Februar 5th, 2020

THE FREEZE (#143, 2010)

Posted in interview by Thorsten

“The band’s that lasted the longest, were us and Gang Green, the two „party“ bands. So much for the „we’re in this for life“ spew spouted by many from the other side of the divide…”

Interview mit Cliff Hanger von THE FREEZE

Man sagt ja oft, dass die frühen Veröffentlichungen einer Band am besten sind. Das stimmt in Hinsicht auf die legendären THE FREEZE aus Cape Cod, gegründet 1978, auch irgendwie. Klar, „I hate tourists“, die frühen Platten und EPs, die Alleinstellung der Band mit ihrem fast schon britischen HC-Punk, textlich engagiert gegen z.B. Violent Dancing („Nazi Fun“ von 1982), und das zu einer Zeit in Boston, in der die tumben Deppen des DYS-Wolfpacks regierten. Diesbezüglich unbedingt sich die gesammelten drei Ausgaben des Schism Fanzines besorgen, gibt’s seit einigen Jahren als Buch, ein New Yorker Fanzine von Mitte 80er, von Youth of Today Porcell, in dem auch die ganzen Deppen Boston Bands ihren Senf erzählen, Slapshot, DYS, SSD, Hilfe! Musikalisch ja alles durch die Bank weg geil, aber ansonsten…?

Zurück zu The Freeze um Sänger Cliff Hanger, deren bekanntester Song (und Titelgeber für “den” legendären Sampler) wohl „This is Boston not L.A.“ ist – (aus der Erinnnerung zitiert) „You dance the same and dress the same it won´t be long till you are the same, you look the same and act the same there is nothing new and you are to blame“ – ein Aufruf zum „be yourself“, zur eigenen Kreativität.

Durch die nicht immer stabile Persönlichkeit von Cliff – Drogenabhängigkeit, Kleptomanie – war die Band bestimmt für alle damals Beteiligten – auch die Labels wie Taang Records in den USA in den 80er und Lost and Found in Deutschland in den 90er – nicht immer einfach zu handhaben, denke ich. Nichtsdestotrotz sind auch die späteren Freeze-Platten – gerade die auf Lost and Found – wichtig und extrem gut. Klar, das Gaspedal wird nicht mehr zum Anschlag runtergedrückt, aber es wird wunderschön ein rockiges DC-Riff mit der melancholischen Stimme von Cliff verbunden und nach vorne gepusht. Mein absoluter Freeze-Lieblingssong ist deshalb neben, wer mag ihn nicht, „No one is ever coming home“ von dem 80er Flipside Sampler, und „Refrigator heaven“ und „Violent arrest“ und „Trouble if you hide“ auch „The criminal inside“ auf einer der späteren 80er Jahre Platten.

Insgesamt (nur angesichts des Outputs von 17 LPs) drei Platten von The Freeze stehen hier rum, alles alt… und plötzlich kommen die zu ihrem 30igsten Bandjubiläum wieder auf Europa-Tour über Klownhouse Booking (bei Benny möchte ich mich für die zusätzliche Anschubhilfe zum Interview noch mal sehr bedanken). Bevor The Freeze dann an einem wahnsinnigen heißen Sommertag im Juli den Auftakt zum old school-Wochenende in der Frankfurter Au machten (Freitag The Freeze, Sonntag DOA, the Freeze spielen am Samstag in Köln und kamen extra am Sonntag noch mal zurück, um DOA zu sehen), spielten sie in Luzern in der Schweiz. Von dort las ich einen Konzertbericht auf goodbadmusic.com, in dem Cliff Hanger mit Columbo verglichen wurde, völlig zu Recht. Denn als ich Cliff dann live kennenlernte (ok ok ok, anlaberte), dachte ich wirklich, ich rede hier mit dem genial-verschrobenen Chief-Inspektor der Los Angeles Polizei…

Der Auftritt in Frankfurt war absolut großartig, ein super Querschnitt durch die alten Klassiker und das spätere Material, hier war eine fitte Band um einen genialen Frontmann, der seine alten Dämonen offensichtlich gut auf Distanz gehalten hat und total fit war.

Für den einen ist das hier das x-te Freeze-Interview, hey, für mich auch, lieber Florian (ha! Hallo!), aber trotzdem ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass offensichtlich nur die Bands überleben, die wirklich dem ganzen Punk-HC was Eigenes dazu geben und nicht einfach populären Trends nacheifern…oder?

Jan: Hi Cliff, die Europa-Tour 2009 muss ein großer Erfolg gewesen sein, denke ich. Ich sah euch in Frankfurt, es war großartig! Was war dein Eindruck der Tour?

Cliff Hanger: Es ist einfach klasse, so lange existieren zu können, so dass wir nach 25 Jahren noch mal in Europa touren können, mit Hauptgitarrist Bill Close und dass es immer noch die gleiche Energie von der Band und von Seiten des Publikums gab… All das zusammen machte die Tour sehr wertvoll für mich. Hinzu kamen noch die Abschnitte, in denen wir so viele alte Freunde wiedersehen, so viele neue Freunde trafen und das wir die Möglichkeit hatten, uns wieder mit Joey Shithead (DOA), SNFU und den UK SUBS, mit den wir vor Jahren gespielt haben, anzufreunden… das waren großartige Momente einer großartigen Tour!

Lang´ ist’s her, dass The Freeze in Europa waren. Seid ihr in den USA, eventuell an der Ostküste, in den 90er / 2000er überhaupt regelmäßig aufgetreten?

Nachdem Bill uns 1999 verlassen hatte, irrten wir wieder ziemlich ziellos durch die Gegend. Es gab über ein Dutzend Besetzungswechsel. Hätte sich Dr. Strange Records und Schizophrenic Reocrds nicht so rein gehangen mit den Wiederveröffentlichungen von fast all unserem alten Material, ich weiß nicht, ob das nicht unser Ende gewesen wäre. Vor drei Jahren dann erhielten wir einen Anruf von einem Gitarristen in Phoenix / Arizona, also an der Westküste, der uns anbot, nach Osten zu kommen, um für uns zu spielen. Seine Attitüde, Können und Organisationsgeschick haben sicherlich die Band gerettet. Nebenbei gesagt, er ist die einzige Person, die mich je dazu überzeugen konnte, von Cape Cod wegzuziehen. Seit kurzer Zeit sind meine Frau und ich in Phoenix und suchen nach einer Wohnung. The Freeze waren nie eine „Boston Band“, wir lebten im fast zwei Stunden entfernten Cape Cod. Und jetzt sind wir so weit weg wie es nur möglich ist, als „Boston Band“ bezeichnet zu werden. Ich mochte es nie, dass viele Leute die geografische Herkunft einer Band als Garant dafür nahmen, ob ihre Songs gut sind. Ich meine, was zählt ist, was jemand zu sagen hat, nicht von wo aus er es sagt.

Das war so toll, “The Criminal inside” live zu hören, ein Spitzenlied! Bist du manchmal etwas angenervt, dass die Leute nur den alten Kram hören wollen oder macht dir das weiterhin Spaß?

Ich spiele jeden Song gerne, wenn ich noch eine Beziehung zu diesem habe. Es gibt ein paar wenige Songs, nach denen die Leute rufen, zu denen habe ich keinerlei Bezug mehr, deshalb kann ich sie nicht mehr singen. „Refrigerator Heaven“ und „Before I Hit The Rubber Room“ sind wahrscheinlich die Songs, die von den genannten am meisten gefordert werden. Aber ich kann es einfach nicht mehr singen, „Now Cliffy quit your stalling, you haven’t eaten since last night. In refrigerator heaven you’re going to spoil your appetite“. Vor allem kann ich mich selber nicht mehr in den Charakter hineinversetzen. Und bei „Rubber Room“ mit den Textzeilen „Unlike many other men who would sit home and sulk, I’m going to find. I’m going to bring her back and beat her to a pulp“. Es war für mich ein großer Konflikt, diesen Song auf der “Rabid Reaction” einfließen zu lassen, so dass ich einen Disclaimer hinzufügte: „The Insane cannot be held responsible for their actions“. Um den wirklich besten Auftritt hinzulegen, den ich noch drauf hab, muss ich die Bedeutung des Songs für mich selber nachvollziehen können. Deshalb spielen wir immer noch „Broken Bones“, „Violent Arrest“ etc. Wenn ich diese Songs singe, und das Publikum singt mit, dann kehrt die ursprüngliche Intention wieder, der Ärger damals which made me write the lyrics to begin with, come back in a rush and it’s like the incident’s happened the day before…

Als ich im Internet über euren Song “This is Boston, not L.A.” las, das er eigentlich nicht als Diss gegenüber Los Angeles, sondern als Aufruf zum eigenen Schaffen, zum selber Kreativ werden gemeint war, war ich überrascht. Das war mir gar nicht bewusst, dass solch eine positive Botschaft da drinsteckte. Aber denkst du nicht, dass auch Boston sowohl damals als auch heute mit so Deppenmacho-Bands mit bescheuerter Gang-Mentalität wie Ten Yard Fight ein gutes Ziel abgeben würde für den Songtext, also von wegen „Erschaffe deine eigene Kreativität, höre auf, Sachen zu kopieren“?

Ich bin mir sicher, dass das so ist. Wenn du drüber nachdenkst, existiert diese Mentalität wahrscheinlich in jeder Szene in jeder Kunstform. Das muss nicht immer eine schlechte Sache sein. Manchmal müssen Menschen oder Bands verschiedene „Uniformen“ ausprobieren, bevor sie die passende finden. Und wenn du diese dann mal gefunden hast, also eine Uniform, die für dich passt, kannst du expandieren. Und am Ende werden diese „Uniformen“ Einflüsse, das ist etwas, das jeder hat… traurigerweise machen es manche nie.

Wie sieht ein normaler Tag in deinem Leben aus? Es war wirklich schön, dich in Frankfurt in so guter Form zu sehen, wir haben viele schlimme Sachen über dich gelesen, deine Drogenabhängigkeit, Kleptomanie. Du hattest echt einen sehr positiven Columbo Stil, ha ha.

Ich bin mir nicht sicher, ob es normale Tage in meinem Leben gibt. Ein guter Tag ist, wenn ich meine selbst zerstörerischen Impulse unter Kontrolle habe, ein Tag, wo ich keinen Ladendiebstahl mache. Wobei ich immer nur bei den großen corporate Läden geklaut habe, nie von den unabhängigen, das wäre ja so, als wenn ich aus dem persönlichen Haus einer Person etwas stehlen würde, so etwas verabscheue ich. Und es wäre ein Tag, wo ich nicht nach Drogen suche und oder Geld ausgebe, dass ich nicht habe. Es ist fast ein Jahr her, dass ich irgendwelche illegalen Drogen genommen habe, Shoplifting ist eine andere Geschichte. Als die anderen in der Band zum ersten Mal die „Columbo“ – Referenz hörten, bleib es ein Running-Gag für den Rest der Tour. Fuck, einige von ihnen nennen mich immer noch Columbo, normalerweise sagen die dann (auf eine sehr süße Art und Weise): „Oh, eine Frage habe ich noch…“

In einem alten Interview mit einem deutschen Fanzine hast du über deine Erfahrungen mit Taang Records und Lost and Found Records gesprochen. Bernd von Lost and Foud Records wurde damals auch gebeten, seine Meinung zu sagen. Am Ende ergab das dann eine „Ich sagte das“ und „Er sagte das“- Sicht… Ich meine, klar, wir alle wissen über die falschen Geschäftspraktiken von Lost and Found, aber denkst du nicht, im Allgemeinen, da gibt’s immer zwei Seiten bei jeder Sache, und so auch bei dieser? Vielleicht machten The Freeze auch Fehler und nicht nur Lost and Found?

Wenn mehr als eine Person oder Gruppe involviert sind, dann wird es immer zwei Seiten zu jeder Geschichte geben. Aber das heißt ja nicht, nur weil jemand eine Entschuldigung hat oder sich versucht, zu rechtfertigen, dass dann ihre Geschichte automatisch irgendeine Glaubwürdigkeit erhält. Ich glaube sehr an das Motto „Jeder ist für seine eigenen Handlungen verantwortlich“ und in den letzten Jahren versuche ich, mir immer mehr zu vergegenwärtigen, wie meine Handlungen jemand anderen negativ beeinflussen können. Unser Song „Talking Bombs“ geht genau über dieses Thema. Es war meine erste Erfahrung in Sachen Selbstkritik. Ich werde es nie vergessen, als ich den Text von „Talking Bombs“ Bill Close das erste Mal vorlas. Er pausierte für einen Moment und sah mich stumm aber amüsiert an und sagt „Endlich, Hanger, weißt du, wer du bist!“

Wie ist deine Beziehung zu Taang Records momentan?

Das ist eine einfache Frage. Es gibt keine.

Warum gab es eigentlich kein The Freeze im “American HC”-Film?

Da musstest du den Regisseur Steve Blush fragen. Ich tat das und er sagte mir, dass er keine Möglichkeit fand, mit mir in Kontakt zu kommen… Das kann auch stimmen, weil zu der Zeit, als sie gefilmt haben, ich ein paar Mal umgezogen bin, meine Telefonnummer sich änderte. Aber ein Teil von mir glaubt dennoch, dass es Absicht war. Also, Blush wollte die „Boston Szene“ als eine Bastion von Straight Edge Gewalt portraitieren, was sie auch war. Aber eben nicht nur. Es gab sogar ein Jahr oder so, in dem die Szene sich entwickelte und in dem wir zahlreiche Konzerte mit SSD und DYS etc. spielten. Wir veranstalteten auch ein Konzert in Cape Cod, das war das erste Gang Green – Konzert. Als die Exklusivität anfing, war es mit „der Szene“ eigentlich vorbei. Ich erinnerte mich, dass ich Steve Blush sagte, er solle als Bonusextra auf der DVD eine „Where are they now“-Sektion machen. Die Bands, die am längsten existierten, waren wir und Gang Green, die beiden „Party“ Bands. Das mal zu dem ganzen „We´re in this for life“-Gerede spouted by many from the other side of the divide…

Triffst du den noch Leute „von damals” von Zeit zu Zeit, F.U.´s, Jerry´s Kids, Gang Green, Mighty Mighty Bosstones?

Sicher. Die etwas älteren Leute treffe ich alle paar Monate wieder. Wir spielten auf einer Party in dem Haus von John Sox (Anm. Jan: The F.U.´s) in Boston letztes Jahr und Bob Cenci (Anm Jan: alter Gang Green und Jerry´s Kids Gitarrist) etc, waren da. 90 % der Zeit sind alle gut drauf und lachen zusammen über die alte Zeit. Dann gibt’s noch die anderen 10 %….

Ich hörte, dass ihr 2010 wieder nach Europa kommt, wieder über Klownhouse Booking?

Es sieht so aus, dass schon alles fertig gebucht ist, für Mai / Juni. Bill Close wird wieder bei uns dabei sein. Es wird noch einige Überraschungen geben, aber ich darf noch nichts erzählen.

Als ein „Opa” der ganzen amerikanischen Punkszene hast du diverse Leute kommen und gehen gesehen, du bist selber durch schwierige Zeiten gegangen, aber: hier bist du, immer noch da, immer noch frisch. Was ist dein Standpunkt zu der Aussage, dass Punk in den Augen mancher Leute nihilistisch sein soll, es gehe darum, Sachen kaputtzumachen, anstelle eines positiven Punkverhaltens in Richtung „Don´t destroy, fix the mess they made“? Denkst du, du hast eine Botschaft für all die jungen und alten Leuten und was wäre diese Botschaft? Entschuldige diese pathetische Frage.

Meiner Meinung nach (das ganze Interview ist meine Meinung, natürlich) geht es bei Punk um nichts Spezielles! Es ist eine Gemeinschaft von teilweise gleich denkenden Individuen, die in zahllosen Wegen ihre Beobachtungen, Gefühle, Ideen, was auch immer, über eine Welt teilen, die noch nicht mal ansatzweise perfekt, fair oder tolerant im Hinblick auf andere Überzeugungen und Verhaltensweisen ist. Texte schreiben, live auftreten und ein Teil dieser Punkgemeinschaft zu sein war und ist eine Form der Therapie für mich. Ich sage oft, dass von den 100%, die ich schreibe, zumindest 75% davon wahr ist. Das ist der Grund, warum wir immer noch in der Lage sind, fast jeden Song, den wir geschrieben haben, noch live zu spielen und uns nicht schämen müssen, aufgrund der Gefühle, die in den Songs ausgedrückt werden. Sie wurden aus einem aufrichtigen Standpunkt geschrieben, so aufrichtig wie möglich. Den besten Ratschlag, den ich allen, die eine Band gründen wollen, geben kann, ist einfach: sei so aufrichtig wie möglich in Bezug auf das was du sagst und wie du dich selber präsentierst, du bist nicht besser oder schlechter wie jemand anders. Und am aller wichtigsten, denke ich, ist es, jeden Tag eine bessere Person zu werden und andere so zu behandeln, wie du selber gerne behandelt werden willst. Das ist ein lebenslanger Prozess. Vielleicht liegt darin wirklich sogar der Sinn des Lebens an sich.

Wie sieht es aus mit einer neuen Platte oder Songs?

Meine Frau und ich sind gerade nach Phoenix in Arizona gezogen. Ein Grund dafür war, dass ich meinen Bandleuten näher sein kann, speziell DB (wie ich eben schon sagte). Bill Close lebt nur ein paar Stunden weiter weg in Kalifornien, er hat Lust, mit mir wieder Songs zu schreiben, deshalb wird eine neue Platte später dieses Jahr sehr wahrscheinlich.

Hast du einen Gruß an unsere Leser?

Ich hoffe, wir sehen uns dieses Jahr 2010 wieder. Oh, und haltet Ausschau nach dem Buch, an dem ich gerade arbeite. Der Titel lautet (wahrscheinlich): “Talking Bombs – My 30 (plus!) Years with The Freeze and other random acts of degradation”. Ich verspreche, dass ich in diesem Buch alles erzählen werde!

Interview: Jan Röhlk

http://en.wikipedia.org/wiki/The_Freeze

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