Januar 29th, 2020

RITUAL (#140, 2010)

Posted in interview by Thorsten

Die einen sagen, Ritual sei eine weitere Unbroken-Kopie. Die anderen halten Ritual zurecht für eine der begabtesten und nettesten Band des Planeten. Im Grunde haben beide Recht. Was Ritual dabei aber so interessant macht sind in erster Linie die bodenständigen Liveshows und vor allem das tolle Album „Beneath Aging Flesh And Bone“, welches auf Reflections Records erschien. Was Ritual aber immer mit dabei haben: Gute Antworten, wie man sich nachfolgend erlesen kann.

Hi Jungs, stellt euch doch erst mal vor.

Julian: Hey, wir sind Ritual, ehemals vollständig aus Recklinghausen, mittlerweile zu 3/4 aus Münster. Wobei ich als quasi letztes Viertel bald auch dem aktuellen Trend nachgeben und meinen Wohnsitz dorthin verlegen werde. Ich weiß nicht. Soll ich jetzt so was wie meine Hobbies aufzählen? Macht man das so an dieser Stelle? Also, ich steh wohl auf kochen. Das Essen danach ist mir egal. Hauptsache kochen. Nur nicht backen. Das kann ich nicht.
Philipp: Und, nur um das noch hinzuzufügen, hinter dem Bandnamen stecken Pascal (bass), Deni (git), Julian (vox) und ich, Philipp (drums).

Wie sind bisher die Reaktionen auf Eure Platte ausgefallen?

Julian: Eigentlich durchweg positiv. Die meisten Reviews, die ich gelesen habe, waren alle ziemlich cool und die Shows funktionieren mit dem neuen Material auch super. Ich für meinen Teil bin sehr glücklich mit dem Album und den Reaktionen darauf.
Philipp: Ein Kritikpunkt, den ich öfters gelesen habe, war, dass die jeweiligen Rezensenten mehr Entwicklung, mehr Experimentierfreude erwartet hätten. Das kann ich absolut nachvollziehen und ist etwas, dessen wir uns schon beim Aufnehmen bewusst geworden sind. Auf  Beneath Aging Flesh and Bone  fassen wir eher die letzten Jahre mit Ritual noch einmal zusammen und schließen sie gleichzeitig ab. Insofern war die Platte aber, so wie sie ist, absolut notwendig.

Ihr tourt eigentlich unentwegt. Zuletzt mit Carpathian. Wie lief es für euch?

Julian: Die Tour mit Carpathian war eine sehr angenehme Sache. Nicht zuletzt, weil unsere Freunde, die alten Schweden von Anchor, die Tour auch mitgespielt haben. Darüber hinaus waren die Jungs von Carpathian sehr nette Leute und es waren echt unglaubliche Shows dabei. Nur die Letzte Woche in England verhielt sich dann eher etwas schleppend. Dort blieb z.B. schon der zweite Van auf dieser Tour liegen und der Teil von uns, der nicht mit in die Werkstatt gefahren ist, verweilte den gesamten Tag auf dem Parkplatz eines Supermarkts in einem Vorort von Birmingham. Ansonsten hatten wir viel Spaß.
Pascal: Ich finde, Julians Darstellung spiegelt die Tatsachen nicht ganz richtig wieder. Immerhin hatten wir dann auf dem Parkplatz in Birmingham auch ’ne Menge Spaß. Vier Stunden lang Münzen gegen eine Wand zu schnipsen kann zur Abwechslung auch mal angenehmer sein, als vier Stunden im Van zu sitzen, wirklich! Was uns schon zum nächsten Thema bringt: im Van sitzen. Da hatten wir eine ganz spezielle Strecke. Wir sind nachts nach der Show von Braunschweig aus losgefahren, nach Stockholm, haben das Konzert da gespielt, sind in den Van gestiegen und zurück nach Bielefeld gefahren. Das waren glaube ich innerhalb von zwei Tagen etwa 35 Stunden im Auto. Dafür hatten wir dann in Bielefeld so ziemlich die beste Show der Tour und haben unglaublich viele nette Leute und Freunde getroffen. Da sind die Strapazen dann ganz schnell wieder vergessen.

Hört ihr eigentlich privat auch viel Hardcore? Oder eher weniger?

Julian: Manche mehr, manche weniger, würde ich sagen. Gemeinsam haben wir alle, glaube ich, dass man nicht mehr den besten Zugang zu aktuellen bzw. neuen Hardcore-Bands findet. Wenn ich z.B.  harte  Musik im weitesten Sinne hören will, dann greife ich eher zu so  heavy Sachen, wie Baroness oder Coalesce. Es kommt aber auch vor, dass ich mir aktuelle Platten, wie die neue Rise & Fall kaufe. Die sehe ich allerdings auch eher als unkonventionelle Hardcore-Scheibe.
Philipp: Ich habe früher geglaubt, dass ich beim Älterwerden meinen Musikgeschmack immer mehr festlegen würde und irgendwann einfach  mein Ding  gefunden habe. Ich stelle aber fest, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Ich kann immer mehr Sachen aus den verschiedensten Genres etwas abgewinnen, sei es Krautrock, Post Punk, Elektro, Hip Hop oder Britpop. Das schließt Hardcore aber natürlich nach wie vor mit ein. Einzig, ich bin nicht mehr so auf dem Laufenden was aktuelle Bands betrifft.
Pascal: Bei mir verhält sich das etwas anders. Bevor ich vor gut einem Jahr bei Ritual eingestiegen bin, war meine Wahrnehmung der europäischen Hardcore-Szene im Prinzip gleich Null. Durch das viele Touren hat sich das in den letzten Monaten ziemlich geändert, deswegen würde ich schon sagen, dass mein Interesse an der Musik und an aktuellen Bands tendenziell eher gestiegen ist. Letztendlich bleibt es aber meistens dabei, dass ich mir die Bands, die mich interessieren, live anschaue, wenn wir mal zusammen spielen. Privat sind es dann meist nur einige Ausnahmen. Das waren in letzter Zeit eigentlich nur die neue Platte von Converge und das neue Zeug von Lighthouse und Seed of Pain. Es gibt einfach auch unglaublich viel gute Musik aus anderen Bereichen, die es noch zu entdecken und zu hören gibt. Letztens bin ich zum Beispiel günstig an ein paar Miles Davis Platten gekommen, da war ich ziemlich glücklich.

Ich frage weil mich derzeit eine Sache arg beschäftigt. Viele Bands covern oder fühlen sich inspiriert von Joy Division. In eurem Falle finde ich eure Merchartikel super und erinnere mich eben ein wenig an die Band. Woran denkt ihr liegt es, dass Joy Division in der Szene so oft zitiert werden?

Julian: Ich denke ein Grund, warum Joy Division so präsent sind im Hardcore-Kosmos, könnte schlicht und ergreifend die düstere Stimmung bzw. die sehr düsteren und emotionalen Texte sein. Ich denke einfach, dass viele Hardcore- und Punkhörer sich sehr leicht damit identifizieren können, gerade jetzt wo Hardcore sowieso immer öfter sehr düster gespielt wird. Ich persönlich stehe gar nicht so sehr auf Joy Division, deren Ästhetik allerdings hat es mir echt angetan. Ich denke so kommt es auch zustande, dass unser Merch irgendwie diese Ästhetik ausstrahlen mag. Etwas Bewusstes ist das allerdings nicht.
Philipp: Ich denke auch, dass die Cover- und Sprachästhetik von Joy Division sich einfach gut auf düsteren Hardcore übertragen lässt. Es sind einfach ähnliche Dinge, die da verhandelt werden. Ich finde es aber schade, dass viele Leute trotz der im Hardcore verbreiteten Joy Division-Affinität andere großartige Post Punk-/New Wave-Bands aus der Zeit außer Acht lassen, die ich fast noch interessanter finde.
Was unseren Merch betrifft, so mag man hier und da die  Joy Division-Ästhetik  wiederfinden, aber wie Julian schon sagte, war das eigentlich nicht von uns intendiert. Im Gegenteil hatte ich sogar zum Teil andere Assoziationen; z.B. haben wir ein Shirt mit dem Hals und dem Kopf einer Frau drauf, das mich eher an das Cover der  Rank -LP von The Smiths erinnert.

Nicht nur vom Layout her sondern auch von der Musik her wird Hardcore in diesen Tagen deutlich düsterer. Auch euer Album hat viele düstere Elemente in sich. Seid ihr mit einer gewissen Einstellung/Haltung ins Studio und wolltet, dass die Platte genau SO aussieht wie sie jetzt aussieht?

Julian: Natürlich gab es eine gewisse Erwartungshaltung und relativ konkrete Vorstellungen, bevor wir ins Studio gegangen sind und das Album aufgenommen haben. Allerdings ist das auch etwas ganz Natürliches. Die meisten Songs sind im Vorhinein entstanden, lediglich einer ist im Studio fertig geworden. Trotzdem überlässt man doch viel dem Zufall, wenn man eine Platte macht und nicht gerade die Möglichkeit hat, sich zwei Monate im Studio einzuschließen und alles dort zu schreiben.
Für unsere nächste Platte haben wir uns vorgenommen, viele Ideen erst beim Aufnehmen auszuarbeiten und uns generell mehr Zeit zu lassen. Da freue ich mich drauf, denn mit einem solchen Ansatz sind wir noch nie an Aufnahmen herangegangen. Bisher haben wir uns noch nie mehr als 5 Tage im Studio aufgehalten.
Philipp: Was das düstere Moment unserer Platte betrifft, denke ich als Schlagzeuger, der die Texte beim ersten Mal quasi auch als Außenstehender zu lesen bekommen hat, dass die Texte schon gewissermaßen autobiographisch verstanden werden können, allerdings metaphorisch verschleiert sind. Dass für diese Themen dann aber nur eine düstere Metaphorik in Frage gekommen ist, ist naheliegend. Im Cover findet sich diese Metaphorik dann mit den dunklen Wolken auch wieder. Gleichzeitig habe ich im Cover aber immer auch etwas Positives gesehen; immerhin stehen wir da zu viert, da ist niemand alleine drauf abgebildet. So pathetisch das klingen mag, aber das sehe ich auch als Statement.

Rituale werden weitestgehend ebenso der düsteren Seite des Lebens angerechnet. Gibt es Rituale in eurem Leben?

Julian: Es kommt darauf an, wie man ein Ritual definiert. Es gibt Rituale, die eigentlich eher Gewohnheiten sind oder gewisse Routinen. Oder vielleicht sogar Fehler, aus denen man niemals lernt und die man immer wieder begeht. Diese findet man in jedem Leben. Ich habe in meiner Vergangenheit viele Fehler begangen und aus einigen auch gelernt. Manche allerdings verfolgen mich, womit ich dir recht gebe, dass Ritualen meist etwas Düsteres oder Negatives anhaftet.
Pascal: Also mir würde da jetzt spontan nur ein Ritual einfallen, das schon lange Zeit ein wichtiger Teil meines Lebens ist und das ist: lange schlafen. Seit ich studiere kommt das leider viel zu kurz. Als düster würde ich das nicht bezeichnen.

Aus welchem Grund habt ihr diesen Namen ausgewählt?

Julian: Meiner Meinung nach ist Ritual ein starkes Wort. Das Schöne ist, dass jeder irgendwelche Rituale hat und man somit auch in dieser Band sehen kann, was man mitbringt. Ich überlasse jedem selbst, das Wort mit einer Bedeutung zu versehen.

Denkt ihr, im Hardcore gibt es fest verankerte Rituale die auch von vielen Bands eingehalten werden und auch strikt als Ritual angesehen sind?

Julian: Es gibt bestimmt gewisse Regeln, die von den meisten Bands eingehalten werden. Auch wir können uns davon nicht freimachen. Eigentlich bewegt man sich als Band meistens innerhalb gegebener Grenzen, die nur von wenigen Bands gebrochen werden. Und wenn dies doch mal geschieht, verstehen es viele Menschen nicht. Man könnte meinen, die Menschen, die sich die Musik anhören, stecken in eben denselben Grenzen fest.
Ein konkretes Ritual, dass sehr oft zelebriert wird und mir Kopfzerbrechen bereitet, ist das Moshen. Ich dachte eigentlich immer, das ginge mit dem Kopf und langen Haaren.
Philipp: Rituale im Hardcore bewerte ich sowohl als positiv als auch als negativ. Zum einen mag man gelangweilt werden, wenn man das Gefühl bekommt, alle Bands agieren nach ritualisierten Verhaltensmustern; seien es die Bewegungen der Bandmitgliedern, die immer gleichen Ansagen o.ä.. Zum anderen ist es aber auch einfach ein gutes Gefühl, auf eine Hardcore-Show zu fahren und geradezu eine Sicherheit zu verspüren, dass man sich absolut fallen lassen und die Energie der Musik ekstatisch auf sich wirken lassen kann.
Pascal: Bestimmte Codes und Verhaltensmuster gibt es in der Hardcore-Szene ganz sicher. Ob man da irgendwo im Allgemeinen von Ritualen sprechen kann, weiß ich nicht. Die Idee von Punk ist ja eigentlich, sich vollständig von solchen Vorschriften freizumachen. In der Realität war das allerdings noch nie so und wird auch niemals so sein. Geht ja auch gar nicht. Das finde ich aber nicht schlimm, sondern eher menschlich.
Wir haben vor einiger Zeit mal auf einem Festival in Belgien gespielt, wo unter anderem auch Norma Jean gespielt haben. Die haben vor ihrem Auftritt hinter der Bühne zusammen gebetet. Das kann man vielleicht schon als Ritual bezeichnen. Aber ob das was mit Punk oder Hardcore zu tun hat, bezweifle ich.

Was ist eurer Meinung nach essenziell an einem Ritual?

Julian: Auf jeden Fall muss ein Ritual ein Vorgang sein, der auf langem Raum
wiederholt wird. Ob dieser nun zelebriert wird oder unbewusst geschieht, ist meiner Meinung nach nicht von Belang. Ansonsten…. umgedrehte Kreuze und Blutopfer!?

Was hingegen ist essenziell an der Band Ritual?
Julian: Für mich ist an Ritual die Energie das Wichtigste. In keinen anderen Bereichen meines Lebens erfahre ich dieselbe Intensität.

Etwas Obskures: Was hat es mit Im Tiefsten Dickicht  auf sich?

Julian: Haha, mein bisher größtes Werk. Einfach mal auf Youtube eingeben. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.

Interview: Raphael Schmidt

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