September 9th, 2019

OFF! aus #153, 2012

Posted in interview by Jan

„I am a member of a gang that has more members than any punkrock gang“

Eigentlich war Keith Morris, Sänger der Circle Jerks und Mitbegründer von Black Flag, mit Dimitri Coats (Burning Bridges) als Produzent im Studio, um mit Jahren Verspätung eine neue Platte mit den immer noch bestehenden Circle Jerks aufzunehmen. Bei dem Anliegen entstand jedoch kein neuer Circle Jerks Output, stattdessen gründeten die beiden gemeinsam eine neue Band. Sie holten sich zusätzlich Mario Rubalcaba (Rocket From The Crypt, Black Heart Procession, Hot Snakes, Earthless, Clikatat Ikatowi) und Steven McDonald (Redd Kross) mit ins Boot und Off! waren geboren. Das entstandene Line-up könnte sich für eine Hardcoreband wohl kaum besser lesen lassen. Auch wurde früher Hardcore selten besser gespielt, als Off! es tun. Lediglich der zeitliche Kontext passte an anderen Stellen besser.

Musikalisch besinnen sich Off! auf den ganz frühen Hardcore. Off! klingen wie eine Neuauflage der frühen Black Flag, die Keith Mitte der 70er mit Greg Grinn gründete. Doch aufgrund seiner Drogenprobleme trennten sich die Wege von Keith und Black Flag schon nach der ersten Single „Nerveous Breakdown“ auf Gregs neugegründeten Label SST, die wenig später mit Henry Rollins zu Weltruhm gelangten. Fest verknüpft mit der frühen Geschichte von SST ist auch Greg Grinns Bruder Raymond Pettibon, der den Großteil der Artworks der frühen Releases inklusive der ersten Black Flag Single zeichnete. Seitdem ist viel Zeit vergangen, längst ist Pettibon Kunstprofessor und gilt mit seinen comicähnlichen Zeichnungen als einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler. Als Designer für Punkplatten war er schon lange nicht mehr in Erscheinung getreten.

Der Flyer zur Eurotour beschreibt das Konzept von Off! mit ‚New album: first four EPs‘ treffend. Da Off! Songs selten die 1:30 Minuten Grenze überschreiten und dies auf Albumlänge schnell langweilen kann, haben Off! vier EPs mit jewels vier Songs in einer Box veröffentlicht, welche auch als erstes Album interpretiert wird. Die Authenzität und der Retrocharme wird weiter durch das großartige Artwork von Raymond Pettibone unterstrichen, der so nicht nur eine Zeichnung beisteuerte, sondern gleich vier Releases gestalten musste. Aber sehen wir es realistisch, so großartig die vier EPs auch sind, abseits des üblichen kleinen Kreises würde sich für Off! niemand interessieren, ständen nicht derart große Namen dahinter.

Das Gespräch mit Sänger Keith Morris entsteht Mitte August 2011 auf der Tour mit Fucked Up am Seiteneingang des SO36 in Kreuzberg. Keith, den man auf hardcore-typischen, energetischen Livefotos auf den ersten Blick fälschlicherweise als großen, kräftigen Mann in seinen 30ern einschätzen könnte, ist in Wirklichkeit klein und schmächtig. Seine langen Dreadlocks, die zu einem Zopf zusammengebunden sind, überspielen die weitgehend kahle Kopfhaut des 56jährigen. Keith kann während des gesamten Gesprächs keinen Moment ruhig sitzen, gestikuliert übertrieben und wippt durchgehend mit dem Fuß, scheint jedoch nicht nervös zu sein. Beim Reden ist er kaum zu bremsen. Obwohl wir zeitweise bewusst provozieren und dies auch zurückbekommen, geben wir uns durchweg betont ruhig.

***

Ich bin Keith, ich bin Mitglied bei Off! Ich war auch Gründungsmitglied bei Black Flag und ich war bei einer Band, die ich nicht nennen möchte, aber bei der ich mich bedanken möchte, weil sie das hier nach einigen blöden Entscheidungen alles ermöglicht hat. (Es raschelt hinter uns, Keith schreckt auf) Ist das ein Rieseneichhörnchen?
Äh, ich weiß nicht.
Gibt es bei Euch Eichhörnchen?
Klar gibt es hier Eichhörnchen, also diese roten.
(aufgeregt) Als wir nämlich durch England gefahren sind, haben wir Kaninchen gesehen. Und ich habe einen außergewöhnlich schönen Vogel in einer Parklücke vorm Hotel in Kopenhagen gesehen. Okay, bei uns gibt es Tauben, die schwarz und weiß und grau sind. Langweilig, sie sind wie fliegende Ratten. Nahe des Meeres gibt es Möwen. Aber dieser Vogel war wunderschön, grün und blau. Oh wow, ist das der Staatsvogel? Wie auch immer, er war schön.
Fangen wir mit der ersten Frage an, wenn wir Off! als Spaßband bezeichnen würden, wie würdest Du reagieren?
Ich stimme dem zu. Wir haben… wie beschreibe ich es am besten… hässliche Themen als Inhalte. Der Großteil unserer Inhalte sind nicht Partymachen, Fäuste in die Höhe recken, Drinks heben, Tanzen, fliegender Candy und jeder wird Spaß haben. Auch wenn wir über negative Vorstellungen singen, ist unsere Musik energisch. Die Idee unserer Musik ist, dass sie Dich tanken soll und Dich zum Herumspringen anfeuern soll. Und wenn wir herumspringen sagen, dann meinen wir, dass Du Spaß haben und die Zeit genießen sollst. Du sollst nicht herumspringen im Sinne von „Ich bin ein Schläger, ich bin muskulös, größer als Du und trete Dir in den Arsch.“.

Nicht auf diese Art und Weise, wir wollen, dass es jeder genießt und eine gute Zeit hat. Alle sollen sich anfreunden, denn wenn Du diesen Ort verlässt, wird sich niemand für Dich interessieren. Hier sollte jeder ähnliche Ansichten haben. Wir sind hier, weil wir die Musik mögen, weil wir hier viele Leute kennen und deshalb eine gute Zeit haben. Wir sind keine Raudies, stoßen nicht mit den Ellenbogen, recken Fäuste, treten oder ähnliches. Darum geht es nicht.
Aber ging es im frühen Hardcore nicht vor allem darum?
Du redest vom frühen Hardcore…. ich bin nicht hardcore! Die Typen in meiner Band, sie sind nicht hardcore! Steven hat bei Redd Kross gespielt, sie waren nicht hardcore, sie waren eine Popband. Mario hat bei Rocket From The Crypt und Hot Snakes gespielt, das ist kein Hardcore. Warum müssen wir hardcore sein? Nur weil unsere Musik diese Menschen anspricht, heißt das nicht, dass wir wie diese Menschen sind. Wir müssen nicht so sein wie diese Leute. Vielleicht wollen wir so sein wie diese Leute, vielleicht wollen wir aber auch einfach nur so sein, wie wir sind.

Der Grund weshalb wir die Musik spielen ist, dass wir aufgebracht und sauer sind. Das tankt unsere Musik und unsere Texte, außerdem haben wir im Laufe der Jahre einen Mangel an Dringlichkeit in all diesen Bands festgestellt. Man sieht diese Bands, das ist schwarz und weiß. Zeig uns ein wenig blau, lila, da ist etwas blau und rot. Da ist hellgrün. Es gibt nicht viel davon. Bei vielen Bands möchtest Du Hardcore sagen, möchtest Du Punk sagen oder welche Kategorie Du auch wählen willst. Vielleicht passen wir da hinein, aber das heißt nicht, dass wir das auch sind. Oder sie.
Also, was seid Ihr?
Vor allem anderen, bevor Du ein Linker oder ein Rechter bist, Zentralist, Konservativer, Space-Alien oder Hirnchirurg, ist die Grundlage, dass wir Menschen sind. Ich bin Mitglied einer Gang, die mehr Mitglieder hat als jede Punkrock-Gang, Hardcore-Gang, HipHop-Gang oder Classic-Rock-Gang. Jeder davon ist ein Mensch und wir sollten alle Freunde sein.
Wenn Du das Label Hardcorepunk nicht für Deine Musik magst, welches Label würdest Du wählen, um jemandem Deine Musik zu beschreiben?
Du willst den Stempel, den man auf eine Postkarte packt? Wir könnten ein Stempel sein, den man an einen entfernten Ort schickt. Labels, Schmabels… fucking, who cares? Wir mögen einen bestimmten Sound haben, der in eine von diesen Kisten, Bezeichnungen oder Kategorien passt, aber das heißt nicht, dass wir auch dazugehören. Einer der Gründe, weshalb wir heute hier sind, ist dass uns die Möglichkeit gegeben wurde auf Festivals zu spielen. Wenn man auf einem Festival spielt, ist man dort mit einer Bandbreite von Bands, die alle unterschiedliche Musik spielen. Manche davon mag man, mache nicht und mache hält man für…

Aber Fakt ist, dass es eine große Party ist und jeder ist dort, um eine gute Zeit zu haben. Wir spielen gerne auf Festivals, weil wir dort vor vielen Leuten spielen, die für uns normalerweise nicht bezahlen würden. Auf dem Festival sind 15.000 Menschen und wenn wir spielen, sehen sich das 9-10.000 Menschen an. Manche Menschen fragen sich sicher: „was ist das?“. Oder halten es für Müll: „Ich hole mir Popcorn oder Bier. Ich sehe mir jemand anderen an.“.

Das ist okay. Das Tolle ist, dass wir vor Menschen auftreten, die nicht wissen, wer wir sind. Das Ziel ist es, sie für uns zu gewinnen, ihnen zu zeigen, dass wir eine gute Band sind. Das ist, was wir machen, wir hoffen es gefällt Euch. Wenn Ihr es mögt, erzählt es Euren Freunden. Wenn wir das nächste Mal herkommen, um in einem Club aufzutreten, wird er gefüllt sein.
Du sagst, dass Ihr Off! macht, weil Ihr sauer und aufgebracht seid. Was ist es genau, was Euch derart stimmt?
Das ist relativ einfach, wir kommen aus Amerika. Wir könnten sagen, dass wir stolz sind Amerikaner zu sein, was wahr sein könnte. Aber gleichzeitig sind wir nicht stolz auf unsere Regierung und wir sind nicht stolz auf unser Militär. Wir möchten nicht, dass irgendjemand von unserem Militär gejagt wird, gleichzeitig wollen wir aber auch nicht, dass unser Militär in fremden Regionen andere Menschen jagt. Bei unserer Regierung basiert ein Teil der Ökonomie auf unser Militärmaschine. Wegen der Militärmaschine muss es Menschen geben, die kämpfen.

Dafür brauchen sie Gewehre, Raketen, Kugeln, Panzer und Lenkflugkörper, Schlachtschiffe, Flugzeugträger und Helikopter, das geht immer weiter. Und Führungssysteme, Radarsysteme, Sonar, U-Boote… „Ja, lass uns jemanden umbringen gehen“. Wenn sie nicht gegeneinander kämpfen, dann müssen sie halt etwas anfangen, damit sie Waffen kaufen. Das ist ein schreckliches Szenario! Wir kommen aus Kalifornien, welches nur ein Staat innerhalb der Vereinigten Staaten ist, aber eine der weltengrößten Ökonomien hat. Ein Teil davon basiert auf TRW & Boeing, Huey, Gromins und Raytheon. Ich glaube, sogar Halliburton hat Leute in Kalifornien und das ist eine wirklich abstoßende, üble Organisation. Unsere Ökonomie basiert zum Teil auf dieser Scheiße und das ist sehr, sehr traurig.

„Wir können nicht mehr mit den Russen kämpfen, also ist der kalte Krieg vorbei. Oh Kommunismus? Das ist ein Ding der Vergangenheit, wo ist der Kommunismus?“, „Den Kommunismus gibt es nicht mehr, wir brauchen jemanden anders, mit dem wir kämpfen können. Okay, kämpfen wir mit Menschen im Mittleren Osten.“ Warum? Kämpfen mit Moslems? Sie haben niemals irgendjemandem etwas getan. „Oh, sie haben ein paar unserer Gebäude in die Luft gejagt, also sind sie Terroristen.“ Terroristen, die amerikanische Regierung ist schlimmer als jede Gruppe von Terroristen! Sie haben alle unsere Geheimorganisationen erschaffen, CIA, Geheimdienste, es gibt so viele davon, die Menschen ausspionieren, Szenarien erfinden, dass Menschen aufeinander schießen.

Sie sollten Freunde sein und nicht kämpfen. Wir gehen durch die Welt und kreieren all diese unterschiedlichen Szenarien und diese teuflischen Organisationen wie Al Qaida. Give me a break. Ich setze ein Szenario auf. Du lebst an einem Ort, gehst zur Arbeit, kommst wieder nach Hause und in Deiner Nachbarschaft raucht alles. Leute sind unter Backsteinen und Zement begraben, alles ist tot. Du würdest durchdrehen, rausgehen. Ich wäre jedenfalls ziemlich angepisst.
Du würdest Waffen bestellen wollen.
Wenn nicht bestellen, dann würde ich sie selber bauen.
Okay, wir verstehen, was Dich sauer macht. Trotzdem braucht es mehr als das, um eine Band zu gründen. Jeder in Deiner Band spielt schon seit Dekaden in Bands. Warum macht Ihr es immer noch oder warum macht Ihr es wieder?
Weil wir dumm sind und es nicht besser wissen. Es ist, was wir tun und wissen. Und im Hinterhof des Konzertortes in Berlin zu sitzen schlägt Tätigkeiten wie Tellerwaschen, Tische decken, in einer Tankstelle arbeiten oder Anweisungen von jemandem zu bekommen, sicher um Längen. Das haben wir uns ausgesucht, das können wir und machen einen guten Job.
Du bist also in erster Linie in einer Band, die zumindest nach Hardcore Punk klingt, weil Du nie eine Tätigkeit oder einen Beruf gelernt hast?
Oh nein, es gibt andere Dinge, die wir tun könnten. Manche von uns haben für Plattenfirmen gearbeitet, einer von uns hat für das Team Alva geskatet, welches das Skateteam von Toni Alva ist. Er hat in einem großen Skate-Warenhaus gearbeitet und Skateboards getestet. Es gibt viel, was wir noch machen könnten, aber dies haben wir uns ausgesucht und wir mögen es so. Natürlich hat es auch unschöne Momente, gestern Abend hatten wir ein Bandtreffen, bei dem sich alle angeschrien haben. Wir sind trotzdem noch Freunde, sind heute hier, um zu spielen und haben eine gute Zeit.
Hast Du einen Plan B? Was Du machen würdest, wenn Du in keiner Band wärest?
Ich würde… (zögert) versuchen herauszufinden, was ich sonst machen würde. (lacht) Nein, ich habe für Plattenfirmen gearbeitet, Restaurants gehörten mir, habe in Plattenläden gearbeitet, habe Kleidung verkauft, in Bars serviert oder habe Essen in Restaurants zubereitet. Ich könnte anderes machen, aber das hier habe ich mir ausgesucht. Ich komme herum und sehe die Welt.
Das ist ein Privileg und Luxus.
Wir müssen trotzdem hart dafür arbeiten.
Das glauben wir.
Ihr werdet heute Abend sehen, wie hart wir arbeiten. Wenn Ihr Euch nicht schlecht benehmt und rausgeworfen werdet, werdet Ihr die Show sehen.
Bleiben wir mal beim Luxus. Die Netzwerke, die Ihr Euch als Personen über die Jahre aufgebaut habt, haben Euch sicher dabei geholfen als Band voranzukommen, zum Beispiel als es darum ging Konzerte zu bekommen oder ein Label zu finden. Eine Band von irgendwoher, zum Beispiel aus Ventura, gegründet von Teenagern, die exakt die gleiche Musik spielt wie Ihr, würde heute Abend sicherlich nicht in Berlin spielen?
Du redest von einer neuen Band aus Ventura? Das heißt, dass es sicher jüngere Leute sind, die einen normalen Job haben. Dann gibt es aber einen Grund dafür. Auch dort gibt es Internet, sie können dort Ihre Band perfekt bewerben. Sie können ihren Freunden von Ihrer Band erzählen und die dazu bringen, es ihren Freunden zu erzählen. Man muss seinem Leben Beine verdienen. Es geht darum, rauszugehen und es zu machen. Es geht darum sich in den Van zu setzten, in die Stadt zu fahren und dort vor den Leuten zu spielen. Es ist egal, ob vor einer Person, 100 oder 1000. Wir machen das seit vielen, vielen Jahren. Als wir angefangen haben, wusste niemand, wer wir sind. Wir haben Flyer gemacht, sind zu großen Konzerten gegangen, um sie an Autofenster zu klemmen.

Wir haben den Leuten, die vom Konzert kamen, Flyer in die Hand gedrückt. Wir haben Leute angerufen „Wir spielen Freitag nacht, kannst Du das zwölf von Deinen Freunden sagen?!“. Und wir hofften, dass diese zwölf Personen es zwölf weiteren erzählt haben, die es zwölf weiteren erzählten. Also würde der Raum vielleicht gefüllt werden. Heute musst Du Dich nur an den Computer setzen, auf Senden klicken und es geht gleichzeitig an eine Zillion Menschen. Du redest von einer neuen Band in Ventura, die die gleiche Art von Musik spielt? Aber sie müssen ja nicht genauso gut sein.

Vielleicht ist die Band großartig, vielleicht mittelmäßig, aber sie müssen rausgehen, sich beweisen und es hart erarbeiten. Die Leute müssen wissen, dass sie als Band existieren und der beste Weg ist, sich auf die Bühne zu stellen, in den Keller mit der Anlage zu gehen oder auf dem Hinterhof vor ein paar Leuten zu spielen. Wenn sie Kids begeistert sind, dann werden sie ihren Freunden davon erzählen. Es wird sich mit Eile herumsprechen.
Du glaubst also, dass Ihr Euch dieses Privileg erarbeitet habt?
Sicher. Wie siehst Du das?
Ich habe eine Band gegründet, die Ihr erstes Konzert in zwei Wochen spielen wird. Es gibt Leute, die uns gefragt haben, ob wir Konzerte bei Ihnen spielen, bevor sie die Band überhaupt kannten, einfach nur weil sie uns oder die Bands kannten, in denen wir vorher gespielt haben. Punk ist ein Netzwerk und wenn man erstmal drin ist, ist es schwer wieder herauszukommen. Es ist schwer, nicht das Privileg zu nutzen Teil dieses Netzwerkes zu sein. Was sollt Ihr auch machen? Sollt Ihr alle Masken aufsetzten, damit die Leute nicht merken, dass Ihr vorher in anderen Bands gespielt haben? Irgendwann wird den Leuten aber auffallen, dass man die Personen schon woanders gesehen hat. Ich kenne Hot Snakes und Black Flag. Und wenn das erstmal raus ist, erzählt man seinen Freunden von der Band mit Leuten von… Man kann dem nicht entfliehen.
Ich weiß nicht, was ich das erweitern soll. Wir haben gemacht, was wir gemacht haben und die Leute haben es akzeptiert. Wenn es uns hilft voranzukommen und es Dinge vereinfacht. Wir haben jahrelang etwas hineingesteckt, wenn jetzt etwas herauskommt, ist es wie eine Belohnung.
Hast Du nie das Gefühl, dass Dich jemand mag, weil Du bei Black Flag warst?
(zögert) Ich glaube daran, dass die Musik für sich selbst spricht. Was wir jetzt musikalisch machen, hat Teile von Black Flag, Teile von Circle Jerks, es gibt Einflüsse von Redd Kross und Einflüsse, die unser Drummer Mario hereingibt, die in anderen Bands entstanden sind, in denen er spielt. So ist es und diese unterschiedlichen Sachen kreieren das neue Ding. (zögert) Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.
Vielleicht ist es auch schwer es zu beschreiben. Kommen wir nochmals auf die Musik zurück. Was macht Off! zu etwas besonderem? Warum sollen die Menschen Off! hören und nicht eine ähnliche Band?
Das kann ich nicht erklären. Du musst es Dir anhören, wenn es Dir gefällt, super. Wenn nicht, hörst Du jemand anderen.
Du hast kein geheimes Rezept.
Es gibt kein geheimes Rezept. Wenn ich eines hätte, würde ich es an eine Kooperation für Millionen von Millionen von Millionen Dollar verkaufen und auf einer Insel leben. Ich wäre von Tänzern umgeben und würde den ganzen Tag Kokain schnupfen. Mein Haus auf der Insel hätte viele Räume, die für Pornodrehs, Rockvideos und kooperate Partys genutzt würden. Denn ich bin der schlimmste Hurensohn, den Ihr jemals getroffen habt.
Off! wurden stark vom sehr frühen Hardcore/Punk beeinflusst. Heute nennt man das American Hardcore, was damals die radikalste Musik der westlichen Welt war. Wenn ich bei den frühen Black Flag oder Minor Threat gewesen wäre, wäre ich vielleicht direkt tot umgefallen, weil es so verrückt und beeindruckend war, was auf der Bühne passierte. Aber wir müssen Dir das nicht erzählen, schließlich warst Du Teil davon. Off! existieren heute in einem komplett anderen Umfeld. Heute zum Beispiel gab es auf Spiegel Online, der größten deutschsprachigen Nachrichtenseite, einen großen Bericht über Fucked Up, mit denen Ihr hier heute Abend spielt…
Und wisst Ihr warum? Sie schreiben über Fucked Up und sagen Katy Perry oder Britney Spears, Staind, Korn…
Aber jetzt sind Fucked Up und Off! Teil des gleichen Katy Perry, Staind, Korn-Dings.
Möglicherweise wird in diesen Kreisen über uns gesprochen. Das macht uns aber zu keinem Teil dieser Kreise. Es heißt auch nicht, dass wir Teil dieser Kreise sein wollen. Leute reden über uns und darüber haben wir keine Kontrolle. Sie reden über uns genauso wie über die anderen Namen, die ich gerade erwähnte. Vielleicht hat man auch genug über sie geredet und es ist Zeit für jemand Neues. Ich bin 56, das macht mich nicht neu, aber ich wäre neu in diesen Kreisen. Das heißt aber auch nicht, dass wir die Vorband von Katy Perry sind. Das eine entspricht nicht immer dem anderen. Wir reden hier von Kommerzialisierung. Die Musik, die wir spielen, ist nicht kommerziell. Wir sind sehr glücklich, wir sind extrem dankbar, wenn wir in diesen Kreisen im Gespräch sind. Das ist ein glücklicher Zufall, denn das passiert nicht jeden Tag.
Jedenfalls wird es nicht der jugendlichen Ventura Punkband passieren, über die wir gesprochen haben.
Die jugendliche Venturaband muss rausgehen und was für ihr Leben tun. Sie müssen in den Van, spielen, der Motor muss aus ihrem Fahrzeug fallen, sie müssen auf dem Fußboden von Leuten schlafen, auf Hinterhöfen neben Swimmingpools spielen. Alle Kids werden in den Bäumen schaukeln, sich ausziehen und Toilettenpapier liegt überall in den Häusern, Autos werden umgekippt… Es gibt eine Zillion Sachen, die sie machen müssen um von Punkt A zu B zu kommen. Wenn sie zu Punkt B kommen, ohne das alles zu machen, dann sind sie nicht in der Lage Punkt B, angemessen zu würdigen. Das ist garantiert. An dem Punkt würde der Band gesagt, was sie tun sollen. Diese Dinge sollten sie aber nicht machen. Dann wären sie auf der Warped Tour und würden spielen mit… (zögert)
Limp Bizkit?
Das hast Du gesagt, nicht ich. Es gibt eine lange Liste von Bands, mit denen sie spielen würden. Weil über sie in diesen Kreisen gesprochen wird.
Was Ihr heute macht, ist nicht mehr nur Musik zu machen. In gewisser Hinsicht ist es Business. Das Gleiche gilt für Raymond Pettibon, der das großartige Artwork Eurer EP-Box gezeichnet hat. Er ist ein bekannter Künstler, aber gleichzeitig ist die ganze Kunstwelt auch eine große Businesswelt…
(aufgebracht) Okay, kann ich hier unterbrechen?! Ich muss Euch wissen lassen, dass wir Erwachsene sind und nicht mehr zu Hause bei unseren Eltern leben. Unsere Versicherungen werden nicht von unseren Eltern bezahlt. Unsere Eltern zahlen unsere Krankenkassen nicht. Unser Kühlschrank wurde nicht von unseren Eltern mit Essen gefüllt. Wir müssen Teil der Welt werden, wir müssen Arbeiten und unseren Lebensunterhalt verdienen. Wir müssen überleben und für uns selbst sorgen. Und machmal passieren Sachen, über die wir keine Kontrolle haben. Über vieles haben wir sie aber, wir entscheiden mit wem wir spielen. Wir spielen mit Fucked Up, einer der besten Bands aus Kanada.

Es interessiert uns nicht, wie sie gelabelt werden, weil wir sie als Menschen lieben. Sie sind Freunde. Sie sind großartige Menschen und sie stehen für großartige Sachen. Und wir müssen Entscheidungen treffen. Manchmal treffen wir großartige Entscheidungen und manchmal schreckliche. Aber das wird uns doch erlaubt sein, wir sind Menschen. Das ist die Gang, die ich erwähnte. Ich bin Teil dieser gigantischen Gang, die die ganze Welt bedeckt. Wir sind die Menschen-Gang und wir machen Fehler.
Am Anfang des Interviews hast Du aber noch zugestimmt, dass es bei Off! in erster Linie um Spaß geht. Business macht selten Spaß. Wie hältst Du die Balance?
(zögert) Das ist eine schwere Frage, denn Business sucks. Wenn man anfängt, über Geld zu reden, fängt man an über Gier zu reden. Es tritt negative Energie auf. Ich mache das schon so lange, dass ich meinen Sarkasmus-Schuh anziehe, meine Eidechsen-Schlangen-Drachen-Haut. Ich möchte da durchgehen, obwohl ich es gleichzeitig weiß. Das Endresultat ist, dass ich ein guter, ehrwürdiger Mensch bin. Daran sind trotzdem einige Dinge geknüpft, die nicht gerade cool sind. Ich versuche dadurch zu navigieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Meinst Du damit die Tatsache, dass Eure jetzige Tour von einer Schuh- und einer Energy Drink Marke gesponsert wurde? Also…
(aufgebracht) Okay! Das Ding mit Monster [Energy Drink Firma] … als wir mit Vans [Schuhfirma] gesprochen haben, (deutet auf seine Schuhe) ich trage diese Schuhe schon mein Leben lang. Wir können sagen, dass die koorporate sind, was bedeutet, dass sie übel sind. Wir kennen die Leute aber, die in der Firma arbeiten. Sie sind Freunde und wir wissen, was für Menschen sie sind. Manche von ihnen sind auch Mitglieder der menschlichen Rasse…
Nur manche von ihnen?
Was? Ich kann doch nicht für jeden in der Firma sprechen. Ich kann nur über die Leute sprechen, die ich in der Firma kenne. Die kenne ich schon seit vielen Jahren. Ich weiß, was sie für Menschen sind und sie sind keine schlechten Menschen. Sie machen ihren Job. Vielleicht wurden die Schuhe in China von Kindern produziert und das ist schlecht. Gleichzeitig müssen Menschen aber auch arbeiten und ihr Leben verdienen. Wahrscheinlich verdienen sie dort nicht so viel, wie sie verdienen sollten, aber das läuft ja sowieso. Die Monster Drink Leute? Die kennen wir nicht und davon wurde uns erst in der letzten Minute berichtet. Ich trinke das Zeug nicht, warum arbeiten wir dann mit ihnen?
Das sind die schlechten Seiten der Businesswelt.
Dann würden wir hier aber wahrscheinlich nicht sitzen und uns unterhalten. Es kann sein, dass sie übel sind, vielleicht gibt es auch Menschen, die sie für großartig halten. Ich kann für diese Menschen nicht sprechen, ich kann nur sagen, dass ich kein Monster trinke. Ich bin Diabetiker, ich darf keinen Zucker trinken.
Das ist ein guter Grund es nicht zu trinken. Auch wenn Ihr nicht als Punk oder Hardcore gelabelt werden wollt, sprecht ihr diese Kreise an…
Die Leute können uns nennen, wie sie wollen, das ist okay.
… aber mit dem Sponsoring von Monster werdet Ihr wahrscheinlich keine Szenepunkte sammeln können.
(aufgebracht) Nein, aber nochmals wir gehen auf die Bühne um unsere Musik zu spielen. Wenn Ihr das nicht ausblenden könnt, dann kann ich soviel sagen und machen, wie ich will. Ich bin ein Mensch und ich darf Fehler machen.
(nicht aufgebracht) Das ist ein grundlegendes, menschliches Recht, vielleicht gar das wichtigste.
Ja und ich lerne aus meinen Fehlern. Hoffentlich.
Du machst das schon so lange. Glaubst Du denn heute immer noch an diese klassischen anti-koorporate Punkideale?
Das hängt von der Kooperation ab. Vans sind eine Kooperation, sind sie übel?
Du kennst sie besser als wir.
Sie sind nicht übel. Wir würden nicht mit ihnen arbeiten, wenn wir die Leute nicht kennen würden. Es sind meine Freunde, ich kenne sie seit Jahren. Wir könnten mit anderen Firmen arbeiten, aber wir machen es nicht. Wir haben zwei Sponsoren, den Monster Drink, ich weiß nichts darüber und ich hätte nein gesagt, niemand von uns trinkt das und warum arbeiten wir mit ihnen? Der andere Sponsor ist eine Bekleidungsfirma aus Orange Country, deren Mitarbeiter zwischen Ende Zwanzig und Mitte Dreißig sind. Sie sind mit unserer Musik aufgewachsen, haben dazu geskatet und gesurft. Sie sind Menschen. Wir kennen sie und sie sind nicht schlecht.
Am Ende der American Hardcore-Dokumentation sagt Dein Circle Jerks Bandmate Zander Schloss: „It was over a long time ago. It’s over, okay? Go home. Your cage is clean.“. Du bist noch hier, hat er also unrecht?
Ist es schon wieder vorbei?
Wie ein Kreis?
Ist es wie ein Hamster in einem Laufrad in seinem Käfig?
Das erinnert an die Punk/Hardcore-Szene.
(Pause) Das ist ein sehr sarkastischer Kommentar! Zander Schloss ist ein sehr talentierter Musiker und ich liebe Zander wie einen etwas jüngeren, älteren Bruder. Es ist ihm erlaubt zu sagen, was er will, das war nur seine Meinung. Er hat versucht ein wenig Komik hineinzubringen. Wenn man die Dokumentation gesehen hat, dann weiß man, dass sie zu 99,5 Prozent der Zeit sehr ernst ist. Warum soll man dann nicht nochmal ein wenig Komik hereinbringen? Punk ist nicht tot. Weißt Du warum? Punks werden niemals sterben.
Warum?
Warum? Weil es immer das Kind in seinem Zimmer gibt, was auf dem Bett auf- und abspringen wird. Es wird immer diesen Siebenjährigen „ich will jetzt nicht schlafen gehen“ geben. „Geh in Dein Zimmer, Du bekommst heute kein Abendessen, weil Du Deine Hausaufgaben nicht gemacht hast“. Diese Energie und Mentalität wird es immer geben. Das gab es schon immer, Punk, Schmunk, Bunk. Meine Tante hat Elvis gehört, aber meine Großeltern mochten Elvis nicht, weil sie ihn für anti-autoritär hielten. Ich bin mir sicher, dass die Musik, die Ihr hört, von Euren Eltern nicht gemocht wird. Das geht bis zurück zum jugendlichen Höhlenbewohner, der einen Stock vom Baum nimmt und ihn auf einen Felsen schlägt. „Ugga Agga Urg“. Möglicherweise kam das Wort „nein“ aus einer dieser Höhlen……

Benjamin Schlüter / Jan Tölva

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