Februar 10th, 2020

OISE aus # 165, 2014

Posted in interview by Jan

What happens on the road…
always comes home.

HC-Punk Tourmanager: Die Geschichte des O.

Wenn es ums Touren geht, dann fasst der Ramones-Song „Touring“ wahrscheinlich am besten zusammen, was viele zum Sujet denken: cruisen, saufen, Mucke. Touren ist niemals langweilig. Wie fast jedes Textgut der Ramones ist dieser Gedanke natürlich etwas unterkomplex, aber nehmen wir das als Arbeitshypothese für dieses Gespräch mit dem HC-Punk Tourmanager Oise Ronsberger: Touren ist geil! Deshalb macht man eine Band. Um zu touren. Abenteuer zu erleben. Die eigene Musik zu spielen und eine geile Zeit zu haben. Vielleicht ein bisschen Geld zu verdienen oder zumindest nicht zu viel zu verlieren. Land und Leute kennenzulernen.

Aber was bedeutet eine Tour wirklich? Ist es nur geil, wenn man zwanzig ist? Oder immer geil, wenn man gut von leben kann? Bis ein Konzert losgeht, dauert es Stunden und das Warten macht stumpf, weil es so irrational ist: die Wichtigkeit, an Tag X um Y Uhr in Z zu sein ist die oberste Priorität. Und hält man das ein, dann darf man Soundcheck machen, essen, trinken und warten, dann spielt man und dann ist schon wieder eine neue Zeit für morgen entscheidend.

Die folgenden Songzitate deuten es an: wir sind nicht nur zum Spaß hier. Touren ist ambivalent. (Vgl. „Get in the van“ und „Book your own fucking life“). Einerseits totale Affirmation: „Fast cars, cold beer and Rock-n-Roll“ (Ramones – Touring). Ziel: „We’re comin‘ to your town. We’ll help you party it down“ (Grand Funk Railroad – We’re an american band). Sicherlich: „I tell you folks, it’s harder than it looks“ (AC/DC – It’s a long way to the top (if you wanna rock ’n‘ roll)). Aber wenn es doch so Spaß macht: „Like a band of gypsies we go down the highway“ (Willie Nelson – On the road again). Wobei: „Another bloody foreign coast“ (Motörhead – (We are) the road crew). Doch zunächst: „Won’t you take me down to Memphis on a midnight ride“ (CCR – Travelin‘ band).

Das Problem: „But we’ll be scheduled to appear a thousand miles away from here“ (Jackson Browne – The load-out). Und: „Walk into the hall, promoter hasn’t called. We laugh at what they call the house P.A.“ (RKL – Break the camels back). Weil: „And to really find me, I’ve got to look inside me and cut the tour-spiel“ (Minutemen – Tour-spiel). Automatisch reich wird man auch nicht: „Seven hundred miles to play to fifteen angry men“ (Jawbreaker – Tour song). Dazu noch: „Facing twenty thousand of your friends. How can anyone be so lonely“ (Abba – Super Trouper). Und: „Backstage I’m lonely, backstage I cry“ (Gene Pitney – Backstage). Unschön: „We’re never gonna make sound check. So I can’t even take a shit“ (Lagwagon – Hurry up and wait). Das misogynische Fazit: „Another stupid world. Another fucked up little girl“ (Screeching Weasel – Something wrong). Denn es wird ja auch kaputte Typen gegeben haben…

Ich hatte also genug Material für Fragen an unseren Oise, der als HC-Punk Tourmanager (TM) arbeitet. Oise hatte auch diese großartigen Kolumnen „Aus dem Tagebuch eines TM“. Um seinen Job und die Hinterfragung diverser Tour-Mythen soll sich dieses Gespräch drehen. Vielen Dank an Kollegin Alva für sachdienliche Hinweise zur Materie „Tour-Songs aus weiblicher Sicht“ (Lassie Singers – Hamburg, The Shondes – Ocean To Ocean). Und an Kollegen Stone für Song-Tipps zum Thema Touren (Willie Nelson, Jackson Browne, Jawbreaker, ABBA), zum Aspekt „Touren aus weiblicher Perspektive“ (Nena – Rette mich) und zum Sujet „Der Donnerstag im Songtitel“ (David Bowie – Thursday’s child, Country Joe & the Fish – Thursday). Ich konnte leider nicht mehr alles hier berücksichtigen.

Vor einiger Zeit interviewte ich den amerikanischen TM Big Rock, dort gab es einige Fragen, die hier teilweise in neuem Gewand auftreten. Oise interviewte ich zusammen mit Wauz zu ihrer Band Red Tape Parade in der # 154 aus dem Sommer 2012. Fuck, Big Rock ist gestorben (RIP). Er war ein sehr netter Mensch, ich werde ihn vermissen mit seinen Geschichten über das Leben on the road. Scheiße, Wauz (auch Mitarbeiter bei der HalliGalli-TV-Sendung, was ich erst jetzt weiß) ist gestorben (RIP). Ich hab ihn nie live kennengelernt, seine tolle Musik und unser Interview wird mich an ihn erinnern.

Oise, altes Haus! Wann wirst du TM bei der Böhsen Onkelz-Reuniontour?
Das wäre natürlich ein absoluter Traumjob und rückt nach den wohl sehr erfolgreichen Performances der Kevin Russel Band (bei der wohl ausschließlich Böhsen Onkelz-Klassiker zum Besten gegeben werden) wieder in greifbare Nähe! Was wäre das schön, mit dem W. der Süddeutschen Zeitung Gästelistenplätze zu verwehren, mit Kevin über die Vor- und Nachteile von 0,33 l versus 0,5 l Becks-Flaschen zu philosophieren oder Gonzo dabei zuzusehen, wie er mit einem Crash Becken auf dem Kopf lustige Späßchen macht…Leider haben die Onkelz mit Thomas Hess (sic!) schon einen ganz hervorragenden TM, von dessen Qualitäten man sich beim offiziellen Tourfilm überzeugen kann. Vielleicht gibts aber ne Assistenten-Stelle für mich?!?

Verstehe. (lacht) Kürzlich las ich, dass die Rykers eine der ersten deutschen HC-Bands gewesen wären, wann begleitest du die auf Tour? Erste Single, geil… move it! (lacht)
Ich habe, ehrlich gesagt, noch nie mit einer deutschen Band getourt! Mit Ausnahme von My Hero Died Today und die haben sich in der Mitte der Tour aufgelöst. Zählt also nicht, oder? Ich war von Anfang an, also fast ausschließlich, mit Amis unterwegs, was natürlich zu Beginn voll von Kulturschocks und Missverständnissen war. Und Rykers fand ich schon immer scheiße, weil der Typ als deutsche Band im JUZ Burghausen (!!!) englische Ansagen gemacht hat. Zum Glück hat Franz von Sabotage Records und oder Rob von Boot Down The Door denen noch über den Schlafsack gepisst, aber das ist ne andere Geschichte. (lacht)

Ok. (lacht) Du magst die Lemonheads, was ist dein Lieblingsalbum? Du bist doch sicher einer von der „Nach dem Demo ging es bergab“-Fraktion? (lacht)
Absolut nicht!!! Im Gegenteil, normalerweise liebe ich die Sell Out-/Major- Platten mehr als den alten Schrott! Zum Beispiel 7 Seconds – Soulforce Revolution/Ourselvelves, Samiam – Clumsy, Jawbreaker – dear you, Jawbox – s/t usw. Also, im Falle Lemonheads ganz klar „It´s a shame about Ray“, perfekte 90er Alternativ-Power-Pop-Platte!!!

Die „Soulforce Revolution“ finde ich auch großartig, auch die zweite Uniform Choise (sic!) aber dann die Solo-Platte von Mike Judge, hmh.
Sagen wir es so: Ich mag Musik, bei der ich das Gefühl habe, dass jemand keine Wahl hatte, das es diese Lieder und Texte sind, die aus ihm raus mussten. Das Ergebnis mag mir manchmal mehr oder weniger zusagen, aber wenigstens ist der Künstler ehrlich zu sich selbst und zu den Leuten, die sich für seine Musik interessieren. Nimm zum Beispiel Peter Gabriel: Der hat mit „us“ eine großartige Platte über seine bröckelnde Ehe gemacht. Und mit „up“ setzt er sich damit auseinander, dass er auf dem Papier Rentner ist, sich aber noch immer nicht erwachsen fühlt. Das spricht mich mehr an als ein Versuch, nochmal einen Hit wie „Sledgehammer“ zu landen oder der hundertste Motorhead Song, der genauso klingt wie „Ace of spades“. Und durch einen Song von Mike Judge’s Solo-Platte erfahre ich mehr über den Mann, als bei der einstündigen Judge-Show letztens in Berlin.

Kann das sein, dass es normal geworden ist, dass Punkbands ihr Label bzw. direkt sich gegenseitig verklagen? Wird auf Tour mit den Musikern auch mal so was angesprochen und sind die Bands dann immer auf der Seite von Bands oder sehen die das auch mal differenzierter als nur „gieriges Abzocker-Label“ versus „abgerippte Band“?
In all den Jahren habe ich nicht eine Band gesehen, die hundert Prozent mit der Arbeit ihres Labels zufrieden gewesen wäre. Entweder gibt es zu wenig Promo oder zu viele Interviews auf Tour. Die Anzeigen sind nicht genug und wenn es mal eine gibt, gefällt sie der Band sicher nicht usw. Auch wenn wir das gerne idealisieren möchten, gilt sowohl für Indies als auch Majors: das Verhältnis zwischen Band und Label ist eine Zweckbeziehung. Wenn die Zusammenarbeit nicht das erwünschte Ergebnis bringt (gleich Erfolg/Verkäufe), fliegt das ach so freundschaftliche Verhältnis schnell aus dem Fenster.

Simpel gesagt: Labels verstehen oft nicht, das Promo, die viele Leute erreicht, nicht automatisch gut für eine Band ist. Und Bands verstehen oft die einfache Regel „shit in/shit out“ nicht. Hab ich nichts interessantes zu sagen, gebe ich schlechte, belanglose Interviews, dann gibt es auch keine gute Presse. Deshalb sind Bands da oft etwas kurzsichtig bzw. sehen so etwas des öfteren extrem eindimensional.

Alles klar. Sag mal: für jeden Song mit dem Topic „Touren ist-geil“, ficken, saufen, Metropolen, ausverkaufte Gigs, nie wieder arbeiten gehen, existiert ein Gegenstück mit dem Inhalt „Touren-ist-dumm“, Langeweile, Dörfer, kaum besuchte Konzerte, wieder arbeiten gehen… Ich konnte keinen Song aus einer weiblichen Perspektive finden, fällt dir da einer an? Was sind deine Tour-Lieblingssongs?
Ich bin jetzt an meinen Plattenschrank und habe versucht, einen weiblichen Toursong zu finden, bin aber kläglich gescheitert. Ich dachte, Corin Tucker von Sleater Kinney hätte einen geschrieben. Aber da ging es dann doch drum, dass ihr Partner weit weg ist. (lacht) Vielleicht haben weibliche Musiker weniger Zeit, über das Touren zu labern und stecken ihre Energie lieber darin, es zu tun?! Also, es gibt meiner Meinung nach drei Kategorien des Toursongs: erstens den verherrlichenden Song: das ist der typische „Jungs-auf-Tour“-Song, der das Unterwegs sein zelebriert und diese niemals endende Klassenfahrt, die Tour oft ist, verherrlicht und idealisiert. Meist musikalisch auch eher upbeat und euphorisch.

Hier ist einer meiner absoluten Lieblinge Saves the Day – Shoulder To The Wheel: „And I say, „Just go. Please, Dave, just drive. Get us as far as far can be. Get us away from tonight.“ And I say, „Oh, Dave, I’m sorry. I didn’t mean to yell. But I’m having quite a bad week. And I miss my mom.“ And we drive. Dave steps on the gas. The world that’s flying by is slick and smooth. Just big waves of light. The radio is playing Queen and we’re rocking out. We’re going now. ‚Cause, hey, this is it. This is where we are out here where silence is. Seventy miles an hour and the windows up tight. And I am home“.

Zweitens der melancholische Song: die Art von Tourlied, welche das Touren nicht kritisiert, sondern eher eine romantisch-bitter-süsse Sichtweise auf das Touren und das damit verbundene Vermissen hat. Meist gepaart mit Herz-Schmerz-Long-Distance-Liebes-Lyrics. In dieser Kategorie ist Russ von Good Riddance der ungeschlagene Meister!

Sein Song „Think of me“ hat alle Zutaten, die ein solches Lied braucht: „I never knew how good I had it. I had to treat you like a habit, it became what I’d guess you call a slight obsession, now I’ve had some time to work it out, way too much time to be without the one I’ve wanted, you’re my right direction, when you’re back there. Do you think of me, when you’re alone, before you sleep. I’m waiting for this time’s not like before. I’m going to carry you away, thinking good things now. I know we’ll work it out somehow. I try to keep my chin up, but it’s so hard to let you go, it never hurt before to be alone, now your voice is salvation on the phone. I only wish you weren’t so far away.“

Etwas hoffnungsvoller, aber nicht weniger melancholisch, dann Ari Katz, ich glaub, romantischer kann man das Thema nicht angehen! Lifetime – 25 cent giraffes: „You couldn’t keep me here. It’s you or two months on the road. Just two months waiting by the phone. She grew wings and I grew wheels. And now the dust covers my heels. I sent your letter next day air. No-dozed a lot and sat and stared. I couldn’t make it fifty pages in that book. I’ll pull into town when the saddest sun sets down. And I’ll see you at the show. I hope you’ll go. You’ll be there just waiting for me. Just waiting for me“.

Drittens der negative Song: Das Lied über die bitteren Erkenntnisse, die Einsamkeit, die Isolierung, die Langweile und Dröge auf Tour. Es gibt einen Song, der jedoch so viel ehrlicher ist als alle anderen, der mit dem „Was auf Tour passiert, bleibt auf Tour“-Mythos aufräumt, der davon erzählt, dass das Wegfahren eine Flucht vor all dem ist, was zu Hause auf einen wartet. Von der Feigheit, sich und anderen das einzugestehen. Ich präsentiere den offensten und deprimierendsten Song über das auf Tour sein: Coalesce – What Hhappens on the road always comes home: „We all know why you are still hanging on to this. Either to run away from your family. Or to be something you can no longer be. I think maybe time has caught up with you. And it’s time to get your priorities straight. And to take what you’ve learned and pass it down. And those old men, they lied to us. What happens on the road always comes home. And if it didn’t, then there is no point. Other than narrowly avoiding divorce three or so times a year. With no life lived to show for it. Sometimes, I want to live again. Just like the kids I traveled with. Oh, so much more to do, so much more to see. But, I think maybe time has caught up with me. You see, when her eyes light up. It all seems so trivial to ever leave again. I will never leave again“.

So richtige „Vier-Wochen-Europa-am-Stück-Clubshows-zum-neuen-Album“-Touren, ist das nicht voll retro „If you don´t play, you pay“-Style? Das ändert sich ja seit einiger Zeit rasant, man macht doch am Stück nur die lukrativen Punk-Festivals, spielt sein Klassiker-Album an zwei Tagen in der gleichen Stadt und sonst die Kreuzfahrten? Eigentlich gibt es doch nur noch deswegen Konzerte, damit die Besucher sich die Shirt-Versandkosten sparen? (lacht)
Als ich angefangen habe, zu touren, war das noch komplett anders. Um die Flüge halbwegs zu rechtfertigen und zu finanzieren, war jede Europa Tour mindestens fünf bis sechs Wochen lang. Ich kann mich sogar erinnern, mit Botch damals eine über achtwöchige Tour durchs prä-Euro Europa gemacht zu haben. Im Oktober los und kurz vor Weihnachten mit siebzehn verschiedenen Währungen in der Tasche wieder daheim angekommen…Mittlerweile haben die meisten Bands verstanden, dass diese Mammut-Touren zwar etwas Geld bringen, aber die Beziehungen innerhalb der Band extrem auf die Probe stellen. Davon abgesehen, dass man – will man in Europa eine so lange Tour spielen – auch weniger gute „Märkte“ (wie Länder mittlerweile genannt werden) bespielen muss.

Für viele Bands lohnen sich zum Beispiel Shows im Ostblock oder Süd-Europa kaum. Lange Strecken, hohe Kosten, oft schlecht organisierte Shows und wenig Publikum machen einen Abstecher in solche Gegenden oft nicht gerade attraktiv. Deshalb beschränken sich viele Gruppen auf das sichere Gebiet Deutschland, Österreich, Schweiz, Benelux und UK. Da gibt es für die meisten Bands ein Publikum, meist recht gute organisatorische Bedingungen und es ist in zwei bis drei Wochen auch etwas Geld verdient. Im Falle mancher Bands hab ich mir auch schon oft gedacht, dass für viele Leute die Show nur ein ganz angenehmer Nebenzeitvertreib sein muss. Der Fokus scheint wohl ganz klar auf dem Ver- und Einkauf jeglicher bedruckbarer Textilien zu liegen (Hardcore T-Shirt, Hoodies, Socken, Unterhosen, Mützen usw.).

Warum gibt es eigentlich so scheiße viel Geld auf Festivals zu machen? Die Bands müssen dafür sogar weniger arbeiten, ein halbe Stunde Hits-Slot bringt denen ja mehr als am Freitag und Samstag im Club. Was man da so hört an Festivalgagen…
Klar, auf den ersten Blick sehen so Festivalgagen nicht schlecht aus. Aber auch nur, wenn du einer der Big Player bist und du mit deiner Anwesenheit das Festival „aufwertest“ und für den Besucher attraktiver machst. Die kleinen Bands im Nachmittagsprogramm verdienen auch kaum was, glaub mir. Mit dieser Gage sichern sich die meisten Festivals aber auch einen Gebietsschutz (und dadurch eine gewisse Exklusivität). Heißt im Klartext: die Band darf im Umkreis von X Kilometern keine andere Show spielen. Und bei Festivals verdienen die meisten Bands fast nichts an Merch-Einnahmen, da die Shirt-Preise dort zu hoch und die Konkurrenz mit bis zu hundert anderen Gruppen viel zu groß ist. Unterm Strich ist so ein Festivalauftritt also auch oft nicht sooo viel besser, als ein ausverkaufter Headliner Gig mit viel Merch-Verkäufen.

Erinnerst du dich, als du gemerkt hast, dass du als TM leben willst? Du kommst aus dem Bayerischen Wald, hattest irgendwie studiert, einen Plattenladen in Regensburg, bist mit deinen Bands Là Par Force und Red Tape Parade getourt. Und TM wurde dann dein Vollzeitjob, erst von München und nun von Berlin aus?
Also, ich habe nur Mittlere Reife und Studenten sind und bleiben der Rost am Schwert der Revolution. Nur um das kurz klar zu stellen. (lacht) Ich habe lange in Regensburg gelebt (zwölf Jahre?) und neben meiner Arbeit als Krankenpfleger und Mitbesitzer eines Plattenladens auch noch immer Touren gefahren, Shows organisiert und selber in Bands gespielt. 2006 kam bei mir dann die Entscheidung, dass eine berufliche Veränderung her musste, das ich wieder verstärkt auf Tour gehen wollte.

Als Deutscher ist man ja sehr sicherheitsfixiert, es geht immer um festes Einkommen und ja kein Risiko eingehen. Ich habe dann recht spontan ein monatliches Gehalt (inklusive aller Nebenkosten wie Krankenversicherungen) gegen eine unsichere Selbstständigkeit eingetauscht. Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich aber nie Fördermittel oder Unterstützung als Existenzgründer bekommen, sondern hab mich von Anfang an selbst getragen. Das heißt aber natürlich auch, dass die Touren, die ich manage, ein gewisses Budget haben müssen, um sich jemanden wie mich überhaupt leisten zu können. Das Touren wurde sofort zu meiner Haupteinnahmequelle, auch wenn ich in den Monaten, in denen ich nicht auf der Straße war, immer wieder andere Jobs hatte (zum Beispiel Messebau, Events durchführen, jetzt Abenddienstleiter in einem Berliner Club). Ich sitze nicht gerne herum, wenn ich ein zwei Monate daheim bin!

Abenddienstleister, d.h. Assi-Bouncer „Mit den Schuhen Hausverbot, Keule“? (lacht)
Nein! (lacht) Ein Abenddienstleiter ist quasi der TM eines Clubs. Du bist das Bindeglied zwischen Veranstalter, Technikern, Barpersonal und Security. Sorgst dafür, dass der Abend rund läuft, die Kassen stimmen und am Ende die Tür zu-gesperrt ist. Viel Kommunikation und deshalb dem Job als TM sehr ähnlich.

Ist es gut, wenn man als TM eine Distanz zur Band hält oder kann man es gar nicht verhindern, dass man direkt Freunde wird? War es das für dich ein Problem, dass die Mythen über Helden aus der Jugend zerstört wurden, also dass das, was die auf der Bühne sagen und was die dann hinter der Bühne im Van machen, das kann ja disparat sein…
Die Freundschaftsgeschichte ist extrem von der Band abhängig. Im Falle von BoySetsFire, mit denen ich jetzt am längsten toure, war ich totaler Fan ihrer 7″ und hab mir die Band doch etwas anders vorgestellt, als sie dann wirklich waren. (lacht) Ich dachte, dass sind Molotow-Cocktail bastelnde Revolutionäre, dabei waren die Jungs Bauarbeiter aus Delaware, die lieber Kreuzworträtsel lösten und Bier tranken, als über Chomsky und Marx zu diskutieren. (lacht) Sie waren sehr politisch interessiert, versteh mich bitte nicht falsch, aber es war nicht dieses aktivistische Euro-Crust-Punk-Vokü-Ding, wie ich es kannte. Das heißt auch nicht, dass ich enttäuscht war, ich habe nur ein viel realistischeres Bild von der Band bekommen. In dem Falle bin ich mit den Bandmitgliedern auch sehr eng befreundet, das sind – und du wirst mir den Pathos hoffentlich verzeihen – meine Brüder.

Und wenn wir streiten, dann auch natürlich viel intensiver, wie Geschwister halt. (lacht) Ich arbeite aber auch mit Bands zusammen, wo ich alle Bandmitglieder sehr gerne mag, aber es mehr ein Arbeitsverhältnis ist. Da fasst man sich eher sanfter an, nimmt mehr Rücksicht, aber hat sich dafür natürlich auch nicht so viel zu sagen. Wie du siehst, hat beides also seine Vor- und Nachteile. Ich muss gestehen, dass ich manchmal dieses leicht oberflächliche, das Amerikanern oft unterstellt wird, ganz gern mag. Man redet drei bis vier Wochen lang Blödsinn, am Flughafen heißt es „I see you, man“ und dann tut man das oder halt nicht. Diese Art von Arbeitsbeziehung empfinde ich mit zunehmenden Alter als sehr angenehm, ich habe einfach nicht mehr die Energie, so viele intensive Freundschaften aufzubauen bzw. am Leben zu erhalten.

Mir ist aufgefallen, dass es für alle Tage der Woche einen Song gibt: „Monday Monday“, „Ruby Tuesday“, „Wednesday Morning 3 A.M.“, „Friday on my mind“, „Saturday night’s alright for fighting“, „Sunday morning“. Aber wo ist der gute alte Donnerstag?
Also, den gibt es doch! Pet Shop Boys – Thursday. Gar nicht mal so schlecht und es geht drum, dass man am Donnerstag schon hofft, das der Lover auch übers Wochenende bleibt. (lacht)

Cool, danke! Findest du, dass der Job eines TM unterschätzt wird? Denn ohne TM würde nichts funktionieren, sind die Bands dankbar oder behandeln sie TM als reine Servicekraft?
Sagen wir es so: ein TM macht seinen Job dann gut, wenn am Ende des Tages niemand etwas von den ganzen großen und kleinen Problemen mitkriegt, die man gelöst hat. Was natürlich oft bei Bands die Frage aufwirft: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?!“. Bei einem Roadie oder Mercher ist das simpel und geleistete Arbeit leicht sichtbar. Bei einem TM geht es stattdessen viel um Kommunikation und Vorbereitung. Als Beispiel: Die Band marschiert mit ihren Work Permits ohne Probleme durch den englischen Zoll. Das geht aber nur, wenn der TM seinen Job richtig gemacht hat, die Arbeitspapiere beantragt und ausgefüllt hat usw. Eine Band hinterfragt aber nicht, woher diese ganzen Papiere kommen oder wer wie viele Stunden damit verbracht hat, damit alles reibungslos funktioniert. Deshalb kann der Job eines TM manchmal schon etwas undankbar sein.

Es gibt diesen Mythos, dass sehr große Bands arrogant und die Mega-Mega-Bands, zum Beispiel AC/DC, total nett auch zur kleinsten Stage-Hand sind. Ich höre das als AC/DC-Fan gerne, jetzt sag´ nicht, die sind nicht so! (lacht) Kann man eine Regel aufstellen, je bekannter eine Band, um so arroganter oder ist es dem Zufall geschuldet?
Zu AC/DC kann ich dir leider nichts sagen, weil ich die noch nie getroffen habe. Es gibt auch keine Regel bezüglich der Größe der Band und ihrem Verhalten. Ich habe Millionen kleiner Bands gesehen, die sich benehmen wie die letzten Arschlöcher und keine zehn Leute ziehen und riesige Bands, die entspannter und netter nicht sein könnten. In all den Jahren habe ich aber folgende Erfahrung gemacht: die Nettigkeit einer Band übersetzt sich in ihre Crew! Coole Band gleich coole Crew (TM, Techniker, Roadies). Deppen-Band gleich Idioten-Crew. Zum Beispiel die Foo Fighters: die könnten nicht netter sein und ihr ganzes Umfeld nimmt diese positive Stimmung auf und benimmt sich dementsprechend. Am Ende des Tages kann aber auch mal ein Dave Grohl einen schlechten Tag haben und du fragst ihn nach einem Foto, zwei Minuten, nachdem seine Frau ihn angeschissen hat, weil er den Müll auf dem Weg zum Flughafen nicht raus getragen hat, und er ist patzig. Sind halt auch nur alles Menschen, mit den gleichen Problemen wie der Rest von uns.

Verstehe. Als Ergänzung hier doch noch ein Song aus weiblicher Perspektive zum Thema Touren, Nena („Rette mich“): „Nichts auf dieser Welt ist schlimmer. Als ein leeres Hotelzimmer… Drinks und Video-Kassetten können mich jetzt nicht mehr retten“.
Nun, die alte Schnapsdrossel hatte es in den 80er sowohl textlich als auch musikalisch noch drauf!

Wo wir schon bei Promis sind, du hast das ja in deinen Kolumnen so geil erzählt. Wie war das noch mal mit dir und Kelly Osbourne? (lacht)
Das war sehr unspektakulär! (lacht) Der Drummer der Band, mit der ich zu dem Zeitpunkt auf Tour war, ist gut mit Kelly Osbourne befreundet. Er gab ihr also meine Handy-Nummer, wenn ich mich richtig erinnere, rief sie kurz vor der Show an und ich hab sie auf die Gästeliste gepackt. Nach dem Konzert gab es noch eine Aftershow-Party und Kelly Osbourne tat mir richtig leid. Entweder wurde sie wie ein Affe im Zoo angeglotzt, von Leuten dumm angepöbelt oder überfreundlich zugeschleimt, in der Hoffnung, sich einen Celebrity-Freund zu machen. Wirklich traurig, wenn man nicht mal mehr ungestört mit jemanden was trinken kann, ohne das jemand Fotos macht oder ständig unterbricht. Ich hab, glaub ich, noch immer ihre Nummer im Telefon eingespeichert, aber nie probiert, ob sie noch funktioniert. (lacht) Amy Winehouse hat mich übrigens auch mal am Telefon angebrüllt, aber das ist eine andere Geschichte. (lacht)

Cool, erzähl, hast du ihr schlechtes Dope vertickt? (lacht)
Wie sagt der Engländer so schön, „don’t speak ill of the dead“. (lacht) Ich war auf Tour mit Jeffrey Star, einem Trans Gender Künstler. Der/Die Jeffrey hat sich irgendwann mal ausgedacht, er/sie ist jetzt „famous“ und das hat dann auch ein bisschen geklappt. Sein Nachbar Ben (von Dillinger Escape Plan) hat dann ein paar Euro-Dance-Stückchen für ihn komponiert, die dann mit Texten wie „I fuck straight boys“, „Cum dumpster“ oder „I fuck you at McDonalds“ auf die Menschheit losgelassen wurden. Die Londoner Gästeliste war wieder mal sehr Yellow Press-lastig, u.a. Pete Doherty (der den Backstage Schnaps geklaut hat) und eben Amy Winehouse. Die wollte noch mit Jeffrey ausgehen, er hat ihr meine Nummer gegeben, um die Details zu klären. Als Jeffrey dann lieber ins Hotel zurück ging, um zu pennen, hat Amy bei mir angerufen und mich lauthals wissen lassen, dass sie durchaus gedenke, jetzt mit ihm zu feiern und er auf der Stelle in die Lobby kommen soll. Die Details des „Gesprächs“ spare ich mir aus oben genannten Gründen.

Du warst ja auch mit den Mad Caddies im Hofbräuhaus?
Wenn ich mich richtig erinnere, dann doch im Augustiner Keller?! Auf alle Fälle hab ich zu dem Zeitpunkt noch in München gewohnt, einen Off-Day zuhause verbracht und die Mad Caddies saßen, glaub ich, über vierzehn Stunden im Augustiner und haben nur Fleisch gefressen und Bier getrunken. (lacht) Weißwurstfrühstück, Schweinehaxen zum Mittag und dann nachmittags gleich weiter zum nächsten traditionellen Kadavergericht. Aber als wir dann morgens um fünf Uhr weiterfuhren, waren sie total happy und meinten, sie hätten einen super Off-Day gehabt. Also alles prima oder? (lacht)

Du schönes München! Deine blog-Tipps bezüglich Hometown shows wirken so kalt distanziert, das ist wahrscheinlich das Lehrgeld on the road? Man freut sich auf ein Konzert in der Heimat, aber es kippt in Mega-Stress, weil Arbeit und zwei Millionen alte Bekannte, aber keine Zeit, allen ausreichend Zeit zu widmen?
Tourstops in meiner Heimatstadt sind die absolute Hölle für mich und ich denke, ich bin damit nicht allein. Das „auf Tour sein“ hat seinen eigenen Rhythmus, man ist in seiner eigenen Welt, mit eigenen Abläufen und Regeln. Schwer zu erklären. Aber jeder, der schon mal auf Tour war und das längerfristig macht, wird mir sicher zustimmen. Dann plötzlich so halb in die Realität meines Wohnortes zurück geworfenen zu werden ist für meine psychische Stabilität nicht gut.

An so einem Abend hat man das Schlechteste aus zwei Welten. (lacht) Die Tourarbeit und das „normale Leben“, das einen ein bisschen wieder an sich ran zieht, dich dran erinnert, dass da Briefe, Rechnungen und Verpflichtungen auf einen warten. Dabei hat man sich gerade erst so schön in die relativ problemfreie Zone der nicht endenden Klassenfahrt aka Tour geflüchtet. Ich behandle Heimspiele jetzt nur noch wie normale Tourtage. Keine Erwartungen – keine Enttäuschungen. (lacht)

Hey, es tauchte die Frage auf, ob Oise nicht die Kurzform von „Alois“ ist? Cooler Name in jedem Falle für eine lustige Oi-Band, hö hö…sorry. (lacht)
Ja, (lacht) die niederbayerische Kurzform von Alois, mein zweiter Vorname. Ich bin Jahrgang 78 und alle hießen Stefan. Spätestens, als ich dann in einer 5er WG mit vier anderen Stefans zusammen gewohnt hatte, musste ein anderer Name her und ja, Oise hat sich da wohl angeboten. (lacht) Als ich nach einem Ausflug ins Skinhead Lager später Straight Edge wurde, kam der Witz mit dem Oi!-SxE oft, macht es aber auch nicht gerade lustiger, Jan. (lacht)

Ich verstehe! (lacht) Du bist viel im Auftrag von Destiny Booking unterwegs, nicht wahr? Wenn du Lust hast, zähl doch mal einige Bands auf, die du länger fährst. Würdest du nicht auch gut zu den Bands bei Trümmer oder The Company with the Golden Arm Booking passen?
Ja, seit damals BoySetsFire im Jahre 2000 zu Destiny Booking gewechselt sind, mache ich viel für die Agentur. Liegt natürlich daran, dass man ja oft von der Agentur weiter empfohlen wird bzw. die Bands sich untereinander kennen und man so wieder an einen neuen Job kommt. Bands, für die ich gearbeitet habe bzw. noch immer arbeite, sind u.a. BoySetsFire, Sick Of It All, I Am Heresy, Mad Caddies, No Use For A Name, Lagwagon, die Solo Touren von Tony Sly und Joey Cape, The Casting Out, Easy Star All Stars, Parkway Drive, Strike Anywhere, Bosnian Rainbows, Reversal Of Man, Teenage Bottlerocket, Good Riddance, Botch, Samiam, Dave Hause…

Die Liste ist bestimmt unvollständig und ich hau mir später sicher auf’s Hirn. (lacht) Lustigerweise war ich noch NIE mit einer deutschen bzw. europäischen Band auf Tour. Wäre doch auch mal schön, mit Notwist durch die süddeutsche Provinz zu fahren, aber hat sich noch nicht ergeben. Gibt es denn Ingos Company With The Golden Arm noch? Das Trümmer Roster musste ich jetzt auch erst mal nachschlagen. Das sind alles sehr tolle Bands, aber grundsätzlich gilt: wenn ich eine Band mag, dann sind sie meist zu obskur und zu klein, um sich einen TM wie mich leisten zu können bzw. wäre das auf der Ebene mit ziemlicher Sicherheit auch etwas albern. Jobs, bei denen man für dreißig Euro am Tag ne Band durch Europas Jugendzentren fährt, kann und will ich auch nicht mehr annehmen. Dafür gibt es bestimmt junge Leute, die wie ich damals nicht auf den Verdienst angewiesen sind, sondern ganz einfach Lust auf Reisen, Touren und Abenteuer haben und dafür ein Taschengeld bekommen.

Moment, Reversal of Man gibt es noch oder wieder, das ja hart!
Nein! (lacht) ROM gibt es lang nicht mehr, das war die erste Band, mit der ich jemals auf Tour ging, glaub ich. (lacht)

Lustig, die habe ich im Haus der Jugend Kolbergerstraße Leverkusen in den 90er gesehen. Die Bands auf Fat Wreck, Epitaph, Alternative Tentacles, das sind ja für uns heute Mitte 30 Jährigen oft Jugendhelden gewesen. Was waren deine Erfahrungen mit diesen Bands backstage, Jello, Pennywise, Bad Religion, Propagandhi, Lagwagon, wie sind die drauf?
Also Jan, es ist schon schwer, über eine Band wie zum Beispiel Lagwagon eine Aussage zur Gruppe zu treffen, da die einzelnen Charaktere so verdammt unterschiedlich sind. Jetzt noch alle diese Bands in einen Topf zu schmeißen und eine allgemeingültige Aussage über ihr Verhalten abseits der Bühne zu machen, ist schlicht unmöglich und wäre auch etwas ungerecht. (lacht) Ich könnte jetzt sagen, dass viele dieser Bands sich in den wilden 90er bzw. frühen 2000er mächtig die Hörner abgestoßen haben. Viele dieser Bands waren ja kurz vorm großen Durchbruch. Manche haben ihn geschafft und anderen ging kurz davor die Luft aus oder die erwünschte Entwicklung nach oben hin blieb aus. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die meisten dieser Bands es jetzt etwas ruhiger angehen lassen. Die Zeiten der großen Exzesse sind vorbei, alles wurde schon mal erlebt und die müssen sich auch nichts mehr beweisen. Die Betonung liegt aber ganz klar auf die „meisten“. (lacht)

Was ist deine jeweilige Lieblingsplatte aus den kalifornischen Hit-Schmieden von Epitaph, Fat Wreck, Lookout und Alternative Tentacles? Und die Hass-Platte?
Ich war ja jahrelang gar kein Fan dieses ganzen Cali-Melodic-Punk-Dings, Bands wie Slapshot, Sheer Terror und Shelter lagen mir immer etwas näher. Trotzdem habe ich bei diesen Labels natürlich einige Favoriten, ich mach mir schnell einen Kaffee und stöbere dann mal auf deren Homepages durchs Labelprogramm, damit ich auch nichts vergesse! So, zurück, lass uns loslegen! Epitaph: meine Güte, durch wie viel Müll man sich da wühlen muss, bis man endlich bei ein paar annehmbaren Releases landet! Epitaph ist zwar noch immer ein respektabler Indie, aber was die heute anscheinend produzieren müssen/wollen, um am Leben zu bleiben, ist echt ne absolute Katastrophe!

Mein Lieblingsalbum wäre hier entweder Bad Religion – Recipe for hate, Insted – What we believe, SNFU – FYULABA oder Dag Nasty – Four on the floor. Mit der Hassplatte könnte ich mir es jetzt leicht machen und irgendwas von dem Hairspray Metal Emo Goth Schrott nehmen, den das Label so fabriziert, aber das wäre zu leicht… Ich sag jetzt mal Total Chaos – Patriotic Shock. Diese Scheiß zwei Meter Iro Poser gingen mir damals schon mächtig auf den Zeiger. All Style, No Substance. Fat Wreck: hier ist der Favorit einfach: Good Riddance – Operation Phoenix.

Wie gesagt war ich kein großer Melody Core Fan, aber Good Riddance und ihr Sänger Russ im Straight Edge- oder Integrity-Shirt ließen mich genauer hinhören. Perfekte Mischung aus Melodie und Härte, aus käsigen Liebesliedern und sozio-politischer Anklage! Besonders hab ich schon immer diesen seelenlosen High-Tech-Metal-Melody-Core von Strung Out gehasst. Die erste Propagandhi – How to clean löst bei mir auch Brechreiz aus. Me First and the Gimme Gimmes kann ich mir auch nicht geben. Es freut mich sehr, das alle Beteiligten mit dieser Bierzelt-Punk-Schunkelei den Great Rock´n´Roll Swindle abziehen und den Kids das Geld aus der Tasche ziehen, aber für mich ist das nichts. Lookout: der absolute

Höhepunkt von Lookout war für mich die Born Against/Screaching Weasel – Split 7″ sowie Avail – 4 am Friday. Gab es bei Lookout wirklich große Ausfälle? Ich würde gerne sagen, dass ich Groovie Ghoulies oder Boris the Sprinkler hasse, aber ich habe diese Bands nie im Leben gehört. (lacht) Alternative Tentacles: Absolute Lieblingsplatte (auch wenn jetzt nicht mehr im Programm): Neurosis – Souls at zero. Und ich glaube, dass ich ungehört dieses ganze Star Fucking Hipster/Leftover Crack-Zeug ziemlich scheiße finde!

Manche Punk-Musiker werden im Laufe der Jahre zynisch: sie müssen touren, weil sie nichts anderes können. Solche Leute zu begleiten ist sicher schwer?
Sagen wir es so: es ist besonders schwer, mit Leuten auf Tour zu sein, die nicht auf Tour sein wollen. So wie es sicher schwer ist, mit Leuten in der Fabrik ein Auto zusammen zu bauen, die darauf eigentlich keinen Bock haben. Grundsätzlich ist, wie bei allem im Leben, die Motivation einfach alles. Und wenn deine Motivation, mit der Band unterwegs zu sein, nicht die Liebe zur Musik ist, sondern du sonst einfach nichts anderes kannst, dann machst du natürlich mit deiner schlechten Laune dir und allen um dich herum die Tour kaputt bzw. das Leben zur Hölle.

Vor einiger Zeit erschienen die Memoiren von Sam Cutler, dem früheren TM der Stones, hast du auch so was in der Pipeline?
Ich denke, ich habe hier schon ne gute Ansammlung von Geschichten, die es verdient hätten, in Buchform veröffentlicht zu werden. (lacht) Der einzige Nachteil ist leider, dass ich die aller-aller- aller-besten Geschichten nicht wirklich teilen kann. Dann würden Leute zu Hause raus fliegen und oder Ehen zu Bruch gehen, glaub ich. Klar, man könnte die Namen weglassen, aber dann ist es halt „just-another-boring-rock-story“; wenn ich nicht weiß, um wen es geht und die Band nicht in Kontext setzen kann, habe ich persönlich zum Beispiel null Interesse an Tourgeschichten oder Biographien. Ich hab zum Beispiel Nagels Buch nicht gelesen, als ich hörte, dass es auf echten Geschichten basierende Fiktion sein soll.

Was kann der Stones-TM, was du nicht kannst? Geduldig scheiß Musik ertragen?
Glaub mir, ich bin SEHR geduldig darin, Scheiß-Musik zu ertragen! (lacht) Ich nenne mal keine Namen, die Bands brauchen ja nicht wissen, ob ich sie gut finde. (lacht) Ich hatte letztens ein Gespräch mit einem Freund, der bei EMI bzw. Warner für Bands wie Coldplay zuständig ist. Er kommt aus der britischen DIY-Hardcore Szene, hat Shows in Pubs gespielt und organisiert und jetzt ist er halt im Jahr für Milliarden Umsätze zuständig. Er meinte, dass es bei Bands doch immer ums gleiche geht, egal, ob es eine Show mit fünf oder fünfzigtausend Leuten ist. Nur der Maßstab ändert sich.

Soll heißen: der TM der Stones muss statt einer Kiste Bier eben noch den teuersten Schampus besorgen. Der Gitarrist ist zwei Minuten vor Show-Beginn auch nicht zu finden. Nur hängt er in dem Fall wahrscheinlich nicht mit der Vorband ab, sondern steht auf dem Weg vom Luxus-Hotel zum Stadion im Stau usw. Was er aber auf alle Fälle sicherlich kann, ist sorgenfreier auf seinen Kontostand blicken. (lacht).

Kann man sagen, dass die Professionalisierung einer Band gleichbedeutend mit dem Bedarf an einem TM ist? Also, das die Toten Hosen und Ärzte einen TM brauchen, das leuchtet mir ein. Aber warum brauchen sechs-hunderter Hallen füllende Ami-Punkbands einen TM, warum brauchen Lagwagon oder Pennywise dich? Die sind über 40, waren sehr oft in Deutschland und ein Kindermädchen brauchen sie doch nicht, denn es ist nun auch ihr Job und nicht nur „Geil, vier Wochen durch saufen in Europa“. Ich finde es halt so widersprüchlich: einerseits beklagen sich Bands, wie viel Zeit man totschlagen muss auf Tour, andererseits unternehmen sie nichts, um etwas zu ändern. Man könnte sich ja beschäftigten, Bus fahren. Merch-Tisch aufbauen. Zeitpläne einhalten, halt all das, was du machst, könnten sie ja locker ab einer gewissen Erfahrung selber machen.
Hmh, sagen wir so – der Bedarf für einen TM hat mehr mit der Eigeninitiative und Organisiertheit der Band zu tun, nicht mit der Besucheranzahl oder der Größe der Band. Es gibt Bands, die vor fünfzig Leuten spielen und es ohne TM nicht mal in die nächste Stadt schaffen würden. Und dann hast du auf der anderen Seite Fugazi, die vor tausend-fünfhundert Leuten spielen und Ian MacKaye fährt den Van, macht die Abrechnung etc. Der Widerspruch, den du hier ansprichst, ist natürlich offensichtlich, aber viele Musiker wollen sich einfach nicht um die langweiligen und oft komplizierten Aufgaben eines TM kümmern. Es geht da ja nicht nur darum, zu überprüfen, ob genügend Bier im Kühlschrank ist, sondern auch recht oft um komplizierte Abrechnungen und anderen langweiligen Papierkram.

Viele Bands schätzen auch diesen „Schutzwall“. Die wollen nichts negatives an sich herangetragen sehen, die wollen Spaß haben. Morgens aus dem Bus steigen, auf die aufgebaute Bühne gehen und den Sound checken und nicht fünf Minuten vor Show-Beginn noch mit dem Veranstalter über irgendetwas diskutieren müssen. Unangenehme Dinge und Konflikte werden dann natürlich ausschließlich über den TM ausgetragen, die Band bleibt immer aus der Schusslinie. Um also auf deine Frage zurück zu kommen: ja, ich bin mir sicher, manche meiner Bands könnten mit ihrer Erfahrung und auch zeitlich all die drögen täglichen Touraufgaben erledigen, aber sie wollen es nicht! Dafür leisten sie sich dann den Luxus eines TM (und auch einer Roadcrew), damit sie ungestört einfach nur Musik machen und rumhängen können.

Mike Watt sagte neulich, dass er bis heute sechzig Touren machte, das kam mir wenig vor, da bist du doch jetzt schon drüber?
Oh Mann, echt keine Ahnung. (lacht) Ich müsste mal die Tourpässe zählen, aber ich denke, es sind um die fünfzig? Du darfst nicht vergessen, dass die Touren bei Mike Watt damals ja noch mindestens zwei Monate lang waren, oft sogar bis zu vier Monaten. Deswegen kann das schon gut hinkommen.

Ist es bei den größeren Touren auch deine Aufgabe, die Band auf der Bühne zu schützen? Oder ist das der Job vom Stage-Manager, eben das keine besoffenen Stage-Diver ins Schlagzeug fallen?
Bei neunundneunzig Prozent der Touren bin ich während des Sets mit auf der Bühne. Klar, es gibt auf Tour viel zu tun, vor und nach dem Konzert, und es wird oft ein großer Aufriss um Presse, Interviews etc. gemacht. Aber am Ende des Tages ist der einzige Grund, warum man das alles auf sich nimmt, doch diese sechzig bis neunzig Minuten, in denen die Band auf der Bühne steht und Musik macht. Und wenn es genau dabei Probleme irgendeiner Art geben sollte, will man darauf natürlich schnellstmöglich reagieren können. Das beinhaltet natürlich auch den „Schutz“ der Band vor sich unpassend benehmenden Besuchern, aber ich sehe es durchaus auch als Aufgabe eines TM an, für die Sicherheit der Zuschauer zu sorgen. Die sorgen schließlich mit ihrem Eintrittsgeld dafür, dass alle, von der Band über Crew bis zur Putzfrau im Club, einen Job haben.

Kennen sich die TM im Punk, ist das so ein Netzwerk oder Konkurrenz? Du wärst doch bei deinen NYC-HC Favoriten der perfekte Nachfolger für Schlumpf aus Berlin, den TM von Mad-Booking und auch Agnostic Front-Manager? Oise in Pain, Alter! (lacht)
Der gute Schlumpf macht das hoffentlich noch länger für Agnostic Front! Obwohl ichs schon geil fände, jeden Abend „Victim in Pain“ zu hören. (lacht) Klar, man kennt sich natürlich. Aber nicht nur im HC-Bereich, sondern allgemein das „fahrende Volk“. Speziell zur Festivalsaison ist das immer sehr nett und viele meiner Freunde, die aus dem Hardcore Punk kommen, sind jetzt auch verstärkt im Popbereich auf Tour (zum Beispiel das ganze Grand Hotel Van Cleef Umfeld). Und Leuten wie eben Schlumpf, Erol (Terror, Ignite) oder Kent (NOFX, Me First and the Gimme Gimmes) begegnet man natürlich besonders oft, da sie ja im gleichen Pool schwimmen. (lacht) Ich persönlich sehe da keinerlei Konkurrenz, jede Band hat ja so ihre ganz speziellen Persönlichkeiten und Bedürfnisse und deswegen passt auch nicht jeder TM zu jeder beliebigen Band. Ich halt es da mit Billy Bragg: „Co-operation not competition“.

Was waren Catering-Rider, bei denen du nur den Kopf geschüttelt hast? Kann diese Punk-Catering-Firma, Rote Gourmet Fraktion, eigentlich was?
Hmh, ich versuche hier gerade echt, mir was lustiges aus dem Ärmel zu ziehen, aber scheitere gerade etwas. (lacht) Die ami Rider sind natürlich immer etwas extravaganter, da dort momentan mehr Fokus auf Allergien und Unverträglichkeiten liegt. Ob die uns da ein paar Jahre voraus sind oder es nur mal wieder übertreiben, kann ich so nicht beantworten. (lacht) Also, die Großen, wie Rammstein oder 30 Seconds to Mars, haben gerne mal Sachen wie „frisch gepresster Orangensaft, nicht älter als fünf Minuten nach der Show“ auf der Liste.

Ansonsten gibt es ja gern mal so Codewörter für diverse Drogen, aber ich halt mich da komplett raus. Jello Biafras Wunsch nach einer warmen, frisch zubereiteten Mahlzeit um circa drei bis vier Uhr früh fällt mir noch ein. Dessen Tagesablauf ist einfach circa acht Stunden verschoben zum Rest der Menschheit. (lacht) Und ich habe nur mal bei einem Festival das Essen der RGF getestet. War ganz lecker, wobei ich hier nochmal an alle Festivalveranstalter appellieren möchte: kümmert euch um veganen Nachtisch/Kuchen und alle Crews dieser Welt werden zwanzig Mal so hart arbeiten. (lacht)

Wahrscheinlich wäre also dann für dich ne Traumtour vier Wochen Italien mit Death in the family, Samiam, BoySetsFire und einer Charleys War Reunion? Und die Horrortour vier Wochen Osteuropa mit Discharge und Thump Reuinon?
Jan, deine Fantasie bezüglich Tour-Packages geht mal wieder mit dir durch! Auch wenn es heutzutage nicht mehr ganz so abenteuerlich ist, Süd- und Ost-Europa zu betouren: organisatorisch und was diese Club-Struktur angeht, ist das im Vergleich zu Nord- und West-Europa echt noch eine ganz andere Nummer. In den weiter oben beschriebenen Kerngebieten gibt es eine relativ gute Infrastruktur. Du wirst hier selbst in Squats, kleinen Clubs und Jugendzentren meist eine annehmbare PA vorfinden,

Catering ist eine Selbstverständlichkeit, die Venues haben oft Band-Appartments und die Veranstalter legen relativ großen Wert auf eine organisierte und pünktliche Durchführung. Was Urlaub in Südeuropa so reizvoll macht (der lockere Umgang mit Zeit und die relativ entspannte Herangehensweise an alle Dinge), ist auf Tour wiederum der absolute Alptraum eines jeden TM. Band/Crew kommt halt in den Club (und zu lebenswichtigen Dingen wie Toiletten/Duschen), wenn jemand auftaucht, nicht, wenn es im Tour-Buch steht. Dinge stehen nicht einfach schon bei Ankunft bereit, sondern werden in „Fiva Minuti“ besorgt – was alles zwischen vier Stunden und drei Tagen heißen kann, nur ganz sicher nicht fünf Minuten. (lacht)

Meine Geheimwaffe dafür ist, dass ich bereits bei Ankunft ALLES anfordere, was ich IRGENDWANN im Laufe des Abends brauchen werde, dann sind die Chancen relativ groß, es auch halbwegs pünktlich zu bekommen. Osteuropa ist dem sehr ähnlich, man muss natürlich aber auch bedenken, dass westeuropäische Konzertorte oft dreißig Jahre Vorsprung hatten, um eine funktionierende Stromleitung und oder Toilette einzubauen (lacht).

Es gibt faszinierende Parallelen zwischen Punk-Touren und Rad-Sport: großer Drogenmissbrauch im Punk und bei den Doping-Radsportlern auf der Tour (sic!). Auch dieser größtenteils männliche Hang zu Listen: im Sport die Tabellen und Fahrzeiten, im Punk die Vinyl-Listen. Der TM ist dann halt der Chef-Trainer, kann man das so sagen?
Ich würde sagen, Punk hat Parallelen zu jeder männerbündlerischen Hobbykultur. Meistens genau so spannend und fortschrittlich wie Briefmarkensammler, Kegelverein oder Taubenzüchter. „Being in a band does not make you a revolutionary, buying records is not a revolution“ von By The Grace Of God.

Fuckt dich das nicht manchmal: deine zu betreuende Band spielt total breit live, du spielst selber seit Jahren in Bands, kannst das besser, aber hast mehr Arbeit, vor allen, wie du schon sagtest, die unangenehmen Aufgaben, aber die Band kriegt mehr Kohle?
Wie sage ich immer, wenn sich eine Band bei mir wegen irgendeinem Luxus-Quatsch beschwert: „Should have written a better record!“. Entweder waren meine Songs nicht gut genug oder ich bin zur falschen Zeit am falschen Ort geboren. Auf alle Fälle war ich nie in einer populären Band und das ist auch okay. Wenn man noch diesen Traum hat, selbst Musiker zu sein, sollte man schnellstmöglich seinen Job als TM/Roadie/Soundmann aufgeben und seine Zeit in seine Band investieren, sonst wird man eines dieser frustrierten Arschlöcher und von denen gibt es auf der Straße schon genug. Und was man sich immer ins Gedächtnis rufen muss: die Leute sind nicht wegen meiner tollen Excel Files oder Zeitpläne hier, sondern weil sie die Band und ihre Musik erleben wollen. Es ist also nur fair, dass die Künstler mehr als ich verdienen. (lacht) Wobei es auch schon schlecht laufende Touren gab, bei denen ich bestimmt mehr verdient habe als die einzelnen Bandmitglieder.

Durch das Internet erscheint das Touren viel einfacher. Gibt es Nachteile?
Die moderne Telekommunikation hat das Touren EXTREM einfacher gemacht. Als ich das erste Mal losfuhr, gab´s noch einen Autoatlas von 1987 und einen Ordner mit so tollen Wegbeschreibungen wie „Go to city center and look for punks“ – und das in Barcelona!!! In der Zeit vor Handys einen Veranstalter zu erreichen war auch ein Alptraum, ich erinnere mich an so manche verzweifelte Versuche, einen italienischen Promoter zu erreichen und abends immer nur seine Mutter am Telefon zu haben, die natürlich kein Wort Englisch sprach. Nicht, das seine Sprachkenntnisse viel besser gewesen wären, nachdem er endlich mal zu Hause war. (lacht)

Mittlerweile gibt es GPS, Google Maps, fast jeder Club hat ne Homepage mit Anfahrtsbeschreibung. Auch für die Fans ist es viel einfacher, von einer Änderung des Konzertorts oder einer Absage zu erfahren. Ich finde, dass unser Umgang mit Musik durch die uneingeschränkte Verfügbarkeit, die das Internet bietet, extrem beliebig geworden ist. Aber das ist ja wieder ein ganz anderes Thema. Für das Touren hat es wirklich nur Vorteile.

Wie schlüsselt sich deine Bezahlung auf, der Tourbooker kriegt Prozente des Eintritts bzw. Festgage und von diesen Prozenten kriegst du wieder einen Prozentanteil?
In 99,9 Prozent aller Fälle bekommt die Crew ein Festgehalt pro Tag / Woche, egal ob fünf oder 50 000 Leute zur Show kommen. Die Band trägt also immer das Risiko der großen Fixkosten einer Tour, wobei es dann auch wieder nur fair ist, wenn die Band grundsätzlich am Ende mehr verdient. Kollektive wie CHUMBAWAMBA, bei denen am Ende der Tour jeder gleich viel bekam, egal ob Musiker oder Crewmitglied, sind im Geschäft die absolute Ausnahme.

Punks auf Tour wollen das freie Boheme-Leben, keine Routine, ausschlafen, nur um sich dann im durchgeplanten Tour-Daysheet wiederzufinden. Stehst du da mit Excel-Tabelle und forderst Strafgeld, wenn die zu spät zum Frühstück kommen? (lacht)
Ich wünschte, das könnte ich!!!! (lacht) Es gibt im Tour-Alltag gewisse Zeiten, die eingehalten werden müssen. Abfahrtszeiten, Soundcheck, Stagetime. Alles dazwischen drin ist nicht mein Bier. Meine Aufgabe besteht darin, die Leute wissen zu lassen, wann es zum Beispiel Essen gibt, wenn sie dann zu blöd sind, um rechtzeitig zu erscheinen, müssen sie halt hungrig ins Bett bzw. auf die Bühne. (lacht) Sauer werde ich nur, wenn die Band die oben genannten Zeiten nicht einhält. Denn die sind entweder essentiell (Abfahrt zum nächsten Konzertort) oder es ist gegenüber Local Crew und Fans absolut respektlos, unpünktlich zu sein.

Es ist ja nicht so verwunderlich, dass Bands bei Ansagen die Städtenamen verwechseln, weil aus ihrer Sicht alles gleich ist: Bus, Halle, Bus, Hotel. Wie hältst du dieses „monotone“ aus? Sind Squat-Touren anders, lebendiger?
Ah, wie schön das damals war, als der Sänger von Botch in Wien das Publikum mit „Hey, Austria is a nice fucking town“ begrüßte (lacht). Touren im Van sind allgemeiner weniger monoton als im Nightliner. Im Sprinter fährt man tagsüber von Stadt zu Stadt, ist flexibler/mobiler (und kann so auch mal einen Sightseeing-Schwänker machen) und muss nach der Show auch noch ins Hotel fahren. Bustouren und die damit verbundenen sehr strengen Vorschriften (Stichwort Lenkzeiten des Fahrers) lassen für Spontanität dagegen überhaupt keinen Raum.

Persönlich bevorzuge ich letzteres, da es für mich als TM einfacher zu regeln ist, man hat sein festes Hauptquartier mit Betten vorm Club stehen. Außerdem waren die meisten Bands, mit denen ich auf Tour bin, schon tausendmal hier, haben das Meiste schon gesehen und wollen eigentlich nur ihre Ruhe und genug Schlaf bekommen. Ich weiß, dass klingt jetzt oberflächlich, aber nach all den Jahren, in denen ich das mache, bin ich sehr dankbar für eine gewisse Monotonie. Denn alles, was aus dem Rhythmus „Bus, Club, Bus, Club“ ausbricht, bedeutet für mich als TM nur extra Arbeit und von der hab ich schon genug. Das gilt übrigens auch für die von mir so gehasste Off Days.

Für die Männer ist eine Tour oft eine Klassenfahrt. Das einzige, was für sie problematisch sein könnte, wäre, besoffen zu stürzen. Sie kriegen ja auch nicht ihre Tage. Was sind deine Erfahrungen mit Frauen-Bands, mit gemischten Bands? Wie ist das mit weiblichen Tourmanagerinnen oder Stories von deinen „männlichen“ Bands, wenn die eine Frau als TM haben? Trauen die sich dann erst mal keine dreckigen Witze?
Oh Mann Jan, das ist jetzt eine sehr komplexe Frage! Grundsätzlich gilt – wenn Frauen dabei sind, ist das Verhalten von Männern oft besser. Dieser männerbündlerische Kegelvereins-Touch, der automatisch durchkommt, wenn du fünf bis fünfzehn Typen in ein Gefährt setzt, egal, wie bewusst oder feministisch die Band sich gibt, ist dadurch erst mal nicht gegeben bzw. braucht länger, bis er ausbricht. Das Tour-Leben mit seiner absolut nicht vorhandenen Privatsphäre ist natürlich für Frauen noch etwas schwieriger. Stichwort Dusche mitten im Backstage-Raum, Toiletten ohne Tür usw.

Die in der Gesellschaft vorherrschende Doppelmoral macht das auch nicht einfacher: steht ein Mann nackt im Raum, juckt es keine Sau, tut eine Frau das, gibt es sofort Blicke oder dumme anzügliche Bemerkungen. Weibliche Tour-Managers, die mit komplett männlichen Bands auf Tour gehen, müssen auch hart im Nehmen sein. Es ist einfach eine verdammt sexistische Welt, in der wir leben. Mir als Mann würde nie jemand unterstellen, ich hätte meinen Job nur, weil ich mit jemand aus der Band Sex habe.

Wenn eine Frau jedoch einen Club betritt, muss sie erst mal beweisen, dass sie kein Groupie ist. Was mir über die Jahre aufgefallen ist: weibliche TM’s sind etwas „mütterlicher“ bzw. machen sich mehr Sorgen. Wenn bei mir einer meiner Typen die Treppe runter fällt, kleb ich ein Pflaster drauf und das wars. Die weiblichen Tour-Managers, die ich kenne, würden sich nicht nur mehr kümmern, sondern es oft noch persönlich nehmen, dass sich jemand unter ihrer „Aufsicht“ verletzt hat. Um jetzt nochmal auf deine Frage von weiter oben zurück zu kommen, ob es eine „Konkurrenz“ unter TM gibt: Frauen sind hier oftmals etwas mehr darauf bedacht, dass man sich von „ihren“ Bands fernhält.

Das ist aber sicher der Tatsache geschuldet, dass eine Frau in unserer Welt doppelt so hart arbeiten muss, um ernst genommen zu werden. Die Gefahr, dass ein „cool dude“ ums Eck kommt, mit dem die Bandtypen „gut abhängen“ und schamlos prollig sein können und der die nächste Tour der Band fährt, ist natürlich immer gegeben. Hast du auch vor, eine TM zu interviewen? Mich würde deren Sichtweise auf die Thematik sehr interessieren!

Vielleicht mal, gute Anregung. Big Rock sagte mir mal, das diese „No girl-friends on tour“-Regel schon wahr ist, weil es dann in der Konstellation bei Abstimmungen immer in erster Linie um die Band geht. Aber für den eiskalten Diktator gibt es ja doch dich. (lacht) Gilt das dann auch bei Frauenbands, also „No boy-friends on tour“?
Ich finde, dass es eine Regel geben sollte, das niemand mit auf Tour kommt, der keine wirkliche Aufgabe hat. Völlig Geschlechts-unabhängig. Wenn Tour-unerfahrene Partner mitkommen, gibt das meist Probleme. Sie kennen die Gegebenheiten nicht, verstehen weder die unausgesprochenen Regeln noch die Details der Tagesabläufe. Meine Erfahrung in dem Fall zeigt, dass dieses „mit-auf-Tour-kommen“ meist extrem unbefriedigend und frustrierend für beide Parteien ist. Partner verstehen oft nicht, dass die Band hier ist, um zu arbeiten, dass die Show am Abend das wichtigste ist.

Ein Ausflug in die Innenstadt ist zum Beispiel reiner Bonus, nicht die Hauptaufgabe. Die Dynamiken innerhalb einer Band sind schon schwierig genug, da noch einen extra Stress-Faktor dazu zu nehmen, halte ich persönlich immer für eine sehr schlechte Idee. Aber wie vorher schon gesagt, ich mag Ruhe und Monotonie. (lacht)

Findest du es einen Makel von deinen männlichen Band-Leuten, die für Feminismus sind, wenn die ab dem sechsten Halbem mal „etwas platter“ über Frauen reden?
Für mich gilt am Ende des Tages weniger, was Menschen sagen, sondern, wie sie sich in konkreten Situationen verhalten. Ein blöder Spruch im engen Kreis, der niemanden verletzt, ist für mich tolerierbar, wenn ich weiß, dass die Person sich „da draußen“ jedoch vernünftig verhält. Ich hoffe, die Antwort macht so Sinn?

Ja. Hattest du spezielle Erfahrungen mit Metal-Bands gemacht?
Metal-Bands legen viel größeren Wert auf ihr „Handwerk“. Hier wird das Musizieren meist wesentlich ernster genommen, vor den Shows wird sich warm gespielt und auch nach der Show wird oft die „Performance“ nochmal kritisch hinterfragt. All diese Sachen sind bei Bands aus dem Punk-Umfeld meist kein Thema. Was das Vorurteil bestätigt, dass Metal mehr „Kopf“ -als die „Herz“-Musik Hardcore-Punk ist. Das Verhalten der Metal-Bands ist meist entweder genauso oder etwas besser als bei Punk-Musikern. Große Unterschiede kann ich aber nicht wirklich feststellen.

Was ich als angenehm empfinde ist, dass Metal-Bands oft ehrlicher sind. Es gibt nicht diese moralischen Zwänge oder diesen Pseudo-Polit-Überbau. Während HC-Punks sich oft politisch geben, aber ihr Verhalten das absolut nicht widerspiegelt.

Du erwähntest Slapshot und Shelter, bei beiden reden wir doch über die geilen frühen Sachen, also vor „16 Valve Hate“ und vor „Mantra“? Deine Lieblings-NY-HC-Platte? Hier: SFA – The new morality, Sheer Terror hin, Agnostic Front her.
Also bei Slapshot rede ich vor allem von der ersten Platte, „Step on it“, wobei „16 Valve Hate“ schon ultra gut ist! Und bei Shelter ist „Mantra“ quasi die letzte wirklich gute, das Frühwerk und vor allem die ultra melodische „Attaining the supreme“ haben es mir hier aber sehr angetan. Was den NY-HC angeht, ist ganz klar „Age of Quarrel“ von CRO MAGS die essentiellste Platte. Das fasst NY-HC einfach perfekt zusammen. Dieser Mix aus Punk und Metal, dieser aggressive Stumpfsinn, dieses asoziale, lebensfeindliche Element, das New York wohl in den 80ern noch hatte. Aber SFA fand ich schon gut, vor allem die Ansagen. (lacht) „Come on, we need a brave German on stage, your grandfathers were so brave in Poland.“ (lacht)

Speziell für dich als ex-Skin und Dischord-Fan: „Le Sacre du printemps“, Stravinsky oder Rites of Spring? Und bei welcher Platte einer deutschen Oi!-Band kommt als Intro ein Zitat aus dem Film „Sadisten des Satans“?
Hey, ich sag es jetzt öffentlich: Rites of Spring fand ich nie sooooooo gut! Mir hatte es vor allem das kurzlebige Nachfolgeprojekt One Last Wish angetan. Und im Zweifelsfalle waren die Ian Bands (in dem Fall also Embrace) immer einen Ticken besser als ihre Zeitgenossen. Bei dem Intro muss ich jetzt passen! Wobei deutscher Oi! mir nicht wirklich viel bedeutet hat. Das war zu dumm und zu offen für die Domestoshosen-Dorfdeppen. Ich stand entweder auf alten Rocksteady/Ska oder auf die US Variante wie Bruisers oder Stars and Stripes. (lacht)

Meine liebe Eloise, um mit dieser Damned-Referenz zu schließen. (lacht) Ich danke dir fürs Gespräch, bis zum nächsten Mal in Frankfurt bei Lagwagon oder so?
Danke Jan, für die Fragen! Es hat sehr viel Spaß gemacht, mal über dieses Tour-Ding zu reflektieren. Oft macht man ja einfach nur, ohne irgend etwas zu hinterfragen. Und Lagwagon werden in diesem Sommer ins Studio gehen, um eine neue Platte aufzunehmen, die nächste Tour kommt also hoffentlich früher als später!

Interview: Jan Röhlk

Kontakt: youarenotaslave.wordpress.com

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