Januar 19th, 2020

REAGAN YOUTH aus # 183, 2017

Posted in interview by Jan

Trust: Hast du den Eindruck, dass es Reagan Youth deswegen wieder gibt, weil es um die Kohle geht?
Björn: Ha, oh, nein. Wäre auch lächerlich zu denken, dass das nur für die Kohle geschehen würde, denn dann würde sich der Aufwand für keinen lohnen, glaub´ mir. Reagan Youth ist Paul’s Lebenswerk, er will das natürlich leben und spielen, auch er kann von der Band nicht leben. Es sind ja auch genug Leute da, die Reagan Youth mögen und sehen wollen.

REAGAN YOUTH

Es war für mich eine der größten Überraschungen im letzten Jahr 2016: wir verweilten im Urlaub an der Ostseeküste im Sommer, als wir davon mitbekamen, dass REAGAN YOUTH (RY) in der Kieler Schaubude gastieren sollten. Die Band gibt es laut Wiki seit 2006 wieder und war schon mal in Deutschland, aber ehrlich gesagt hatte ich von ihren bisherigen Auftritten nicht unbedingt viel Gutes gehört, „Demontage einer Legende“ waren da noch die netteren Urteile. Aber weil die Band mit ihrer ersten Platte einen derartigen krassen Meilenstein abgeliefert hat (und auch eine durchaus interessante zweite Platte veröffentlichte)… da wollte ich mir selber ein Urteil bilden, live hatte ich die Band halt vorher immer verpasst.

Und was soll ich sagen, ich fand´, es war total geil! Der Original-Gitarrist Paul Cripple aus New York City spielte das Zeug einfach geil runter, die amerikanische Bassistin powerte gut dazu, der deutsche Sänger aus dem Saarland machte eine coole Show und der Schlagzeuger – ebenfalls aus Deutschland – war tight wie Sau, dazu gute Ansagen, nach 40 Minuten war alles vorbei, also genau die richtige Länge, was will man mehr. Nach dem Konzert plauderte ich ein wenig mit der Band (hach, was hatte die Bassistin für eine geile verrauchte Stimme) und unterhielt mich dann länger mit dem aktuellen RY-Schlagzeuger Björn aus Berlin.

Er erzählte auch, dass er mal bei Oxymoron spielte und als Schlagzeug-Roadie für D.H. Peligro von den Dead Kennedys arbeitete… Da dachte ich mir, dass das doch sicher interessante Geschichten sind und man immer so wenig die Leute im Hintergrund interviewt, wir tauschten Kontakt-Informationen aus, mir war klar, dass ich nochmal länger mit Björn sprechen „muss“. Ich hoffe, ihr findet Gefallen an unserem Dialog, der Anfang 2017 verschriftlicht wurde… Degenerated! Degenerated! And your minds have vegetated!

Björn, schön, dass du Zeit für unser Gespräch hast. Ich muss dir direkt sagen, dass mir der RY-Auftritt in Kiel total super gefallen hat; allerdings hatte ich von mehreren Leuten gehört, dass RY auf den letzten Touren total scheisse waren… woran liegt das, gab´s Probleme mit einem früheren Line-up?
Ja cool, wenn dir die Show gefallen hat, ich hatte auch mein Spaß und ich denke, es war ´ne gute Show, wir sind mittlerweile gut eingespielt. Ich habe RY auf den letzten Euro-Touren leider verpasst, kann das selbst nicht bestätigen, habe das aber auch nur mal gehört und kann deshalb nicht allzu viel dazu sagen.

Wie wird man eigentlich Trommler bei RY?
Es gab wohl Unsicherheiten bezüglich der Tour mit dem aktuellen Drummer. Der US-Booker der Band ist ein Freund von mir. Er hat mich angesprochen, ob ich Bock habe, die Tour zu spielen, da er weiß, dass ich so Sachen gerne mache, für Bands, wo ich Bock drauf habe, auf Shows, Tourneen oder im Studio zu spielen. Wir haben zusammen auf ein paar Touren hier in Europa zusammengearbeitet, auf ein paar Touren mit Dead Kennedys und einmal mit Angry Samoans. Zudem weiß ich, dass er Oxymoron mag…

Denke jedoch, das wohl noch mal ausschlaggebend war, dass er mich letztes Jahr in Hamburg mit meiner letzten Band vor Dead Kennedys (DK) spielen hat sehen. Was eigentlich ´ne witzige Sache war – ich war mit DK als Fahrer unterwegs, nach der Berlin-Show waren wir feiern. Er hat mit unserem Sänger gequatscht und meinte, dass zeitlich noch Platz wäre für ´ne Show in Hamburg am nächsten Tag, vor DK und Sonny Vincent. Also haben wir spontan, nachts um drei im Franken, ´ne Show für den nächsten Tag in der ausverkauften Grossen Freiheit ausgemacht. Coole Sache.

Wobei man aber schon auch sagen muss, auch wenn es mich natürlich freut, dass mich ´ne Band wie Reagan Youth anspricht, für sie ´ne Tour zu spielen, dass da auch ´ne Portion Pragmatismus mit rein gespielt hat. Sprich, warum soll man jemand in USA suchen – und dem ´nen Flug bezahlen -, wenn man jemand in Europa kennt, der das genauso übernehmen kann…

Ihr probt selten vor einer Tour oder?
Haha. Selten ist gut. Gar nicht. Die erste Probe war letzten Donnerstag im Underworld in London auf der Bühne und die zweite auf dem Rebellion vor keine-Ahnung-wieviel-tausend Leuten … Hatte ich so auch noch nicht, das erste Mal mit ´ner Band auf der Bühne vor Publikum zusammenzuspielen, vor allem, wir hatten uns auch das erste Mal circa zwei Stunden vor der Show im Hotel in London persönlich getroffen und dann direkt los, kein Soundcheck. Aber war ok. Die zweite Show bzw. Probe auf dem Rebellion war sehr geil!

Seid ihr dann auch bei den USA-Gigs dabei oder seid ihr „nur“ das Euro-Line-up?
Für USA ist nix geplant, da haben sie ´nen anderen Drummer und Sänger, vor allem auch, weil die Band mehr einzelne Shows drüben bzw. Wochenenden oder kurze Touren spielt, das würde sich nicht lohnen, da hin und her zu fliegen. Deswegen, ja, wir sind das „Euro-Line-up“. Aber es läuft live sehr gut hier, wir kommen gut klar und die nächste Tour wird kommendes Jahr Anfang April stattfinden. Um die Shows drum rum werden wir im Studio sein, Paul fühlt sich wohl mit dem Line-up und möchte ´ne LP oder Mini-LP aufnehmen, die ersten neuen Aufnahmen der Band seid, puh, fast dreißig Jahren?!

Wo werden RY in Europa am meisten gefeiert?
Keine Ahnung, aber die Band hat definitiv überall ihre Anhänger. Auf der Tour jetzt war noch keine schlechte Show dabei – sehr geil war die Show am Rebellion Festival: wir hatten nachmittags um vier die größte Bühne gespielt, der Saal war von Anfang bis Ende komplett voll, sehr geile Stimmung im Publikum und dafür, dass es unsere zweite Show war, haben wir definitiv auch ´ne gute Show gespielt.

Stell doch mal euer aktuelles Line-Up vor – hat sich das der Originalgitarrist Paul Cripple zusammen gecastet?
Prinzipiell, klar, Paul ist das einzige Originalmitglied und es ist seine Band. Tibbie X, Bass, ist ursprünglich aus New York, wohnt in Philadelphia und ist seit sechs oder sieben Jahren festes Mitglied bei RY. Ihr US-Booker hatte sie mal als „She is the glue to the Band“ bezeichnet. Sie hat noch ´ne eigene Band, in der sie singt, „Gash“. S/M Punkrock bzw. Sleaze Rock, das, was ich bis jetzt gehört habe, ist sehr cool. Sie war früher die Sängerin von X-Possibles. Max singt bei „Christmas“. So hatten sich auch die Band und er getroffen.

Christmas haben auf der letzten oder vorletzten Tour im Vorprogramm von Reagan Youth gespielt. Ich weiß, dass Paul sehr angetan von ihm und seiner Bühnenshow- und Präsenz war, Tibbie auch, und so hatten sie ihn angesprochen. Und meine Wenigkeit, wie oben schon erwähnt, ich wurde von deren US-Booker empfohlen, die Band und ich kannten uns vorher nicht persönlich.

Steht ihr noch hinter den Peace-Punk-Botschaften der Band?
Absolut! Das ist nach wie vor absolut Paul’s Ding, damals wie heute. Er lebt das, dass ist unverkennbar, wenn man mit ihm unterwegs ist, in allem, was und wie er es so von sich gibt, auch in seinen Ansagen auf der Bühne. Er verkörpert nach wie vor diese Message von Reagan Youth.

Gab es je Probleme mit dem „Sieg Heil“ in dem „We are Reagan Youth“-Theme-Song?
Ja, was ich gehört habe, hauptsächlich in Deutschland … . Es ist eine provokative Zeile in ´nem provokativen Song von ´ner provokanten Band. Wie es halt so ist, die Leute kennen die Texte nicht, beschäftigen sich nicht damit, hören die Zeile und interpretieren es falsch (oder wollen es falsch interpretieren)… Manche Sänger hatten die Zeile wohl auch in ihrer Bühnenshow mit der entsprechenden Handbewegung untermalt, was das noch unterstützt hat. Aber bei ´ner Band wie RY da die Message nicht zu verstehen bzw. in ´ne falsche Richtung zu interpretieren halte ich für sehr weit hergeholt und unreflektiert…

Ich war total überrascht, ich liebe natürlich die erste Platte, finde aber auch die zweite gut, deshalb dachte ich, ich kenne alle eure Songs, aber mir waren dann doch einige unbekannt… waren das neue Stücke?
Nein, neue Songs waren keine dabei. Die beiden Aufnahmen sind ein bisschen unterschiedlich. Die ersten typische maximal eineinhalb-Minuten Songs mit guten Hooks voll auf die Zwölf. Die letzten neueren Aufnahmen, ja, nennen wir’s vielleicht ein bisschen melancholischer, da kann so ein Song schon mal sechs Minuten sein … aber auch geil.

Dave Insurgent (der Original-Sänger von RY, JR) ist an Heroin gestorben oder? Was machen die anderen alten Originalmitglieder (Bass, Schlagzeug) heute so, wissen die, dass es RY wieder gibt?
Nein, er hat sich, soviel ich weiß, mit ´ner Überdosis Tabletten das Leben genommen. Sehr tragische und ich finde traurige Geschichte. Muss auch ein ziemlich genialer Typ gewesen sein. Und auch Paul’s nahestehendste Person, wie es sich für mich anhört. Er spricht oft über ihn, d.h. Dave begleitet uns ständig, ist allgegenwärtig. Denke, dass Paul dadurch, dass er mit Reagan Youth weitermacht und viel über ihn spricht, die Sache auch irgendwie verarbeitet …

Nein, um die Story kurz zu machen, er war irgendwann stark Heroinabhängig, hatte dann ´ne Freundin , die dieselbe Sucht hatte. Soviel ich weiß, ging sie auf den Strich, um das zu finanzieren. Sie wurde dann von ´nem Stammkunden, ´nem Freier, der sich später als einer von Amerikas Serienkillern entpuppt hat, umgebracht. Das war schon ein schwerer Schlag, hinzu kam noch, dass Dave später von ´nem Dealer wegen ausstehender Schulden mit dem Baseballschläger ziemlich entstellt wurde.

Paul beschrieb das mit… er konnte seine „Downward Spiral“ nicht mehr stoppen und kam da immer tiefer rein oder so ähnlich und hat sich dann das Leben genommen. Ich weiß nicht viel mehr über die anderen alten Mitglieder, als das, was auf der Webseite steht … neben Dave ist sicher noch einer gestorben. Und von ´nem dritten ist sich Paul sicher, dass er wohl auch tot ist …

Hast du den Eindruck, dass es RY deswegen wieder gibt, weil es um die Kohle geht?
Ha, oh, nein. Wäre auch lächerlich zu denken, dass das nur für die Kohle geschehen würde, denn dann würde sich der Aufwand für keinen lohnen, glaub´ mir. Reagan Youth ist Paul’s Lebenswerk, er will das natürlich leben und spielen, auch er kann von der Band nicht leben. Es sind ja auch genug Leute da, die Reagan Youth mögen und sehen wollen.

Erzähl doch mal von deinen sonstigen Szene-Aktivitäten, du warst ja auch der Trommler von OXYMORON, gibt’s euch noch?
Nein. Wir haben 2002 die letzte Show gespielt. Oxy war ´ne geile Band, ´ne geile Zeit, wir waren viel unterwegs. Natürlich schade, weil es nach wie vor weltweit viele Leute gibt, die die Band mögen. Unsere Scheiben werden gerade alle in USA und in Europa von verschiedenen Labels wieder veröffentlicht, was mich natürlich freut und auch stolz macht, dass nach wie vor viele Leute da sind, die Bock auf die Band haben… und in USA entsteht momentan ein Oxymoron-Tribute-Sampler, zu dem viele gute Bands ihren Beitrag leisten, auch Bands, mit denen wir damals getourt sind.

Ich war auch damals, während Oxymoron, schon gern mit anderen Bands als Fahrer, Tour-Begleiter etc. auf Tour, wie zum Beispiel mit The Damned, Gang Green, Angry Samoans, Loikämie, Dead Kennedys … um einige zu nennen. Mit Loikämie hatte ich auch mal ´ne Show als Drummer auf dem Force Attack gespielt, weil deren Schlagzeuger nicht konnte. Seit circa zehn Jahren bin ich für Missy and the Fits, ein Projekt in Hamburg, als Drummer tätig, was ich sehr cool finde.

Ich hatte mal ´ne Zeit in San Diego verbracht und da ´ne Scheibe mit ´ner lokalen Band, den Rich White Males, eingespielt und habe hier in Berlin in Bands gespielt. Zusätzlich biete ich mich für Bands als Tour- und Studio-Drummer an und werde demnächst, für Musiker oder Bands, die nicht in der Nähe ansässig sind und Bock auf meinen Stil haben, Schlagzeugspuren für deren Aufnahmen via Online Recording anbieten. Wer da Bedarf hat, kann sich gerne bei mir melden.

Du erzähltest mir ja, dass du auch mehrmals Roadie bei den wiedervereinigten Dead Kennedys warst, berichte doch mal davon, wie sind die so drauf, was erzählen die so, sind es die geldgierigen Arschlöcher, alles totale Diven, was war dein Eindruck? Warst du der spezielle Roadie für den Dead Kennedys-Trommler D.H. Peligro?
Die ersten drei Tourneen 2003 und 2004 in UK und 2006 ´ne kurze Festivaltour in Holland und Belgien war ich Roadie für D.H. Letztes Jahr war ein anderer Drummer dabei, weil D.H. nicht konnte, da bin ich hauptsächlich gefahren. Big Rock/Chris Schäffer – den, wie du meintest, ihr ja auch mal interviewt habt und der leider vor paar Jahren gestorben ist (Vgl. Trust #147 von 2011, dort findet sich das Interview mit Big Rock, JR) – hatte mich gefragt. Er ist die letzte Oxy-Tour gefahren und sollte die Dead Kennedys fahren. Die Band hat gefragt, ob er ´nen Schlagzeuger kennt, der auch stimmen kann, haha, und Bock hätte, die Tour als Roadie mit zu fahren. So kamen wir zusammen. Die Band ist weder das eine noch das andere. ´Ne sehr angenehme, ehrliche Truppe, mit der man gut Spaß haben kann. Ich freue mich immer, wenn man sich, egal wo, trifft.

Denkst du, die drei original-DK-Mitglieder haben im Streit mit Jello Biafra Recht?
Ich persönlich hab´ da schon meine Gedanken, kenne jedoch Jello nicht persönlich. Was ich jedoch sagen kann, man lernt sich ja in den Jahren, auf vier – teilweise längeren – Tourneen ja schon bisschen kennen und lernt den anderen in verschiedenen Punkten einzuschätzen. Das Thema wird auch nicht oft angesprochen. Habe auch nur mit Klaus mal lange darüber gequatscht, das ist aber schon … dreizehn (?) Jahre her. Deswegen, meine persönliche Auffassung: ich habe keinen einzigen Grund bekommen, an deren Aussagen und vor allem Auffassung zum Streitthema zu zweifeln, ganz im Gegenteil. Was man aber auch nicht vergessen darf, dass vor allem bei Bands, die viel gemacht haben, es bei so Streits dann oft doch um mehr gehen kann, als das, was nach außen dringt bzw. was Außenstehende mitbekommen …
Alles klaro, am Ende noch ein paar kurze Fragen…“Jesus was a pacifist“?
Haha, ja, unbedingt.

„Fresh fruit for rotten vegetables“ oder „Frankenchrist“?
Geht beides.

Welcher Song von RY macht am meisten Bock, zu spielen?
Es sind viele geile Lieder im Set, die Laune machen zu spielen … „Jesus was a Communist“ ist momentan einer meiner Favoriten.

KISS oder AC/DC?
Zweiteres!

Ich danke dir für deine Zeit!

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: reagan-youth.com

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