Juli 1st, 2020

TLR (#192, 2018)

Posted in interview by Thorsten

Bei manchen Bands oder Musikern lohnt es sich durchaus, die Öffentlichkeit am Laufen zu halten, ganz egal ob sie nun einen Plattenvertrag bei Sony, Epitaph, einen unbekannten Kleinstlabel oder wie bei TLR bisher nur ein Demo herausbrachten. Dabei dürfte Carlo Kallen für die TRUST-Leserschaft kein unbekannter sein, war er doch in Bands wie BRUTAL VERSCHIMMELT, The EWINGS, CHILLI CONFETTI und zuletzt bei BLANC tätig (um nur ein paar wenige zu nennen). Im TRUST # 158, hatte ich Carlo bereits ausgiebig über seine bisheriges musikalisches Schaffenswerk befragt. In der Zwischenzeit gründete Carlo mit seinem ehemaligen Kollegen von BLANC – Lars Hansen, das Powerduo TLR, die einen frickeligen und rhythmusfrisierten Hardcoresound spielen, der zu weilen an diverse SST oder Mordam Records-Bands erinnert, aber die stilistische Brücke auch bis in den Crossover der 90er Jahre ausbreitet. Und zudem konnte ich es natürlich auch nicht lassen, Carlo nach den aktuellen Umtrieben von Brutal Verschimmelt zu fragen, die gerade dabei sind, eine neue Platte aufzunehmen.

Klärt uns doch mal auf, für was der Bandname TLR steht?

Carlo: Wir leiden nicht extrem an Bedeutungsschwangerschaft, aber TLR hört sich schon ganz schön wichtig an. Vom Teller wird gegessen und auf´n Teller gibt ´s manchmal Nachschlag – das Essen ist doch ein alle bewegendes und existenzielles Thema, auch wenn wir jetzt nicht hardcore vegan sind. Und für alle soll es einen vollen Teller geben – aber nicht voll Junkfood. Aber nicht alle Songs drehen sich um gute Ernährung, denn wir müssen immer über den Tellerrand hinaussehen. Und das Schöne ist, TLR geht auch auf Englisch: da ist es der Story-Teller oder ein Fortune-Teller blickt für dich in die Zukunft.
Lars: Und wer es nerdig haben will: nach Life Science klingt´s auch noch. TLR bezeichnet ein recht neu entdecktes Gen, den Toll Like Rezeptor. Das kann schlechte Gene erkennen. Vielleicht sind wir ja in der Lage, Arschlöcher gleich an der Nasenspitze zu erkennen? Auf jeden Fall können alle ihren eigenen Reim auf uns machen. Aber Schluss jetzt mit dem vielen Quatsch: TLR klingt einfach, prägnant und gut.

Das Powerduo TLR begrenzt sich nur auf Schlagzeug, Bass und Gesang. Ging diese minimalistische Besetzung aus der Not hervor, weil ihr keine weiteren Musiker gefunden habt oder wollt ihr euren Sound ganz bewusst auf das wesentliche reduzieren?

Carlo: Letzteres. Als Bass-Drum-Duo haben wir konzentriert und bewusst was Besonderes im Sinn gehabt – nur 2 Leute, die aber mindestens wie 4 klingen. Und wir sind eins von den weltweit wenigen Bass-Drum-Duos überhaupt: sehr speziell – und dann noch mit Sänger und Drummer in einer Person. Nachdem Blanc 2016 plötzlich ohne Gitarrist waren, hingen wir erst Mal durch. Es wurde mit einem neuen Gitarristen zwar rumprobiert, aber stilistisch ergab sich nicht die erleuchtende Stoßrichtung und es dauerte uns zu lange – wir wollten wieder raus in die Clubs. Mitte 2017 haben wir uns nach einigen, von assoziativen Stimm-Lautmalereien begleiteten Bass-Drum-Sessions überlegt, es einfach zu zweit als „richtige“ Band anzugehen.
Lars: Das Klangspektrum haben wir durch Aufspaltung des Basssignals auf drei Amps und mit ein paar Effektgeräten erweitert. Aber alles passiert bei uns analog und in Echtzeit – da ist nichts geloopt oder zugespielt. Da wir als Rhythmus-Fraktion seit 2007 gut und druckvoll eingespielt waren, hörten sich die ersten Songideen vielversprechend an. Bei Chilli Confetti (1989 – 1998 in Berlin) war Carlo auch Leadsänger am Drum. So fiel nach ein paar Versuchen die Entscheidung: TLR sind 2 und ich lernte ab jetzt das Singen am Bass, um mit zwei Stimmen die Songs besser gestalten zu können. Damit war für uns klar: Wer braucht schon Gitarren? In nur wenigen Monaten hatten wir das Bühnenprogramm komplett.

Mich erinnert euer frickeliger und rhythmischer Crossover/Hardcoresound an eine moderne Version von Rhythm Pigs oder Victims Family. Gibt es diverse Bands, die einen starken Einfluss auf euch ausübten? Und wie würdet ihr eure Musik selbst definieren?

Carlo: Klar, aber auch unsere Einflüsse sind eher eigenständige Spezialitäten: die absolute Nr.1 sind Minutemen, gefolgt von NoMeansNo, Rhythm Pigs, Victims Family…. Das alles und viele andere Bands prägten uns von Beginn an, das haben wir sprichwörtlich mit der Muttermilch aufgesogen. Diese Musik haben wir – die wir kaum Noten lesen können – nicht erlernt, sondern seit jungen Jahren gelebt und entlang unserer Bands weiterentwickelt. Dieser musikalische Hintergrund klingt natürlich durch und stellt auch eine wichtige Basis dar.
Lars: Lass es uns so sagen: TLR machen hemmungslos befreienden Krach…. einfach laut, tanzbar, ungebremst, schweißtreibend, legendär. Eben TLR: 2 Menschen, 2 Stimmen, 4 Saiten und zerschlagene Sticks – Carlo ist und bleibt da einfach Grobmotoriker. Und das ist ohnehin das Wichtigste: wir machen alles analog und mit 100 % Wumms. Unsere Band- und Musikgeschichten bündeln wir so in einer eigenartigen Wand aus Post-Punk-Core-Something – da wissen und brauchen wir keinen Begriff. Denn wen interessiert die Schublade, wenn es bei TLR die Schrankwand zerreißt. Auf jeden Fall sind wir keine „Klingt wie…“-Band. Ganz oben steht bei uns, dass wir Spaß dabei haben, und damit stecken wir an.

Bei BLANC habt ihr noch auf englisch gesungen, was hat euch nun dazu bewegt, deutsche Texte zu schreiben? Wie wichtig ist euch die Message und welche Themen greift ihr in euren Songlyrics auf?

Carlo: In früheren Bands haben wir viel Englisch gesungen, was zwangsläufig inhaltlich etwas oberflächlich bleiben musste. Mit deutschen Texten können wir uns besser und präziser ausdrücken. Es wurde bereits geistreich genannt. Das ehrt uns. Wir essen eben nur aus tiefen Tellern. In den Texte behandeln wir Themen und Dinge, die uns um uns herum und in der Welt auffallen: neben persönlichen Themen passend zum Namen Alltagsthemen wie das Essen, aber auch die schnöde Gier, das Sinnieren über Langeweile oder die unschöne Kommunikation in den asozialen Medien. Damit wollen wir nicht die Wahrheit pachten, aber vielleicht regt es ja den einen oder anderen Menschen an, darüber nachzudenken.

Zwischen den kritischen Textzeilen befindet sich auch manch eine humorvolle Anspielung und ihr scheint auch auf den Bühnen keine bitterernste Stimmung zu verbreiten. Wie wichtig ist euch der Spaß an der ganzen Sache?

Lars: Der steht ganz oben und das treibt uns an – Spaß für uns und dass der Funke auf´s Publikum überspringt. Die Musik, die wir machen und bisher machten, war schon immer sehr energetisch – immer auf die Zwölf. Klar, als Duo ist es nicht einfacher, derart Druck zu machen, aber wir wissen inzwischen, da haben wir eine Wellenlänge und durch deren Überlagerung verstärken wir das bis zum Bersten. Außerdem reizt es uns, an die Grenzen zu gehen und uns ganz deutlich vom Mainstream abzusetzen.
Carlo: Und da wir aufgrund meines grobmotorischen Autodidakten-Gedresches nicht gut leise spielen können, machen wir es unserem Publikum auch etwas schwer. Das ist kein easy listening-Plastikpop zum nebenher hören. Entweder das Publikum dreht mit uns durch oder geht lieber heim auf´s Sofa. Trotz all dem Lärm sind wir absolut tanzbar – TLR lädt schon zum Mitgehen ein. So laut und aggressiv unser Gebelle auch wirkt, sind wir sonst eigentlich ganz nett. Die einen Meditieren, wir machen unsere Schrei-Therapie.

Eure Songs sind viel zu gut, als das sie als bloße Demo-Recordings im Netz untergehen. Steht die Überlegung an, in Zukunft einen physischen Tonträger zu veröffentlichen?

Carlo: Grundsätzlich ja und im Studio arbeiten wir auch, aber primär, um die Songs und insbesondere die Stimmarbeit auf den Punkt zu bringen. Richtige Veröffentlichungen müssen erst Mal warten bis die Feuertaufe mit einer Reihe Live-Gigs bestanden ist und wir wissen, dass wir damit richtig liegen. Durch diese unmittelbare Tuchfühlung mit dem lebendigen Konzertpublikum wollen wir herausfinden, ob die Welt das braucht. Aktuell veröffentlichen wir nur online, später kommt dann Vinyl hinzu.
Lars: Parallel zu den Gigs wollen wir im Studio nun an Aufnahmen für ein erstes Vinyl arbeiten. Das ist aber eine kleine Herausforderung, da das Rohe und Brachiale der Live-Performance in den ersten veröffentlichten Demo-Aufnahmen noch nicht so rüberkommt wie wir das haben möchten. Wir sind selbst überrascht, wie gut wir das live in Echtzeit und ohne Tricks hinbekommen. Die nächsten Aufnahmen werden davon sicher profitieren. Wir haben das einfach als Experiment gestartet und die Reaktion brodelt. Bis dahin müssen die ersten selbstproduzierten Demo-Songs reichen – die gibt es über unsere Website oder Facebookseite zurzeit auf Bandcamp oder Soundcloud.

Ihr seid auch sehr motiviert was Konzerte angeht. An wen muss man sich wenden, um ein Konzert mit euch zu organisieren?

Lars: Wir wollen spielen, spielen, spielen. Dabei können wir unser Duo-Konzept am besten weiterentwickeln und ausreifen. Wir machen einfach und alles DIY. Booking läuft so auch über uns – über unsere Website www.2-tlr.de oder die facebook-Seite lässt sich am besten Kontakt zu uns aufnehmen.

Carlo, lass uns noch auf deine älteren Bands eingehen, du hattest letztens erwähnt, das ihr mit BRUTAL VERSCHIMMELT gerade dabei wärt, neue Songs aufzunehmen. Was hat euch zu dieser Reunion bewegt? Wie weit seid ihr in dem Entstehungsprozess der Platte und was können wir von BRUTAL VERSCHIMMELT anno 2018 erwarten? Gibt es klassischen 80er Deutschpunk zu hören, oder fließen auch modernere, musikalische Elemente ein?

Carlo: BV hat 2013 und 2014 zwei Deutschland-Touren gemacht vor dem Hintergrund des Reissues der LP von 1983 durch Hoehnie-Records. Davon wurden 500 Stück mit frühen Demo-/Liveaufnahmen auch als limitierte Doppel-LP rausgebracht. Ein Release-Party-Konzert allein hätte den Aufwand nicht gerechtfertigt, alle wieder zusammenzubringen und das Material einzuproben, zumal der Sänger in Kalifornien lebt. An der Gitarre ist unser Ur-Allgäuer Roadie Klaus, der in Berlin lebt und dort musikalisch aktiv ist. Der eigentliche Gitarrist konnte nicht die Zeit dafür frei machen. Und da auch der Ur-Drummer nicht mitmachen wollte, habe ich hier in Hannover mit Norm von Systemfehla als Drummer das Projekt damals in Angriff genommen (er trommelt jetzt übrigens auch bei den Abstürzenden Brieftauben). Wegen des bescheurten Namens oder was auch immer, entwickelte sich BV über die Jahre heimlich zur Kultband. So lief das Booking für Touren auch sehr geht gut in Eigenarbeit. Aktuell nehmen wir Songs für ein neues Album auf, das 2019 zu einer weiteren Tour erscheinen soll. Das wird schon purer, aber kein stumpfer Deutschpunk sein und wir haben bei den Touren gemerkt, dass wir mit unserer Erfahrung im Rucksack deutlich druckvoller als früher spielen.

Anlässlich des 50. Geburtstages von Walter Molt, gab es ein Konzert deiner alten Hardcoreband The EWINGS. Können wir noch mit weiteren Gigs rechnen?

Carlo: Nein, das glaub´ich nicht. Das war eine Einzelaktion mit nur 3 Songs und einfach für das Runden von Walt und Ant (Bass) gedacht. Da hat auch der erste Gitarrist aus Kempten, der seit 1987 in Barcelona lebt, mitgespielt.

Haben sich in den letzten Jahren aus dem BV oder The EWINGS-Umfeld, noch weitere neue Bands ergeben?

Carlo: Ich hatte nach den Ewings in Berlin ab 1989 die Band Chilli Confetti – die Erstbesetzung mit Gitarrist Mutti (jetzt el Chefe von Muttis Booking) und Olf (von den Untermietern) am Bass. Da wurde ich Sänger am Drum, weil ich das Singen zum Instrument als erster hinbekommen hatte. Parallel gab es noch das Noise-Core-Trio Paranoise, das u.a. mit den Assassins of God aus San Francisco wochenlang auf Europatour war, aber nur ein Jahr bestand. Nach meinem Umzug nach Hannover 1998 habe ich mit den Resten der Boskops rumprobiert, das wurde aber nie live-tauglich. Mit deren Gitarrist Ralle gab es bis 2006 etwa Die Ueblichen, wo Norm der Sänger war, mit einigen Konzerten, aber keiner Veröffentlichung außer einer selbst gebrannten CD.
Lars: Ich habe immer nur den Bass bedient und spielte in meiner Heimatstadt Peine Ende der 90er Jahre in mehreren Projekten, aus denen dann Hannovers Blank in wechselnder(?) 5er-Besetzung hervorging. Auch hier gab es Gitarristenschwund und der Sänger ging schließlich weg. 2007 machte Carlo mit seiner Kontaktanzeige „Drei reichen. Drummer sucht Leute für Trio. Lieblingsmusik: Minutemen, NoMeansNo, Victims Family“. So kamen wir zusammen und wurden das Trio Blanc. Mit TLR haben wir jetzt das vollends ausgekochte Konzentrat.

www.2-tlr.de
https://www.facebook.com/tlrkrach/
https://tlrkrach.bandcamp.com/

(bela)

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