August 6th, 2018

ROCKBITCH (#72, 1998)

Posted in interview by Jan

„Wir wollen eine andere Art zu leben zeigen“ – Rockbitch kämpfen für die Befreiung (nicht nur) eurer aller Sexualität

Ich war beim Rockbitch-Konzert! Aber sie haben gar nicht geschraubt. Und weh getan hat’s auch nicht. Allerdings haben sie auch nicht so dürfen können, wie sie hätten wollen mögen. Das Stadtamt Bremen hatte nämlich per Verfü­gung dafür gesorgt, daß die Veranstaltung bei Handlungen, die dem allgemein gültigen sittlichen Empfinden widersprechen, sofort mit Rechts­deckung abgebrochen werden durfte.

Das dümmlich dreinblickende Publikum, daß seinen Körper im Gegenwert mehrerer zehntausend Dollar gebuildet hatte, entdeckte auf einmal eine Differenz zwischen seinen und staatlichen Inter­essen. Die einen wollten Ficken sehen, die anderen ebendies auf einer Bühne nicht gestatten.

Zensur, Zensur!

Ich habe nichts gegen Zensur per se. Es kommt nur darauf an, wer da vermittels welcher Kriterien feststellt, was veröffentlicht werden darf.

Weil ich mich dafür interessierte, welcher Art die Gründe für solch eine recht drastische Performance mit Fäusten und Pissen sein mögen, versuchte ich, ein Gespräch zu arrangieren. Behilflich war mir dabei die Tatsache, daß eine Redakteurin einer Zeitung, für die ich hin und wieder schreibe, gleichfalls Interesse an diesem Thema hatte, mir dankenswerterweise den Auftrag erteilte, einen Artikel daraus zu verfertigen und mich auch zum Gespräch begleitete. Das folgende Interview er­schien in einer etwas anderen Ausführung in der ‚taz bremen‘.

Das Interview fand hinter der Bühne im Beisein der kompletten Band statt, die, bis auf den Gitarris­ten unbekleidet war, und sich ziemlich ungezwungen und temperamentvoll zu unseren Fragen äußerte.

Heute Abend wurden wir zensiert. Die Be­hörden sehen uns als Porno-Show. Aber was tun wir den Rest der eineinhalb Stunden? Wir spielen Musik! In Deutschland sind die Behör­den seltsam. Alle Leute in der Halle sind über 18 und kommen, um uns zu sehen. Die Polizei kann uns nicht verhaften, denn wir brechen keine Gesetze. Sie greifen zu schmutzigen Tricks. In Nürnberg kam vor der Show ein Beamter, und wir fragten, ob wir irgendwelche Auflagen hätten. Der Polizist sagte: ‚Macht eure normale Show, und ich mache mir Noti­zen. Nachher setzen wir uns zusammen und diskutieren das‘. Ich fragte ihn, ob er wisse, was wir auf der Bühne machen, und er sagte, er wisse das.

Nach der Show war er nicht aufzutreiben. Als nächstes wurden vier Kon­zerte in Deutschland und alle sechs Shows in Österreich abgesagt. Er hatte an die deutsche Polizei und Interpol gefaxt, daß er uns Aufla­gen gegeben habe und wir uns nicht danach gerichtet hätten. Er hat gelogen, was uns sehr wütend machte. Hätte er uns Auflagen gege­ben, hätten wir uns danach gerichtet. Sie sagen, es sei keine Kunst! Als wenn Polizei­beamte Kunstkritiker wären. Kunstkritiker mit Kanonen. Sie sagen, wir seien pornographisch. Nein! Wir sind eine Kommentar auf Porno­graphie. Wenn du Sex auf die Bühne bringst und darüber singst, dann ist das Kunst, auch wenn manche Leuten es hassen mögen.

Wie setzt sich Euer Publikum zusammen?

Sehr unterschiedlich. Neulich haben wir in Amsterdam vor eintausend Lesbierinnen gespielt. Es durften nur Frauen auf das Kon­zert, deshalb herrschte eine sehr sichere Atmos­phäre. Die Frauen zogen ihre Tops aus, kamen nur in Hosen auf die Bühne, einige im Publikum hatten Sex miteinander. All das wäre nicht passiert, wären Männer im Saal gewesen. Rock’n’Roll hatte immer mit Sex zu tun. Allerdings mit männlichem Sex. Wenn Flea von den Red Hot Chilli Peppers nackt auftritt, dann ist er cool. Wenn Lisa, unsere Gitarristin, ihr Oberteil auszieht, werden wir dafür kritisiert. Unterschiedliche Maßstäbe! Wenn ein Typ viele Frauen fickt, ist er ein toller Hecht, wenn eine Frau viele Männer fickt, ist sie eine Hure.

Wie ernst meint Ihr es, wenn Ihr die Sexualität als zentralen Punkt zur Veränder­ung der Gesellschaft bezeichnet?

Todernst! Wenn Sexualität nicht so ein zentra­ler Bestandteil der Gesellschaft wäre, dann gäbe es wegen dem was wir machen nicht so einen Wirbel. Seit Elvis handelt Rockmusik immer von Sex und Rebellion. Könnte es also einen angemesseneren Ort für das geben, was wir machen, als Musik?!

Wie würden sich denn die Verhältnisse verändern?

Es gäbe weniger Gewalt, mehr Verständnis. Vor allem zwischen Männern und Frauen.

Aber es gäbe immer noch Leute, die sich in Fabriken kaputtmalochen, nicht wahr?

Es gäbe fröhlichere Arbeiter.

Eine zweifelhafte Freude, unter diesen Verhältnissen.

Wir sind eine sexuelle Band und unsere Politik ist Sexualpolitik. Wir sind alle links. Jedenfalls sind wir keine Rechten. Aber es gibt eine Menge Themen, die wir nicht kommentieren können. Es gibt Leute wie Rage Against The Machine oder Billy Bragg, die so etwas ma­chen, und das ist toll, aber bei uns geht es eben vor allem um weibliche Sexualität.

Was hat es mit dem Manifest auf sich, daß Ihr auf der Bühne verlesen habt?

Das Manifest sagt: Wir glauben an die Befrei­ung aller Menschen durch freie und offene Sexualität. Wir singen darüber, wir zeigen sie, und wir teilen sie mit Euch. Und heute abend seid Ihr alle unsere LiebhaberInnen. Und wenn jemand von Euch keinen Sex mag, oder keine Musik, oder glaubt, wir müßten gestoppt werden, dann tut uns den Gefallen und schert Euch raus!

Daran glauben wir. Und wir gehen über An­deutungen hinaus. Wir haben normalerweise das goldene Kondom. Wir werfen es ins Pub­likum, und wer immer es fängt, alt oder jung, schön oder häßlich, männlich oder weiblich, wird hinter die Bühne genommen und hat Sex mit Lucie. Es ist sehr wichtig für uns, diesen Kontakt mit dem Publikum zu haben. Wir verabscheuen die Art, wie Sex derzeit benutzt wird, um alle möglichen Produkte zu verkau­fen. Sex ist überall, in der Werbung, in MTV-Clips, aber nichts davon ist wirklich. Es ist alles geheuchelt. Du hast Rockstars, die davon reden, wie sehr sie Sex lieben, und sie be­nutzen es nur, um ihr Produkt zu verkaufen. Das lehnen wir ab! Wir werden nicht heucheln! Wir ficken mit unserem Publikum.

Könnte denn jede von Euch mit jeder oder jedem aus dem Publikum Sex haben?

Nein. Drei von uns sind lesbisch, drei sind bisexuell. Aber weil wir nicht mit allen Fans Sex haben können – wir arbeiten daran -, haben wir das Platin-Kondom im Internet. Du gibst deine Daten ein, und wir wählen per Zufall jemanden aus, der oder die dann mit dreien von uns eine Nacht verbringt. Es ist kein Geld im Spiel! Das ist unser Bekenntnis zur Ehrlichkeit.

Ein Journalist hat mir einmal eine interessante Frage gestellt. Er zitierte einen bekannten Rocksänger, der sagte, er benutze Frauen, habe Sex mit ihnen und ziehe dann weiter. Was ich darüber dächte. Ich sagte ihm, das sei das Spiel. Sie ist das Groupie und er ist der Rock­star. Das wird es immer geben. Und ich mache es genau so. Ich ficke Frauen und verlasse die Stadt. Das ist nicht schlecht. Es ist die Frage, wer wen benutzt. Ich bin glücklich mit dem was ich tue, und die Frauen, mit denen ich Sex habe, sind auch immer froh darüber. Und sie kommen wieder. Sie widersprechen den Stereo­typen darüber, wie eine Frau sein sollte.

Habt Ihr als MusikerInnen angefangen?

Wir hatten in unserer Kommune immer musi­kalische Mitglieder. Wir sind jetzt seit acht Jahren in dieser Konstellation professionelle Musiker. Unsere Sängerin kam als Groupie in die Band. Sie verliebte sich in Bitch, unsere Bassistin. Es war gerade der Mixer-Job frei, und so wurde sie Mischerin. Als dann unser Sänger ausstieg, wurde sie Sängerin. Unseren Lebensstil bringen wir aber erst seit zwei Jahren auf die Bühne. Wieder war es eine Reaktion auf die Heuchelei. Wir hatten so viele, vorwiegend männliche Bands getroffen, die darüber redeten, wie wild sie seien, und dann gingen sie heim zu ihren Frauen. Wir beschlossen, auf der Bühne das zu tun, was wir auch hinter der Bühne machten. Sex, Orgien – Dinge, die für die meisten Leute ziemlich verrückt sind.

Wie stellt Ihr Euch eine sexuell befreite Gesellschaft vor?

Wir begründen unseren Lebensstil auf einer Rückkehr zur Unschuld. Wir schauen uns die Tiere an und denken, daß die es sehr gut haben. Und wir haben so bemerkenswerte Eigenschaften wie ein Bewußtsein und den weiblichen Orgasmus. Warum setzen wir nicht noch einen drauf?! Es gibt die Bomoba-Affen. Die vögeln die ganze Zeit, hier, dort und überall. Aber es ist eine funktionierende so­ziale Struktur. Es gibt keine Gewalt in ihrem Stamm. Es ist eine matriarchale Gesellschaft, wie wir sie auch in der Kommune haben. Das bedeutet keine Umkehrung patriarchaler Verhältnisse. Es funktioniert eher wie eine Amöbe. Wir sind eine Gemeinschaft. Unsere Ziele sind Gruppenziele. In diesem Sinne sind wir vermutlich echte Kommunisten.

Wir haben in der Kommune mehr Frauen als Männer. Einzelne Männer sind meistens okay, aber wenn es zuviele werden, kommt es zu einer Herdendynamik, und sie werden kom­petitiv, dumm. Die Ziele gehen in ihrem klein­lichen Machtkampf verloren. Wenn wir ihre Zahl niedrig halten, passiert das nicht.

Eine Menge männlicher Bands kommen auf Tournee nicht miteinander aus. Sie ertragen es nicht, im Tourbus nebeneinander zu sitzen. Wir sprachen mit Venom. Und sie meinten, das sei normal. Ihr Schlagzeuger fragte, wie es käme, daß wir so anders sind. Vor ein paar Monaten verbrachten wir neun Stunden im Van zusammen, eng aneinandergedrängt. Als wir nach vier Stunden anhielten um zu tanken, saßen wir alle auf dem Rasen, dicht aneinander­gedrängt, genau wie im Van. Es ist seltsam, aber wir sind sehr glücklich. Und wir glauben, daß Sex das Herzstück ist. Was sonst könnte es sein. Schokolade vielleicht?! Viel­leicht machen wir es falsch. Vielleicht sollten wir über Schokolade singen.

Jedenfalls wünschten wir uns wirklich, mehr Leute würden leben wie wir!

*

Die alte Hippie-Nummer! Wer hätte das gedacht?!

Ich kann nun nicht behaupten, von diesen sym­pathischen Menschen mit messianischer Attitüde bekehrt worden zu sein. Ich behaupte immer noch, daß einiges anderes, aber zumindest mehr ge­schehen müßte, damit für mich und um mich herum nicht mehr soviel Ärgernis wäre, so vieles, was mich stört, mir im Wege steht.

Es ist keine Kritik an der Funktion von nackter Haut in der Werbung, wenn man darangeht und sagt: Weil überall mit Sex geworben wird, muss auch überall Sex sein, also packen wir es an! Ich möchte mir auch so herum nicht vorschreiben lassen, wie ich mich sexuell zu betätigen habe.

Und die Geschichte mit den Fabrikarbeitern… Also, ich arbeite nicht in einer Fabrik, habe trotzdem etwas an meinen Existenzbedingungen auszu­setzen, und außerdem kenne ich Leute, die in solchen Einrichtungen arbeiten. Die Fabriken an und für sich sind auch gar nicht das Problem. Viele Dinge, die ich gern benutze oder benutzen würde, können in Fabriken viel besser produziert werden, als in Handarbeit.

Was stört sind die Arbeitsbedingungen (nicht nur in Fabriken), die aus bestimmten Produktionsver­hältnissen notwendig resultieren, aus Lohnarbeit und Mehrwertproduktion, aus Privatbesitz an Produktionsmitteln und der dazugehörigen Tauschwirtschaft. Da hilft es dann auch nichts, wenn die Leute nun anfangen, überall zu kopulie­ren, auch wenn das vielleicht für eine Weile ganz lustig wäre.

Auch dieser Ansatz ist Unsinn. Andererseits haben diese Leute ja dennoch sym­pathische Aussagen zu machen. Und Eifersucht ist eben keine schöne Sache. Sie ist ein Produkt herrschender Moral. Sie hat sehr viel mit der Vorstellung zu tun, es existierte so etwas wie ein Anspruch auf Menschen, also mit der Vorstellung, jemand gehöre jemandem. Faktisch existiert so ein Anspruch nicht. Die Sklaverei ist abgeschafft. Manche Menschen ziehen es vor, in ihrem Privat­leben ein wenig von dieser Tradition zu erhalten. Rockbitch tun so etwas nicht.

Interview: Stone

Credits gehen raus an Barbara K., für aktive Beihilfe!

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