Mai 7th, 2020

SLUMB PARTY (#195, 2019)

Posted in interview by Thorsten

Letztes Jahr gab es zwei, neue Bands, die ich besonders euphorisch abgefeiert habe. Zum einen SPIRITUAL CRAMP aus San Francisco, die zwar begeistert von meiner Interviewanfrage vorerst Motivation zeigten, aber selbst nach mehrmaligen nachhaken sich nie wieder bei mir meldeten. Wobei ich mir inzwischen bei solchen Einzelfällen, nur noch denke: Shit Happens – Pech gehabt! Deutlich schneller ging es bei SLUMB PARTY aus Nottingham/UK, wo es gerade mal drei Tage dauerte, bis die Antworten bei mir eintrudelten. Aber das nur am Rande, sind es eben nur die kleinen aber feinen Unterschiede und kurzweiligen Anekdoten, aus dem Alltag eines Fanzine-Schreibers ;-). Weshalb SLUMB PARTY für meinen Geschmack, so positiv aus dem üblichen Punk und Hardcore-Kosmos ausbrechen, liegt daran das sie einen relativ eigenständigen, leicht schrägen, aber dennoch extrem mitreißenden Sound spielen und bei vollem enthusiastischen Einsatz ALLES geben. Ich kann mich von ihrem Saxophon geschwängerten Postpunk (aber bitte PUNK in Großbuchstaben), einfach nicht widersetzen und frage mich fortlaufend, wieso die nicht der nächste, große Hype sind?

Denn dagegen empfinde ich das letzte IDLES-Album „Joy as an Act of Resistance“ fast schon als mittelmäßig (obwohl ich deren Debüt noch abfeierte). Aber vielleicht geht mir auch mal wieder, nur die anwachsende Popularität, zunehmend auf den Sack, gepaart mit dem Hintergedanken, dass sich da doch mindestens genauso, energische Bands im lebendig-pulsierenden Hintergrund verbergen. Bands die wegen ihres Geheimtippstatus, es noch viel mehr Wert sind entdeckt oder befragt zu werden, um sie aus ihrer Schattenwelt herauszuholen. Und ich denke, genau das sollte doch der Beweggrund, die Motivationsquelle eines guten Fanzines oder auch Musikmagazins sein, um neben ein paar bekannteren oder klassischen Acts, vor allem, auf gute, neue Nachkommen aufmerksam zu machen, sie zur Sprache kommen zu lassen, um ihnen Gehör zu verschaffen… SLUMB PARTY sind dafür ein gutes Beispiel, denn sie hinterlassen bei mir auf Knopfdruck gute Laune, ohne in irgendwelche, belanglosen oder nichtssagenden Funpunk-Ambitionen zu verfallen. Stattdessen besitzen sie diesen ironischen, zynischen, aber dennoch Attitüdereichen Unterton, den ich am Punk seit jeher liebe. Und so lief auch ihre gleichnamige 4-Song Single und insbesondere die LP „Happy Now“, an die knappe 50 Mal über den Plattenteller. Was für meine Verhältnisse sehr viel ist, so schaffen es die meisten anderen Vinyls nur auf geschätzte 15-20 Durchläufe. So jetzt aber genug von der Statistik und auf zum Interview.
Das Interview wurde geführt mit Dom: Bass/Vocals, Jess: Drums/Vocals und Joey: Vocals.

Ich empfinde euren Sound so heiß, so elektrisierend, dass ich mir gut vorstellen könnte, dass ihr in ein, zwei Jahren der heiße, neue Scheiß seid. Aber wenn ich SLUMB PARTY meinen Freunden zeige, finden die euch oft zu überdreht, abgefahren oder artsyfartsy. Die haben halt keinen Geschmack ;-). Wie sieht es mit eurer Popularität aus? Seid ihr mehr ein Undergroundtyp oder gibt es um euch, einen kleinen Hype zu vermelden?

Joey: Wir sind definitiv eine Underground-Band. Die Aufnahmen zu unserem Album haben gut funktioniert und wir sind dankbar, auf solch einem großartigen Label wie Drunken Sailor zu sein. Auf unsere Konzerte kommen immer mehr Zuschauer und ich denke, unser Ruf als aufregende Live-Band verbreitet sich. Aber ich verstehe es auch, wenn uns manche Leute als zu schräg empfinden. Auch wenn wir uns als Punkband verstehen, mag ich dieses verrückte und aufgedrehte sehr gerne. Ich glaube, dass wir schwer von Roxy Music beeinflusst werden. Wir mögen auch den No Wave / Punk Funk-Sound von Bands wie The Contortions oder The Pop Group. Es gibt nicht viele aktuelle UK-Bands, mit denen wir eine Affinität haben, aber dafür gibt es viele amerikanische Bands, die den gleichen Post Punk-Sound zu lieben scheinen, wie wir, z.B. Gauche, Pill, Material Girls, Priests und Downtown Boys. Auch Bands wie Crack Cloud und Viagra Boys finden wir großartig.
Dom: Im Moment sind wir noch sehr im Underground verwurzelt und nur innerhalb der Musikszene in Nottingham und in der restlichen DIY-Szene in Großbritannien etwas bekannter. Und wir sind auch nicht wirklich aktiv oder bemüht darum, einen Hype zu erzeugen, sondern wir versuchen, unseren Sound zu etwas interessantem weiterzuentwickeln, auf den man gut tanzen kann, aber dessen Attitüde und Ursprung im Punk und Postpunk liegt. Es gibt auf der ganzen Welt, viele großartige Bands, die wir für ihre Eigenständigkeit bewundern. Bands die anders klingen, aber nicht vollständig Avantgarde sind und es wäre großartig, mit genau solchen Bands zu spielen und in jener Szene mehr Popularität zu bekommen. Auf der anderen Seite macht es auch Spaß, das DIY-Punk-Publikum mit unserer Musik zu überraschen und wir hoffen, dieses Jahr in Großbritannien und Europa vor einigen neuen Zuschauern spielen zu können.
Jess: Wir sind definitiv eine Underground-Band, unser Album verkauft sich ganz gut und wir hatten das Glück, Shows mit einigen unserer Lieblingsbands zu spielen, darunter Thee Oh Sees, Sleaford Mods, TV Crime, Lower Slaughter, Priests, Küken, Omni, Duds und Downtown Boys.

Slumber Party heißt Pyjama Party, aber was bedeutet SLUMB PARTY?

Dom: Ich erinnere mich daran, als wir mit dem Bandnamen ankamen und Jess gemeint hatte: „Slumb Party ist eine Übernachtungsmöglichkeit in einer Hocke, für zahnlose Crackheads und ausgebrannte Träumer. In Ermangelung eines Pyjamas gibt es eine mit Scheiße befleckte Hose und einen Teppich voller Staubmilben zum aufrollen.“ Es ist ein ziemlich extremes Bild, aber ich denke, die Idee war eine Pyjama-Party, auf einem primitiveren Niveau. Nehmen wir an, wir haben nicht die beste Auswahl an Nagellack und müssen eine abgenutzte John Waters VHS anschauen. Wir könnten vielleicht etwas Musik spielen… eine Party steigen lassen. Lassen Sie es uns wissen, wenn Sie daran interessiert sind.

Ich empfinde es sehr erfrischend, dass ihr was zu sagen habt und eine Attitüde übermittelt, aber dennoch der Humor und die Ironie nicht zu kurz kommt. Statt ausgelutschten Parolen oder Weltschmerzfloskeln, versucht ihr die Themen eher humorvoll anzugehen. Was wollt ihr in euern Texten ausdrücken? Und wie wichtig ist euch der Spaß?

Joey: Die Hauptsache war für uns Spaß zu haben, das ist das Ziel, das wir uns vorgenommen haben. Wir können über ernste Themen singen, aber wir wollen nicht die Köpfe und die Stimmung der Menschen nach unten drücken. Es gibt eine Attitüde, aber das Publikum kann auch einfach nur drauf los schreien und tanzen. Ich bin froh, dass der Humor durchkommt, ich kann ernste Bands nicht leiden. Ich liebe australische Bands wie Eddy Current Suppression Ring, Total Control und Cosmic Psychos. Australier haben immer die besten Texte. Es war eine große Sache für uns, das der australische Produzent Mikey Young das Album gemastert hatte.
Jess: Nun, das Durchschnittsalter der Band liegt bei 33 Jahren, also ist es an der Zeit, dass wir unseren Scheiß zusammenbringen, und ich denke, als Band tragen wir fast ein Gefühl der Enttäuschung darüber, wie sich einige Aspekte unseres Lebens entwickelt haben und einen Teil dieses Zynismus (oder Realismus?), ist in unserem Songwriting eingedrungen … aber wir versuchen darüber zu lachen und nicht zu sehr zu weinen 🙂

Bei dem Song „Happy Now“ singst du in den ersten Zeilen „You are so close. But Miles away, with double lives. We die everyday“. Habt ihr das Gefühl, das die meisten Leute ihr Leben verschwenden? Und was macht ihr, um dem entgegenzuwirken?

Jess: Ich denke, die meisten von uns verschwenden ihre Zeit, indem sie ihre Bauchgefühle ignorieren. Wenn Sie nach dem „einfachen Ausweg“ einer Situation suchen und versuchen, zum Beispiel Änderungen oder Konflikte zu vermeiden, wird die Problematik später auf sie wieder zurückkommen, um Sie in den Hintern zu beißen. Aber wenn Sie etwas aus dieser Erfahrung mitnehmen und vielleicht daraus lernen können, dann ist es auch keine wirkliche Verschwendung.

Überhaupt nehmt ihr das Phänomen „Glück“ ständig aufs Korn. Was geht euch bei der gesellschaftlichen Suche nach Glück, an meisten auf den Nerv?

Dom: Es gab eine kurzlebige Agenda der Regierung, die vor nicht allzu langer Zeit als „Glücksagenda“ bezeichnet wurde. Ich denke, ein Teil davon entwickelte sich zu einer Obsession für das Wohlergehen im Land. Es gibt eine ziemlich dunkle Seite der Institutionen, die das Leben für die Bevölkerung weniger angenehm machen, aber es ist die Aufgabe des Einzelnen, sich selbst durch die Techniken zu verbessern, die gerade aktuell sind. Es ist nichts Falsches daran, sich um sich selbst zu kümmern, aber es fühlt sich manchmal an, als müsste man dafür die Massen anfeuern. Niemand muss ständig glücklich sein, es wird Höhen und Tiefen geben, und wir versuchen, die Höhen und Tiefen zu überwinden und uns von der Manie inspirieren zu lassen, während wir gleichzeitig versuchen, zu lachen.
Jess: Ich denke, die Ironie liegt vielleicht darin, dass die meisten Dinge, die „uns“ im Leben glücklich machen sollen, am Ende ins traurige, wütende, schuldige, besorgte oder beschämende umschlagen. Das Leben ist harte Arbeit.
Joey: Einer der Haupteinflüsse des Albums war die Arbeit von Ivor Cutler (Anmk: ein britischer Dichter, Songwriter und Komiker, der durch regelmäßige Auftritte bei BBC oder Aufnahmesessions bei John Peel Bekanntheit erlangte), wir haben ihm im Tour-Van viel gehört und der Song „I’m Happy“ hat wirklich die Art und Weise zusammengefasst, in der wir uns fühlten. “I’m happy, I’m happy, I’m happy and I’ll punch the man who say’s I’m not”.

Nun bleibt ihr von der Frage natürlich nicht verschont – Was macht euch glücklich?

Jess: Was mich glücklich macht, sind die einfachen Dinge im Leben, wie ein guter Schlaf.
Joey: Musik, ist das Beste im Leben. Ich habe einen Plattenladen in Nottingham und bin glücklich, den ganzen Tag von Musik umgeben zu sein.

Und was macht euch im Gegensatz unglücklich und pisst euch derzeit an meisten an?

Dom: Es ist nicht allzu schwer, im Moment in Großbritannien zu leben und unglücklich zu sein, aber abgesehen von all dem, denke ich, dass es an Gemeinschaft und Kollaboration fehlt, die manchmal zu Szenen werden. Einige Leute, die ihre Version der Regeln jedem vorschreiben wollen, können einen den Spaß an kreativen Dingen rauben.
Jess: Ich hasse es, wenn ich von anderen Leuten gehetzt werde (ich bin zu 90% zu spät). Ich hasse es auch, von Männern gesagt zu bekommen, dass ich „härter oder schneller“ spielen soll.
Joey: Leerlauf.

Ihr stammt aus Nottingham. Was hat England und insbesondere Nottingham, derzeit an guten Bands, Labels, Zines etc. zu bieten?

Dom: Nottingham ist eine relativ kleine Stadt, aber es gibt eine ziemlich aktive DIY-Szene, die das Leben interessant macht. Es gibt Bands wie Sleaford Mods, Rattle, TV Crime, Grey Hairs, Bloody Head, X-Rays, The Hip Priests, Kagoule & Babe Punch, die sich alle sehr unterschiedlich anhören, aber alle sind gut in dem, was sie tun, und wir haben sehr unterschiedliche Geschmäcker innerhalb der Band. Unsere Freundin Tara Hill hat einige Zeichnungen von Ivor Cutlers Hüten in unserer Plattenbeilage angefertigt und sie macht großartige Kunst, Poster und Zines. Es gibt auch Steve Larder, der in dem Zine „Rum Lad“ über sein Leben schreibt und mit Bands auf Tour geht. Und generell ein guter Typ ist, Kim Thompson, ein Horror-besessenes Mega Babe, das psychedelische, freche Kunst macht.
Joey: Unser Gitarrist Phil betreibt auch eine großartige DIY-Location und Aufnahmestudio namens JT Soar, der als aufregender und wichtiger Knotenpunkt für Nottingham´s DIY-Szene hervorgeht. Wir haben dort unser Album aufgenommen und üben dort auch. Bands wie Sleaford Mods, TV Crime und The Hip Priests haben im JT Soar ihre neuen Alben aufgenommen.

Bei manchen Songs singt auch eure Schlagzeugerin Jess, für meinen Geschmack könnte sie viel öfters singen, denn sie hat eine coole und schöne Stimme. Hatte Jess schon zuvor in anderen Bands gesungen?

Jess: Vielen Dank! Ich spiele seit fast 20 Jahren Schlagzeug und singe in Bands. „Lips“ war für mich eine Premiere aus Sicht des Songwriting und der Lead Vocals. Ich habe es genossen und wäre bereit, mehr zu tun, auch die anderen in der Band unterstützen das. Ich spiele seit Jahren in Bands mit Joey (unsere letzte Band hieß White Finger) und ich habe das Gefühl, dass sich unsere Vocals sehr gut ergänzen.

Auf was für eine Art von Unfall, bezieht sich der Song „Accident“?

Joey: Der Unfall des Lebens selbst. Ich fühlte mich gefangen in einer unendlichen Schleife von Arbeit / Stress / Langeweile – es fühlte sich an, als hätte ich keine Orientierung mehr, so dass der Alltag ein ungewollter Akt war. Mein Leben war der Unfall, ungeplant und außerhalb meiner Kontrolle… Ich kann jetzt darüber lachen.
Jess: Haha! Nun, ich denke, es geht darum, eines Tages aufzuwachen und entweder zu erkennen, dass Sie sich selbst angepisst haben, oder dass Sie den größten Teil Ihres Erwachsenenlebens in einer Beziehung mit jemandem verbracht haben, der nicht der gleichen Meinung über das Leben und das Denken geteilt hatte, um am Schluss zu denken „Fuuuuuck“! Wie bin ich hier gelandet und was zum Teufel mache ich dagegen?

Bei was handelt es sich um den „True Crime Club“?

Joey: Es geht um das Distanzieren, das los lassen und sich selbst zu finden, im Focus auf sein Leben und der Arbeit. In dem Text geht es darum, darauf zu warten, dass etwas passiert, aber nicht die Energie zu besitzen, um darauf zu reagieren. Der True Crime Club ist etwas, das ich und ein Freund auf Facebook ins Leben riefen. Wir empfahlen Podcasts über Kriminal-Dokumentationen, von denen wir gesehen oder gelesen haben, und beschlossen, den True Crime Club zu gründen.

In „Midlife Crisis“ singt ihr „the worst decision that i´ve ever made – midlife crisis”. Wie weit steht ihr von der Midlife Crisis entfernt?

Joey: Frag mich am 20. März noch einmal … Werde ich jemals erwachsen?
Jess: Ich glaube, ich habe meine Midlife Crisis schon hinter mir. Das Leben wurde mit 35 definitiv besser für mich.

Von der Midlife Crisis gehen wir ein paar Jahre nach vorne um zum Schluss die Frage zu stellen, was soll später mal auf euern Grabstein stehen? (Zur besseren Verständlichkeit, sind die Antworten auf englisch belassen).

Joey: Happy Now?
Dom: Death, death, death comes sweeping down, filthy death the leering clown, death on wings, death by surprise, failing evil from worldly eyes, death that spawns as life succumbs, while death and love, two kindred drums, beat the time till judgement day, an actor in a passion play, without beginning, without end, evermore, amen.
Jess: Girls, you’ve got to know when it’s time to turn the page – when you’re only wet because of the rain.

Und ganz zum Schluss, noch ein paar Nerdfragen:
WIRE oder GANG OF FOUR?

WIRE

BIG BOYS oder MINUTEMEN?

MINUTEMEN

CRASS oder SUBHUMANS?

CRASS

BAD RELIGION oder HÜSKER DÜ?

HÜSKER DÜ

GBH oder DISCHARGE?

DISCHARGE

SNFU oder SNUFF?

SNFU

IDLES oder SLUMB PARTY?

SLUMB PARTY

Interview: Bela

 

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