Januar 26th, 2020

Partei der Humanisten aus # 199, 2019

Posted in interview by Jan

Gespräch mit Robin Thiedmann, Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat für die Europawahl 2019 von der Partei der Humanisten

Es gibt sie ja, die „guten Organisationen“, wie zum Beispiel Amnesty International, Greenpeace, Pro Asyl und Oxfam, aber warum gibt es eigentlich keine gute Partei mehr zum wählen?

Well, ich hatte meine Diplom-Arbeit 2006 an der Uni Potsdam in Politikwissenschaften über die humanistische Gesellschaftskritik bei Erich Fromm und das Konzept der Wirtschaftsdemokratie als drittem Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus gemacht und freute mich vor einiger Zeit bei der Zeitungslektüre, dass es möglicherweise mit der relativ neuen Partei der Humanisten nun endlich mal wieder eine coole Partei für die Wahl geben könnte, eben abseits der sonstigen Wahl-Optionen von uns Punk-Fans wie „Die Linke“ bzw. die Titanic-Partei. Kommunismus und Sozialismus funktionier(t)en ja nicht, warum nicht mal den Reform-Weg „Humanismus“ probieren?

Gründung und Ziele
Zusammengefasst will die Partei der Humanisten (PdH) das bedingungslose Grundeinkommen, Selbstbestimmung und Laizismus/Säkularisierung. Die Bundeszentrale für politische Bildung respektive der Humanistische Presse-Dienst informieren uns, dass die PdH 2014 in Berlin gegründet wurde. Sie ging aus einer Facebook-Gruppe mit dem Namen „Initiative-Humanismus“ hervor und versteht sich als „liberal, sozial und progressiv“. Es gibt schon einige Landesverbände und 2017 trat man zum ersten Mal zu einer Wahl an. Was noch? Ach so, ja: die PdH vertritt nach eigener Darstellung einen säkularen Humanismus und geht davon aus, „dass die Vorgänge im Universum Naturgesetzen folgen, ohne Eingriffe durch Götter oder höhere Mächte“. Die Partei legt Wert auf ein „naturalistisches, kritisch-rationales und wissenschaftliches Weltbild“ und eine Perspektive, „die den Menschen in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt“.

Säkulare und evolutionäre Humanisten
In einem Interview des Humanistischen Pressedienstes mit der stellvertretenden Generalsekretärin und Vorstandsvorsitzenden des Landesverbands Berlin der PdH, Sandra Pacholke, fanden sich weitere (für mich) interessante Statements, so stellt Pacholke erst mal klar: „Wir sind die erste Partei der säkularen und evolutionären Humanisten. Unsere Politik stellt den Menschen über Dogmen und Ideologien und betont die individuelle Freiheit, eine soziale Gesellschaft und wissenschaftlichen Fortschritt“.

Des Weiteren: „Wir kommen aus sehr unterschiedlichen, akademischen und nicht akademischen, Bereichen und sind auch in den Altersklassen breit gemischt. Das ist gut. Von sehr unterschiedlichen Leuten können auch sehr unterschiedliche Ansichten kommen“. Gefragt nach dem konkreten Profil der Partei konstatiert sie: „Wir sind Individuen, d. h. andere Menschen sind erst einmal so zu akzeptieren, wie sie sind. Anders ist es bei den Grünen. Beispielsweise heißt es: Du sollst kein Fleisch essen. Im Gegensatz dazu haben wir in der PdH eine hohe Individualität, das bringt uns zusammen.

Wichtig ist natürlich, dann auch anderen Menschen und der Umwelt wenig zu schaden, das ist dann die schwierige Abwägungsfrage“. Dann sagt sie zum Thema Umweltschutz bzw. der Haltung mancher, die sich gegenseitig in fernen Städten nicht besuchen wollen, weil da müsste man fliegen oder mit der Bahn fahren und das schade ja der Umwelt, deshalb bleibe man zu Hause folgendes: „Das ist eine Entscheidung, die muss man abwägen. Ich persönlich fliege nicht, ich habe auch kein Auto. Wenn ich unterwegs sein muss oder etwas sehen möchte, reise ich per Bahn. Einfach zu sagen, ich reise grundsätzlich nicht… Nein, das funktioniert so nicht. Eine Reise ist eine Entscheidung, die abzuwägen ist. Es gab ja einmal auch Kritik an Teilnehmern eines Klimaschutzgipfels, weil diese per Flugzeug anreisten. Doch da stellt sich für mich die Frage, ob dieses Zugeständnis nicht notwendig ist, um das größere Wohl zu erreichen. Wir sind ja auch soziale Wesen und der persönliche Kontakt ist wichtig. Ich kann mich nicht nur über digitale Medien kommunizieren“.

Zentrales Anliegen der PdH ist, dass die Verantwortung für das eigene Handeln in der eigenen Hand liegt: „Ja, das könnte als Unterschied zu anderen Parteien genannt werden. Andere Parteien haben andere Voraussetzungen. Zum Beispiel die Grünen, sie möchten die Umwelt, die „Schöpfung“, wie die einen oder anderen sagen, in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Doch die Erde und die Umwelt verändern sich ja ständig bzw. wir lernen ja immer mehr dazu. Einen Wunsch nach einer sogenannten Rückkehr zu einem früheren Zustand funktioniert nicht. Bedingungen auf der Erde, die es ermöglichen, dass hier Menschen leben, sollten wir bewahren. Dazu gehört natürlich auch der Umweltschutz, ich möchte ja nicht in einer Betonwüste leben und andere empfindungsfähige Lebewesen, mein Leben möchte ich ja nicht auf das Leid anderer aufbauen. Das ist ein dringendes Anliegen. Ich mag natürlich das Leben und möchte es so vielen Menschen wie möglich ermöglichen. Das kann manchmal im Widerspruch zu dem stehen, was das Beste für diesen Planeten wäre. Das sind unsere Probleme. Um diese beiden Ziele in Einklang zu bringen, muss man alles ganz genau betrachten“.

Und schlussendlich wird betont: „Es sollte nicht so sein, dass der Mensch eine Erwerbsarbeit annehmen muss, allein um seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder besser noch, allein um tätig als beschäftigt zu sein. Ich sage deutlich, das geht nicht. Es ist ein Überbleibsel des Sozialismus und der Idee, dass Vollbeschäftigung zum sinnvollen Leben dazu gehört. Dass man also Menschen beschäftigen muss, egal ob das eine sinnvolle oder weniger sinnvolle Tätigkeit ist, Hauptsache sie tun etwas und kommen nicht auf dumme Gedanken“.

Europawahl 2019
Kürzlich kam dann noch die Meldung von Juni 2018, dass die Partei das amtliche Formular zur Sammlung der Unterstützungsunterschriften zur Europawahl vom Bundeswahlleiter erhalten hat, in einem aktuellen Newsletter der Partei hieß es, dass die Europawahl im Mai 2019 „zur wichtigsten Wahl in der Geschichte unserer jungen Partei werden wird“. Politische Dokumente wie das Partei- oder das Grundsatzprogramm, die Forderungen der Partei, die Personalien, all das findet ihr auf der PdH-Webseite (siehe unten), zusätzlich ist die Partei auf Facebook, Instagram und Twitter vertreten.

Die Intention für das Interview
Well, ich las also zum ersten Mal etwas über die PdH bei der Bundestagswahl 2017 in der „jungen welt“. Nachdem ich mich mit ihrer Webseite länger beschäftigte und das Parteiprogramm mir auch erst mal gut gefiel (im Sinne von unterm Strich doch mehr gutes als nicht-gutes), dachte ich mir, ich frage einfach per Interview mal nach, ob die PdH auch was für uns/mich/euch sein könnte. Die Idee war also die: „Check die mal aus und mal sehen, wie dann unser Gespräch ausfallen wird, ich übernehme keine Verantwortung!“.

Nach Erhalt der Antworten bleiben sicherlich Fragen offen, zumindest ist das mein ganz persönlicher Eindruck, aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht, Stichwort „selber weiter denken“. Wie gesagt, ich wusste vorher nicht, wie die Antworten ausfallen würden, es ging mir erst mal nur darum, hier eine mögliche Wahl-Alternative anzureißen, die Partei ist noch in der Entwicklung. Für nicht wenige wird die Partei zu „kapitalistisch“ und nicht „links genug“ sein. Müsst ihr selber durch, schätze ich, ich fand es einfach mal interessant, eine politische Position „gefühlt von links“ auszuloten, die irgendwie nicht „Kommunismus bzw. demokratischer Sozialismus“ ist.

Ich hatte einige Male DIE LINKE gewählt, aber nachdem ich mir das aktuelle Partei-Programm 2018 neulich nochmal ausdruckte und durchlas, da war einfach meine aktuelle Erkenntnis: Ja, die haben mit ihren Kritiken in vielen Bereichen oft recht, gar keine Frage für mich! Nur ist ihre Lösung – der demokratische Sozialismus – bei aller grundsätzlichen Sympathie für diese Utopie irgendwie momentan nicht die meine, fürchte ich. Herrje, die DDR war doch auch Mist, ich zumindest hätte nie gerne dort leben wollen, da können auch diverse (auch wiederum feststehende) Fakten wie „kaum/keine Arbeitslosigkeit“, bessere Frauenrechte-Kita-Betreuung-Umsetzungen etc. pp. mich nicht überzeugen. Ich möchte keinesfalls hier „links“ und „rechts“ gleichsetzen, der Faschismus war singulär etc. Aber hat Sozialismus und Kommunismus funktioniert? Nein. War es vielleicht „falsch umgesetzt?“ Kann sein. Aber es klappte halt eben vorerst NICHT! Und vielleicht kann man für die Zukunft in eine andere Richtung denken.

Ich finde Kompromisse und „das beste aus verschiedenen Bereichen nehmen“ grundsätzlich immer gut und war noch nie der totale Radikalinski. Ob jedoch die Richtung die ist, die die PdH hier aufzeigt, das wird sich noch zeigen… Meine Stimme haben sie vorerst, obwohl mir die „Neo-Liberalismus“-Aussagen hier im Gespräch nicht sooo ganz gefallen, aber man kann irgendwie nicht alles haben und Planwirtschaft will ich auch nicht zurück, aber ich weiß nicht, ob „domestitzierte“ Marktwirtschaft wirklich gut oder überhaupt realistisch ist blabliblub.

Und noch der Nachtrag: bei einer Antwort fällt ein positiver Bezug auf den effektiven Altruismus. Das kann auch ausarten, am besten lest ihr dazu die Rezenion des Peter Singer Buches von unserem Dolf aus Trust #181 (2016) online nach unter kurzlink.de/mSBR4Fp5k.

Die Interview-Fragen beantwortete Robin Thiedmann, der Partei-Bundesvorsitzender und Spitzenkandidat für die Europawahl 2019, vielen Dank auch an den Pressesprecher & PR-Management-Beauftragten der Partei, Jan Steinhauser, der alles in die Wege leitete.

Robin, willkommen zum Interview. Zur Auflockerung: bist du selber Musik-Fan, was hörst du gerne, eventuell auch Punk oder HC, das ist ja „unser“ Bereich?
Vielen Dank für die Einladung. Absolut, ein Leben ohne Musik wäre doch furchtbar langweilig. Früher habe ich Bands wie „Born from Pain” oder „Lionheart” geliebt. Mit der Zeit ging mein Geschmack aber immer mehr in die elektronische Richtung und so wurde aus Hardcore-Punk inzwischen Hardcore-Techno – es geht also immer noch schnell und brachial nach vorne und noch immer sagen die meisten meiner Freunde, dass mein Musikgeschmack furchtbar wäre. Daneben höre ich aber noch vieles querbeet; inzwischen sind es ungefähr vierzig bis fünfzig verschiedene Genre-Playlists.

Ich wollte euch bei der letzten Bundestagswahl wählen, aber für Hessen wart ihr nicht auf der Landesliste. War die Wahlteilnahme trotzdem ein Erfolg? Ihr habt ja nun auch an der Landtagswahl Hessen 2018 teilgenommen und seid bei der Europawahl 2019 dabei.
Ja, die Hürden, die wir als kleine Partei nehmen müssen, um zu einer Wahl zugelassen zu werden, sind leider sehr hoch. Zur Bundestagswahl 2017 konnten wir deshalb nur in NRW antreten. Die Wahl war dennoch für uns ein großer Erfolg, denn wir haben bundesweit Aufmerksamkeit erregt, hatten mehrere Erwähnungen in den überregionalen Medien und konnten unsere Mitgliederzahl dadurch insgesamt verdoppeln. Bei der Europawahl am 26. Mai 2019 werden wir in ganz Deutschland zur Wahl antreten. Dieses Mal haben wir sogar eine reale Chance, ein Mandat zu erringen! Das motiviert uns und wir werden mehr Energie in den Wahlkampf stecken als jemals zuvor.

Bezieht ihr euch eigentlich bei den geistigen Wurzeln des Humanismus auch auf Erich Fromm? Ich finde ihn immer so aktuell, viele kennen ihn nur als „sanften“ Theoretiker, vielleicht noch sein Buch „Die Kunst des Liebens“. Aber seine Kritiken an der Entfremdung des Menschen in der westlichen Welt, der narzisstische Marketing-Charakter, der alles dominiert und zerstört, das finde ich so passend – und er schreibt so schön einfach! Oder habt ihr andere geistige sozialphilosophische „Väter“ und „Mütter“? Weil Frankfurter Schule seid ihr ja nicht und Ernst Bloch oder strenger Marxismus ebenfalls auch nicht…
Die philosophische Basis unserer Partei ist der Evolutionäre Humanismus, also eine sehr naturalistisch geprägte Strömung des Humanismus, die meistens auf Julian Huxley, den ersten Generaldirektor der UNESCO, zurückgeführt wird. Knapp zusammengefasst bedeutet das, dass wir die Welt durch eine kritisch-rationale Brille sehen, großen Wert auf Wissenschaft legen, fortschrittsoptimistisch sind, für die Freiheit und Möglichkeit zur Selbstentfaltung jedes Menschen eintreten, uns für die Trennung von Staat und Religion einsetzen und eine vernunftbasierte Verantwortungsethik anstreben.

Wir stehen in Hinblick auf den Ursprung des Menschen und eines Großteils seiner Bedürfnisse und Denkweisen in der Evolution und Natur also auch in Fromms Erbe. Wir teilen seine Einstellung, dass die Gesellschaft erhebliche Auswirkungen auf die Entfaltung des Individuums haben kann, da würden wir uns aber eher an das Humanistische Paradigma der Persönlichkeitspsychologie von Rogers, Satir und Maslow anlehnen. Fromms Ausführungen zum Sozialismus halten wir nicht für erfolgversprechend, sondern sogar für gefährlich.

Die optimale Entwicklung des Einzelnen und seiner Freiheit als Ziel, nach dem Fromm strebte, teilen wir absolut, doch kann das in unseren Augen nur der Liberalismus gewährleisten. Mit Kritischer Theorie, (Neo-) Marxismus oder demokratischem Sozialismus haben wir deshalb nichts zu tun – im Gegenteil: Wir sehen uns als klassische Partei der Moderne und stehen deshalb so ziemlich entgegengesetzt zu postmodernen/neomarxistischen Strömungen und Theorieschulen.

Wie findet ihr eigentlich den humanistischen Denker Michael Schmidt-Salomon (MSS), einige von uns im Heft sind große Fans von ihm, er schreibt auch so gut verständlich und „nicht-akademisch“.
MSS ist aktuell sicherlich der bekannteste deutsche Denker der humanistischen Szene und deshalb auch in unserer Partei populär. Zu ihm und der GBS pflegen wir einen engen und guten Kontakt, genauso zu anderen bekannten Personen wie Philipp Möller. Und ja, von seiner gut verständlichen Schreibweise können wir uns auch in unserer Parteiarbeit noch eine gute Scheibe abschneiden. Wir sind noch zu sehr die Partei der Schachtelsätze und verkopften Aussagen. [lacht]

Die einzig wählbaren Parteien für Punks waren früher die PDS und die APPD, heute eben Die Linken bzw. die Titanic-Partei um Martin Sonneborn. Wie würdet ihr euch von den genannten abgrenzen? Eine Spaß-Partei seid ihr ja nicht…
Richtig, wir meinen es mit der Politik tatsächlich ernst. Das unterscheidet uns schon mal von „Die PARTEI” – auch wenn wir ebenfalls sehr sehr gut sind – und von der APPD. Wie bereits gesagt sind wir entschiedene Gegner des Sozialismus, auch in einer vermeintlichen “light-Version” wie die Linke das mit ihrem “demokratischen Sozialismus” propagiert. Das wurde schon oft ausprobiert, war ineffizient, ressourcenintensiv, totalitär und hat zu Verelendung, Armut und Tod geführt. Als rationale, faktenbasierte Partei mit Fokus auf dem Individuum sind wir das Gegenteil der populistischen Klassenkampfrhetorik und des Kollektivismus der Linken.

Bei Identitätspolitik machen wir nicht mit, das ist ein schlechtes Spiel von links wie von rechts, bei dem jeder verliert. Außerdem halten wir es für absolut notwendig, auch über die Gefahren des fundamentalistischen Islams und die Herausforderungen bei der Einwanderung zahlreicher Menschen aus streng islamisch geprägten Ländern ehrlich und ergebnisoffen zu sprechen – unsere Kritik am Verhältnis zwischen Religion und Gesellschaft endet nicht beim Christentum. Der Kulturrelativismus der Linken ist insgesamt ein ziemlich schlechtes Argument, wenn dadurch Minderheiten wie Homosexuelle oder Juden in Gefahr geraten. Auch der naiven Ost-West Perspektive, und den unreflektierten “Wir beuten alle Länder aus”-/“Der Kapitalismus ist die Wurzel allen Übels”-Thesen widersprechen wir deutlich. Die Liste könnte jetzt noch ewig weitergehen, aber zusammenfassend kann man sagen: Wir sind weder extremistisch noch ideologisch verblendet und erst recht nicht in dem vereinfachenden schwarz-weiß Denken der Linken verhaftet. Die Welt ist komplex und einfache Ursachen oder Lösungen gibt es nicht.

Ich habe gelesen, dass einige von euch bei den Grünen waren, das ist doch wirklich wie FDP, nur mit Fahrrad oder?
[lacht] Guter Vergleich! Ja, sicherlich waren auch einige Mitglieder vorher bei den Grünen, der SPD, den Piraten, der FDP, den Linken oder auch der CDU. Am ehesten würde ich uns zwischen der FDP und den Grünen verorten. Diese Parteien stehen momentan am deutlichsten für die Freiheit und Selbstentfaltung jedes Menschen, wobei wir bei den Grünen ihre Naturromantik und Unwissenschaftlichkeit kritisieren und bei der FDP die Marktgläubigkeit. Wir stehen für grünes Gewissen mit Technologiefokus und Zukunftsoptimismus und für gesellschaftliche Freiheit mit sozialer Verantwortung.

Es gab ja mal die „Humanistische Partei“, Wikipedia schreibt da was von „radikalem Führerkult“ und einer „organisierten frühfaschistischen Psycho-Sekte“. Was sind das für welche gewesen?
Ja, wir werden wegen der Namensähnlichkeit gelegentlich mit denen verwechselt. Die sind oder waren ein Ableger der Siloistischen Bewegung und anscheinend ziemlich schräg drauf. Eine autoritäre Sekte, die Humanismus als Tarnung missbraucht. Die deutsche Partei wurde 1984 gegründet, zeigt aber seit 2006 keine Aktivitäten mehr. Zwischen denen und uns bestehen keine Verbindungen und es gibt keinerlei inhaltliche Überschneidung. Deren spiritueller Humanismus hat mit dem Evolutionären Humanismus, auf den wir uns berufen, nichts gemeinsam.

Was hat es eigentlich mit eurer „Bremsklotz des Monats“-Aktion auf sich?
Das ist eine Negativauszeichnung, die wir im Mai 2017 gestartet haben und die an öffentliche Personen ging, welche sich den Werten der Aufklärung und den Erkenntnissen der Wissenschaft verweigern und damit die moderne Gesellschaft in ihrer Entwicklung “bremsen”. Im Grunde wollten wir damit auch mal diejenigen ehren, die aus unserer Sicht permanent Blödsinn bauen.

Damit gewürdigte Personen waren bspw. Heiko Maas für seine Idee, Social-Media-Konzerne als Meinungspolizei im Internet einzusetzen (NetzDG), Marine Le Pen für ihre geschichtsvergessene Instrumentalisierung von Nazi-Parolen im französischen Wahlkampf, Jaros?aw Kaczy?ski für die Abkehr der polnischen Regierung vom Rechtsstaat und der europäischen Gemeinschaft, oder auch Jens Baas, Vorsitzender der TK, für das Ignorieren der wissenschaftlichen Fakten zu Homöopathie. Eigentlich hatten wir im Januar 2018 auch einen Positivpreis dazu als Gegenstück entworfen, die “Fackel des Monats”. Beide Preise haben wir dann aber einige Zeit später im Zuge einer Neuausrichtung unserer Öffentlichkeitsarbeit vorerst auf Eis gelegt.

Leider gibt es auch im zu recht atheistischen Punk auch immer mal wieder religiöse Bands, dazu mal etwas dümmlich provokant gefragt: „Hey, warum seid ihr eigentlich so gegen Kirchen, die sind doch so sozial und tun so viel Gutes, lasst die doch in Ruhe, die tun euch doch nichts“…
Ja, das hören wir öfter, aber um mal direkt mit einem Missverständnis aufzuräumen: Wir wollen jedem die Freiheit von und zur eigenen Religion ermöglichen und das geht nur mit konsequenter Gleichbehandlung aller durch Trennung von Staat und Religion. Wir sind nicht gegen die Kirchen. Wir sind aber gegen Etikettenschwindel und Ungerechtigkeit. Da wo Kirche draufsteht ist zu ungefähr 95 Prozent Staat drinne. Die ganzen sozialen Einrichtungen der Kirche werden also von uns allen bezahlt, aber die Kirche darf sich damit brüsten.

Ja, wir sind absolut dafür, mit dem Geld Gutes zu tun. Lasst uns die Einrichtungen weiterhin bezahlen – aber dann bitte direkt in staatlicher Hand und ohne diskriminierendes Arbeitsrecht. Denn was nur wenige wissen: Obwohl die Kirchen Deutschlands größter Arbeitgeber sind, gilt für sie nicht das reguläre Arbeitsrecht und sie unterliegen auch nur zu Teilen der normalen Gerichtsbarkeit – das ist Paralleljustiz vom Feinsten. Als Arbeitnehmer in einem kirchlich geführten Betrieb ist Homosexualität oder Scheidung noch immer ein Kündigungsgrund. Das ist ein Unding für eine moderne und liberale Gesellschaft!

Ich möchte mal auf einige Passagen aus eurem Grundsatzprogramm zu sprechen kommen. In Bezug auf die Rausch- und Genussmittel fordert ihr die totale Drogen-Freigabe, weil sonst findet der „Konsum und Handel unkontrolliert, unreguliert und nicht aufgeklärt“ statt und „dies führt zudem zu einer blühenden Kriminalität“. Ihr wollt die Legalisierung auch in Bezug auf harte Drogen wie Heroin, oder?
Wir wollen Menschen schützen und Schaden von der Gesellschaft abwenden. Deshalb treten wir für eine umfassende Legalisierung auch von “harten” Drogen ein. Das klingt zunächst vielleicht paradox, aber ein großer Teil der Probleme entsteht durch die aktuelle Verbotspolitik. Drogenprohibition gefährdet Menschenleben, finanziert die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus, zerstört das Leben der Konsumenten und belastet Polizei und Justiz. Der „War on Drugs“ hält jetzt seit bald 50 Jahren an und hat nichts als Leid gebracht. Es wird Zeit zum Umdenken, denn Menschen nehmen Drogen, ganz egal, ob sie verboten sind oder nicht.

Das sind ganz normale Menschen aus allen Bevölkerungsschichten mit ganz unterschiedlichen Motiven und nur die wenigsten davon entwickeln eine tatsächliche Abhängigkeit. Aber wie bei allen Themen gehen wir auch an dieses sehr sachlich heran, denn klar ist auch: Drogenkonsum kann erheblichen Schaden verursachen und muss in einem vernünftigen und aufgeklärten Rahmen bleiben. Niemand will Heroin im Supermarkt neben den Süßwaren stehen haben – wie uns manchmal vorgeworfen wird. Wir wollen Drogen dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nach differenziert behandeln, sie regulieren und kontrollieren.

Die Einnahmen aus einer einheitlichen Drogensteuer und die Einsparungen aus einer entfallenden, kostenintensiven Repression könnten beispielsweise einen deutlichen Ausbau der Forschung an Drogen und der Entwicklung von harmloseren Ersatzsubstanzen, der Drogenprävention und Suchthilfe ermöglichen. Damit wäre allen geholfen.

Im Übrigen zeigt die Erfahrung aus anderen Ländern auch, dass bei einer Legalisierung der Konsum eben nicht drastisch ansteigt, wie die Kritiker sich stets ausmalen. Stattdessen steigen Gesundheit und Lebensqualität der Konsumenten, wohingegen Abhängigkeitsrate, Kriminalität und Anzahl der Drogentote deutlich zurückgehen.

Im Feld „Soziales“ fordert ihr „kostenlose Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Wir lehnen Arbeitszwang und Strafmaßnahmen ab, die Menschen gängeln und in ihrer Selbstbestimmung beeinträchtigen“. Also auch her mit der Arbeitszeitverkürzung? Viele im Punk sind gegen „Arbeit“, „Arbeit ist Scheiße“ war mal ein legendärer APPD-Slogan. Ich glaube, da wird was verwechselt, gemeint ist immer die repetitive sinnlose Lohnarbeit, nicht Arbeit bzw. Tätigsein an sich….?
Genau, Arbeit kann ja genauso auch Freude bereiten und Sinn stiften. Das ist dann meistens die Erwerbsarbeit, bei der man Verantwortung trägt, Freiräume und Entscheidungsmöglichkeiten hat, mit der man sich identifiziert, die den eigenen Neigungen entspricht und bei der man hinter den Ergebnissen stehen kann. Genauso gibt es aber auch Arbeit, die einen krank macht, die man aber machen muss, weil es die Miete zahlt oder die Familie ernährt. Für mich war das beispielsweise ein Job, bei dem ich in einer Fabrik Stahlteile eloxiert habe; immer dieselben Handgriffe an heißen Metallen neben Becken voller Chemikalien.

Eigentlich müsste es deshalb eine positive Nachricht sein, wenn wir immer mehr solcher Jobs von Robotern machen lassen, denn dadurch wird unser Leben angenehmer. Das Problem dabei ist aber, dass wir auf diese Erwerbsarbeit angewiesen sind, während andere Arbeiten wie zum Beispiel die Pflege von Angehörigen oder das Erziehen von Kindern nicht entlohnt werden. Dabei würde unsere Gesellschaft ohne diese Form von Arbeit zusammenbrechen. Also, wie bringt man das alles zusammen? Unsere Antwort darauf ist ein existenzsicherndes Grundeinkommen. Dadurch wollen wir jedem Menschen ein grundlegendes Auskommen bieten und den Zwang zur Arbeit abschaffen. Jeder startet von einer abgesicherten Basis aus und kann seinen eigenen Weg gehen.

Egal, wer du bist, egal, was du machen möchtest, mit einem Grundeinkommen hast du die Möglichkeit dazu. Du möchtest Künstler werden? Kein Problem, brotlos wirst du nicht sein. Du möchtest kranke und alte Menschen pflegen? Kein Problem, Mildtätigkeit führt nicht länger zu Armut. Du möchtest dich weiterbilden? Kein Problem, du hast jederzeit die Möglichkeit dazu. Und selbst wenn du zu den etwa 8 Prozent derer zählst, die nicht mehr arbeiten möchten; kein Problem, ein anderer freut sich bestimmt über deinen Job.

Ihr setzt euch für das universelle Grundeinkommen ein, das „Menschen vor ausbeuterischer Arbeit schützt und ermutigt, neue Wege zu gehen. Damit fördert es auch selbstständige, künstlerische und ehrenamtliche Tätigkeiten“. Man kann aber nicht sagen, dass alle, die für das Grundeinkommen sind, automatisch auch progressiv sind oder?
Das kommt denke ich darauf an, was man unter progressiv versteht. Aber ja, gerade bei dem Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen” gibt es sehr viele unterschiedliche Modelle und Ansätze und man sollte genau hinschauen, was man da eigentlich vor sich hat. Als rationale Partei setzen wir uns für die theoretische und praktische Überprüfung der verschiedenen Konzepte auf ihre Vor- und Nachteile ein. Das Modell, welches die meisten Vorzüge bietet und den Zielen des Grundeinkommens gerecht wird, könnte dann schrittweise und kontrolliert eingeführt werden, um Fehlentwicklungen entgegensteuern zu können. Momentan zeichnet sich in unserer internen Arbeit ab, dass wir ein Modell mit negativer Einkommensteuer befürworten würden.

Im Bereich „Wirtschaft“ legt ihr euch auf die soziale Marktwirtschaft fest, diese ist „die einzige Wirtschaftsordnung, die mit humanistischen Werten wie individueller Freiheit, fairem Interessenausgleich und Hilfe zur Selbsthilfe vereinbar ist. Unser Ziel ist eine Marktwirtschaft, die sowohl von staatlicher Willkür wie von monopolisierter Wirtschaftsmacht frei ist und sich am Wohle aller ausrichtet“. Ist das so gemeint in Richtung „weder Privatwirtschaft noch Planwirtschaft“, mehr so der dritte Weg der damaligen progressiven sozialistischen Länder wie Tito in Jugoslawien oder das Konzept der Wirtschaftsdemokratie von dem tschechoslowakischen Wirtschaftswissenschaftler Ota Šik?
Gemeint ist damit, dass die empirischen Erkenntnisse ziemlich eindeutig sind: Die Marktwirtschaft hat so viele Menschen wie kein anderes Wirtschaftssystem aus der Armut, dem Hunger und Elend herausgeholt. Kein anderes System hat zu so viel Innovation, Wohlstand und freier Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen geführt.

Klar ist aber auch, dass ein “entfesselter Markt” sich selbst schadet und deshalb sinnvoll eingegrenzt werden muss, dass auch bei der Marktwirtschaft nicht alle gewinnen und man deshalb von staatlicher Seite für soziale Absicherung sorgen muss. Genau darauf ist das deutsche Modell der Sozialen Marktwirtschaft ausgelegt, weshalb wir dieses System befürworten. Es ist nicht perfekt und hat insbesondere in den letzten Jahren Risse bekommen, aber diese Probleme lassen sich beheben. Wenn sich einmal eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform abzeichnen sollte, die besser für das Wohlergehen und die Freiheit der Menschen sorgen kann, dann sind wir offen dafür. So ein System ist aber bisher nicht in Sicht. Gewaltsame, revolutionäre Umstürzler mit roten Fahnen und schwarzen Masken sind wir jedenfalls nicht.

Unsere vegane bzw. vegetarische Leserschaft wird sich freuen, zu lesen, dass ihr im Bereich Tierschutz ganz klar sagt: „Es ist unsere ethische Pflicht als Humanisten, für das Wohlergehen dieser Tiere zu sorgen und Leid zu verringern. Dieses Ziel muss höher gewichtet werden als Traditionen, Unterhaltung, religiöse Riten oder wirtschaftliche Interessen“. Seid ihr also dann alle strenge Veganer?
Wir haben einige Vegetarier und Veganer bei uns in der Partei, aber wir schreiben niemandem etwas vor, weder den privaten Glauben noch das private Konsumverhalten. Das ist auch ein Unterscheidungspunkt zwischen uns und den Grünen. Während sie zum Schutz von Tier und Umwelt auch die privatesten Entscheidungen staatlich regeln wollen und Verbote fordern, setzen wir auf Innovation und positive Anreize. Wir setzen uns beispielsweise stark für die Förderung der Entwicklung von “Kulturfleisch” im Labor ein. Das wird immer ausgefeilter und ist voraussichtlich schon in zwei bis vier Jahren marktreif.

Bei Fleisch ohne Tierleid und CO²-intensive Produktion gewinnen alle: die Tiere, der Konsument, Umwelt und Klima. Ein anderes Beispiel wären Tierversuche. Auch da stehen wir klar auf der Seite des Tierschutzes und wollen möglichst alle Verfahren durch künstliche Alternativen oder Simulationen ersetzen. Aber man muss realistisch sein, nicht alle Versuche lassen sich momentan und in naher Zukunft ersetzen und manche Forschung ist überlebenswichtig. Dann muss abgewogen und alles unternommen werden, um Schmerzen bei den Tieren zu verringern. Man könnte also sagen, dass wir pragmatische Idealisten sind und immer auch den großen Gesamtkontext im Auge behalten.

Bei eurem Konzept für die „Verteidigung“ fand ich es etwas seltsam, dass ihr schreibt, dass die„Aufgabenstellung der Bundeswehr nicht ausschließlich auf die Landesverteidigung begrenzt bleiben kann. Als Humanisten können wir nicht tatenlos zusehen, wenn in anderen Ländern Menschen verfolgt, gefoltert und brutal getötet werden“. Ihr fordert eine Berufsarmee und ok, ihr sagt noch: „Humanistische Außenpolitik setzt sich international aktiv für die Wahrung der Menschenrechte und die Friedenssicherung ein. Die Menschenrechte müssen im Mittelpunkt aller diplomatischen, ob politisch oder wirtschaftlichen, Beziehungen stehen“. Hmh…irgendwie etwas FDP-Style, weil viele Linke wollen ja die Armeen ganz abschaffen, das wollt ihr nicht?
Nein, da unterscheiden wir uns ziemlich deutlich von der Linkspartei. Klar, auch uns wäre eine waffen- und konfliktfreie Welt ohne Militär und Polizei am liebsten. Aber in dieser Welt leben wir nicht. Unser Ziel ist es, das Leid der Menschen weltweit zu mindern und Grausamkeiten zu verhindern. Für uns sind militärische Einsätze dabei immer nur das allerletzte Mittel. Davor braucht es gute Analysen und umfassende Erkenntnisse der Situation vor Ort, wirtschaftliches und diplomatisches Eingreifen. Erst am Ende steht ein Militäreinsatz. Dieser muss möglichst gemeinsam im Rahmen der UN stattfinden und einer klaren Strategie folgen. Am Ende steht der Wiederaufbau und die Unterstützung der Konfliktregion.

Die Studien zu dem Thema zeigen, dass humanitäre Interventionen die Anzahl der Todes- und Gewaltopfer deutlich reduzieren. Humanitäre Interventionen sind nicht dasselbe wie Krieg oder kriegerische Konflikte. Wer sich in sein Land zurückzieht und schwerste Menschenrechtsverletzungen draußen in der Welt ignoriert, der macht sich sowohl moralisch wie auch nach internationalem Recht schuldig, Stichwort “Responsibility to Protect”. Wir sind auch hier im Gegensatz zur Linkspartei klare Verantwortungs- und keine Gesinnungsethiker – gut gemeint heißt eben nicht, dass tatsächlich etwas Gutes dabei rauskommt.

Was sind eigentlich so Organisationen wie Amnesty International, Lobby Control, Greenpeace, Pro Asyl oder Oxfam für euch, manche sagen, das ist reines Protest-Business…?
… und damit haben sie zumindest zum Teil Recht. Diese Unternehmen – denn nichts anderes sind sie – stecken den Großteil ihres Budgets in Marketing und die Finanzierung ihrer Organisation. Wobei man hier auch differenzieren muss. Lobby Control und Pro Asyl sind mit einem Budget von 1 bis 5 Millionen beispielsweise eher klein und haben nur wenige Angestellte. Und generell ist ist das auch absolut legitim und notwendig, schließlich müssen sie für Bekanntheit und öffentliche Aufmerksamkeit zur Erreichung ihrer Ziele sorgen. Nur effizient ist das nicht. Das Ziel ist doch, möglichst vielen Menschen bestmöglich zu helfen. Auch hier halten wir es wieder wissenschaftlich und lehnen uns deshalb an die noch recht junge Bewegung “Effektiver Altruismus” an.

Effektive Altruisten streben danach, alle bekannten Ursachen und Maßnahmen zu berücksichtigen, um so zu handeln, dass ihr Handeln die größten positiven Auswirkungen hat. Das kann beispielsweise heißen, dass man statt für Schulaufbauprojekte in Afrika eher für Entwurmungskuren spendet. Das klingt nicht intuitiv, ist aber tatsächlich der bessere Weg zu helfen, weil man so mit nur 50 Cent einem Kind überhaupt ermöglicht, gesund zu sein, zur Schule zu gehen und dadurch auch langfristig der Armut entkommen zu können.

„Der Staat hat nicht als Vormund seiner mündigen Bürger aufzutreten“ ist eine Aussage von euch, jetzt gibt es ja auch die Anarcho-Kapitalisten, die den Staat ganz abschaffen würden, insofern wäre so eine Position auch für Neoliberale anschließbar oder?
Diese Aussage bezieht sich auf die gesellschaftliche Dimension des Liberalismus. Keiner möchte sich gerne vorschreiben lassen, wie er oder sie zu leben hat, was gegessen werden soll, was richtig und was falsch ist, welchen Glauben man zu haben hat, welche Musik schicklich und welche „entartete Kunst” ist. Jeder erwachsene Bürger sollte doch die Freiheit haben, sein Leben nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten, solange er dadurch keinem anderen schadet. Unsere wirtschaftliche Sichtweise haben wir ja in den obigen Fragen auch schon näher beschrieben. Da haben wir klar die Soziale Marktwirtschaft befürwortet – die übrigens dem Neoliberalismus zuzuordnen ist.

Neoliberalismus ist ein ziemlich verbrannter Kampfbegriff geworden, aber wenn man ihn mal in seinem faktischen Kontext benutzt, ja, dann sind wir auch für Neoliberale attraktiv – Anarcho-Kapitalisten sind wir aber nicht. Beispielsweise halten wir grundlegende Infrastruktur in staatlicher Hand für sinnvoll, plädieren für einen fairen Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerrechten, wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern und Ausbeutung bei Zeitarbeit unterbinden. So schreiben wir auch “Ein regulierender Staat ist essentiell, um faire Bedingungen für Unternehmer, Arbeitnehmer und Verbraucher zu schaffen.”

Uns in eine Schublade zu zwängen, ist also nicht so ganz einfach. Das hindert manche Leute aber nicht daran, uns als Kommunisten und Kapitalisten, als asoziale Unternehmerfreunde und verblendete Sozialromantiker oder als libertäre Arschlöcher und autoritäre Staatsfanatiker zu beschimpfen [lacht]. Das zeigt, dass wir einiges richtig machen und irgendwo dazwischen in der Mitte liegen.

In eurem letzten Newsletter ruft ihr zu Spenden für euren Wahlkampf für die Europa-Wahl auf, gibt es schon viel Feedback?
Es geht, wir bekommen immer wieder kleinere Spenden zwischen 10 und 100€, aber Wahlkampf ist teuer und von den Millionenbudgets der großen Parteien können wir nur träumen. Im Gegensatz zu denen beziehen wir nur Privatspenden und Mitgliedsbeiträge und sacken nichts bei Unternehmen ein. Aber je mehr Spenden wir bekommen, desto größer werden unsere Chancen in das Parlament einzuziehen. Deshalb zählt jeder Euro! Über Unterstützung würden wir uns also auch weiterhin sehr freuen.

Kann man vielleicht am Ende generell sagen, dass ihr für die radikale revolutionäre Linke zu „reformistisch“ und für die normale konservative SPD-Grüne-CDU-FDP-Fraktion hingegen wiederum zu „revolutionär“ seid? Ihr steht da irgendwie in einer durchaus interessanten „Zwischen den Stühlen“-Position, da kann man super „outside of the box“ denken. 
Ja, der Zusammenfassung kann ich zustimmen. Das liegt auch daran, dass wir zwar grundlegende Werte und Ziele haben, uns aber nicht in das feste Muster einer Ideologie pressen lassen und daraus wie die anderen alles ableiten. Wir machen faktenbasierte Politik und suchen nach der sinnvollsten Lösung für ein Problem. Das ist für viele ungewohnt und neu, aber gerade das macht uns so besonders.

Ich danke dir für das Gespräch!

Kontakt: https://parteiderhumanisten.de

Interview: Jan Röhlk

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