richtige Lebensmittel essen.

Bruce: Die Medaille hat immer zwei Seiten.

J.J.: Jetzt haben wir Wohnungen, fahren eigene Autos und müssen nicht mehr auf irgendwelchen Betonböden schlafen.

Tufty: So war Punkrock früher! Jetzt touren Rancid im großen Nightliner mit Videogames. Die sind wahrscheinlich total in Ordnung, aber gehen von falschen Voraussetzungen aus.

Seit ihr mal an einen Punkt gekommen, wo der ausbleibende Erfolg trotz euerer guten Platten bzw. Songs euch die Motivation geraubt hat, alles nur noch frustrierend erschien?

J.J.: Zwischen 85 und 87, finde ich, waren wir so gut, wir hätten richtigen Erfolg haben können, er kam aber nie. Ich habe daraufhin von 88 bis 92 nicht mehr mitgespielt.

Auf der neuen CD „No Peace In Our Time“ gibt es den Song „Kristallnacht“, der in deutsch gesungen ist. Habt ihr über die Jahre die Sprache gelernt oder ist der Text übersetzt worden?

Bruce: Nein, den hat eine alte deutsche Frau, ca. 65 Jahre alt, übersetzt.

J.J.: Wir sprechen nur ein wenig deutsch, genug, um nach dem Weg zu fragen. Da wir meistens zusammen mit deutschen Bands touren, haben wir ein Gefühl für die Sprache entwickelt ohne wirklich zu verstehen, was gesagt wird.

Wie seid ihr und Bitzcore/Jürgen zusammengekommen?

J.J.: Oh, ganz einfach. Er hat unser erstes Album gebootlegt. Er schickte uns dann ein paar und wir dachten uns cool! Und er preßt „Independence“ seitdem. Uns war es egal und er hat uns auch einen Haufen davon geschickt. Er fragte uns danach, ob er ein richtiges neues Album mit uns machen könnte und nun sind es schon zwei.

Tufty : Das Lustige ist, daß er den Boot von einer Vinylplatte runtergezogen hat, er hatte ja die Originalbänder nicht. Die CD-Version kommt also eigentlich vom Vinyl.

Bruce: Aber das merkt man nur, wenn man es weiß. Der Sound ist sehr gut.

Wird irgendjemand die „War Hero“-Single wiederveröffentlichen?

J.J.: Ich glaube nicht, wir haben die Bänder nicht mehr. Ein anderer Boot von uns ist die CD-Version von „Dedication“, die Funhouse immer noch verkauft. Die CD ist auch völlig ohne unser Wissen gemacht worden.

Bruce: Mein kleiner Bruder war hier in der Armee und hat sie mir mitgebracht, sonst wüßten wir garnichts davon.

J.J.: Es ist egal, ob Funhouse, Jürgen, oder all die anderen Labels, wir haben von niemanden jemals Geld bekommen….

Tufty: Sie geben uns immer ein paar Platten und die verkaufen wir dann auf Konzerten.

J.J.: Oder verschenken sie an Freunde, da wir nie Geld damit verdient haben, ist es uns auch egal.

Ihr wart 81 mit den Necros, Fix und Negative Approach auf dem Touch & Go Sampler „Process Of Elimination“. All diese Bands gibt es nicht mehr und viele der Musiker machen jetzt Noise-Rock, wie die Laughing Hyenas oder Blues-Rock wie Big Chief. In einem Interview sagte der Sänger von den Laughing Hyenas/N.A., daß Hardcore einfach zu simpel ist, Punkrock an sich kindisch und dumm sei.

Bruce: Recht hat er! Es ist immer dasselbe! Hör doch mal im Radio den Scheiß. Da hast du immer 1. Strophe, Refrain, 2. Strophe, Gitarren-solo, Refrain, 1. Strophe, fertig! 3 Minuten und es ist vorbei. Jeder Rolling Stones-Song, jeder Van Halen-Song, jeder Green Day-Song funktioniert so. Auch unsere Songs sind so aufgebaut, so ist das eben. Alle Platten sind so, auch Nine Inch Nail, die angeblich soooo Industrial sind, alles dieselbe Scheiße!

Tufty: Darum geht es doch nicht. Egal ob du nun Punkrock machst oder was auch immer, für mich geht es darum, daß eine Band so etwas ist wie eine Familie. Und anstatt uns auf Reisen den blöden Louvre gemeinsam anzuschauen, spielen wir zusammen. Und wichtig ist auch, daß du in deinem Rahmen spielst und als JJ zurückkam war uns klar, daß es Punkrock ist und bleiben wird.

Ihr seid im Moment zu dritt, in der klassischen Schlagzeug, Bass, Gitarre-Besetzung. Sollte Punkrock nur eine Gitarre haben oder Rhythmus und Lead?

J.J. : Kommt darauf an, bei uns ist das nicht aus Überzeugung, sondern aus der Tatsache heraus entstanden, daß wir uns schon so lange kennen.

Bruce: Wir können einander nicht mehr groß überraschen, aber auch nicht enttäuschen. Da jemanden neuen reinzubringen ist schwierig!

Tufty: Wir haben ja alle kleine Projekte neben den Toxic Reasons, aber innerhalb der Band wird das alles so bleiben.

Bruce: Der einzige Unterschied zwischen uns und all den anderen US-Bands, die ihr hier in Europa sehen könnt, ist, daß 90% der Bands zusammen spielen müssen, da sie doch irgendwann auf Erfolg hoffen. Wir sind völlig desillusioniert, wissen, daß wir nie Erfolg haben werden und können deshalb wirklich Spaß haben. Wir werden nicht die neuen Nirvana. Wenn das hier heute Abend die Spitze unseres Erfolges ist, gut, damit sind wir zufrieden.

J.J.: Genau, das kann noch Jahre so weitergehen, ich möchte die dienstälteste Punkband werden, die Grateful Dead des Punkrocks.

Tufty: Wir sind schon die älteste noch existie-rende Punkband…

J.J.: Wir werden nicht so oft wie jetzt spielen, aber dann kommen alte Omas mit Stock und erzählen: „Ich habe euch damals 1981 …..“

Bruce: Für mich wird es immer schwieriger werden, weil ich immer, wenn wir auf Tour gehen, meinen Job kündigen muß, weil ich nie so lange Urlaub bekommen würde. Nach der Tour fange ich dann immer wieder ganz unten an und muß mich erst wieder hocharbeiten.

Tufty: Wenn es aber nicht wir drei sind, wird es auch nicht Toxic Reasons sein.

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Text & Interview : Al Schulha

Links:
Toxic Reasons Wikipedia
Toxic Reasons Discogs
TOXIC REASONS (#193, 2018)

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