Juli 11th, 2017

NUCLEAR RAPED FUCK BOMB (#161, 08-2013)

Posted in interview by Jan

Jens Rachut spricht!

Klar, natürlich spricht Jens Rachut. Und auch sonst teilt er ja einiges mit. In seinen Texten, als Schauspieler, Hörspielautor, demnächst dann auch noch mit anderen Mitteln, wie wir noch sehen werden. Aber irgendwie war es ja schon eigenartig, dass eine Plattenfirma nun mitteilen ließ, es gebe Interviewtage mit Nuclear Raped Fuck Bomb, der nun auch nicht mehr ganz neuen Band unter Beteiligung von Jens Rachut, der in einem Interview mal sagte, er habe einfach keine Lust, sich mitzuteilen.

Was war da los? Ausverkauf? Klar, dass auch wir vom TRUST einen Reporter losschickten, um der Sache auf den Grund zu gehen. Besagter Reporter wiederum witterte gleich die Chance aufs große Geld und schickte Angebote in der Republik herum – nicht ganz ohne Erfolg. Was das wiederum für das Gespräch bedeutete, sei vorab kurz erklärt und wird im weiteren Verlauf wahrscheinlich ersichtlich. Es ist im Journalismusgewerbe eine weit verbreitete Sitte (je nach Standpunkt auch Unsitte), einem Text die Frage zu unterlegen, was „die These“ wäre. In diesem Fall wollte eine Zeitung wissen, ob Punk noch lebt.

Was uns ja dann doch eigentlich eher egal ist. Weil es ja sowieso klar ist. Dass nicht, aber doch. So ganz jedenfalls war es nicht die klassische Interviewtagesituation: Ein Hotelzimmer oder ein Büro einer Plattenfirma, schlechter Kaffee, angetrocknete Brötchen, gutgelaunte Promoter, launische oder megaprofessionelle Künstler… Wir trafen uns bei Rachut daheim, Mense Reents und Thomas Wenzel waren auch da, später ein Fotograf einer der Zeitungen, für die ich arbeite. Und die Vögel, Wellensittiche wohl, ich kenne mich da nicht so aus, die das Abhören des Bandes erschwerten, was irgendwie passt, weil erstens Vögel in Rachuts Lyrik immer wieder eine Rolle spielen, zweitens, weil auch in nämlicher Lyrik das zu Sagende sich gern überdecken lässt, von schillerndem Unsinn. Den er angeblich selbst nicht immer versteht, wie im folgenden, fast ungekürzten Interview zu lesen…

 

Ich habe ein Zitat von dir gefunden aus einem Radio-Interview mit dir. Da steht: „Wir sind nicht drin im Business, dazu gehören Interviews“, etc… Nun sitzen wir hier und machen ein großes Interview…

Jens: Das war vor drei Jahren, oder? Jetzt machen wir’s mal so. Weil wir jetzt ein anderes Label haben, die machen Dampf und jetzt machen wir das mal einfach so. Früher hab ich immer eins pro Platte gegeben, es ist nicht so, dass wir das gar nicht gemacht haben. Aber jetzt machen wir das wegen dem Label. Nicht weil ich jetzt so’ne Rampensau wäre und unbedingt in der Zeitung sein will.

Wer hat früher den Zuschlag für das eine Interview bekommen?

Jens: Immer verschieden. Visions zweimal, einmal Intro… Quasi die, die zuerst gefragt haben.

Es war also keine politische Entscheidung.

Jens: Die hören ja alle Musik.

Die „Bild“ wäre sowieso nicht interessiert, oder?

Jens: Dann hätten wir was falsch gemacht.

Aus dieser Haltung, wenig Interviews zu geben, den ganzen Promo-Wahn nicht mitnehmen, daraus schien immer eine Verweigerungshaltung zu stehen.

Jens: Wir haben aber auch keine Lust dazu. Nur weil jemand sagt, du musst ins Wasser springen, das hat aber nur 16 Grad, dann hab ich da keine Lust drauf.

Und jetzt hast du auf einmal Lust?

Jens: Jetzt mach ich das mal. Eine Rutsche, für diese Platte jetzt.

Nuclear Raped Fuck Bomb war ja anfangs ein Projekt mit Frankie Stubbs. Jetzt gibt es eine andere Besetzung.

Thomas: Das ist fast die gleiche Besetzung. Frankie ist nicht mehr dabei, dafür ist Rebecca dabei. Eigentlich sind sonst alle dabei, die bei der ersten Platte auch dabei waren.

Frankie hatte andere Pläne?

Jens: Der ist einfach nicht wiedergekommen.

Euch verbindet ja eine lange Freundschaft…

Jens: Freundschaft… Wir sind Kumpels. Freunde sind ja nochmal was anderes. Gute Freunde hat man nicht so viele.

Mit deinen Bands giltst du als Bollwerk des integeren Punk. Dir wurde der Rang der Punk-Ikone zugesprochen. Bedeutet dir das was?

Jens: Nö. Ich mach ja noch ganz viele andere Sachen. Ich geh in der Musik ja nicht total auf oder so. Morgen bin ich vielleicht im Schrebergarten, übermorgen bin ich im Theater, das ist eine Kombination von Sachen, die man lebt.

Stichwort Theater. Vor ungefähr zehn Jahren hab ich dich das erste Mal in Schorsch Kameruns „Palette“ gesehen. War das das erste Mal?

Jens: Ja. Ich bin da so reingerutscht. Ich fand’s ein bisschen lang, zäh.

Thomas: Ich bin ja nicht so ein Theatermensch, aber ich fand’s sehr erfrischend und lustig. Ungewöhnliches Theater. Mir kam das auch sehr improvisiert vor, das fand ich gut.

Jens: Irgendwie rutscht man da so rein. Dann fängt man an, selbst ein kleines Stück zu machen. Das ist auch nichts Festes.

Aber es ist ja schon so, dass man verstärkt Musiker aus Punk-Zusammenhängen im Theater antrifft. Thomas, dich habe ich auch schon am Stadttherater in Bremen gesehen, da hast du Musik gemacht, das war einmal „Titus Andronicus“, das fand ich super, das Kunstblut spritzte meterhoch.

Thomas: Ich hab nochmal was mit Christine Eder in Bremen gemacht, so ein Frühwerk von Tschechow, und dann mit Schorsch ein Projekt.

Wie fühlt sich das an, im Stadttheater zu sein? Das ist ja schon was anderes als ein Kellerclub.

Jens: Das ist ein Job. Es ist anstrengend, weil die soviel labern. Beim Musikmachen ist das viel einfacher. Da denkt jemand, da muss’ne Trompete rauf, fertig. Das probiert man einfach aus. Da sitzen die rum und labern stundenlang über einen Knopf.

Auch bei Schorsch?

Jens: Ja., klar, der arbeitet ja dann auch mit professionellen Kostümbildnern. Das Proben selber, das Quatschmachen, das Ausprobieren, das ist okay, aber sobald es ernst wird und so heilig, dann ist das nicht so meins.

Aber du hast es ja immer wieder gemacht.

Jens: Ja. Die zahlen halt ziemlich gut teilweise. Da kriegst du utopische Summen, da fällst du in Ohnmacht.

Thomas: Deswegen machen das so viele Leute. Das ist eine Nische, wo eben noch was weitergereicht wird.

Mense: Es ist eine der wenigen Alternativen, die man als Musiker hat, wenn man mal was anderes machen will. Ich hab mal „Peterschens Mondfahrt“ gemacht, das hat mir auch Spaß gemacht. Aber irgendwie ist man auch froh, wenn man wieder raus ist.

Thomas: Das ist eine Auftragsarbeit. Du bist küsntlerisch nicht ganz so frei wie eine Band.

Mense: Es ist sehr leicht, finde ich. Man kann aus Material schöpfen, das man angesammelt hat. Und wenn das Stück abgespielt ist, ist es weg.

Jens: Das Irre ist: Wenn so ein Stück abgespielt ist, und ich sitz im ICE von Zürich nach Hamburg, ist der Text weg am nächsten Tag. Das ist ganz komisch. Jetzt haben wir Wiederaufnahme und der Text kommt ganz langsam wieder, Stück für Stück. Der ist irgendwo ganz hinten geparkt. Das ist irre, oder?

Ist das mit alten Songs auch so?

Jens: Komischerweise nicht. Gestern haben wir mit Kommando Sonne-nmilch „Petze“ von Dackelblut gespielt, das erste Mal seit zwei Jahren, das war da.

Da habt ihr auch grad eine neue Platte gemacht – ist das wirklich so, dass man damit nichts mehr verdient?

Jens: Ja, ich verdien’ richtig gut.

Thomas: Er schreibt die ganzen Lieder, und wir gehen leer aus.

Mense: Naja, es kommt nicht mehr viel rum. Ich spiel eben viel. Und über die Gema kommt immer noch ein bisschen rum.

Jens: Eigentlich verdient man nur auf Tour Geld, über Merchandising. So Klopapierabroller mit Messingbeschlägen und so.

Mense: Im Elektrobereich verdient man einfach über die Gage.

Eure erste Platte war etwas elektronischer. Auf der neuen scheint es afrikanische Einflüsse zu geben…

Mense: (mit breitem norddeutschem Akzent) Möchlich…

Thomas: Afrikanische Einflüsse gibt es wahrscheinlich sowieso in jeder Musik mit Rhythmus.

Das Daumenklavier?

Mense: Das ist kein Daumenklavier.

Thomas: Ach, das meinst du. Nee, das ist eine Gitarre.

Mense: Thomas hat einen neuen Gitarrensound entwickelt. Er hat eine Gitarre mit Capodaster genommen…

Thomas: Das ist ja nichts Neues, aber ich hab die Saiten hinten abgeklebt, es gibt keinen klingenden Ton sondern nur einen ganz kurzen. Trotzdem ist die Gitarre verstärkt…

Mense: und dann muss man das Mikrophon fünf Meter weit wegstellen, dann hat man diesen Raumsound.

Ich finde, dass es die am wenigsten punkige Platte ist, an der du je teilgenommen hast.

Jens: Ja, stimmt.

Thomas: Was ist denn punkig?

Jens: Oma Hans. Die Zitronen sind punkig…

Thomas: Den Sound der Marshall-Gitarre hatten wir auf der ersten. Frankie Stubbs steht dafür, der kann das, aber dann war er weg, da war der Sound nicht mehr da.

Mense: „Kampfstern Mallorca“ war meine erste Zitronen-Platte.

Dieses Stadttheater – ist das eine strategische Überlegung, man wird älter, hat Familie…

Jens: Nee. Man kann sich das ja nicht aussuchen. Da kommen ja nicht immer drei Stadttheater und bieten einem etwas an. Wir hangeln uns von Job zu Job, wie du wahrscheinlich auch. Manchmal ist es total super, manchmal ist es aber auch wahnsinnig anstrengend, weil du wirklich nicht weißt, was im nächsten halben Jahr kommt. Und dann musst du die Miete zahlen. Da denkste dir doch, verkleinerst dich lieber, dann geht das…

Diese Überlegungen und ihre Notwendigkeit sind doch das Resultat davon, dass man sich früher mal überlegt hat, lieber das machen zu wollen, worauf man Bock hat.

Jens: Wir sind in der Lage, die Musik zu machen, auf die wir Bock haben, ohne Rücksicht auf Verkaufszahlen. Ich will nur nicht, dass das Label in den Miesen hängt. Aber ob ich nun drei-, vier- oder füntausend verkaufe, ist mir wurst. Man muss sich wohlfühlen mit dem, was man macht. Man darf nicht widerwillig seine eigene Musik hören.

Und um das machen zu können, muss man Jobs machen.

Jens: Ja.

Eine prekäre Existenz also…

Jens: Ja, das geht uns allen so.

Macht ihr eine Tour?

Jens: Ja. Wir spielen auf der Fusion, dann kommen im September vier Konzerte und dann nochmal im November vier.

Ich stelle mir vor, dass es ziemlich kompliziert ist, all die Leute, die in verschiedensten Projekten stecken, zusammenzubringen.

Jens: Ja, das kannst du schreiben, dass das total nervige Scheiße ist. Das ist echt die Hölle.

Mense: Ja, das ist ziemlich schwer.

Mense, was machst du zurzeit noch?

Mense: Ich mach viel mit Jakobus Siebels, außerdem bin ich noch bei den Goldenen Zitronen, da arbeiten wir gerade an dem neuen Album, das im Herbst rauskommt.

Da bist du ja auch, Thomas. Was machst du sonst noch?

Thomas: Die Sterne gibt’s ja auch noch.

Jens, ist von dir auch mal ein Buch zu erwarten?

Jens: Ja, ich bin dran, aber ich muss das noch verschieben, weil da Hörspiele dazwischen kommen, aber ich will versuchen, das im August, September fertig zu machen. Ich hab schon achtzig Seiten.

Werden das deine Memoiren sein?

Jens: Nein, bist du wahnsinnig?

Mense: „Memoiren einer Punk-Ikone“…

Großes Gelächter

Jens: Das ist ein Roman. Ich muss das jetzt nur noch so schreiben, dass man das versteht. Ich hab ja die Stärke, mit großer Begeisterung unverständliche Sachen aufzuschreiben, wo alle immer sagen: Das klingt gut, aber ich versteh das nicht.

Verstehst du’s selbst? Auch bei den Texten, die du für deine Bands schreibst?

Jens: Ja, klar, oft….

Und dann die bekannte Verwertungskette: Das Buch, Theaterstück, Film?

Jens: Das kannst du dir selbst beantworten. Ist wie bei dir, von Job zu Job. Man schreibt das Buch, freut sich ein bisschen, vielleicht verkauft man 2 oder 3000. Und dann: keine Ahnung. Geht halt so weiter.

Dann kommen wir irgendwie auf Esel zu sprechen…

Thomas: Wir wollen ja Esel mit auf die Bühne bringen. Das wird ein bisschen schwierig.

Jens: Ausgestopfte Esel.

Mense: Die sind schwer zu bekommen.

Jens: Die sind teuer, 800 Euro oder so bei Ebay. Ein Eisbär kostet 9000.

Mense: Lebende Esel sind dann doch viel günstiger, oder?

Thomas: Dann lass uns doch lebendige nehmen, die können wir auch als Tourbus nehmen.

Sonst nehmt Vögel. Die spielen zumindest auch auf dem Album eine Rolle in mehreren Songs. Was fasziniert euch daran? Und an Japan?

Jens: Weil’s so weit weg ist wahrscheinlich.

Mense: Es macht einfach Spaß, wenn man Musik macht, sich Sachen zu nehmen, die weit weg sind, was Afrikanisches oder Südamerikanisches, um zu schauen, ob das in die eigene Musik passt. Das geht dir doch wahrscheinlich auch so. Man muss ja nicht immer über das Leben in St. Pauli reden, das wär’n bisschen langweilig auf Dauer.

Ich hörte, da soll aber schon was los sein.

Mense: Auf jeden Fall, stimmt.

Gentrifizierung zum Beispiel…

Jens: Das Schlimme ist: Es kommen keine neugierigen Menschen aus diesen Häusern raus, oder Leute, die einen interessieren. Ich war neulich mal bei „Oh It’s Fresh“…

Thomas: Das ist so eine Bagel-Kette

Jens: Das passt zu diesen Glasbauten.

Mense: Das ist so widersprüchlich, wie das Hafenklang in dieses Gebäude eingebaut ist und trotzdem immer noch der Punkerstammtisch stattfindet und drinnen alles belassen wurde. Das finde ich auch gut, aber trotzdem fühlt es sich seltsam an.

Habt ihr mal überlegt, woanders hinzuziehen?

Jens: Es gibt ja immer noch geile Läden mit geilen Leuten.

(Dann reden wir ein bisschen über nette Läden in Hamburg, die wir euch natürlich nicht verraten)

Hörspiele machst du ja auch schon länger. Ich erinnere mich da an ein ganz altes, „Die letzte Fahrt der Capoeira“, oder so…

Jens: Die ersten, die ich selbst gemacht, mit gepitchter Stimme, sind von 2000. Da hab ich Interviews mit mir selber gemacht. Dann lief das eigentlich wie beim Theater. Heiner und Rocko haben ein Hörspiel gemacht, dann hat Rocko gesagt, schick da doch mal was hin, dann hab ich denen den „Seuchenprinz“ geschickt, dann gab’s Geld dafür, dann hab ich gesagt, ich kann auch noch eins machen, dann hab ich noch ein geschickt, dann gab’s auch nochmal Geld.

Das sind Auftragsarbeiten für den Rundfunk?

Jens: Ich schreib denen ne Idee und die sagen dann ja oder nein.

Sind das Heimproduktionen?

Jens: Nicht mehr. Das ginge vielleicht auch.

Aber malen tust du nicht, oder?

Jens: Doch, das hab ich jetzt auch angefangen. Ich male abstrakte Schachbretter. Die haben nicht die Anzahl der Felder, die sie brauchen, und sie sind auch nicht eckig. Ich hab früher gern Schach gespielt und mich damit beschäftigt, als Bobby Fischer noch gespielt hat. Ich hab die Partien nachgespielt. Die haben ja damals auch richtig Psychoterror gemacht, sind zu spät gekommen, haben geraucht. Das war tierisch.

Wann hat dein Interesse an Schach nachgelassen?

Jens: Das kam durch’s Alkoholtrinken.

Bei Bobby Fischer?

Jens: Nein, bei mir. (Gelächter) Alkohol und Schach, das passt nicht. Bis zur „Palette“ hab ich mir gedacht, ich lern meine Texte am besten bei einer Flasche Rotwein. Am nächsten Tag konnte ich mich an nichts erinnern. Ich hab dann irgendwann die Methode entdeckt, meinen Text auf Band zu sprechen und bei Zugfahrten und beim Abwaschen zu hören. Und das funktioniert.

Hast du als Schauspieler eine Traumrolle?

Jens: Nein.

Wenn man dir anbietet, den „Hamlet“ zu spielen?

Jens: Würd ich machen, klar.

Dann kommt der Fotograf zu seinem Recht. Als Hamlet würde ich Rachut übrigens gern mal sehen. Vielleicht liest hier mal ein Regisseur mit, der sich traut.

Ansonsten: „Trüffelbürste“ von N.R.F.B. ist inzwischen erschienen. Gute Platte. Schöne Texte. Lebt Punk noch? Keine Ahnung. Gut zu wissen jedenfalls, dass Rachut noch da ist.

Text und Interview: Stone

Links (2017)
N.R.F.B. Discography auf Discogs
N.R.F.B. auf Wikipedia

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