August 24th, 2016

NO NOT NOW! (#57, 04-1996)

Posted in interview by Jan

Wer im August des Jahres 1995 an dem Wochen-ende der POP-KOMM in Köln (gerade kommt eine Eilmeldung, tschetschenische Rebellen haben die POP-KOMM überfallen und 10000 Geiseln genommen. Sie fordern, jeden Tonträger auch auf Vinyl dem Konsumenten zugänglich zu machen, anderenfalls werden die Geiseln erschossen, Dieter Gorny, Heike Makatsch und der gesamte EMI-Außendienst sind bei der Erstürmung der Messe-hallen umgekommen, GSG 9 und Media Control fahren bereits Panzer auf…) abends durchs TV zappte, konnte auf allen Sendern Berichte von sogenannten „Chaostagen in Oldenburg“ sehen. 

Aufgerufen hatte ein stadtbekannter Spaßvogel, der wahrscheinlich Wochen vorher den Weg nach Hannover nicht fand, und sich dachte: wenn ich es nicht zum Chaos schaffe, dann muß das Chaos sich halt mal auf die Socken machen und bei mir im oldenburgischen reinschauen. Die Aktion wurde dann auch ein voller Erfolg, Oldenburg wurde heimgesucht von einer Horde 400 Köpfe zählender Kinderpunx und etwa doppelt so vieler Bullen, die nach dem Desaster in Hannover die Gelegenheit nutzen wollten, die Scharte wieder auszumerzen und der Öffentlichkeit zu demonstrieren, daß sich Vorgänge wie in der niedersächsischen Hauptstadt nicht wiederholen lassen Der Mob griff angesichts der Übermacht zu einer perfiden, bullenverachtenden Taktik: er machte nämlich nix, kein Pennymarkt wurde geplündert, kein Steinhagel flog auf die grünberockten Freunde und auch sonst herrschte eher eine ausgelassene Stimmung, ähnlich eines feuchtfröhlichen Betriebsausfluges einer mittelständischen Firma.

So weit so gut, wären da nicht unsere lieben Kollegen der auflage- und sendequotengeilen Presse gewesen. Die waren nämlich auch in Divisionsstärke angetreten und hatten den Auftrag, schockierende Berichte garniert mit Bildern von brennenden Häusern, toten Polizisten und mordlüsternden PUNKERN via ihrer jeweiligen Redaktion dem Interessierten Bürger zum Abendbrot zu servieren. Als nun aber unser eingangs erwähnte Nachwuchs weder durch Geldgeschenke noch durch Bierdoping sich zu filmenswerten Gewaltorgien überreden ließ, waren Herr und Frau Reporter ein wenig hilflos und begannen, um ihre Arbeitsplätze zu fürchten…. Zum Glück gibt es ja immer eine Alternative, es machte nämlich im Journalistenmob eine Information eines Einheimischen die Runde, daß in einer halben Stunde im Rock-Café ALHAMBRA ein Konzert stattfinden sollte, wo lebende Wracks zu dieser lauten, nervtötenden und menschenverachtend grausamen PUNKROCKMUSIK auf und nieder hüpfen würden, wahrscheinlich.

Prompt machte sich die gesamte Rotte auf den Weg zu diesem geheimnisvollen Ort. Dort angekommen, war gerade die Oldenburger Band NO NOT NOW! dabei, ihren Soundcheck für das am Abend geplante Konzert zu absolvieren. Nach kurzer Verhandlung gestattete man den TV-Teams, 5 Minuten zu filmen und das waren dann die Oldenburger Chaostage, wie gesagt, abends zu sehen in ZAK, SPIEGEL TV, NTV und anderen… Monate später, NO NOT NOW! hatten gerade ihre Debutscheibe“MONOTOWN“ vollgepackt mit feinsten 60ies inspirierten Garagen-Punk-Krachern veröffentlicht, gab es anläßlich eines Konzertes zusammen mit FISCHMOB und BOKSCH(ex Flugschädel) die Gelegenheit für einen kleinen Plausch mit Sänger Matthias.

Wieso habt Ihr überhaupt im ALHAMBRA gespielt, das ist doch eigentlich der PC-Schuppen in Oldenburg, und der eine oder andere von Euch hat doch da Hausverbot?

Matthias: Keine Ahnung, in letzter Zeit scheinen wir beliebter zu werden in Ol, es kommen immer mehr Kiddies zu unseren Konzerten, vielleicht haben die jadieschnauze voll von den MTV-Kapellen und außerdem entwickeln wir uns ja auch musikalisch immer besser… An dem bewußten Tag haben wir gehört, daß im ALHAMBRA ein PUNK-Festival steigen sollte und da wir nix besseres vorhatten, haben wir halt mal gefragt, ohne uns große Chancen auszurechnen. Zu unserer Überaschung waren die sofort dafür, weil sie sonst keine einigermaßen bekannte Band hatten. Das Gefühl war natürlich schon ein bißchen merkwürdig, in einen Laden zu kommen, wo man eigentlich nie wieder reingelassen werden sollte und die Leute sind auch noch supernett und freundlich, tja, die Zeiten ändern sich. Eine kleine Krise gabs dann noch beim Soundcheck, als Marcus anfing, von Prengel-Längen zu erzählen, wir haben die bösen Blicke aber registriert und uns dann versucht, anständig zu benehmen.

Eure Scheibe heißt MONOTOWN und ist bei einem Hamburger Label namens DISKO GRÖNLAND rausgekommen, das scheint auch neu zu sein, oder?

Matthias: Ja, das ist so ein kleiner Bierbäuchiger mit Glatze, der keine Freunde hat und der denkt, daß alle ihn jetzt für cool halten, weil er Gitarren-rocker kennt…, im Ernst: Wir kennen die Leute durch unseren ersten Rhythmusgitarristen Frank, der im Frühjahr `95 gestorben ist, und die Platte eher als so eine Art Vermächtnis rausgebracht haben. Die hatten auch einen Vertriebsdeal am Start, was es natürlich für eine neue Band viel leichter macht, auch bundesweit in die Plattenläden reinzukommen, als wenn du da selber mit einer Handvoll Scheiben aufläufst.

Hört sich ja ganz schön kommerz-mäßig an, an erster Stelle sollte doch eigentlich die Musik und die Party stehen, ist das noch Punk?

Matthias: Ich kann das Gequatsche langsam echt nicht mehr hören, von wegen Kommerzialität und so weiter. Sobald du im Studio gewesen bist, um eine Platte aufzunehmen und die dann gepresst ist, handelt es sich nicht mehr nur um die Musik, sondern vor allem um ein Produkt, was Geld gekostet hat und jetzt da haufenweise rumsteht und verkauft werden muß. Wir werden mit Sicherheit nie von unserer Musik leben können, haben das auch nicht vor, aber es ist schon ganz geil, wenn man auf Tour ist, durch Plattenverkäufe ein paar Mark zu kriegen und auch mal was essen zu können. Man enscheidet doch letztendlich selbst, in wie weit man sich prostituieren will, um Platten zu verkaufen.

Wieso gibt es „MONOTOWN“ nicht auf Vinyl?

Matthias: Natürlich gibts die auf Vinyl, das wäre mit unserem Label schon mal gar nicht zu machen, die wollen auch in Zukunft alles auf Vinyl rausbringen, man braucht leider die CD, weil man als neue Band kaum wahrgenommen wird, und das Verschicken zur Bemusterung von Fanzines unkomplizierter und billiger ist, aber an der großen Knister-Scheibe hängt unser Herz, deswegen haben wir ja auch eine Bonus-Single mit beigelegt, deren Stücke nicht auf der CD sind.

Musikalisch scheint ihr euch eher an amerikanischen Bands, wie MARBLE ORCHARD oder GAS HUFFER zu orientieren, also Marke fetter Gitarrenteppich?

Matthias: Stimmt, obwohl wir uns eher in der etwas krachigen Tradition von Bands wie den STOOGES oder den SONICS, von denen wir ja auch ein Stück gecovert haben, sehen. Wir sind ja nun auch nicht mehr die Jüngsten, ich zum Bei-spiel, habe mit meiner alten Band CANDYLICKER früher auch eher so ANGRY SAMOANS-Punk gemacht, aber die Musik, die wir heute machen, passt einfach besser zu unseren Fingernägeln, ist dreckiger, außer Sascha, unser Trommler, aber der trägt ja auch Handschuhe.

Wie ging es eigentlich nach dem Tod von Frank weiter, Eure Platte habt Ihr doch zu viert aufgenommen?

Matthias: Wir haben mittlerweile einen neuen Gitarristen, Chock, den wir von den ROMEOS abgeworben haben, damit er mal die Chance bekommt, anständige Musik zu machen, beim Album hat er auch schon bei „COWBOY SONG“ Slide-Gitarre gespielt. Chock passt gut zu uns, ist gerne betrunken und macht dann lustige Sachen, kürzlich, nachdem wir in Dresden gespielt hatten (fetten Gruß ans FLYING REVOLVERBLATT) und drei Stunden im Stau standen, hat er den Stauberater gegeben, hat den Leuten Aufkleber auf ihre Autos geklebt und versucht, CDs zu verkaufen, was sogar bei drei Leuten geklappt hat, der Ostler hat halt Kultur…

Ihr habt 1994 zusammen mit den rappenden Süddänen von FISCHMOB eine Splitsingle gemacht, wie kam es dazu?

Matthias: Das war eine Idee von unserem Label-chef, er wollte, daß jede Band ein eigenes Stück aufnimmt, was dann von der anderen Band ge-covert werden sollte. so kam das FISCHMOB-Stück „Bonanzarad“ zustande, was eigentlich auf unserem „Thunderbird“ basiert, wir haben „Ey Aller“ gecovert, die Single gibts aber längst nicht mehr, war auch ne ziemlich limitierte Geschichte

Auf der Platte werden unter anderem alle MS-Kranken gegrüßt, warum das?

Matthias: Ich habe selber seit ca. acht Jahren Multiple Sklerose und möchte eigentlich all meinen Leidensgenossen sagen, daß man sich, selbst wenn man so krank ist, noch lange nicht zum Sterben hinlegen muß, sondern je nach Verlauf, der bei dieser Scheißkrankheit ja ganz unterschiedlich verlaufen kann, alles machen kann, wie zum Beispiel in einer Punkrockband zu singen

Kaum zu glauben, wenn man Dich auf der Bühne sieht, wie Du auf Boxen oder ins Publikum springst, denkt man nicht automatisch, einen Schwerkranken zu sehen.

Matthias: Das Gemeine an MS ist, daß die Krank-heit völlig unberechenbar ist. Manchmal fühle ich mich klasse, und ein anderes Mal muß ich mich höllisch konzentrieren, um meinen Muskeln Befehle zu geben, selbst, wenn es nur einfaches Gehen ist. Aber was solls, ich meine, ich habe echt keinen Bock darauf, als Quotenbehinderter durch die Gegend zu laufen, damit die Leute aus Mitleid unsere Scheibe kaufen oder so. Ich bin in erster Linie Musiker, rauche jeden Joint mit und saufe dich alle Male unter den Tisch. Ich mach ja schließlich jedes Jahr 3 Monate Straight Edge, und dann kann man damit ganz schön alt werden, das ganze Jahr alles wegzupaffen würde die MS auch gar nicht zulassen.

Was kommt als nächstes bei euch?

Matthias: Wir werden im April oder Mai auf Tour gehen und Ende dieses Jahres unser nächstes Album auf den Markt schmeißen, vorher kommt noch die Erfüllung eines Jugendtraumes, eine Fußballsingle für unseren Vfb Oldenburg Vielen Dank für das Gepräch und rockt das Haus.

Interview: Micheal Engelhardt

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