Dezember 6th, 2019

NOISOLUTION RECORDS aus #146, 2011

Posted in interview by Jan

Nois-o-lution

In ein paar Jahren wird das womöglich eine echte Rarität sein: ein Label, das einen eigenen Geschmack hat und das sich durch diesen Geschmack auch in seiner Veröffentlichungspolitik leiten lässt.
Was nicht heißt, dass alles, was Arne Gesemann in 15 Jahren Bestehen von Nois-o-lution veröffentlicht hat, auch meinen eigenen persönlichen Vorlieben entspricht. Immer mal wieder kommt eine Platte daher, die ich eher als unaufregend bezeichnen würde. Aber genau das gehört dazu bei einem guten Label: Zu machen, was man möchte. Das lässt sich auch an der Gesamtzahl der Noiso-Alben seit 1995 ablesen. Da gibt es Jahre, in denen vier Alben erschienen sind. Vier.

Andere Plattenfirmen (auch Indielabels) bringen das im Monat oder noch häufiger heraus. Dass dabei die Gesamteinnahmen Teil des Kalküls sind, versteht sich von selbst. Irgendein Album wird schon Geld bringen. Von Geschmack keine Rede.

Arne hat Geschmack (außer im Fußball). Immerhin gibt es in der Liste der Bands, die er veröffentlicht hat, so Namen wie Firewater, Smoke Blow, Steakknife, Foetus, Jud oder jetzt Jingo de Lunch. Nun feiert das Label Geburtstag, und wir gratulieren mit diesem Interview und einem kleinen Special.

15 Jahre ist kein runder Geburtstag, den man normalerweise feiert. Warum hast du nicht noch fünf bis zehn Jahre gewartet? Oder hattest du Panik, dass das Label bis dahin nicht mehr existiert?
Da ist eher die Frage, warum ich das Zehnjährige nicht gefeiert habe. Und das war genau in diesem Vielklang-Umbruch. Da hab ich mich selbstständig gemacht und von Vielklang diese ganzen Sachen abgekauft. Das war nicht der Zeitpunkt, wo ich mich auch noch auf eine Feier vorbereiten und Konzerte organisieren wollte. Da musste ich erstmal meinen Kram zusammenkriegen. Die 15 Jahre hatte ich fast verpennt – das ist in diesem November, und ich dachte: Ich muss jetzt mal was machen. Ich wollte da keine Riesen Medienkampagne machen, aber ich wollte das schon nach draußen bringen.
Dass ich die 20 Jahre nicht erlebe, glaube ich.

Das ist jetzt keine depressive Stimmung, aber 20 Jahre lang wird es Nois-o-lution in den Strukturen, die ich jetzt habe, nicht geben werden. Vielleicht ist das dann eine Medienagentur, die Bands und Künstler betreut, oder was auch immer. Keine Ahnung, wo sich das hin bewegt. Aber die Hoffnung, dass ich den Enthusiasmus und diesen Apparat am Laufen halten kann, ist da.

Die 20 Jahre sind mir auch Wurst. Jetzt war es einfach an der Zeit, was zu machen, weil ich Bands nach vorne bringe, aber das Label in der Regel zurückhalte. Ich kenne viele im Geschäft, die haben von Nois-o-lution nie gehört, aber bei Smoke Blow, Mother Tongue, Firewater, Miles, Blackmail, Scumbucket – da sagen sie: „Von Nois-o-lution hab ich noch nie gehört, aber die Bands kenne ich.“ Da merke ich manchmal, dass man das Label auch transportieren sollte. Andererseits gibt es so viele im Musikgeschäft, die vor allem mit ihrem Labelnamen agiert haben und die es heute nicht mehr gibt.

15 Jahre ist dennoch ein sehr langer Zeitraum. Erschrickst du da nicht machmal und sagst, du möchtest nun auch einmal was anderes machen?
Eigentlich ist der Zeitraum ja noch viel länger, weil ich vorher mit einem Cassettenlabel mit 15 angefangen habe und dann bei Vielklang eingestiegen bin. Eigentlich mache ich mein ganzes Leben den gleichen Kram, erst als Hobby und jetzt selbstständig. Aber das ist eine Arbeit, die sich mit jedem Künstler, den ich betreue, erneuert, was ich total spannend finde. Das lässt mich auch daran glauben, dass ich das weitermachen könnte. Jede Platte und jeder Künstler hat einen anderen Anspruch, ein anderes Level; die Arbeit ist immer wieder anders und immer wieder spannend.

Was ist denn die Label-Identität? Bei Dischord oder Touch & Go ist das ziemlich klar, da steht die Identität teilweise über den einzelnen Künstlern. Aber bei Nois-o-lution?
Die Idee war, genau das nicht zu machen. Das Label sollte nicht für einen bestimmten Sound stehen – für Hamburger Schule oder Straight Edge Hardcore oder so etwas. Damit limitiert man sich, was ich selber auch als Hörer nicht bin. Außerdem kannst du dich dann nicht mehr weiter entwickeln. Du merkst vielleicht, dass du keinen Bock mehr auf Straight Edge hast. Du machst ein Bier auf und kannst in dem Moment dein Label nicht mehr machen.

Oder nimm Kitty-Yo, die für diesen Prenzlauer-Berg-Sound standen. Irgendwann implodierte das. Ich habe mal eine Promoterin getroffen, die hat mir gesagt, sie liebt Bungalo Records. Aber sie konnte mir keine Band sagen, die sie hört. Und deshalb steht Nois-o-lution für mich nicht für ein abgrenzbares Image, auch wenn nach außen die härteren Bands stehen.

Dann musst du dir aber immer eine neue Hörerschaft erarbeiten.
Aber das ist genau das, was ich vorhin meinte. Firewater machen Musik, die bei mir durchaus eine Grenze erreicht, die mich aber total beeindruckte. Da musste ich in neue Ecken herein arbeiten. Noch stärker war es bei Emerzian, der ein akustisches Album mit armenischen Klängen gemacht hat. Da hab ich mich an armenische Gemeinden und Kulturzentren gewandt, die mir vollkommen dankbar waren. Die wollten dann gleich Tickets bestellen und haben Platten gekauft, die sie in ihren Gemeinden verteilen würden. Das gibt den Kick bei jeder Platte.

Wie hat denn das Label überhaupt angefangen?
Ich hatte bei Vielklang immer mehr Verantwortung, Bands betreut und sogar gesignt. Da war die Nische „Alternative“ frei. Also fragten sie mich, ob ich nicht ein Sublabel für Alternative machen wollte. Dann waren Bottom 12 die erste Band und fast gleichzeitig aus Potsdam Desmond Q. Hirsch. Das stand bereits für das Label – einerseits eine amerikanische Band, die Hardcore machte, andererseits eine deutsche Band, die so Psychedelic und Krautrock spielte. Das versuche ich, bis heute so zu halten. Wenn ich zu viele deutsche Bands habe, gucke ich wieder nach internationalen Sachen. Oder umgekehrt: Ich brauche einen Newcomer und nicht zu viele alte Säcke.

Das fand ich an der Discographie so spannend: Da gibt es einerseits Künstler wie Tod von Firewater oder Foetus, andererseits kleine deutsche Bands wie jetzt Earthbend und in der Mitte etablierte deutsche Gruppen wie Smoke Blow oder Steakknife.
Ich hatte im zweiten Halbjahr zunächst nichts an Bands und dachte schon, ich hab da ein Loch. Ich sitze dann trotzdem in der Regel ganz ruhig hier, denn irgendwann tut sich immer was. Ich nehme nicht panikartig irgendein Demo, hinter dem ich nicht hundertprozentig stehe. Und plötzlich tut sich Jingo de Lunch auf oder Earthbend. Plus dem Nachfolgeprojekt von Kate Mosh. Innerhalb von sechs Wochen hatte ich das zweite Halbjahr schon fast zu voll.

Wer ist komplizierter? Jemand wie James Thirlwell oder eine neue Band, die noch gar nichts vom Geschäft weiß?
Das kann man pauschal nicht sagen. Jim Thirlwell war erst skeptisch, aber dann ging das ganz einfach. Er ist ein sehr professioneller, intelligenter und angenehmer Typ. Tod ist so lange im Business und trotzdem der größte Punk aller Zeit. Ich mag ihn sehr, aber er ist sehr verschroben.

Was waren deine Höhepunkte in all den Jahren?
Es gibt Eckpunkte – Bottom 12, die für mich wichtig waren, weil es die erste Amiband war und die gut ankam, auch international. Garantiert Scumbucket, die ich seit 13 Jahren liebe und die sechs, sieben Platten auf dem Label veröffentlicht haben. Mother Tongue waren mir sehr wichtig, weil ich sie als Fan liebe, weil sie live sehr geil sind und weil das mit die geilsten Typen sind, die ich überhaupt kenne. Smoke Blow, die so richtig explodiert sind. Da haben wir was geschaffen. Die beiden Platten, die bei mir herauskamen, sind auch die besten, die sie gemacht haben.

Die fünfte Band sind die Picturebooks, die 14 Monate am Stück jeden Tag arbeiten. Da bin ich jeden Tag gefordert. Aber so eine Liste ist schwer und ungerecht. Ich weiß zum Beispiel noch genau, wie ich mit 15,16 im Geschäft die „Hole“ von Foetus gekauft habe. Das war auch der einzige Künstler, bei dem ich nervös war, als ich ihn getroffen habe. Der war für mich so wichtig wie die Beatles.

Ich hätte Smoke Blow, Firewater und Steakknife genannt.
Bei Steakknife dachte ich damals, das passt alles, aber sie haben nicht so intensiv gearbeitet. Das war halt nur die Zweitband. Die älteren Herren haben dann eben vier oder fünf Jahre bis zur nächsten Platte gebraucht. Deswegen waren sie für mich vielleicht auch nicht so wichtig. Bei Firewater ist der Kontakt nicht so intensiv. Tod ist ein Kommunikationsdesaster, aber auch sehr sympathisch. Seine Frau, die früher die Band gemanagt hat, ist ein gefürchtetes Business-Biest, mit der sich schon jeder angelegt hat – inklusive mir. Wir haben immer gut gearbeitet, seine Platten verkaufen sich gut – aber that’s it. Dass ich mit ihm schon zehn Jahre zusammenarbeite, hätte ich auch nicht gedacht. Und die Platten verkaufen sich immer besser.

War das eine Enttäuschung, als Smoke Blow gegangen sind?
Nein. Letten und die Band sind total streicht und ehrlich. Wir haben uns zunächst ziemlich gerieben, dann aber einen Deal gemacht, und der lautete: Smoke Blow machen zwei Platten, und dann zieht die Band weiter. Da hatten sie ihre ersten größeren Angebote – Metal Blade, glaube ich -, aber das wollten sie da noch nicht. Vor der zweiten Platte war klar: Entweder lösen sie sich auf, oder sie gehen woanders hin. Dann kam ein neues Label mit einem guten Angebot, was der Band hilft, auch wenn sie garantiert weniger verkauft. Aber die Gruppe ist jetzt etabliert als „die Hardcore-Band aus Deutschland“.

Ich kann Smoke Blow durchaus verstehen, dass sie zu einem Label gehen, das mehr auf Tasche hat. Es gibt keine bessere Promo, aber die Band braucht jemanden, der ein besseres Marketing macht, der Plakate macht und Anzeigen schaltet. Dass sich das nicht in Plattenverkäufen niederschlägt, ist heute nicht verwunderlich. Aber die Außenwirkung ist größer, und die Band tritt plötzlich bei Festivals um 20 Uhr auf der Hauptbühne auf. Die Band verdient bestimmt auch mehr als sie das bei mir jemals getan haben. Aber natürlich wünsche ich mir, dass eine Band wie Picturebooks so wie Scumbucket auch bei mir bleiben.

Eine Grenze nach oben gibt es dann aber.
Natürlich, auch wenn es immer den Traum gibt, dass diese eine Band kommt, die dich so richtig raushaut. Und dann spielst du in der nächsten Liga mit.

Das Überleben als Label wird immer schwieriger, kann ich mir vorstellen.
Mein Konzept ist sehr solide, weil ich sehr kostengünstig bin. Wir sind halt ein Anderthalb-Mann-Büro. Ich mache außerdem im Jahr noch sechs, sieben Promo-Aufträge, die mir die Miete bezahlen. Aber wie das angesichts der Markt-Einbrüche weitergeht, kann ich auch nicht sagen.

Du hast erwähnt, dass du von C.aarmé vielleicht 500 Platten verkaufst. Da kann dann ja nicht viel übrig bleiben.
Aber das sieht bei Jingo de Lunch ganz anders aus. Da ist mein Einsatz ja nicht groß, ich scheue mich schließlich, diese riesigen Anzeigen und diese Buy-Ins (also das Kaufen von Stories in diversen Umsonst-Magazinen, Anm d. Verf.) zu machen. Meine Man Power, die ich einsetze, die ist viel größer. Außerdem muss ich bei älteren Platten nur noch nachpressen und verkaufe die noch. Da kommt noch ein bisschen Geld rein. Auch Online kommt ein bisschen was rein. Über diese diversen Baustellen tropft es rein, weil ich einen Back-Katalog habe. Und das summiert sich am Ende. Aber die alten Zeiten, in denen es eine Szene gibt, die ich erreiche, die wird es nicht mehr geben.

Was sehr bedauerlich ist. Hefte wie das Trust oder Label wie Exile On Mainstream und Nois-o-lution bieten ja auch Bands an, die ich interessant finden könnte. Wenn ich den ganzen Abend My-Space-Seite durchforsten müsste, um Bands zu finden, die ich vielleicht spannend finde, kann ich mir wahrscheinlich besser die Platten anhören, die ich schon habe.
Die Nachwirkungen, die durch diese Umbrüche im Musikgeschäft kommen, lassen sich noch gar nicht absehen. Das ist ein Kulturumbruch. Wir haben in 50 Jahren eine Jugendkultur mit Mode, mit Politik, mit einer gewissen Lebenseinstellung erlebt, die gleichzeitig mit Musik einher ging, die sich immer wieder erneuerte. Das hat Anfang des Jahrzehnts aufgehört, als plötzlich nur noch Altes aufgewärmt und vermischt wurde. Aber das Schlimmste ist, dass die Inhalte fehlen. Niemand sieht die Wertigkeit dieses Kulturguts. Man hört halt gerne Musik und geht auch mal auf ein Festival.

Das ist einem auch wichtig. Aber die Jugendlichen engagieren sich nicht oder zahlen dafür. Dabei ist das entscheidend für die Wertigkeit von Musik. Bands, die immer nur draufzahlen, hören irgendwann auf. Diese Diskussion habe ich hier immer wieder: dass Bands sagen, die Aufnahmen hätten Geld gekostet und die Tour auch. „Das können wir nicht mehr machen.“ Und dann gehst du auf ein Festival und die Leute singen die Texte mit.

Wie motivierst du dich denn dann selber, wenn Bands so wenig verkaufen?
Labels erzählen immer, dass sie nur Bands machen, hinter denen sie stehen. Bei mir stimmt das tatsächlich. Wenn eine Platte floppt, dann darf ich das nicht bereuen. Die Musk, die Band, die Typen, für die ich mich einsetze, muss mir so viel Spaß machen, dass ich am Ende sage: Mir ist es egal, wenn es floppt. Cameran war so eine Band: Die war sensationell, da hat sich aber keiner für gekümmert und die hat sich kurz nach der Veröffentlichung aufgelöst. Aber für die schwärme ich heute noch. Ich bereue da keinen einzigen Ton.

Es gibt auch Bands, die ankommen und sagen, sie verkaufen auf Tour schon 2000, 3000 Stück und die wirklich alles selbst bezahlen wollen. Aber das kann ich nicht. Das will ich nicht machen. Wenn da was nicht funktioniert, würde ich meines Lebens nicht froh.

Wenn Jingo jetzt nicht klappen würde, wäre das schon demotivierend?
Nein, im Gegenteil – schon wegen meines persönlichen Bezugs. Ich bin Jingo-Fan. Ich kann da nicht einschätzen, was die verkaufen werden. Aber ich werde mich nicht ärgern. Es gab zwei, drei Bands, bei denen ich mich ärgere, weil das ganze Prozedere bis zum Signing schwierig war. Dann wollte ich erst nicht, dann hab ich’s doch gemacht, die Platte kommt raus, die Band löst sich auf, und dann floppt das Ding. Das sind so Sachen, wo ich mich ärgere. Da hätte ich gleich auf meine innere Stimme hören sollen.

Was muss man denn heute als Label machen, um zu überleben? Muss man diese All-Inclusive-Deals machen, die offenbar international schon angesagt sind, bei denen man die Rechte für alles – Tourbooking, T-Shirt, Verlag – bekommt?
Im Prinzip ja. Wenn man das auf ein credibles, cooles Level runter rechnen würde, dann wäre das die Vorstellung, dass eine Band kommt und sagt: „Du bist unser Business Mann. Du bringst die Platte raus, du machst die Promo, du produzierst die T-Shirts und machst den Online-Shop“. Bands, die eher old school sind, haben damit vielleicht Probleme. Aber wahrscheinlich kann man nur überleben, wenn wir noch mehr zusammenrücken. Ich glaube, das ist es, wo es irgendwann hin laufen könnte.

Dietmar Stork

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Meine Favoriten:

03268-2 Mumble & Peg – This Ungodly Hour, CD (14. Mai 1999), 03277-2 Mumble & Peg – All My Waking Moments in a Jar, CD (2. April 2001)
Klar, dass ich die nehme! Und es stimmt: Zuerst kam „This Ungodly Hour“ nicht bei Nois-O-Lution heraus, sondern auf Vaccination Records aus Oakland. Aber es adelt Nois-O-Lution natürlich, dass sie den Mut hatten, diese Musik zu entdecken, die heute vielleicht ganz anders aufgenommen würde in einer Zeit, wo die Songs von Nick Drake, aber auch von Musikern wie Smog oder Will Oldham nicht mehr nur einer Schar Eingeweihter Objekt der Verehrung sind. Das zweite Album, das dritte von Mumble & Peg, wirkte einerseits vielleicht eingängiger, andererseits kam es auf eine Weise zerklüftet daher, strotzte aber gleichfalls vor jenen „introspektiven Songs über Freundschaften, die in die Brüche gegangen sind, oder wie es ist, in einem Schneesturm zu stehen mit siebzehn Streichhölzern und einer Zigarette, während man darauf wartet, dass jetzt langsam die Drangsale des sogenannten Erwachsenenlebens über einen herein brechen“, wie ich damals schrieb.

91085-2 Exits to Freeways – Spilling Drinks, Spelling Names, CD (19. September 2008)
Um es pathetisch zu sagen: Sie gaben mir den Glauben wieder. Daran, dass es auch in unseren Breiten zwischen Hardcore-Nabelschau, ödem Metal-Core-Gepöbel, den Überresten von Punk und positionslosem Indie-Rock/Pop noch Platz gibt für Musik, die sich nicht drum schert, wenn sie mal das eine touchiert, mal das andere annektiert, mal präzis dazwischenhaut. In der zwar Geschichte resoniert, aber nicht zuletzt auch mal kenntnisreich mit großem Horizont räsonniert wird. Um noch einmal mich selbst zu zitieren: „Sie sind auch Kinder ihrer Zeit, haben Jahrzehnte von Hardcore, Punk und anderer rebellischer Musik rezipiert und daraus ihre eigenen Konsequenzen gezogen, ohne sich der Energie zu entledigen, die den besten dieser Entwürfe immer innewohnte.“

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(stone)

Firewater – ‚The Golden Hour‘
So einfach ist das gar nicht, das Nois-o-lution-Lieblingsalbum zu wählen. Immer wieder erschienen in den vergangenen 15 Jahren Platten, die mich ein ganzes Stück (oder länger) begleitet haben. ‚German Angst‘ zum Beispiel oder die Steakknife-CDs. Aber ‚The Golden Hour‘ von Firewater ist das Album, das auch jetzt noch – bald vier Jahre nach Erscheinen – bei mir so oft läuft wie wenige Neuerscheinungen. Dabei hatte ich Tod A nach Ende von Cop Shoot Cop ein wenig „aus den Augen verloren“. Ich war mal bei einer Firewater-Show und wollte mir immer wieder eine der Platten der Band kaufen – aber bei der Intention blieb es. Und dann kam ‚The Golden Hour‘ ins Haus.

Was macht dieses Album so besonders? Natürlich ist da Tods markante und exzellente Stimme sowie sein Songwriting, das auch Cop Shoot Cop zu einer außergewöhnlichen Band werden ließ. Vor allem aber ist da die Aufnahmesituation – der Sänger reiste in der Weltgeschichte herum, war in der Türkei, in Israel oder Pakistan (um nur Beispiele zu nennen) und spielte dort mit einheimischen Musikern. Das Ergebnis hört irgendwie auf den blöden Namen „Weltmusik“, aber es ist so viel mehr – Punkrock wie Punkrock heute selten verstanden wird. Firewater haben die Attitüde und die Energie von Punk, aber keinen abgelutschten Sound. Das habe ich in den vergangenen Jahren bei nicht so vielen neuen Alben gehört. Und deswegen läuft ‚The Golden Hour‘ hier auch weiterhin regelmäßig.

(Dietmar)

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Verrückt, gibt es NoisOlution jetzt schon 15 Jahre! Eine lange Zeit, könnte man meinen, aber wenn ich in mein allererstes Adressbuch zur Hand nehme, steht dort der Name Arne Gesemann auf der ersten Seite, in 6442 Rotenburg an der Fulda. Das war 1985, als ich das Adressbuch anlegte, aber ich glaube Arne und ich waren schon davor „Brieffreunde“, wie man das unter Punks damals schon nicht nannte. Das war lange vor NoisOlution und auch noch vor der Existenz des TRUST. Nun haben die Postleitzahlen eine Stelle mehr und auch sonst hat sich so einiges verändert.

Verrückt war auch als Arne 1997 den „Sound and Fury“-Sampler rausbrachte, welcher den Untertitel „a compilation of german alternative rock“ trug, und mich im Vorfeld fragte ob ich nicht, neben ein paar anderen Menschen, im Booklet was schreiben will. Dass ich kein gutes Haar an deutschen alternativen Rockbands lassen würde, war ihm klar. Meinen Text hat er dennoch im Booklet gedruckt. (Auch nachzulesen in meiner Kolumne dann fast 10 Jahre später im Trust # 111 April 2005). So ist er, der Arne.

Wenn man sich die Diskographie ansieht, meint man: Mönsch, sind das viele Scheiben! So viele sind es aber gar nicht. Eher „wenige“, nämlich ca. fünf pro Jahr. Qualität vor Quantität, auch wenn ich ihm da nicht immer beipflichten kann, aber hey, es ist sein Label. Und es hat da eine ganze Reihe von Perlen drunter, von denen ich jetzt keine nenne… Aber auf das neue Album von Jingo De Lunch bin ich sehr gespannt……. Dann warten wir mal die nächsten Jahrzehnte ab und dann sehen wir weiter.

(dolf)

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