Juli 17th, 2019

PLEASURE FOREVER (#90, 2001)

Posted in interview by Thorsten

Irgendwann im Mai drückte mir ein amerikanischer Bekannter eine Mini-CD in die Hand. „Hör dir die mal an, mit denen arbeite ich künftig“, meinte er nur – was für Musik das sein könnte, sagte er nicht. Ich war schon beim ersten Hören beeindruckt: Ich liebte diese ausschweifenden Orgel-Parts in den Songs, die für Punk viel zu lang waren. Aber es war immer noch Punk, was diese Band machte – Punk in dem Sinne, wie ihn Juno auch auf ihrer neuen Platte spielen. Nur vielleicht nicht so nachdenklich, zerbrechlich und verinnerlicht, sondern weit dekadenter, exzessiver, nicht unbedingt Lebensbejahender, aber sicherlich -genießender. „Goodnight“ hieß die CD und Pleasure Forever die Band, die seither definitiv zu meinen Favoriten gehört. „Goodnight“ wurde hierzulande praktisch nicht wahrgenommen, und auch wenn das erste selbstbetitelte Album tatsächlich in den Läden zu bekommen ist, hat sich daran nicht viel geändert. Dabei halte ich die Platte für die beste seit der unglaublichen „Relationship Of Command“ von At The Drive-In (warum das auch für das Gefühl, das die Platte ausstrahlt, gilt, erkläre ich in meiner Kolumne, deswegen erspare ich mir hier die Wiederholungen. Aber wen es interessiert, der sollte ein paar Seiten zurückblättern).

Pleasure Forever sind zugleich auch ein Symbol für den Überraschenden Aufstieg, den Sub Pop im Laufe der vergangenen Monate gemacht hat. Wer hat sich seit Anfang der 90er Jahre schon noch eine Platte von dem Label gekauft? Von Sunny Day Real Estate mal abgesehen, aber mit wachsendem Abstand halte ich deren Musik auch für immer oberflächlicher, fader. Und dann kommen plötzlich einige der relevantesten Alben bei Sub Pop raus. Angefangen mit den Makers, Murder City Devils, jetzt auch Zeke und Zen Guerilla bis hin zu den mir bisher völlig unbekannten Laughter And The Sea. So groß wie 1991 wird Sub Pop bestimmt nicht nochmal, aber die Bands haben mindestens die Qualität der Gruppen, die Ende der 80er Jahre aus Seattle kamen oder zum Umfeld gehörten. Wäre auch schön, wenn das einer mitbekommen würde. Aber so wie Pleasure Forever nun hierzulande leider ignoriert werden, scheint sich das vorerst nicht zu ändern.

Vielleicht erzählst du mir erstmal, was mit The VSS passiert ist, wie daraus Slaves entstand, und warum ihr nun Pleasure Forever heißt.

Im Prinzip waren The VSS 1996 und 1997 ständig auf Tour. Dabei bemerkten wir immer mehr, dass wir uns selbst in musikalischer Hinsicht in eine Ecke gestellt hatten. Uns wurde klar, dass wir immer das Gleiche machen würden. Wir konnten uns einfach nicht so entwickeln, wir wir selber das wollten. Wir wussten, dass The VSS an ein Ende gekommen waren. Trotzdem wollten wir drei einfach weitermachen, weil wir wunderbar zusammenpassten. Ich hatte die ganze Zeit über schon ein Seitenprojekt im Kopf, das ich Slaves nennen wollte. Ich hatte nicht unbedingt eine Band im Sinn, sondern so etwas wie eine musikalische Umgebung. Wenn wir live spielen würden, sollten die Instrumente im Raum verteilt sein. Ich wollte eine andere Erfahrung bieten. Als The VSS am Ende waren, entschied ich mich dazu, dieses Projekt einfach mal auszuprobieren und andere Musik zu machen. Im Prinzip kamen Josh und Andy irgendwann dazu. Wir arbeiten dann viel mit Dynamik, es ging nicht so sehr darum, so viele Teile wie möglich in die Songs zu packen, sondern die Lieder etwas zu reduzieren.

Also gab es für eine Weile Slaves, und jede einzelne Platte war ein Experiment. Wir spielten damit rum, wie wir Songs schreiben. Die erste Platte nahmen wir live in unserem Proberaum auf, die zweite schrieben wir innerhalb einer Woche. Wir leben alle in verschiedenen Teilen der Staaten, also nahmen wir uns vor, eine Woche lang zu üben und das Ergebnis aufzunehmen. Wir wollten einfach sehen, was dabei rauskommt.

Gerade als wir mit der neuen Platte starteten, änderten wir dann den Namen der Band. Wir waren immer unzufrieden damit, wie Leute den Namen interpretierten. Grundsätzlich hatten wir den Namen gewählt, weil wir uns mit dem Konzept von Sklaverei beschäftigen wollten. Wir wollen uns nicht „die Sklaven“ nennen, als wären wir in irgendeiner Weise versklavt. Es ging mehr darum, warum Menschen Sklaven werden oder welche nehmen – in all den denkbaren Weisen. Wir waren etwas frustriert darüber, zumal wir natürlich eine weiße Band in den USA sind, was sehr missverständlich sein könnte. Das wollten wir vermeiden. Also entschieden wir uns dazu, den Namen zu ändern, zumal Pleasure Forever ein wesentlich besserer Name ist – sehr ungewöhnlich, weit aussagekräftiger.

Wie siehst du den Namen? Pleasure Forever – das wird doch irgendwann etwas Furchtbares.

Ja, klar. Es ist schon so etwas wie ein utopisches Konzept. Es hat was Poetisches, wenn Menschen das Leben in vollen Zügen genießen würden, aber sich letztlich bei ihrem Versuch zerstören. Das ist die Idee dahinter: Wir wollen grundsätzlich etwas haben, was wir nicht bekommen können. Das ist die beeindruckende Poesie des Menschen. Und man kann nicht Freude empfinden ohne Schmerz.

Ich hab auf eurer Webseite all diese Namen von Leuten wie Elvis Presley oder Jim Morrison gesehen, die sicher intensiv gelebt, aber sich dabei auch zerstört haben. Das ist doch, was du meinst.

Also, wir erzählen schon das Gegenteil von irgendeiner Straight Edge Band, die Leute dazu ermahnt, auf sich aufzupassen. Aber ich denke, es geht nicht nur um Exzesse von irgendjemanden, sondern um eine grundsätzliche Tendenz, die es bis zu einem gewissen Grad bei jedem Menschen gibt.

Seht ihr euch eigentlich in einer Linie mit den Menschen, die ihr da nennt? Charles Manson ist ja noch dabei. Oder Nero.

Nein, ich würde nicht sagen, wir stehen in einer Reihe mit ihnen. Das würde bedeuten, dass wir mit allem Übereinstimmen müssten, was sie getan haben. Es geht mehr darum, dass diese Menschen ein interessantes Leben geführt haben, interessante Ideen hatten oder eben diesen Namen, „Pleasure Forever“, repräsentieren. In welcher Weise auch immer. Sie hatten ihren eigenen Willen und taten, was sie wollten, ohne auf die Regeln, die die Gesellschaft setzt, zu folgen.

Wie konsequent seid ihr denn?

Viele haben uns gefragt, ob wir Hedonisten wären. Ich persönlich denke, dass das richtige Leben ist, seinen Versuchungen nachzugeben. Aber Nachgiebigkeit ist nicht das gleiche wie innerer Zwang. Wenn Leute zwanghaft handeln und selbstzerstörerisch werden wie Jim Morrison zum Beispiel, ist das eher tragisch. Man muss sich bewusst sein, dass man bis zum Rand gehen und sich darüber lehnen kann. Aber das bedeutet auch, dass man den Schritt zurück machen sollte. Die interessantesten Personen sind also die, die sich nicht auf diese Weise zerstören.

Aber die meisten Menschen in eurer Liste haben sich zerstört: Jim Morrison brachte sich mit Alkohol um, für Brian Jones oder Elvis Presley gilt das Gleiche, Charles Manson sitzt im Gefängnis. Es scheint also sehr schwierig zu sein, nicht über die Grenze zu schreiten.

Mit Sicherheit ist das schwierig. Aber es gibt Leute, denen das gelungen ist. Aleister Crowley zum Beispiel. Charles Manson lebt zumindest, auch wenn er nun im Gefängnis sitzt.

Anderes Thema: Auf der EP ist diese Figur der heiligen Maria zu sehen mit einem geöffneten Brustkorb. Was bedeutet das?

Das stammt aus einem Museum in Florenz. Dort sind Wachsfiguren zu sehen, die für medizinische Zwecke während der Renaissance hergestellt worden waren. Unser Gitarrist Josh war vor ein paar Jahren in diesem Museum und hat sehr viele Fotos geschossen. Das Cover ist eines der Fotos. Die Figur diente Medizinstudenten. Das Foto gefiel uns, weil es so verstörend ist. Das Gesicht hat einen Ausdruck von Ekstase, während die Innereien zu sehen sind. Es ist nicht gewalttätig oder eine Mordszene. Das fanden wir ausgesprochen interessant – es zeigt so viel von Freude und Schmerz. Es sagt so viel über menschliches Leben aus, über Leben und Tod. Wir fanden das Bild sehr aufschlussreich.

Dann lag ich aber falsch, dass es eine Marienstatue sein würde.

Das fand ich auch sehr interessant. Es sieht schon danach aus, damit hast Du Recht. Aber wir meinten das jetzt nicht blasphemisch. Es gibt dem Foto nur noch eine weitere Ebene. Ich denke, das Foto zeigt sehr deutlich, wie uns Paradoxe interessieren. Schon der Bandname an sich ist paradox.

Eure Musik ist so schwer zu beschreiben. Ich würde es Postpunk nennen, obwohl ich auch Elemente von den Doors sehe. Und dann sind da eindeutig Elemente von Jahrmarktsmusik.

Wir mögen an den Doors, dass sie ständig ihre eigene Interpretation der Musik machten, die sie gerade spielen wollten. Ich denke, dass wir so etwas auch machen. Wenn wir Lust darauf haben, etwas nach Cabaret klingen zu lassen, dann arbeiten wir das ein. Wir wollen kleine Elemente von verschiedenen Stilen nutzen. Wir hören auch ganz unterschiedliche Sachen, ob das nun europäische Elektromusik ist oder russische Zigeunermusik oder einfach Rock’n’Roll aus den 50ern, Pop aus den 60ern, Classic Rock aus den 70ern oder Punk und Postpunk. Glücklicherweise können wir das in unsere Musik integrieren. Wir wollen nicht unbedingt mit einem bestimmten Genre verbunden werden, weil wir die Stile relativ oft wechseln, auch wenn ich denke, dass wir schon einen bestimmten Sound gefunden haben.

Wie spielt ihr eure Musik denn live? Ihr seid ein Trio, euer Keyboarder spielt auch den Bass. Wie geht das?

Wir können nicht alle Lieder live spielen, weil uns die Instrumente fehlen oder der Sound nicht funktionieren würde. Aber im Prinzip sagen viele Leute, dass wir live wesentlich voller und bombastischer klingen als auf Platte.

Das war es Übrigens, was mich so richtig an die Doors erinnert: dass der Organist auch den Bass spielt.

Andy hat zwei Keyboards Übereinander, so dass er beidhändig spielt – auf dem einen Keyboard der Bass, auf dem anderen die restlichen Sounds. Das ist auch nicht schwerer, als Klavier zu spielen.

Ihr habt aber nie darüber nachgedacht, noch ein weiteres Mitglied zu integrieren.

Doch, haben wir. Aber wir haben nie jemanden gefunden, der ähnlich interessiert ist oder von der Persönlichkeit passt. Wir fänden es schon gut, und wir hoffen auch, dass mehr Leute dazu kommen. Wir hatten für eine Weile auch jemanden, der Geige spielte. Aber das lenkte ab. Wir wollen seit langem einen Bassisten wie Martin von Sunshine haben. Er würde sehr gut in die Band passen.

Dann lass uns noch kurz Über Sub Pop reden. Die waren jahrelang tot, und nun gibt es so viele gute Bands bei ihnen.

Ich denke, dass sie jahrelang nicht sicher waren, was sie machen wollten. Aber in den vergangenen ein, zwei Jahren hat sich viel geändert. Mittlerweile arbeiten dort ein paar Freunde, so dass ich ihnen vertraue. Ich denke, dass sie gute Arbeit machen – zumindest hier in den USA. Es ist schön, dass das Label wieder auf die Beine kommt und so viele interessante Bands anzieht. Und wir sind stolz darauf, dass wir Teil davon sind. Immerhin wurde dieses Label bekannt, weil es sehr stilsicher und unabhängig Bands herausgebracht hat.

Interview: Dietmar Stork

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