Juni 25th, 2018

SEPULTURA (#72, 1998)

Posted in interview by Jan

Auf jeden Fall ist diese Band ein Phänomen, ob du sie nun magst oder nicht. Verdammt nochmal, wie viele Bands aus Brasilien kennst du überhaupt? Und wie viele Heavy Metal Bands haben es überhaupt geschafft, wirklich bekannt zu werden? Nicht allzuviele, wird wohl deine Antwort auf beide Fragen sein. SEPULTURA jedoch kannst du auch bei beiden Fragen nennen. Eine Band, die aus der sogenannten “3. Welt” kommt hat es mit Sicherheit weniger leicht, wirklich erfolgreich zu werden, als US-amerikanische, englische oder deutsche Bands. Zumindest das sozio-kulturelle Umfeld fördert es nicht gerade, eine erfolgreiche Heavy-Metal-Band zu gründen. Möglichkeiten eine Band groß rauszubringen, wie sie eben in den USA, in England oder Deutschland existieren, existieren in Brasilien nicht, oder aber nur in geringem Maße. Nun leben die jungen Musikanten von SEPULTURA inzwischen in den Vereinigten Staaten und haben zudem, seit dem Krach mit dem alten Sänger und Gitarristen Max Cavalera, einen neuen Sänger, der gebürtiger US-Amerikaner ist.

Seine Name ist Derrick Greene. Ihn und Schlagzeuger Igor Cavalera (bekanntlich der Bruder von Max) trafen Urte und ich am Freitag, den 21. 8. 1998 im Radisson SAS Hotel zu Hamburg. Eine extrem noble Absteige, so daß uns, als alternde PunkrockerInnen, schiefe Blicke am Eingang gewiß waren. Zudem konnten die Damen an der Rezeption nichts mit SEPULTURA anfangen, jedoch konnten ihnen der Rezeptionschef sagen, daß das “diese Rockband” sei. Uns wurde also der Weg ins “Top of the Town” im 26. Stock des Hotels gewiesen. In erschreckend kurzer Zeit befanden wir uns per Lift in “Hamburgs höchstgelegener Night Bar” und waren auch erst einmal von dem atemberaubendem Blick über Hamburg und seinen Hafen fasziniert. In der Night Bar warteten schon die jungen Karriereleute von BRAVO-TV, um SEPULTURA zu interviewen, aber die mußten erst einmal auf uns warten…. ha, so gehört sich das auch. Wir schickten uns an, erstmal über Brasilien zu reden und Igor erzählte uns, daß er in den letzten Jahren oft in seiner Heimat war und ihm der Kontakt mit Familie und alten FreundInnen sehr wichtig sei. Allerdings ist SEPULTURA natürlich eine Band, die viel, sehr viel, unterwegs ist, so daß auch Igor wenig Zeit hat, in irgendeinem “Zu Hause”, sei dies nun in Brasilien oder in seiner Wahlheimat California, zu verweilen.

Aber gerade im Hinblick auf die Tatsache, daß Derrick eben kein gebürtiger Brasilianer ist, ist es Igors Meinung nach wichtig, insbesondere mit ihm nach Brasilien zu fahren, so daß er mehr über SEPULTURA versteht, den background der Band spürt und mehr Teil dieser Band werden kann. Derrick schien sich dieser Rolle auch bewußt zu sein und war sichtlich beeindruckt von der Austrahlung des Landes, aber auch von der Rolle, die SEPULTURA für viele Menschen in Brasilien bedeutet. “Die Zeit in Brasilien lehrt mich sehr viel. Natürlich die Sprache, aber auch das Gefühl mit Paolo und Igor in ihrer Heimat zu sein und zu sehen, wie die Leute stehenbleiben und offenbar sehr beeindruckt sind. Außerderm ist Sao Paolo ein riesig große Stadt. Ich komme aus New York, das ist natürlich auch sehr groß, aber kein Vergleich zu Sao Paolo. Das ist so unglaublich riesig und der Umgang der Menschen untereinander ist natürlich ein völlig anderer als in den USA. Die Leute sind viel relaxter, Gespräche sind einfacher. Es gibt da so viel, das für mich neu ist, alles, das Essen, die Sprache, einach alles. Ich lerne jeden Tag.”

Das Wochenende zuvor headlineten SEPULTURA ein Festival namens NOISE AGAINST HUNGER, welches ein Solidaritätskonzert für IndianerInnen im Nordosten Brasiliens war. Der komplette Eintrittspreis oder 1 kg Lebensmittel, für das man ebenfalls ein Ticket bekam, ging direkt an die IndianerInnen. Mit auf der Bühne waren neben Mike Patton (ex- FAITH NO MORE) und Jason Newstad (METTALICA), auch Mitglieder des Xavante-Stammes, der auf der “Roots”-LP von SEPULTURA zu hören war.

SEPULTURA sind natürlich nichtsdestotrotz eine kommerzielle Band, keine Frage, aber eben die Tatsache nicht aus einem extrem reichen, extrem kapitalistischen Land zu kommen, wirft die Frage auf, wie es gerade diese Band geschafft hat neben METALLICA zu dem Aushängeschild für Heavy Metal an sich zu werden und weltweit Riesenerfolge zu feiern? Igor: “Ich glaube, daß einer der Gründe, warum SEPULTURA es zu etwas geschafft hat, ist, daß wir besonders viel Leidenschaft, viel Energie und viel Aggression in unsere Musik gelegt haben. Dies hat natürlich was damit zu tun, daß Brasilien eben nicht gerade eins der reichsten Länder ist.” Der Erfolg war natürlich nicht geplant. “Wenn du mich vor 15 Jahren gefragt hättest, ob wir heute hier sein werden, hätten wir alle nur gelacht und dich für verrückt erklärt. Wir wollten damals einfach nur viel in unserer Region spielen und so extrem wie möglich sein. Da gab es keine kommerziellen Beweggründe. Wir wollten nicht einmal primär, daß es den anderen Leuten gefällt, oder sie glücklich macht. Es ging in erster Linie nur um uns, wir haben die Musik für uns gemacht.”

Mit wachsendem Erfolg war natürlich in gewisser Weise ein Umdenken bzw. ein bewußterer Umgang mit der Band und insbesondere mit den Texten gefragt. Igor ist sich bewußt, daß SEPULTURA eine große Band ist. Eine Band, die natürlich nicht die Welt verändern kann, aber deren Texte immerhin von Millionen Menschen mehr oder weniger direkt konsumiert werden und somit natürlich auch immer beeinflussen. Igors Konsequenz aus dieser Tatsache ist auch, Texte und Aussagen offen zu halten und dem/der HörerIn eigene Interpretationsmöglichkeiten zu lassen, “sometimes even totally the wrong way. that´s cool.” Das neue Album heißt bespielsweise “Against” und schlägt in die gleiche Kerbe, ein uneindeutiger Titel, der trotzdem zweifelslos Aussage und Stärke hat. Ist “Against” denn nicht irgendwie ein negativer Titel? “Nein, eben gerade nicht und genau darum geht es. Es kamen so viele Leute zu mir, die sagten, daß “Against” ein großartiger Titel sei, eben weil es so viel bedeuten kann.  Für dich mag es etwas Negatives sein, aber es ist nichts desto trotz sehr offen. Und das ist die Schönheit dieses Titels. Bei “Roots” war das für uns übrigens ganz genauso.” Selbst für die Band hat “Against” keine feststehende Bedeutung, vielmehr hat der Titel für Jeden eine eigene Bedeutung. Andreas Kisser (Gitarre & Gesang) verbindet damit eher die Erfahrung, die die Band nach dem Split mit Max gemacht hat, von Medien und ehemaligen Fans verschmäht zu werden. Igor hingegen geht es eher um die ganzen Dinge, die Menschen im Laufe ihres Lebens bekämpfen müssen, da es in dieser Welt so viele Dinge gibt, gegen die man sein muß. Leider konkretisiert er das nicht weiter, bzw. läßt es, ganz seiner eigenen Konsequenz folgend, offen.

So oder so möchten sich SEPULTURA also textlich eher auf einer Ebene bewegen, die Menschen verschiedenen kulturellen Hintergrunds ansprechen kann, wollen Texte und Musik schreiben, die Menschen emotional berührt und ihnen dabei aber ihre Individualität bzw. den individuellen Umgang mit dem Gehörtem läßt. “Man kann natürlich sehr direkt Texte schreiben, aber wir wollen halt die individuelle Interpretation den HörerInnen überlassen. Auf diese Weise ist es für uns halt möglich, daß ein Mensch in Israel oder Japan, sich mit unseren Texten verbunden fühlen kann, obwohl völlig andere Welten bzw. Erfahrungen hinter der Interpretation dieses Textes stehen.”

Insbesondere in der Metal-Szene sahen sich SEPULTURA natürlich eher mit negativen bzw. völlig absurden Fantasy-Texten konfrontiert. Diese Ebene war der Band aber von Anfang an zuwider und zu flach. “Wir investieren wahrscheinlich ein wenig mehr Zeit in die Texte. In einer sehr negativen Welt und sogar inneralb von sehr negativen Themen, versuchen wir etwas Positives zu machen: nämlich Menschen zum Denken zu bringen.” Auf der “Roots” konnten die Leute etwas über den brasilianischen Xavante-Stamm erfahren und lernen. Und auch auf “Against” haben SEPULTURA bewußt mit auch für sie “fremden” Kulturen (Kodo-Trommler auf den japanischen Sado-Inseln) gearbeitet, um eigene Lernerfahrungen zu machen, die aber so natürlich auch für den/die HörerIn nachvollziehbar sein können. Igor hofft so, Leute, natürlich auch insbesondere jüngere, zum Nachdenken bewegen zu können. “und das ist genug für mich. Ich muß nicht alles komplett ändern, ich möchte nur das Feuer entzünden…”

Meines Erachtens eine sehr vernünftige und realistische Einschätzung, dessen was man als Band machen kann. Zudem bin ich überzeugt davon, daß SEPULTURA bei vielen Menschen durch ihre Texte etwas bewegt haben. Natürlich haben SEPULTURA-Texte nicht die Qualität oder Tiefe von DEAD KENNDEYS- oder CRASS-Texten, aber SEPULTURA erreichen verdammt viele Leute und vielleicht insbesondere solche, die zumindest in dem musikalischem Umfeld, in dem sie sich sonst bewegen, wenig Berührung mit wie auch immer gearteten politischen Texten haben. Überflüssig zu erwähnen, daß Igor und Derrik nicht gerade von den meisten Heavy-Metal-Bands bzw. deren Texten überzeugt sind.

Natürlich konnte ich mir nicht nehmen lassen mit Igor noch einwenig über Straight Edge zu plaudern, aber da er es erstens recht offen zur Schau trägt (sXe-Kettchen, STRIFE-Jacke,…) und das ja auch meine Leidenschaft ist, lies sich das nicht verhindern. “Ich hab noch nie sehr viel getrunken und die wenigen Erfahrungen, die ich mit Drogen gemacht haben, waren auch eher Scheiße. Lange Zeit habe ich keine Musik, keine Bands gefunden, die diese Erfahrungen und die daraus für mich resultierenden Ideen geteilt haben. Insbesondere weil ich ja in einer Metal-Band gespielt habe. Um mich herum war alles genau das Gegenteil von meinen Vorstellungen. Nach und nach lernte ich dann einige Bands kennen, die keine Angst hatten ihre Ideen offen auszusprechen und die zudem noch musikalisch großartig waren und deren Musik sogar teilweise von SEPULTURA beeinflußt waren. Das machte mich sehr froh.”

Natürlich waren das eher die großen Klischee-Straight-Edge-Bands wie STRIFE, SNAPCASE oder EARTH CRISIS. Als der Name der letzteren fiel, mußte ich natürlich einwenden, daß diese ja nicht unbedingt immer die besten Texte haben. “Du hast recht, ganz allgemein sind solche Bands meines Erachtens zu direkt und konkret in ihren Aussagen.” Womit wir wieder bei dem wären, was Igor an SEPULTURA so wichtig ist. Obwohl er sich hier ganz geschickt aus einer Diskussion um EARTH CRISIS Texte herausgeredet hat. Schade, daß es jetzt zu spät zum Nachhaken ist… Igor ist bei der ganzen Straight Edge-Geschichte auch sehr wichtig, daß Leute offen sind und mit Anderen umgehen können. Für ihn ist es absolut kein Problem, der einzige Edger in SEPULTURA zu sein. Diese Offenheit ist für ihn Teil des sXe-Gedankens und somit ist er, trotz anderer roots, wahrscheinlich näher an dem ursprüng-lichen Gedanken von sXe als so manche new-school-sXe-kids…

Auch das übliche Wort-Assoziations-Spiel durfte natürlich nicht fehlen… here we go:

– “Spaß”

Igor: “Familie”

Derrick: “Bühne”

– “Heavy Metal”

Igor: “traurig”

Derrick: “BLACK SABBATH”

– “Familie”

Igor: “Liebe”

Derrick: “weit”

– “Essen”

Igor: “Spaß”

Derrick: “viel”

– “SOULFLY”

Igor: “verwirrend”

Derrick, sich kaputtlachend: “keine Ahnung”

Da es keine finalen Worte mehr geben sollte, wollten wir hier eigentlich Schluß machen, als Derrick noch einmal meine Buttons (sXe und der King (Elvis)) und meinen Pullover (FARSIDE) inspizierte. Daraufhin fing er nämlich nochmal an, aus seiner Vergangenheit zu erzählen, da seine alte Band, OUTFACE, mal mit FARSIDE auf Tour waren. Nach OUTFACE hatte Derrick für kurze Zeit eine Band mit Sammy (ex-YOUTH OF TODAY, -JUDGE, -SIDE BY SIDE, -GORILLA BISCUITS, und jetzt CIV) und Charly (jetzt CIV). Dazu ein kleine Anekdote. Die Band spielte ein Konzert mit SICK OF IT ALL, was für Derrick supercool war. Als er dann völlig enthusiastisch nach dem Konzert zu den anderen ging, um Pläne für die nächsten Jahre zu schmieden, meinten die nur, daß sie lieber nur bei CIV spielen wollen. Derrick entschied sich dann, ihnen zu zeigen, daß er noch erfolgreicher werden kann als sie… das hat er ja nun geschafft.

Text: Jobst

Interview: Jobst & Urte

Photos: Urte & alte SEPULTURA-Platten

 

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