November 14th, 2019

NORTH OF AMERICA (#101, 2003)

Posted in interview by Thorsten

Brüder und Schwestern

Aus irgendwelchen Gründen haben wir uns hier im Heft außerhalb des schmalen Rahmens von Plattenrezensionen noch nicht recht mit dieser Band befasst, die doch eigentlich definitiv das Zeug zur Trust-Konsens-Band hat, nicht zuletzt, weil hier das manche immer noch erschreckende Gespenst des Ausverkaufs bislang nicht gesichtet ward. Trotz aller Vergleiche mit At The Drive-In und anderen erfolgreichen Bands aus der Postcore-Welt. Wahrscheinlich wird auch „Brothers, Sisters“ die Verkaufsstrategen nicht auf den Plan rufen. Trotz allen Pop-Appeals, den die neuen Songs verströmen. In diesem Sinne ist „Brothers, Sisters“ sicherlich das beste NOA-Album bislang, indem es die Post-Hardcore-Energie, die die Band auf den letzten Alben gewonnen hat, mit der Pop-Sensibilität der früheren Platten vereint.

Methode
Eine Folge des Besetzungswechsels?

Mark Mullane stimmt zu: J. LaPointe verließ die Band 2001, um sein eigenes Aufnahmestudio aufzumachen. Er half uns übrigens, „Brothers, Sisters“ abzumischen. Sein Ausstieg half in vielerlei Hinsicht, denn vorher waren wir mehr oder weniger weniger eine Band, als vier zusammengefügte Solo-Projekte. Wir probten für ein paar Monate als Trio, und das war eine Menge Spaß, aber wir wollten das Gefühl der Band erhalten, weshalb wir unseren Kumpel Jim rekrutierten, um Bass zu spielen. Sobald er dabei war, waren wir wirklich eine Band. Wir arbeiten bei jeder Idee zusammen und proben mit Ziel. Wir haben unsere beste Platte als Band gemacht, und das ist etwas, worauf wir alle stolz sind.

Wenn ich mich richtig entsinne, gab es Probleme mit eurem kanadischen Label. Gibt es da Neuigkeiten?

Wir verließen Matlock Records im Jahr 2000. Es war Zeit, weiterzuziehen und das Schiff zu verlassen. Es gab dafür viele Gründe, aber die sind nicht wirklich wichtig. Wir sind jetzt auf Level Plane, einem Label aus Philadelphia, und wir können gar nicht genug Gutes über sie sagen. Wundervolle Leute, tolle Bands und ein Wille, etwas Schöpferisches mit jeder Veröffentlichung zu machen.

Schwerpunkt
In Anbetracht der recht kurzen Existenz von North Of America habt ihr bereits einen ganzen Haufen Platten veröffentlicht, so dass ihr viel Zeit mit der Musik zu verbringen scheint. Wie sieht euer Leben neben der Musik aus?

Eigentlich sind unsere Leben außerhalb der Musik recht erfüllt und befriedigend. Wir arbeiten alle auf die eine oder andere Weise, manche mehr als andere, und haben Alle andere Interessen neben Rockmusik. Ich freue mich sogar sehr auf die freie Zeit, weil ich mich dann auf andere Projekte konzentrieren und Zeit mit meiner Frau verbringen kann. Wenn wir daran gehen, eine Platte zu machen, arbeiten wir wirklich hart, aber wir treffen uns selten, um zu ‚jammen‘. Das ist kein Wort in unserem Vokabular.

Organisation
In Halifax Musik zu machen, ist wahrscheinlich anders als in Washington DC oder Berlin. Dein Bandkollege Michael Catano hat in einem Interview gesagt, dass es in Halifax nichtmal einen guten Plattenladen gibt. Hat es Vorteile, weit weg von Metropolis zu sein?

Sicher, du kannst nicht jede Woche gute Band sehen, du musst im Internet suchen oder weite Strecken fahren, um Platten zu kaufen. Das hat zu unserem Sound und unserer Live-Show beigetragen, denn wenn du nicht den Luxus hast, die Archers Of Loaf oder wen immer alle sechs Monate zu sehen, schätzt du eine Show viel höher ein. Bevor wir spielen, denke ich, dass wahrscheinlich ein paar Kids da sind, die entweder lange darauf gewartet haben, uns zu sehen oder vielleicht ein paar Stunden gefahren sind. Sie verdienen unser Bestes.

Hermeneutik
In euren Texten gab es immer Hinweise auf subversive Gedankenwelten, wie auch auf eurem neuen Album. Wer sind die Brüder und Schwestern? Verbergt ihr eure politische Agenda, oder bin ich der einzige, der sie nicht kapiert?

Unsere Texte waren immer offen für Deutung, und jeder hat immer einen anderen Ansatz, was sie eigentlich bedeuten. ‚Brüder, Schwestern‘ ist ein Begriff, der manchmal benutzt wird, um auf ein Thema oder ein Argument aufmerksam zu machen. So ähnlich. Wie zu sagen: ‚Hört mal zu!‘, oder es es ist der Beginn für eine Art Aufruf zu einer Demonstration. Diese Platte ist unser Schlachtruf, wirklich alles zu geben, was wir haben, und das haben wir getan. Wenn du etwas Schmutz über subversive Gedanken willst, hör dir ‚Wet To Dance‘ an, und sag mir, worüber das wirklich ist.

Nebenschauplatz
In den Credits zum Album ruft ihr zur Unterstützung für Gerry Hubley und seinen Kult auf. Worum geht es da?

Gerry ist unser Roadie. Er spielt in einer wüsten Punkband namens The Clap, die bei uns langsam an Bekanntheit gewinnt. Er ist ein lieber Typ unter diesem schmierigen Haar und seiner ‚Fuck you!‘-Attitüde. Wie auch immer, er versuchte vor zwei Jahren unter dem Namen ‚children under one sun‘ einen Kult aufzuziehen, aber er rekrutierte nur zwei Ex-Freundinnen und seinen Cousin Darryl. Er wird wahrscheinlich bei unseren Shows unsere Pamphlete verteilen. Hört ihm besser nicht zu, es passiert eine Menge sexuelles Zeug um diesen Kult herum.

Geklaute Frage, aber egal: Wen würdest du für einen Tag aus irgendeiner Band ersetzen wollen?

David Berman von den Silver Jews, damit ich ihn vom Lampenfieber heilen kann und sie endlich live spielen.

…Dirt on subversive thoughts
Einer ihrer Songs von „This Is Dancefloor Numerology“ trägt den schönen Titel „Revolt On ? Revolution“. Darin heißt es: „You can’t spell ‚revolution‘ without ‚U‘ and ‚I'“. Ohne „Du“ und „Ich“ ist Revolution nicht zu haben. Michael Catano (Damals neben North Of America auch bei the Plan) sagte damals:

Wir neigen zu einer Art lyrischem Sophismus, was aus unseren Texten oft unsinnige Ansammlungen von dummem Zeug macht. Wenn man einen Buchstaben oder zwei verändert, erhält man bisweilen großartige Zeilen.

„Wet To Dance“ enthält folgende Gedanken:

„so much rebellion so little revolution where will you go when no one leads you movement in steps always leads to a ladder where no one leads you step right up right and don’t show yourself“

Sie lieben das Andeuten, in dem Wissen, dass (nicht nur) Pop eben vor allem Geste ist, und nicht Erfüllung. Dass das eine das andere nie ersetzt. Gleichzeitig steckt darin der didaktisch formulierte Gedanke, dass ohne Analyse und praktische Kritik es eben bei der Rebellion bleibt, ungeachtet der Sympathie, die man einer rebellischen Äußerung entgegenbringen mag. So vermeiden sie die Fallstricke einer idealisierten Kunstauffassung und bereichern zugleich ihre eigene Kunst mit theoretischem Mehrwert. Und wer sich nicht drum scheren mag, erfreue sich einfach an einer der besten Bands der gegenwärtigen Post-Hardcore-Welt.

(stone)

Diskographie:
„These Songs Are Cursed“ (1999)
„The Sepultura“ (2001)
„Dancefloor Numerology“ (2001)
„Elements Of An Incomplete Map Vol. II“ (2002)
„Brothers, Sisters“ (2003)

(alle via Rewika/Efa)

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0