März 20th, 2020

NINEWOOD aus #76, 1999

Posted in interview by Jan

NINEWOOD
…und davon, was bei einem Mann passiert, wenn er in sehr, sehr kaltes Wasser geht

Ich habe mich ja neulich seitenweise über Vaccination Records ausgelassen. Bin aus dem Häuschen gewesen über die Bands, die der gute Dren McDonald da veröffentlicht. War erschüttert ob des Endes von Idiot Flesh. Und jetzt gibt es endlich Gelegenheit(en), sich von den doch einigermaßen sagenumwobenen Shows der Vaccination-Bands ein direktes Bild zu machen. Auf einen oberflächlichen Blick hin erscheinen die Bands auf VacRec kaum mit Gemeinsamkeiten gesegnet.

Ninewood, wie das Label und der Rest der Versammlung aus Oakland in Kalifornien, sind vielleicht noch am ehesten das, was man eine Rockband nennen könnte. Ohne den starken folkloristischen Einschlag wie bei Charming Hostess, Rude Waddell oder Giant Ant Farm, aber auch nicht von der erschütternden Komplexität einer Band wie Idiot Flesh oder dem konzentrierten Witz von Ebola Soup. Gewöhnlich sind Ninewood allerdings ganz und gar nicht. Schließlich verstehen sie sich bei aller Kompaktheit durchaus auf verstiegene Strukturen, machen auch mal einen Takt kaputt, zerlegen ihn, ohne darüber gleich in angeberisches Gezappel zu verfallen.

Eher unaufdringlich komponieren sie Kompliziertes, was, live ergänzt um Cover-Versionen von Captain Beefheart und Pere Ubu, von Angela Coon mit dezent sicker Attitüde und dunkler, sporadisch in Falsett abkippender Stimme und bisweilen rezitativ besungen wird. Andernorts gibt Bassistin Karen Roze eine zweite Stimme dazu. Merkwürdige Harmonien, seltsame Melodien, deren Provenienz schwer auszumachen ist, wie die ganze Band im Grunde eine höchst eigenwillige Musik spielt, die zwar ganz sicher auch irgendwo den Geist der Minutemen absorbiert hat, aber ansonsten eben nicht so recht lokalisierbar ist.

– Wenn ich irgendwelchen Leuten von ihnen erzählte, war die Frage, was die denn eigentlich machten, immer Anlaß ein entsprechend wirres Konglomerat von mir zu geben, was für gewöhnlich, daß ich einige der äußerlichen Eigenheiten Ninewoods referierte. Wie, daß sie ganz ohne Gitarren auskommen: Zwei Bässe, ein Schlagzeug (gespielt vom angeblich lautesten Trommler der Bay Area, was wirklich so im Info steht) und die Stimme von Angela Coon nebst deren ebenso wortreicher wie wohlartikulierter Lyrik machen die Band aus, die aus naheliegenden, wenn auch nicht unbedingt guten Gründen gern mit Cop Shoot Cop und Morphine verglichen wird.

Cop Shoot Cop… Morphine… Oder noch besser: Nina Simone fronts the Jesus Lizard! Wir sind definitiv von einer Menge von Leuten beeinflußt. Vielleicht sind die Minutemen die eine Band, die wir alle gemeinsam haben. Ich habe eine Menge Jazz und improvisiertes Zeug gehört, mag aber auch Tricky und PJ Harvey, also ist es ein ziemlicher Eintopf. (siehe Fussnote 1)

Auf dem VacRec-Sampler ‚Funny Rubber Hand‘ finden sich bereits neue Stücke von Ninewood, die noch ein ganzes Stück besser sind, als die Stücke des Debüts ‚New Can Of Ice‘, das vor zwei Jahren von der damals noch recht neuen Band aufgenommen wurde. Mittlerweile klingen Ninewood konzentrierter, wissen – nicht weiter verwunderlich – besser, was ihre Stärken sind.

Unsere nächste Platte werden wir aufnehmen, wenn wir von der Tour zurück sind. Ich denke, sie wird alles in allem wesentlich tighter sein. Wir sind jetzt eine bessere Band, unsere Sachen sind eklektischer und fokussierter. Dank Chris Papa, unserem Mastermind am Bass, versuchen wir ständig neue Richtungen.

Chris Papa, der sich seinen Lebensunterhalt als freischaffender Graphiker verdient, ist auch zuständig für die graphische Seite der Band. Das Cover des Albums und das der zur Tour erschienen Split-7″ mit Rube Waddell, Plakate und T-Shirts werden geziert von seinen verschrobenen und skurrilen Figuren, pfeiferauchenden Hummeln, ferngesteuerten Schafen mit integrierten Bomben und derlei Schönheiten mehr. In den Texten findet das durchaus seine Entsprechung.

Ich bin ein echter Bilderfreak wenn es ums Schreiben geht. Deshalb haben die meisten meiner Texte mit dem Bild und dem Rhythmus zu tun, bevor es an den Inhalt geht. Ich bin ein großer Fan von Captain Beefheart als Maler und Schreiber, mehr als von dem Musiker, wegen seiner erstaunlichen Bilder und seines Rhythmus‘. Sein politischer Inhalt ist die perfekte Mischung von Persönlichem und Abstraktion. Manchmal denke ich, daß alles, was du für ein politisches Statement brauchst, zwei Wörter sind, die zusammenknallen, wham, wie beispielsweise ‚Ashtray Heart‘.

New can of ice

I’ve tried to talk him out of
Forty thousand parking lots
It’s not a real dilemma

He prays to curling street lamps
Magnetizing big white moths
It’s what he likes while he’s listening to me
This doesn’t seem like a great sign

This could be a real dilemma
This is not a great sign

I raise my new can of ice
And spray a cold silence
And watch’em all fall like damaged boats

Zum Beispiel. Oder eine Zeile, die sich Angela gern hätte übersetzen lassen, um sie an der entsprechenden Stelle von ‚Flume Atrocity‘ auf Deutsch rezitieren zu können:

it was a truly scrotum-tightening experience

Allerdings fiel anscheinend niemandem eine deutsche Version in der nötigen Prägnanz ein, die eben das Spezifische dieser Erfahrung, wenn sich der Hodensack zusammenzieht, wie er das nur bei Berührung mit sehr kaltem Wasser tut, wiedergegeben hätte.

Die Sorgfalt, der Eklektizismus, nicht nur in der Musik, sondern eben auch auf den anderen Ebenen einer Band, sind wohl das Element, das die Bands, die auf VacRec veröffentlichen verbindet.

Es hat mit der Musikszene in Oakland zu tun. Sie ist am Rand der San Francisco-Szene und hat starke und seltsame Gemeinschaftsbeziehungen. Dann kamen Dren Macdonald und Vac Rec und verbanden alles noch enger miteinander. Ich würde sagen, die Szenerie hat unsere Band hauptsächlich auf der visuellen Seite und hinsichtlich der Bedeutung eklektischer Shows beeinflußt… a lot of weirdo performers, puppet shows, auctions, fire-eating kinda stuff that often goes on at Vaccination shows! Wir stammen direkt von Fibulator ab, obwohl die die bessere Band waren, haha…

Ein Aufwand, wie er mir mündlich von den grotesken Shows von Idiot Flesh überliefert wurde, hätte natürlich die Dimensionen der Ninewood-Tour bei weitem gesprengt (Wer kennt schon Ninewood?). So blieb die visuelle Seite, der Musik angemessen, eher von schlichter Eleganz. Ein weißes Schleierkleid, ein schwarzes Bustier kleideten die „Teufeldame“, wie Karen Roze die durchaus eindrucksvolle Erscheinung ihrer Vorsängerin titulierte.

Es gab in Hannover einen Konzertbesucher, der gekommen war, weil er gelesen hatte, Angela Coon sänge wie PJ Harvey, und der sich dann beschwerte, daß dies gar nicht stimme. Ansonsten gab es allerdings kaum Anlaß zu Beschwerden. Auch für die Damen und Herren aus Oklahoma, pardon, Oakland nicht, die deshalb mit ihrer nächsten Platte unbedingt wiederkommen wollen. Ich kenne (nicht nur) einen, der sich darauf freut, und der hat auch Obenstehendes verfaßt und im Supamolly, wo übrigens die Teufeldame etwas dezenter auftrat, photographiert.

Worte und Bilder: Stone

Fussnote:
(1) Die kursiven Passagen entstammen einer Email-Kommunikation mit Angela Coon

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