März 25th, 2020

PRETTY GIRLS MAKE GRAVES aus #97, 2002

Posted in interview by Jan

PRETTY GIRLS MAKE GRAVES

Eintrag ins Logbuch: Wir schreiben das Jahr 2002. Gibt es noch musikalische Lebensformen, die uns begeistern können? Auf dem Planeten Erde, im Koordinatensystem Köln, Büze, und Wiesbaden, Schlachthof, wurde eine unbekannte Größe entdeckt, die infolge ungestüm freigesetzter Energie auf der Bühne, meine Armhärchen im Gänsehautschauer hochschnellen ließ. Leidenschafts- und Aufrichtigkeitsdetektor schlugen bei 100% aus. Der Name des zu erforschenden Phänomens geht zurück auf einen Smiths-Song, der zurückgeht auf Jack Kerouacs „Dharma Bum“, und wurde von den Pretty Girls Make Graves ausgewählt, weil vielfältig interpretierbar.

Mit „Speakers Push The Air“ haben sie eine Solidaritätshymne für Musikbesessenen aufgenommen: „Do you remember when we couldn’t put it away?… Do you remember what music meant? (To you?) (To me?)… Life’s complications and frustrations they disappear when the music starts playing. I found a place where it feels alright. I heard a record and it opened my eyes… Well, did it mean it to you? There was that one definite moment when it was something new… And nothing else matters. Yeah Nothing else matters. When I turn it up loud.“ Diese Aussage mußte natürlich ergründet werden.

Auf welche Musik bezieht ihr euch in „Speakers Push The Air“?
Andrea Zollo (voc): Ich denke das ist für jeden Hörer vollkommen unterschiedliche Musik, total persönlich. Welche Musik auch immer wichtig ist, wenigstens war das für mich die Musik, die mir als Weg die Tür zu einer neuen Welt geöffnet hat. Ich weiß nicht, ob ich sagen soll, die Tür zu Punkmusik geöffnet hat, denn es bezieht sich nicht nur darauf, sondern auf jegliche Musik, die deinen Weg, deine Richtung ändert.

Kannst du einige Bands nennen?
Andrea: Für mich war es der Einstieg in Punk. Ich war ziemlich jung. Es hat sich mir eine komplett neue Welt eröffnet mit Dingen, von denen ich damals noch nicht wußte, daß es sie gibt, wie die Shows, Ideale, einfach alles, unzählige Sachen, andere Lebensweisen.

J, welche Bands haben dein Leben geändert?
J Clark (git): Oh… Drive Like Jehu… uhm… oh, wow… Eine Menge unterschiedlicher Musik, viel Jazz. Über Punk kam ich, als ich älter wurde, mehr zu Musik, die mir die Augen für die musikalische Vielfältigkeit geöffnet hat, Jazz….

Welcher Jazz?
Charles Mingus, Art Blakely…..
Nathan Johnson (git): Grundsätzlich inspirieren mich die Bands meiner Freunde, deren Entwicklung ich verfolgen kann. Es ist für mich schöner, die Entwicklung eines Songs, einer Liveshow zu beobachten, als das fertige Produkt zu haben. Eine Menge Bands aus Seattle wie Love As Laughter, Ex-Best Friends inspirieren mich stark. Ach, und Your Enemy’s Friends.

Derek Fudesco (b, voc): Es gibt einen Haufen Bands, die mich inspiriert haben. Aber wahrscheinlich als ich mit ungefähr 13 Jahren zum ersten Mal die Vandals hörte… Und das klingt jetzt, da ich älter bin, und es erzähle, vielleicht komisch, aber diese Energie, dieses Andersartige im Vergleich zu Billy Joel, zu dem ein 13jähriges Kid damals eher Zugang hatte, hat mich musikalisch komplett verändert. Das und die ganzen anderen typischen Bands wie Black Flag, Misfits haben mein Leben geändert. Danach habe ich alles dem Musikmachen, dem Songwriting gewidmet.

Nick Devitt (dr): Oh… John Frusciantes erstes Soloalbum ist definitiv lebensverändernd. Zu dieser Zeit hat er eine Menge Heroin gedrückt, hatte irgendwie seinen Verstand verloren, aber ziemlich erstaunliche Songs geschrieben. Du kannst bei seinen meisten Aufnahmen hören, daß er lediglich einen Cassettenrekorder hat mitlaufen lassen, während er total abgefuckt spielte. Aber er schreibt unglaubliche, psychedelische Songs. In ihnen klingt etwas Selbstzerstörerisches mit, das wirklich anziehend ist, denke ich. Er ließ seine Seele in das Album einfließen.

Andrea: Musik, die uns momentan oder an irgendeinem anderen Punkt in unserem Leben wichtig war, ist immer unterschiedlich, ändert sich ständig, aufgrund neuer Inspirationen.

Hilft Musik in jeder Lebenssituation?
Andrea: Musik war die eine Sache, die kontinuierlich während meines ganzen Lebens für mich da war. Insofern ist sie immer ein großer Teil meines Lebens gewesen.

Verpassen Leute irgendwas, wenn sie nicht in einer Band spielen?
Derek: So kannst du das nicht sagen. Jemand, der Ski fährt, bekommt die Kicks im Leben eben daraus. Ein Skifahrer…. Ich habe darüber übrigens im Van nachgedacht… (Gelächter)… über Leute, die Flipside von allem… Da fährt gerade jemand Rollerblades und probiert einen Trick auf einem Bein aus. Und das ist alles, woran er denkt. Er geht zu Bett und sagt sich „morgen werde ich die Sache zu Ende bringen“. (großes Gelächter) Und das ist nicht viel anders bei uns, wenn wir einen Beat oder ein Lick im Kopf haben (noch mehr Gelächter) und mit uns herumtragen, versuchen wir sie rauszubekommen. Deswegen denke ich, daß niemand etwas verpaßt, denn auch wir könnten uns nicht vorstellen, wie es ist, Wasserski zu fahren oder einen Eistunnel runterzuschießen. Die riskieren ihr Leben für sowas!

Nick: Follow your dreams.

Derek: Die Leute, die sich nur einigeln, ihren Job haben und leben um zu überleben, verpassen etwas. Sie arbeiten, um zu essen, Fernsehen zu schauen, und sie haben keine Leidenschaft für irgendwas. Aber was Musik anbelangt, ist sie genauso gut wie alles andere auch, was dich leidenschaftlich bewegt.
Andrea: Ich denke nicht, daß du in einer Band spielen mußt, um alles aus Musik herauszubekommen. Es ist egal, ob du Zuhörer, Fan, Fotograph oder Promoter bist. Eine Menge Freunde sind Fotographen und obwohl sie keine Instrumente spielen, leisten sie damit einen Beitrag zur Musik, denn sie lieben Musik.

Was war der Auslöser für die Bandgründung?
Derek: Wir wollten alle zusammen spielen.
Irgend jemand: Das war aber ein wenig komplizierter…

Aber wie habt ihr zusammengefunden?
Derek: Zuerst kam Nick als Roadie für die Murder City Devils mit auf Tour und wir sprachen darüber, zusammen in einer Band zu spielen. Nach der Tour fingen wir an zu proben. Nathan und Nick spielten in den Beehive Vaults und wollten weiterhin etwas zusammen machen. Andrea und ich wollten zusammen spielen…. und niemand hat J… (was in totalem Gesprächs- und Lachchaos untergeht, da sich J nun einmischt)

J: Hey, und ich habe ständig gesagt, daß ich gerne bei ihnen spielen will. Und sie meinten, oh well, laß uns sehen, wir wissen es nicht, keine Ahnung. Das zog sich über zwei, drei Wochen, vielleicht einen Monat hin. Und schließlich spielten wir zusammen. Ich habe eigentlich nur viermal mit ihnen geprobt, bevor wir die EP aufgenommen haben.

Wie das?
Andrea: Wir haben die EP aufgenommen, bevor wir die erste Liveshow gespielt haben. Wir wollten was haben, das die Leute mitnehmen konnten, um es sich später Zuhause in Ruhe anhören zu können.

Derek, was hat dich bewogen, andere Musik als Big Balls R’n’R wie mit den Murder City Devils zu machen?
Derek: Als wir mit PGMG anfingen zu proben, war es wirklich toll. Ich möchte meine alte Band nicht schlecht machen, ich liebe sie, aber es gab keine Herausforderung mehr. Wir hatten eine Formel, die funktionierte, und niemand hatte den Willen, etwas Neues zu probieren. Auch ich habe meine Songs immer in derselben Art und Weise geschrieben. Daneben habe ich jedoch melodischere Sachen geschrieben, die ich nicht für MCD benutzen konnte, weil es da gesetzte Grenzen gab.

Was die technische Seite anbelangt, wollte ich mein Baßspiel in PGMG vielleicht verbessern. Die Art wie wir als Band bei den PGMG Songs schreiben, sie sezieren, ist absolut anders als bei MCD. Dort schrieb ich Zuhause ein Stück, brachte es mit zur Probe und die anderen haben ihre Parts dazu beigetragen. Jeder hatte einen Song, den er geschrieben hat. Das war einer von meinen, das einer von einem anderen….

J: Wir fordern uns heraus. Wir versuchen gegenseitig aus jedem einzelnen, das, was wir für das Bestmögliche halten, herauszuholen. Und es funktioniert.

Derek: Keep rock’n’rolling!

Nick: Or keep making better songs.

Für mich persönlich wirkt das Album „Good Health“ im Vergleich zu den Liveauftritten eher kraftlos. Was meint ihr dazu?
Andrea: Es hat wahrscheinlich mit der großen Anzahl der Auftritte zu tun, die wir hinter uns haben, seitdem wir das Album aufnahmen. Wir haben nichts anderes gemacht als touren, touren touren, so daß das ständige Spielen uns hoffentlich und theoretisch nur hat stärker werden lassen.

Derek: Ich liebe die Aufnahme, aber ich finde sie ein wenig zu glatt.

Nathan: Ich bin wirklich stolz auf das Album. Alles ist in der Weise zu hören, wie ich es hören will.

J: Ich denke, daß alle unsere Aufnahmen auch ein wenig unausgereift waren. Immer wenn wir eine Platte aufnahmen, hatten wir das vorher nicht geplant, es kam einfach so. Einige Songs haben wir im Studio fertiggestellt. Wir hatten nicht soviel Zeit wie vielleicht andere Bands oder wir uns gerne genommen hätten, um ein Album aufzunehmen.

Andrea: Ich bin froh, daß es nicht gleich klingt, denn eigentlich mag ich es nicht, Bands live anzuschauen und das Gefühl zu bekommen, daß ich genauso gut Zuhause die Platte hätte auflegen können.

Andrea, da ich gerade ein Buch über Popkultur und Feminismus lese, muß ich dich fragen, ob du ein riot grrl bist…
Andrea: Uhhh…(lacht) Ich würde mich wahrscheinlich nicht als riot grrrl bezeichnen, aber ich weiß aus welcher Richtung du deine Frage stellst. Ähm… wie war die Frage noch mal?… (Gelächter) Ich habe keine Ahnung, was es für dich heißt, aber ich identifiziere mich nicht mit der Riot Girl Szene in irgendeiner Weise. Was ich dazu sagen kann ist, daß ich am längsten von allen aus der Band in Seattle lebe, ich bin dort aufgewachsen. Es gab immer eine große Musikszene und es waren immer Frauen involviert, nicht unbedingt als Riot Girl Szene.

Es gab dort Auftrittsorte, die Frauen freundlich, positiv und unterstützend aufgenommen haben. Du konntest dir eine Menge Frauenbands aus vielen unterschiedlichen Richtungen anschauen. Als ich jung war, liebte ich auch Riot Girl Musik, die mich beeinflußte, wie Mia Zapata und die Gits. Es war cool, Zeugin der Sachen, die damals in dieser Szene passierten, sein zu können. Es war aufregend und ich bin glücklich darüber. Es ist auch cool, mitzubekommen, daß so etwas immer noch überall auf der Welt abgeht. Aber da weiß ich nicht, wie spezifisch das ist, ob das als Riot Girl Gruppierung bezeichnet werden kann wie die in Olympia damals.

Du hast einen sehr artikulierten Gesangsausdruck und eine starke Bühnenpräsenz? Wie hast du die entwickelt?
Andrea: Das geht wahrscheinlich zurück auf meine ganzen role models. Aber danke! Mia Zapata ist ein gutes Beispiel. Sie war großartig, hatte eine tolle Stimme.

Hast du in dem Stück „By The Throat“ Film als Metapher für Leben benutzt?
Andrea: Nee, das ist eigentlich ziemlich wörtlich gemeint. Geht zurück auf ein social issue…..

Mögt ihr Filme?
Andrea: Diese Frage ist für euch, Jungs.

Derek: Was?

Andrea (betont jede Silbe): Mögt ihr Filme!

Derek: Wir gehen jeden Tag ins Kino! Egal was gezeigt wird.

OK, dann habe ich drei Fragen für euch: Erstens, in welchem Filmgenre hättet ihr gerne einen Gastauftritt (als Band)?
Derek: Oh mein Gott, ich denke es müßte entweder der nächste „Die Hard“ sein oder wenn ich zurück gehe „Beverly Hills Cop“ oder der erste „Lethal Weapon“, irgendeine von den verdammt besten Action-Trilogien aller Zeiten.

Nathan: Ich denke, es sollte mehr „Craddy Kid“ Filme geben. Ich wäre der erste Kandidat für den nächsten „Craddy Kid“. (Das ist Schweinkram. Jedenfalls spuckt die Suchmaschine nach Eingabe der beiden Worte plus etwas anderem, was Nathan noch erwähnte, Eindeutiges dazu aus.)

Zweitens, zu welchem Filmgenre würdet ihr gerne den Soundtrack schreiben?
Nathan: Das ist schwer. Ich weiß es gar nicht. Aber gute Frage…. Ich würde gerne die Musik zu einem Horrorfilm machen. Das wäre ziemlich lustig.

Nick: Ich sitze definitiv im gleichen Boot. Die Musik zu „ The Shining“, und ich weiß nicht, wer sie gemacht hat, ist vollkommen atmosphärisch…. Die Musik zu den Szenen ist unkonventionell, beruht auf Stimmungen und Geräuschen, um Atmosphäre zu schaffen. Sie ist unglaublich.

Drittens, in welchem Film würdet ihr gerne schauspielern? (Derek hat es ja schon in „The Edge Of Quarrel“ hinter sich gebracht…)
Derek: Schauspielern ist schwer. Ich glaube, daß ich es nicht kann.

Nick: Ich würde gerne in einem Film mit Natalie Portmann spielen. Irgendeinem Film.

Wahrscheinlich einem Porno….
Nick: Nein, nein, nein, (großes Gelächter) ich bin viel romantischer als das. Ein romantischer Film oder eine romantische Komödie…

Letzte Frage: Wo wollt ihr in 5, 10 Jahren sein?
Irgend jemand: Dann werde ich 36 Jahre alt sein…

Derek: Ich hoffe an einem tollen Ort zu leben wie Rom, New York oder irgendwo anders. Ich hoffe, daß ich gesund bin. Solange ich gesund, das ist alles, was wichtig ist, bin ich glücklich.

Nick: Ich würde gerne in den Schweizer Bergen leben… (Gelächter)

Irgend jemand: Und Käse machen?

Nick: Nein, ich glaube nicht, daß ich Käse herstellen will. Und zurück zu deiner vorherigen Frage: Der Film, in dem ich gerne mitspielen würde, wäre „Groundhog Day“.

Derek: Da bin ich schon mittendrin…

Nick: Ja, genau.

Andrea: Hoffentlich irgendwo, hoffentlich glücklich mit dem, was ich mit meinen Leben mache. Ich weiß nicht mal, was nächste Woche ist.

Derek: Auf die gleiche Frage vor 10 Jahren hätte ich nicht sagen können, daß ich heute in Deutschland in einem ehemaligen Schlachthof spiele…

Diskographie: www.prettygirlsmakegraves.com

Interview & Fotos: Andrea Stork

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