Dezember 6th, 2019

SOME GIRLS (#118, 2006)

Posted in interview by Thorsten

Nein, Some Girls sind mehr als nur eine weitere Krachband. Guckt man sich die Band live an – die Tour zum neuen Album ‚Heaven’s Pregnant Teens‘ fand im April statt -, merkt man schnell, dass sie wesentlich brutaler klingt als andere Kapellen. Da ist natürlich Sänger Wes, der sich ziemlich früh die Nase blutig schlägt, da ist auch die schier endlose Krachorgie am Ende des Sets, die noch heftiger kommt als auf Album. Andererseits sind Some Girls, nun vielleicht nicht eingängig, aber die Lieder haben sehr wohl Wiedererkennungswert. Und das kann man von wenigen Krachbands sagen, bei denen der Lärm zum Selbstzweck wird. Und natürlich sind Some Girls auch so etwas wie eine „Hardcore-Supergroup“. Justin Pearson, mit dem dieses Interview ist, spielt auch bei The Locust, daneben gibt es gemeinsame Mitglieder mit The Plot To Blow Up The Eiffel Tower, Give Up The Ghost und Unbroken. Keine schlechten Referenzen also.

Du kannst ja noch gar nicht so lange von der Locust-Tour zurück sein…

… 48 Stunden ungefähr…

Das muss doch hart sein. Du bist gerade von der Tour mit der einen Band zurück, und nun gibst du schon Interviews wegen Some Girls und anschließend bist du mit der Band auf Tour. Keine Verschnaufpause notwendig?

Als ich nach Hause kam, musste ich mich gleich um mein Label (Three One G Records, Anm. des Verfassers) kümmern, weil im vergangenen Monat so viel liegen geblieben ist. Und morgen fahr ich gleich zu meiner Mutter nach Arizona für die Weihnachtsferien. Deswegen sitze ich hier auch grad im Auto, esse zu Mittag und mache gleichzeitig dieses Interview.

Und du magst das?

Ich würde schon ganz gern ein paar Tage frei haben, aber das geht ganz einfach nicht. Wenn wir nach der Europa-Tour von Some Girls nach Hause kommen, nehmen wir gleich das neue Locust-Album auf.

Siehst du Some Girls als Seitenprojekt an oder als richtige Band?

Das ist für mich eine richtige Band. Und von den anderen hat nur noch unser Gitarrist Chuck eine andere Band, er spielt ansonsten bei Plot To Blow Up The Eiffel Tower.

Andere Mitglieder hatten aber mal bekannte Bands – euer Sänger Wes spielte bei American Nightmare / Give Up The Ghost, und euer ehemaliger Gitarrist Rob Moran war bei Unbroken. Das wird auf der CD auch mit einem großen Aufkleber beworben. Klingt ein bisschen nach einer „Hardcore-Supergroup“. Was hältst du davon?

Der Aufkleber ist total cheesy und billig. Aber Epitaph haben einen Grund für diesen Sticker, also fragten sie uns, ob das okay ginge. So lassen sich natürlich mehr Platten verkaufen, das ist letztlich ein Geschäft. Deshalb haben wir zugestimmt. Es ist zwar billig, aber es gibt schlimmere Dinge im Leben.

Aber ich hätte gerne noch einen Kommentar zum Begriff „Hardcore Supergroup“.

Wir machen Musik, weil wir Freunde sind. Würden wir versuchen, über die Namen bekannter zu werden, wären nicht Sal und Nathan in der Band, die vorher nur bei Secret Fun Club spielten. Die Band kennt ja keiner. Dann hätten wir uns bekanntere Leute gesucht. Das ist letztlich nur ein Begriff, genauso wie Screamo. Es geht nur darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Mich kümmert das einen Dreck.

Darf ich denn sagen, dass ihr aus drei verschiedenen Hardcore-„Generationen“ kommt? Unbroken ist ja nun schon eine ganze Weile her, ich weiß gar nicht mehr, wie viele Leute sich an die Band noch erinnern können. Locust und American Nightmare gibt bzw. gab es seit ein paar Jahren, und The Plot To Blow Up The Eiffel Tower sind relativ neu.

Wir sind gar nicht so weit auseinander. Rob war 32, jetzt bin ich der älteste mit 30. Und Chuck ist Anfang 20. Aber wir sind Freunde, und das zählt ohnehin mehr. Chuck wird zwar Unbroken nicht mehr live gesehen haben, aber die Mitglieder der Band waren danach auch weiterhin in der Szene aktiv. Es ist also nicht so, dass irgendein alter Typ eine Band mit jemandem Junges gründet.

Siehst du denn Some Girls als so etwas wie eine Hommage an ältere Bands wie Unbroken? Ich fühlte mich durchaus an Septic Death erinnert.

Du denkst, wir klingen ein bisschen wie Septic Death? Danke! Das ist eine meiner absoluten Lieblingsbands. Keine Ahnung, ob das so ist. Wir haben einfach Musik gemacht, auf die wir Lust gehabt haben. Es ist nicht relevant, was Leute von ihr halten, weil es letztlich nur sehr schön war, dass wir als Freunde eine Platte aufnehmen und veröffentlichen konnten.

Mich interessierte jetzt eigentlich deine Intention. Was für Musik wolltet ihr spielen? Wolltet ihr meinetwegen die Brutalität hinbekommen, die etwa auch Septic Death hatten?

Das auf jeden Fall. Wir kommen von einem Ort, der sehr düster, aggressiv und brutal ist. Die USA werden langsam zu einem Scheißhaus, wenn man sich den zweiten Irakkrieg oder unsere momentane Regierung anschaut. Zugleich geht es überall nur noch um Highspeed, was total irrational ist. Insofern ist unsere Musik auch die Reaktion auf die Welt, in der wir leben. Sie ist ein großes „Fuck off!“ an die Welt, die Antwort auf den ganzen Scheiß, den wir alltäglich sehen. Septic Death und viele intellektuell stimulierende Bands kamen aus der gleichen Ecke. Man sieht das an Pusheads Artwork und seinen Texten, die wiederum eine Reaktion auf die Reagan-Regierung und die damalige Sozialpolitik waren. Wenn ich jetzt zurückschaue, macht der Vergleich Sinn, ohne dass ich jetzt sagen möchte, wir wären die neuen Septic Death.

Sind euer Cover, das eine schwangere Nonne zeigt, und der Albumtitel „Heaven’s Pregnant Teens“ ein Kommentar in Richtung der religiösen Rechten, die immer stärker werden? Mir fallen das so Sachen wie „Intelligent Design“ oder „War on Christmas“ ein. Es wirkt jedenfalls nicht so, als solltet ihr so bald im Mittleren Westen spielen.

Das Cover ist Kunst und deswegen offen für Interpretationen. Es ist auf jeden Fall eine Reaktion auf die Dinge, die du angesprochen hast. Gleichzeitig ist es sehr „offensive“. Epitaph mussten zu einer anderen Druckerei gehen, weil unser Booklet der ersten Druckerei zu kontrovers war. Das hat mir sehr zu denken gegeben – wir hatten bei The Locust auch schon Penisse und „Arsch-Monster“ auf dem Cover, aber das war nie ein Problem. Wir haben nun eine schwangere Nonne, die eine Zigarette raucht. Warum plötzlich diese Schwierigkeiten? Ist das wirklich schlimmer? Aber offensichtlich haben wir mit diesen religiösen Bezügen ein sensibles Thema berührt, zumindest hier in den USA. Das Cover sollte allerdings zugleich auch eine Referenz an die ganzen Black-Metal-Bands sein, die so möchtegern-hart, aber eigentlich doch ziemlich blöde sind.

Ist das nicht ein bisschen peinlich, was in den USA gerade passiert?

Das ist definitiv peinlich. Wir haben ja selbst in Kalifornien einen Gouverneur wie Schwarzenegger, der kaum reden kann. Und George W. Bush ist noch viel schlimmer. Clowns führen dieses Land. Aber es ist vor allem ekelerregend…

War es für euch wichtig, auf Epitaph zu sein und nicht auf einem kleinem Label wie eben Three One G, wo nur Leute die Platte hören werden, die die Musik ohnehin kennen?

Bevor The Locust mit Epitaph gearbeitet haben, war ich gegen das Label – wegen seiner Ästhetik und den Bands, die sie veröffentlichen. Aber das hat sich geändert, seitdem ich die Leute kennen gelernt habe. Sie haben sich sehr um The Locust gekümmert, und genauso ist das jetzt bei Some Girls. Es ist auch nicht mehr so, dass sie nur schlechte Bands veröffentlichen – immerhin haben sie mit Noam Chomsky gearbeitet, was heutzutage sehr wichtig ist. Anti Records haben mit Tom Waits, Nick Cave oder Merle Haggard Künstler, die wir sehr respektieren. Weshalb ich letztlich mit Epitaph arbeiten wollte, war aber auch, dass sie tatsächlich größer sind und mehr tun können als Three One G. Sie können uns ein Budget für Aufnahmen geben. Ich wollte unbedingt mit Alex Newport arbeiten, was ohne Geld leider nicht möglich ist. Das ist eben die Realität. Um die Some Girls Platte veröffentlichen zu können, haben Epitaph übrigens die Rechte für das Vinyl an Three One G abgegeben, und Vinyl ist für mich viel wichtiger als CDs.

Ich wollte dich deswegen auch nicht angreifen. Epitaph haben gute Platten gemacht, auch wenn mich ihre Punkrock-Alben nicht mehr interessieren.

Keine Frage, bei ihnen ist eine Menge Scheiß erschienen. Aber das ist natürlich auch eine Sache des Geschmacks. Für mich war es nur wichtig, dass das Label independent und intelligent ist und dass es eine gute Politik verfolgt. Als The Locust bei Epitaph unterzeichneten, haben wir so viel Scheiß gehört – dass wir ausverkauft hätten und bald wie Pennywise klingen würden. Tatsächlich haben wir unser bestes Album gemacht. Ich stehe zu Epitaph.

Lass mich mal euren Promozettel zitieren. Sal sagt hier: „Basically, we wanted to brutalize people.“ Ich hab mich gefragt, wie einfach das heutzutage noch ist, wo jeder schon alles gesehen hat. Wie schockierend kann Musik noch sein?

Crossed Out ist eine der brutalsten Bands, die ich kenne. Sie haben es vielleicht nie geschafft, das auf Platte umzusetzen, aber ihre Konzerte waren Angst einflößend. Das kann man nicht wiederholen. Ich weiß nicht, ob Some Girls jemals an diesen Punkt kommen werden. Aber nimm mal das letzte Lied, „Deathface“. Das ist für mich ein brutales Lied. Und Wes‘ Text passt dazu, ich war sehr beeindruckt, als der damit ankam. Keine Frage: Unsere Platte hätte noch brutaler sein können, und das neue Material ist wesentlich destruktiver. Ich weiß, dass viele Sachen schon gemacht worden sind, aber man kann sie durchaus updaten.

Was ich eigentlich meinte, war: Es war doch in den Achtzigern viel einfacher zu schockieren. Septic Death waren damals auch deswegen so herausragend, weil es wenige solcher Bands gab. Wenn ich mir heute Napalm Death oder Terrorizer anhöre, finde ich die Platten sehr „nett“ – sie haben gute Songs, gute Riffs und so. Das ist die Brutalität, die ich in Liedern möchte. Heutzutage muss man sich natürlich mit 20 Jahren extremer Musik vergleichen.

Aber Discordance Axis waren zum Beispiel auch eine heftige Band, und die haben sich erst vor fünf Jahren aufgelöst. Sie wirkten wiederum wie eine moderne Version der Musik von Crossed Out. Es gibt also durchaus diese Musikgeschichte, aber das heißt nicht, dass man heute nicht auch noch brutale Musik machen kann. Wer weiß, was Leute in zehn oder 20 Jahren einfallen wird. Wir werden Musik also weiterhin wieder erfinden.

Natürlich darf man heutzutage solche Musik machen – das sollte nicht heißen, dass man diese Musik nicht spielen darf, weil es schon ähnliche Bands gab. Die Frage ist eher, wie schwierig es ist, zu dieser Musik noch etwas zu ergänzen.

Wir saßen schon da und haben uns gesagt, wir möchte ein bisschen wie Discharge klingen, nur moderner und mit einigen Ergänzungen. Wir wollten nicht nur einen schnellen Drumbeat, sondern auch mal was anderes. Man kann das noch machen. Ich bin auch jedes Mal überrascht, womit unser Schlagzeuger bei The Locust ankommt – das klingt völlig neu.

Lass uns zum Schluss noch über Rod Stewarts „Some Girls Have All The Luck“ reden. Warum habt ihr nicht dieses Lied gecovert? Eure Webseite ist ja somegirlshaveallthefuck.com.

So weit ich weiß, ist das eine Smiths-Referenz. Ich kenne das Lied von Rod Stewart gar nicht. Der Name Some Girls kommt andererseits von den Sisters of Mercy, die sich wiederum auf Leonhard Cohen beziehen. Und ich bin ein großer Fan seiner Musik. Wes ist aber gut darin, sich Phrasen auszuleihen. Er hat auch „Young Hearts Be Free Tonight“ von Rod Stewart für einen Text von American Nightmare benutzt. Ich persönlich hasse Rod Stewart ja.

Interview: Dietmar Stork

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