April 14th, 2020

Network of Friends: Hardcore Punk der 80er Jahre in Europa aus #145, 2010

Posted in interview by Jan

„NETWORK OF FRIENDS – Hardcore Punk der 80er Jahre in Europa“
(gekürzte Vorabversion)

von Helge Schreiber

Erscheint Ende 2010 im Duisburger Verlag Salon Alter Hammer / www.salonalterhammer.de

„Network of Friends“ dokumentiert die Hardcore Punk – Bewegung der 80er Jahre. Die Auswirkungen dieser Bewegung sind bis heute in der Punk Rock -Szene spürbar. Dennoch sind die Anfänge mehr oder weniger in Vergessenheit geraten, eine umfassende Übersicht speziell der europäischen Szene lag bisher nicht vor. „Network of Friends – Hardcore Punk der 80er Jahre“ deckt im Wesentlichen den Zeitraum von circa 1984 bis 1989 ab, die Leute, die für dieses Buch interviewt wurden, sind fast alle bis heute in der Punk – und Underground – Szene aktiv. Die Dokumentation versucht anhand deren Erzählungen und Erfahrungen abzubilden, wie sich über 25 Jahre hin eine gefestigte und etablierte Punk Rock & Hardcore – Szene entwickeln konnte.

Da ich seit Anfang der 80er Jahre für verschiedene Fanzines geschrieben habe, aktuell seit 1997 für das PLASTIC BOMB Fanzine aus Duisburg, orientiert sich die Machart dieses Buches an der in Fanzines üblichen Interview-Form. Mit dieser explizit gewählten Form sollte gewährleistet werden, dass die Interviewpartner die Möglichkeit haben, sich umfangreich zu verschiedenen Themenkomplexen zu äußern. Zudem habe ich meinen eigenen Anteil auf knapp gehaltene Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln beschränkt, da es mir zutiefst zuwider ist, soziologische oder analytische Abhandlungen über die Punk Rock und Hardcore Punk Szene abzuliefern.

Mein Anliegen ist vielmehr, das Lebensgefühl der 80er Jahre zu vermitteln, so dass ein möglichst authentisches Bild von den Anfängen unserer Szene entsteht. Auch heute gilt immer noch, dass eine Gemeinschaft nur so gut ist wie die einzelnen Leute bereit sind sich zu engagieren. Hierbei kommt vor allem der Do-It-Yourself Gedanke zum tragen, denn das selbst-machen und nicht angewiesen sein auf herkömmliche Herstellungs- und Vertriebsstrukturen der Massenkonsumgesellschaft war und ist immer noch ein großer Antriebsfaktor innerhalb der Punk Rock und Hardcore Punk Szene.

Insgesamt führte ich Interviews mit 55 Leuten aus ganz Europa, die in Bands spielten bzw. immer noch spielen, Konzerte veranstalteten, Fanzines erstellten oder Plattenlabels und Vertriebe betrieben. Die im Buch gezeigten Fotos stammen von insgesamt 18 Fotografen. Zusätzlich führte ich für ein spezielles Bonus-Kapitel Interviews mit 8 Leuten amerikanischer Bands, die mit ihrer Musik und ihren Einstellungen einen enormen Einfluss hinterließen, wie Ian McKaye, Henry Rollins, Dave Dictor, John Stabb (G.I.) und anderen. Das Buch selbst ist in über 20 Kapitel aufgeteilt, welche Themen wie „die Bedeutung von Punk“ „Informationen zu Szenen in einzelnen Städten“, „Bandgründungen“, „Kommunikationswege“, „Skateboarding“, „Straight Edge“, „Einflüsse“, „Chaos Tage 1984“ usw. angehen. Abgerundet wird das Buch von einer Euro-Hardcore Punk Discographie, wobei ich mich glücklich schätzen konnte, dass Ingo Neuhaus aus Bremen diese monstermäßige Zusammenstellung erstellt hat. Es ist geplant, dass das Buch zum Ende dieses Jahres erscheinen wird.

Helge Schreiber, August 2010

(gekürzte Vorabversion)

 

Linke Kulturstätten
Besetzte Häuser, AJZ´s, JUZI´s, Autonome Zentren
Ein weiteres Merkmal linker Kultur ist sicher das Schaffen und Bewahren von Freiräumen. Die Anfänge liegen in der Hausbesetzerszene der 70er Jahre. Freiraum, der zwar vorhanden, aber ungenutzt blieb, wurde in Anspruch genommen. Ging es damals vornehmlich um die Schaffung von Wohn- und Lebensraum, geht es heute meistens um die Wahrung freier Kulturstätten, Räume, in denen soziale und kulturelle Veranstaltungen jeglicher Couleur stattfinden können.

Die Entstehungsgeschichten zu den einzelnen Häusern zeugen von einer unvergleichlichen Energie und Phantasie. Es ging vor allem um Selbstverwaltung, darum, dass bestehende Bedürfnisse realisiert werden konnten. Diese selbst verwalteten Häuser boten einer Vielzahl von Aktivitäten Platz: Cafes oder Bars wurden eingerichtet, zudem gab es Räume für verschiedenste politische Gruppen. Konzerte wurden organisiert und Proberäume für Bands zur Verfügung gestellt. Ferner wurden von den verschiedenen Gruppierungen auch Parties oder alternative Theatervorstellungen durchgeführt und die Örtlichkeiten für kreative Arbeiten genutzt, z. B. in den Bereichen Siebdruckerei, Fotografie, Holzarbeiten oder Kunst. Ebenso wurden in vielen Häusern Räume für Infoläden eingerichtet, in denen linksgerichtete Literatur angeboten wurde.

Exemplarisch für den Grundgedanken soll die Selbstaussage des Göttinger Juzi stehen: „Das Verbindende ist eine Verweigerung gegenüber dem auf Geld und Verwertbarkeit ausgerichteten Einheitsbrei – die Palette der Meinungen und Stile ist vielfältig, streitbar und nicht immer einfach. Das Juzi Göttingen versteht sich als antifaschistisch und antisexistisch. Es hat den Anspruch, in politische Belange einzugreifen – was mal besser und mal weniger klappt. Das Juzi stand und steht in einem streitbaren Verhältnis zur herrschenden Politik“.

Welchen Stellenwert hatten die Häuser?

Paul/LÄRM
Diese Räume waren sehr wichtig, weil Punk und Hardcore Bands ansonsten nur in sehr wenigen offiziellen Rock- oder Jugendclubs spielen konnten. Daher waren die autonomen, selbst geleiteten Konzertorte und Squats absolut essentiell, sowohl für uns als auch für die meisten anderen Punk und Hardcore Bands. In unserer Heimatstadt Amersfoort gab es keinen Ort, an dem sich Punks treffen oder Bands spielen konnten. So sind Paul und Olav selbst zu Squattern geworden.

Mit einem Haufen befreundeter Punks und örtlichen Aktivisten haben wir mehrere Häuser besetzt und so eine Punk Bar bzw. einen Konzertort eingerichtet. Berühmtberüchtigt war die Grachtkerk, eine alte Kirche im Zentrum von Amersfoort, ebenso Het Koetshuis, eine große Villa in einer wohlhabenden Gegend. In beiden Gebäuden haben wir unseren Punktreff „´t Kippenhok“ betrieben, einen Punker- und Aktivistentreff, mit Bar und Konzertraum. Wir haben dort jahrelang Konzerte veranstaltet – mit Bands wie LAITZ, B.T.D., B.G.K., RESISTANCE, SECOND SIBERIA, FUNERAL ORATION, GEPOPEL, S.C.A., W.C.F., PANDEMONIUM, LÄRM aus Holland und NEGAZIONE, KAAOS, GOVERNMENT ISSUE, TENSION usw. von außerhalb.

Diese selbstverwalteten Konzertorte und Squats waren in diesen Jahren für die Bands unfassbar elementar, ohne diese Orte hätten Punk und Hardcore niemals so aufblühen können. Genauso wie wir in Holland unsere eigenen Häuser besetzten, besetzten Punks und Bands in ganz Europa ebenfalls Häuser. Und ehe man sich versah, gab es ein großes Netzwerk von autonomen selbstverwalteten Häusern in ganz Europa. Mit LÄRM haben wir fast alle unsere Konzerte in solchen Konzertorten gespielt, wir haben vielleicht gerade mal 10 Konzerte in offiziellen Jugendzentren gespielt!

Peter/PANDEMONIUM
Das OOC in Venlo war ein Jugendzentrum, das Anfang der Siebziger Jahre gegründet wurde. Es gab dort immer viel Musik, Theater und sonstige Veranstaltungen, alles aus einem alternativen Umfeld heraus. Später hat sich dort ein Musikkollektiv gegründet, mit eigenem Studio im Keller. Ich war so um 1981/82 zum ersten Mal da. Als die Punkszene durch den Ami Hardcore ihr Revival erlebte, fanden hier fast jedes Wochenende Konzerte statt. Selbst Leute aus dem Ruhrgebiet kamen regelmäßig zu uns, das war schon ’ne große Szene. Größere Konzerte fanden im OOC statt, kleinere im besetzten VHC. Im Studio sind damals viele Platten und Demos aufgenommen worden, was für viele Bands die einzige, eine billige und qualitativ beste Möglichkeit weit und breit war.

Daneben gab’s noch den billigen Verleih von PA und Verstärkern. So um 1988 wurde dann von der Gemeinde entschieden, dass das OOC wegen „Belästigung“ umziehen sollte. Das OOC sollte Teil einer größeren lokalen soziokulturellen Einrichtung werden, die einer Stiftung unterstand. Das wäre das Ende der selbst verwalteten Einrichtung gewesen, sowohl was die finanzielle als auch organisatorische Unabhängigkeit betrifft. Von uns wollte das natürlich niemand. Zumal das neue Haus auch noch weit außerhalb der Stadt gelegen hätte. Letztendlich hat sich unser Widerstand nicht bezahlt gemacht. Wir haben verloren. Das OOC heißt heute PERRON 55. Die Probleme von damals sind noch immer aktuell. Nur die Gruppen, wie Musikkollektiv, Filmhaus und Videogruppe gibt es dort heute nicht mehr. Die haben sich aufgelöst oder sind mittlerweile selbstständig geworden.

Gunnar/SVART FRAMTID, KAFKA PROSESS, SO MUCH HATE
Oslo war der einzige Ort, wo es so etwas gab. Wenn Leute Konzerte veranstalteten, waren das temporäre Sachen für einen Abend. Eine lange Zeit waren keine anderen Häuser aktiv außer dem BLITZ in Oslo. Das BLITZ war Herz und Seele der ganzen Punk Rock-Szene in Norwegen überhaupt. Damals gab es dort eine Mischung, die total perfekt war. Das BLITZ war jahrelang der Mittelpunkt meines Lebens bzw. meines ganzes Lebensstils.

Rainer/TARGET OF DEMAND
Erst im Zuge unserer Musikfahrten durch Deutschland und andere Länder haben wir eine Perspektive dafür entwickelt, weil es in Österreich besetzte Häuser nur marginalst gab; die Kapu in Linz etwa war ein Jugendzentrum der Jungen SPÖ (= Sozialistische Partei Österreichs), man hat sich immerhin darauf eingelassen der „offenen“ Arbeit soviel Raum zu geben – was über die Jahre zu einem wenigstens halbwegs „autonomen“ Kulturzentrum führte. Häuser wie die Au in Frankfurt, Steffi in Karlsruhe oder Juzi in Göttingen waren schon beeindruckend, auch weil man zumindest als Außenstehender den Eindruck hatte: bei aller „Anarchie“ und „Basisdemokartie“ haben die Menschen dort ihren Shit together. Ein Eindruck, der bei österreichischen Versuchen in diese Richtung selten gegeben war, da überwog die Theorie immer die Praxis und das Wollen immer das Können.

Eigentlich beschäftigt mich das aber heute nachhaltiger als damals, über selbst bestimmtes Leben und selbst bestimmte Kultur ohne hierarchische und kapitalistische Grundprinzipien nachzudenken – kurioserweise fühle ich heute eine größere Sehnsucht mir so ein Leben zu suchen und zu leben als damals, wo wir als Band und Menschen vielleicht recht plakativ mit solchen Ideen kokettierten und sympathisierten, letztendlich aber doch in recht geregelten Bahnen gelebt und gedacht haben.

Santi/RUDIO DE RABIA
Die Besetzer- und Selbstbestimmungsmanagementbewegung fing im Baskenland 1984 in den Squats von Andoain und Azkoita an. Das waren damals die ersten Keimzellen der Szene. Und gerade das Squat in Andoain war für die Szene sehr wichtig, da dort die meisten europäischen und amerikanischen Bands gespielt haben. Es war sozusagen der Embryo, aus dem die autonome Bewegung und die DIY-Philosophie im ganzen Baskenland erwachsen und groß geworden war. Innerhalb dieser Bewegung entwickelte sich Anfang der 80er Jahre auch die erste Generation von Hardcore Punk-Bands, wie TORTURE SISTEMATIKA, B.A.P. und AUTODEFENSA, wo ich die Gitarre spielte.

Armin/SKEEZICKS
Zu jener Zeit gab es ja etliche besetzte/autonome Häuser. Per se hegte man dafür schon mal Sympathie. Aber die war auch schnell dahin und schlug ins genaue Gegenteil um, wenn sich rausstellte, dass die Leute, die dort die Konzerte veranstalteten, unfähige Volltrottel waren, die wohl glaubten „autonom“ bedeute auch, dass ein Konzert sich von selbst organisiert und ohne eigenes Zutun abläuft. Von bevorzugten Konzertläden möchte ich daher auch nicht reden. Aus den unterschiedlichsten Gründen sind mir aber viele Konzerte nachhaltig in Erinnerung geblieben. Das 1000Fryd in Alborg als ein unglaublich gut organisierter autonomer Laden, Scherpenheuvel in Belgien als fast schon „Arena-Rock Aussmasse“, Amersfoort wegen einer saukalten Nacht am offenen Kamin, ein höchst seltsames aber rückblickend auch amüsantes Festival in Lorsch bei Darmstadt, die Konzerte in Homburg als „Fast-Heimspiele“, und und und… Wenn ich jetzt wirklich damit anfangen sollte, positive wie negative Anekdoten zu erzählen, dann könnten wir wohl ein zweites Buch damit füllen.

Mein allergrößtes und intensivstes emotionales Konzerterlebnis hatte aber nix mit den SKEEZICKS zu tun, sondern war ein Konzert mit CCM und NEGAZIONE in Ulm. Weiß nicht mehr wann genau das war (1987 vielleicht?), aber es wird niemals von irgendeiner Band jemals zu toppen sein und wird mir zeitlebens nachhaltig in Erinnerung bleiben. Während meiner Studienzeit war ich an einer Konzertgruppe in Tübingen beteiligt. Nach meiner Rückkehr nach Nagold, überredeten wir den Sozialarbeiter im Jugendhaus, dass wir dort in Eigeneregie (also „autonom“) Konzerte veranstalten können. Der erste und geglückte Versuch war 1984 mit TOXOPLASMA und gleich als Nächstes wagten wir uns dann an D.O.A., was dann zu unserer eigenen Überraschung völlig problemlos war und ein noch größerer Erfolg. Mit Erfolg meine ich jetzt Andrang und Stimmung.

Das Geld, was dabei reinkam, wurde zur Kostendeckung genutzt und als Gage an die Band ausgehändigt. Von da an veranstalteten wir dann regelmäßig Konzerte im Nagolder Jugendhaus in autonomer Eigenregie – also ohne jegliche Unterstützung von Seiten des Jugendhauses selbst (…die gaben das Geld ihres Kulturetats lieber für Open-Air Konzerte mit Wolfgang Ambros aus).

Kent/LEBEN UND LEBEN LASSEN
Anfang der 80er gab es in Kopenhagen sogar sehr viele Squats, alle mit einer sehr guten Infrastruktur. Die haben immer nach Deutschland geschaut. Als Vorbilder quasi. Die dänischen Hausbesetzer hatten am Anfang echt ein paar geniale Stunts hingelegt, hatten große Teile der Bevölkerung hinter sich, bis die Häuser dann schlussendlich doch geräumt wurden. Ab da wurde es dann auch zunehmend gewalttätiger, wie überall in Westeuropa. Welchen Stellenwert diese Häuser für uns hatten, ist von Bandmitglied zu Bandmitglied unterschiedlich. Einige von uns hatten sehr enge Kontakte dorthin, andere eher gar keine.

Joachim Hiller/OX-Fanzine
In der schwäbischen Provinz gab es so was wie besetzte Häuser nicht, da war die Welt noch in Ordnung, da hatte die CDU das Sagen! Und wer so was wollte, der ging nach Berlin und machte dort Radau. Daher die ganzen Schwaben in Kreuzberg. Konzerte fanden vor allem in Jugendhäusern statt, etwa in Geislingen, Göppingen, Filderstadt, Nagold, Leutkirch, Wangen, Aalen, Heidenheim, Stuttgart, Leonberg, Nürnberg, Crailsheim, Schorndorf, Donauwörth, Ulm, Oberkochen, Königsbronn, Augsburg, Schwäbisch Gmünd und zig anderen Käffern, von denen man nie wieder was gehört hat und wo der Besitzer der örtlichen Rock-Kneipe erst beim Eintreffen der Gäste merkte, auf was er sich eingelassen hatte, als ihn ein harmlos aussehender Jugendlicher fragte, ob man hier nicht eine Band spielen lassen könne.

Der für ein paar Jahre wichtigste Ort war aber sicher das Spaß-Haus in Schwäbisch Gmünd, ein recht baufälliges Fachwerkhaus, in dem die coolsten Konzerte stattfanden und das wohl so was wie ein selbst verwaltetes Jugendhaus war. Als das zumachte, war das schon ein Verlust. Ansonsten war man eben immer auf das Auto bzw. Freunde mit Auto angewiesen, um bei Sommerhitze wie auch 30 cm Schnee ein, zwei Stunden durch die Nacht zu fahren, um ein Konzert zu besuchen und Leute zu treffen.

Roger/LIFE BUT HOW TO LIVE IT?
Das BLITZ Squat war für die politische Fraktion der Osloer Punk Szene sehr wichtig. Leute von LBHTLI?, SO MUCH HATE, STENGTE DORER, KAFKA PROSESS und viele anderen Bands waren dort aktiv und haben dort geprobt. Wir waren dort mehr oder weniger die „Hausband“. Tom und ich haben 1989 geholfen den Infoshop bzw. Plattenladen aufzuziehen. Damals war es für die Leute ziemlich schwierig in Norwegen an Punk Rock und Hardcore Platten zu kommen. Wir hatten den Plattenladen 6 Tage in der Woche offen und haben auch noch einen Mailorder betrieben, damit wir die Leute in ganz Norwegen mit guter Musik versorgen konnten. Ich denke mir, dass das damals eine große Auswirkung auf die norwegische Szene hatte. Im BLITZ finden außerdem, seit mittlerweile 25 Jahren, noch DIY-Konzerte statt, wo lokale und ausländische Bands in regelmäßigen Abständen spielen. Das ist doch was! Teile der Osloer Punk-Szene hatten aber ein Problem mit dem BLITZ, vor allem wegen des politischen Aspekts des Hauses.

Archi/INFERNO
In Deutschland waren ja hauptsächlich die städtischen Jugendzentren Veranstaltungsorte und die erinnerten mich immer eher an den Kinderhort. Interessante Plätze wie das Crash in Freiburg, Die Alte Post in Ampermoching bei München, das AJZ Bielefeld oder die diversen Clubs in Berlin waren eher Ausnahmen! Holland und Italien waren da schon etwas weiter und liberaler. Aber uns war letztendlich egal wo wir spielten. Hauptsache wir konnten spielen und unseren Sprit bezahlen. In den besetzten Häusern Europas war die Verpflegung immer scheiße, und die Klos waren unbenutzbar. Dafür waren die Leute cooler und die Aftershow-Parties heftiger. Ich hab das damals gar nicht so politisch betrachtet. Natürlich fand ich es genial, wenn Leute in einer Stadt wie z.B. Amsterdam ein Riesenhaus besetzen konnten und darin taten und ließen, was sie wollten. Aber wenn jemand Konzerte in einem legalen Club, einem öffentlichen Saalbau, oder einem Jugendzentrum buchen konnte, war das für uns nicht weniger wichtig und unterstützenswert.

Francois/HEIMATLOS
Da wir eine der sehr wenigen schnellen Punk-Bands in Frankreich waren, haben wir Konzertangebote bekommen, ohne dass wir großartig selbst danach suchen oder fragen mussten. Die meisten Orte, an denen wir gespielt haben, waren aber keine Squats. In Paris gab es ein bekanntes Squat, das aber vor Jahren von der Polizei geräumt wurde, das hat zu Krawallen und vielen brennenden Autos geführt. Wir sollten damals ein paar Tage später zusammen mit NEGAZIONE spielen. Das war der Grund, warum wir NEGAZIONE nie selbst getroffen haben.

Marco/NEGAZIONE
Das Squat in Mailand hieß VIRUS und war ausschlaggebend für alles was passierte und später folgte. Leute aus ganz Italien kamen ins Virus, um Konzerte zu sehen oder zu lernen wie man selbst Häuser besetzen kann und dass diese Art der Selbstbestimmung ein Lebensweg sein kann. Hardcore existierte damals noch nicht in der breiten Szene oder auf dem Markt, es war eine Alternative, die wir uns selbst geschaffen haben. Mehrere Jahre lang wurden Häuser besetzt, die manchmal nur ein kurzes Dasein fristeten, da nach einigen Tagen oder Monaten wieder geräumt wurde. Definitiv wurde damals von hier aus etwas Wichtiges gestartet.

Micha Will/PLASTIC BOMB Fanzine
Besetzte Häuser und autonome Zentren blieben unserer Provinz leider vorenthalten. Es existierten Jugendzentren, zum Beispiel der „Labsaal“ in Hamminkeln. Dieses Zentrum haben wir mit Unterstützung eines Sozialarbeiters selbst aus Holz errichtet. Man hatte offensichtlich den ständigen Unfug der „Gruppe gefährdeter Jugendlicher“ satt und wollte uns von der Straße runterholen. Sehr wichtig für die Hardcore- und Punk-Szene am Niederrhein war die „Stockumer Schule“ in Voerde nahe Dinslaken/Duisburg. Dort spielte alles von JINGO DE LUNCH bis CAPITOL PUNISHMENT und jede Menge anderer Bands, über die sich Alkoholschleier gelegt haben.

Die „Stockumer Schule“ liegt mitten auf dem Land, die nächsten Bahnhöfe sind zu Fuß eine halbe Stunde entfernt. Sie existiert noch heute und wird zum Teil von Leuten aus der alten Hardcore-Szene der 80er geleitet. In Bocholt gab es mit dem „Doch Du“ einen Laden, der als Sammelpunkt für alles Alternative und Andersartige diente. Das „Eschhaus“ in Duisburg war der zentrale Punkt für alle möglichen Punk- und Hardcore-Aktivitäten. Hier herrschten raue Sitten.

Das „Eschhaus“ war bis zu seinem Abriss 1987 ein ständig brodelnder Unruheherd, der für seine Punk- und Hardcorekonzerte ebenso berühmt wie berüchtigt war. Mir persönlich war schnell klar, dass sich nur an diesen Orten das wahre Hardcoregeschehen abspielen kann und nicht in den teuren kommerziell betriebenen Läden. Deren dichtes Regelwerk und eine rücksichtslose Preispolitik ließen von Punk und Hardcore nur die Musik übrig, absorbierten aber die familiäre Atmosphäre, das Gemeinschaftsgefühl und alles Radikale wie auch Politische. Ganz zu schweigen einfach vom fehlenden Spaß in solchen Läden. Mittelfinger olé – früher wie heute.

Marcel/NEUROOT
Konzerte in der GOUDVISHAL in Arnheim, Holland, haben wir erst Mitte der 80er Jahre gemacht. Eine richtige unabhängige Szene gab es bei uns damals noch nicht, es gab da immer Lehrer und Sozialarbeiter, die einen bevormunden wollten. Wir wollten die Konzerte aber selber machen und vor allem häufiger Punk Rock-Konzerte veranstalten. Und natürlich auch selber die Möglichkeit haben, mit unserer Band aufzutreten. Wir haben damals oft mit NEUROOT geprobt und wollten endlich mal auftreten. Wir haben erst versucht, mit der Stadt Arnheim zusammen zu arbeiten, aber die Gemeinde hatte nichts für uns übrig, also haben wir das selbst in die Hand genommen. Wir haben ein leer stehendes Warenhaus besetzt und angefangen, dort Konzerte zu veranstalten.

Wir waren ungefähr zehn aktive Leute. Mit der ganzen Clique um uns herum, waren es aber bestimmt 30-40 Leute, die an diesem Squat beteiligt waren. Das war 1984. Es hat aber noch eine Weile gedauert bis wir anfingen die Konzerte zu veranstalten, das muss so Anfang 1985 gewesen sein. Ich selbst habe dort dann bis 1989 Konzerte gemacht. Neben Konzerten wurde die GOUDVISHAL auch von anderen politischen Gruppen für deren Aktivitäten genutzt. Von hier aus wurden auch Demonstrationen organisiert, wie z.B. gegen das holländische Flüchtlingsgesetz, das auch heute immer noch ein wichtiges Thema in der Gesellschaft ist. Damals sind so um die 2.000 Leute zu dieser Demonstration gekommen. Diese Demo lief mit Musik, Reden, Infoständen usw. ab. Solche Sachen haben wir so alle halbe Jahr gemacht. Später wollte die Gemeinde auf dem Gelände der GOUDVISHAL Häuser bauen. Die Gemeinde hat uns in der gleichen Straße ein etwas kleineres Haus vermietet, dem wir ebenfalls den Namen GOUDVISHAL gaben.

Über die Jahre hinweg hatte sich das Haus gut entwickelt. Später gab es dann ein breiteres Spektrum an Veranstaltungen, nicht nur Punk Rock. Das war aber schon nach meiner aktiven Zeit. Punk Rock, Metal, Drum & Bass usw., es lief dort alles. Die GOUDVISHAL gibt es heute leider nicht mehr. Die Stadt wollte den Umzug der GOUDVISHAL in ein anderes Haus, dem Luxor. Die Leute sollten da ihre Konzerte veranstalten, die Stadt würde die höhere Miete bezuschussen. Man stimmte dem Plan zu, das alte Haus war weg, und die Stadt hat die Mietsubventionen nach kurzer Zeit gestoppt. Das war das Ende für die GOUDVISHAL. Ich hatte erwartet, dass es Proteste dagegen gibt, dass sie sich nicht rausdrängen lassen, dass sie quasi mit der Polizei aus dem Laden geholt werden müssen. Aber nichts dergleichen ist passiert. Es ist alles ganz ruhig vonstatten gegangen. Es tat weh, die GOUDVISHAL so enden zu sehen. Der Trost ist, dass der Laden, den wir mit aufgebaut haben, legal geworden ist und fast 25 Jahre lang ein Ort für alternative Veranstaltungen war. Da sind wir stolz drauf.

Thomas Junggebauer/PUNKWAX-Discographie (Ost-Berlin)
In welchem Rahmen fanden damals Konzerte statt? In der DDR gab es autonome Häuser bzw. besetzte Häuser wie im Westen ja nicht. Ausschließlich in Räumlichkeiten der evangelischen Kirchen. Und dort entweder in Nebengebäuden, auf dem Gelände oder im Altarraum selbst. In der Pankower Hoffnungskirche fand 1985 mal ein ganzes Festival direkt vor dem Altar statt. Ein skurriles Szenario! In Berlin-Wilhelmshagen fand 1984 ein kleines Punk Open Air auf dem Gelände vom ULMENHOF, einer psychiatrischen Einrichtung der Kirche, statt, im Nachhinein auch eine sehr denkwürdige Lokalität.

Wahnsinn trifft Wahnsinn! Das legendäre „Frühlingsfest“ auf dem Gelände der Berliner Erlöserkirche fand in den letzten Jahren der DDR mit immer stärkerer Punk-Beteiligung statt, das wurde dann ein richtiges Open Air. Anfangs war das ein rein kirchliches Event, ein kleines Fest, um den Frühling oder vielleicht auch den Herrgott zu begrüßen. Wobei man auch sagen muss, dass die Kirche da keineswegs nur aus Sympathie zu den Punks die Räume zur Verfügung stellte, das war halt deren Verständnis von Jugendarbeit allgemein und ein Protest gegen den Staat. Ich glaube auch nicht, dass da ein Bischof oder höherer kirchlicher Würdenträger so übermäßig begeistert bzw. involviert war, das regelten hauptsächlich die Pfarrer und Sozialdiakone.

Einer dieser Pfarrer wurde übrigens der letzte Verteidigungsminister der DDR, und zwei Sozialdiakone aus Berliner Gemeinden sind mittlerweile auch dick in der Politik zugange: als Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und auf lokaler Bezirksebene. Wer hätte das mal gedacht! Ganz wichtig aber war: Auf Kirchengelände hatte man vor den Bullen Ruhe! Zumindest bei Konzerten. Die haben zwar direkt davor und an den umliegenden S- und U-Bahnstationen herumgelungert und Leute kontrolliert und abgefangen, aber reingekommen sind sie nicht. Ich hab das zumindest nie erlebt.

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