Januar 26th, 2018

MUFF POTTER (#103, 12-2003 )

Posted in interview by Jan

Muff Potter  – Ready to take off

Heute wird gewonnen bitte, ist der letzte Satz auf der neuen Muff Potter CD. Einen passenderen Titel hätten sich die fünf Münsteraner für ihre neue Platte auch nicht einfallen lassen können. Wie oft in den letzten zehn Jahren gewonnen wurde, wissen sie wahrscheinlich schon gar nicht mehr, da Muff Potter einfach nie wie die absoluten Gewinnertypen auf mich wirkten. Ob mit der neuen Platte gewonnen wird, ist fast so, als würde man fragen :„Geht morgen die Sonne auf?“. Verdient hätten sie es auf jeden Fall nach zehnjährigem Bandbestehen, unzähligen Touren und Gigs und dem durch nichts zerstörbaren Glauben an ihre Band. War doch schon die „Bordsteinkantengeschichten“ für viele eine Offenbarung und ebenso auch ein Schlag ins Gesicht, katapultieren sie sich mit der neuen Platte direkt in eine Liga mit Bands wie Kettcar und Alkaline Trio, ohne dabei auch nur ansatzweise wie eine dieser Bands zu klingen oder gar zu kopieren. Muff Potter tanzen auf ihren eigenen Parties und bringen ihr eigenes Bier mit und schaffen es dabei, nie arrogant zu wirken. Eher teilen sie sogar noch ihr letztes Bier mit dir. Genauso klingt diese Platte, als teile man sich sein letztes Bier mit einem guten Freund, von dem man weiß, er macht dir noch mal Mut, wenn man selber denkt, es gäbe schon lange keinen Ausweg mehr.

Natürlich wollte ich auch wissen, was die Jungs so von ihrem neuen Album halten und wie lange die Party zu ihrem 10jährigen, zu der fast 200 Leute kamen, denn noch ging. Brahmi und Nagel waren so nett und stellten sich meinen Fragen bei ein paar Bieren auf ihrem Balkon und erzählten mir Geschichten über Losbudenbesitzer und gute Freunde.

Wie war denn eure Jubiläums-Party? Läßt man dann die vergangene Zeit noch mal vor seinem Auge abfahren, oder hakt man das eher ab und besinnt sich auf neue Ziele?

Nagel: Das war groß, ich war echt aufgeregt und die Party war unglaublich geil. Es waren aus zehn Jahren fast alle Leute da und ich hab echt gedacht „Wow, hab ich coole Freunde“.

Brahmi: Die Party wurde von ein paar Leuten für uns organisiert und am nächsten Morgen tanzten noch Leute, nachdem ich aufgewacht war.

Nagel: Für mich ist es halt komisch, wenn man darüber nachdenkt, dass es uns jetzt seit zehn Jahren gibt, weil es mir nicht so lange vorkommt. Die Band kommt mir auch nicht so alt vor; es ist eher so, dass ich denke, dass die „Bordsteinkantengeschichten“ unsere erste Platte war, und davor waren eine ganze Reihe Demos. Bei „Schrei wenn du brennst“ war die Herangehensweise eine andere und auch die Besetzung, und mit der „Bordsteinkantengeschichten“ hat sich dann halt viel geändert.

Meint ihr, es hat auch was damit zu tun, dass man älter wird?

Brahmi: Älter nicht unbedingt, vielleicht erfahrener.

Nagel: Man muß ja immer versuchen, jetzt eine Antwort zu finden, in der das Wort „Weiterentwickeln“ nicht vorkommt, aber wir haben uns einfach musikalisch mehr getraut. Damals bei „Schrei wenn du brennst“ haben wir uns musikalisch eher auf das Thema Punk limitiert. Irgendwann haben wir festgestellt, dass man gar keine Klavierausbildung braucht, um ein Klavier irgendwo einzusetzen. Für mich ging das damit einher, als ich damals die Beatles Anthology gelesen habe und erfuhr, wie die damals aufgenommen haben und einfach alles ausprobiert haben. Das hat mir echt die Augen geöffnet, und ich habe mich gefragt, warum mache ich das nicht auch. Ein Problem, das wohl viele Bands haben und weshalb sie auch schnell ihre Grenzen finden. Besonders im Bereich Punk sieht man es immer wieder.

Brahmi: Gerade da.

Bei euch lief die Entwicklung ja in eine ganz andere, ihr habt euch von Platte zu Platte einfach immer mehr von diesem Punkschema weg entwickelt.

Nagel: Das war aber eher unbewusst, da wir einfach eine Bauchband sind und nicht alles vorher durchplanen. Die Leute hören auch immer nur das Ergebnis von mehreren Jahren und sagen dann, dass die Sachen anders klingen als die Platte davor. Aber wir machen immer Musik und für uns ist es eher so ein Flow. Zwischen den „Bordsteinkantengeschichten“ und heute liegen dreieinhalb Jahre, und deswegen enthält sie auch die Musik der letzten Jahre. Ein Song wie „Molotow“, der war in meinem Kopf schon fertig, als Schredder noch nicht mal in der Band war. Vom Geist her sind wir eigentlich schon bei der nächsten Platte, und ich will auch mal eine Platte machen, die nur aus einer Zeit ist.

Trotzdem klingt die Platte doch voll rund. Man merkt nichts davon, dass da so viele Jahre dazwischen liegen.

Nagel: Sehe ich auch so. Aber das habe ich auch gemeint, wenn ich sage, wir sind eine Bauchband. Alles was wir bis jetzt gemacht haben und machen werden, wird nach Muff Potter klingen. Wir haben unseren Sound gefunden, und der prägt einfach alles. Würden wir eine Hip-Hop Platte machen, so würde selbst die noch nach Muff Potter klingen.

Die Songs der neuen Platte klingen aber auch kompakter und weniger rau als die alte Platte. Also hat sich da im Songwriting doch auch eine Menge getan, oder?

Nagel: Wir haben einfach die Dinge, die wir schon immer machen wollten, auf dieser Platte gemacht. Frauengesang und so Klavierkram finden wir auch alle geil, und diesmal haben wir es auch gemacht. Wir haben uns einfach den Luxus gegönnt, alle Songs vorab im Proberaum aufzunehmen, dann die Songs im Studio aufzunehmen und dann den ersten Mix noch mal zu bearbeiten. Dadurch, dass wir die Platte selber gemacht haben, konnten wir auch bestimmen, wann sie rauskommt und hatten keinen Druck.

Welchen Hintergrund hat denn das Kirmescover? Mein Gedanke war, dass es etwas mit der Feier zum 10jährigen zu tun hat.

Brahmi: Nö, mit dem Jubiläum hat das ganze nichts zu tun.

Nagel: Ich bin einfach totaler Kirmesfan, und ich stell mich auch stundenlang vor einen Elektrisierautomaten. Aber abgesehen davon bin ich auch Fan der damit verbundenen Ästhetik. Dieses Bunte, Kindheitsmäßige und Aufgeregte verbunden mit dieser Schäbigkeit und Schmutz.

Ist es denn die Münsteraner Kirmes?

Nagel: Die Fotos sind aus Münster und die Samples aus Rheine. Das Layout hat auf jeden Fall genau das getroffen, was mich an Kirmes so fasziniert.

Brahmi: Nirgendwo siehst du so geile fertige Leute wie auf der Kirmes, da sind manche Leute schon über 30 Jahre in ihrer Losbude.

Ich glaube, dass ich den nächsten Kirmesbesuch mal etwas anders sehen werde als nur laut und nervig. Nach mehrmaligen Hören eurer neuen Platte fiel mir ein Lied immer besonders auf, nämlich „Schwester im Rock“, welches auch gleichzeitig mein Hit der Platte ist. Welche Schwester ist denn damit gemeint?

Nagel: Wir haben vor zwei Jahren mal in Saarbrücken gespielt und sind dann total verkatert am nächsten Morgen zum Auto gelaufen und kamen dabei an einem Plattenladen vorbei. In diesem Plattenladen lief von Dover „Hey D.J“, und da singt sie halt über ihre Stellung als Frau in der Rockszene. Da habe ich gedacht, so etwas mache ich auch mal und schreibe dann unter den Text in Klammern „to the sisters in rock“. Ist halt mehr so ein Mutmachding.

Touren mit Hot Water Music und Leatherface sind doch mit Sicherheit auch nicht spurlos an euch vorbei gegangen, oder?

Nagel: Das war schon geil, genauso wie wir ein Jahr später eine Platte mit Orgel und Frauengesang machen, und jetzt bald soll unser Video im Fernsehen laufen. Wie geil ist das alles, wir haben uns nie gesagt, wir müssen bis zum nächsten Jahr das und das geschafft haben. Wir wollen alles außer Stillstand, es soll immer Bewegung da sein und wir wollen keine Band werden, die 10 Jahre lang immer nur dasselbe macht.

Ich könnte mir schon vorstellen, dass eine turbulente Zeit mit der neuen Platte noch vor euch liegt und da wohl noch ein paar Clubs abgegrast werden.

Brahmi: Hoffentlich.

Wie finanziert ihr denn eigentlich so euren Equipmentverschleiss?

Brahmi: Die meisten jobben, ich studiere so ein bisschen, aber nächstes Semester werde ich wohl auch nicht wirklich studieren.

Nagel: Wir machen einfach hauptsächlich Musik und lassen auch alles dafür stehen und liegen. Wenn einer sagt, wir sollen jetzt auf Tour gehen, dann sind wir bereit. Egal ob da gerade das Semester angefangen hat oder einer am Jobben ist. Sind wir allerdings hier und haben Pause, jobben alle soviel es geht. Dadurch, dass wir solange für die Platte gebraucht haben, sind wir total ausgehungert. Die letzte richtige Tour ist schon zwei Jahre her, und wir warten einfach nur darauf, dass diese Platte endlich rauskommt, damit wir auf Tour gehen können.

Was eure Texte ja oft ausmacht, ist dass sie hoffnungslos klingen, aber dem Zuhörer echt auch immer etwas Hoffnung geben. Seht ihr das auch so?

Nagel: Ja, das stimmt. Wenn ich Texte von Jets to Brazil lese, die eigentlich fast suizidnah klingen, dann denke ich mir, der empfindet manchmal genau so und lebt aber auch noch.

Was war denn so das Netteste, was du mal über deine Texte gehört hast?

Nagel: Wir kriegen echt viel Resonanz auf unsere Texte. Aber ich versuche das echt nicht so an mich heran zu lassen, weil manche kennen von mir total viel und ich kenne dann von denen gar nichts. Aber im Inneren freue ich mich natürlich.

Aber es gibt schon Themen, die sich bei euren Platten immer wiederholen. Wenn ich eure Songs höre, dann geht es da oft um den Fall oder den Aufprall.

Nagel: Wir sind halt einfach so ne Lo-Stop-Schade Band. Es handelt viel davon, dass man vor die Wand fährt, sich aufrappelt, wieder aufsteht und es beim nächsten Mal noch viel härter versucht, und genau das macht auch einfach Muff Potter aus. Auch bei den Texten sind wir eher aus dem Bauch, ich erschreck mich manchmal schon selbst vor dem, was ich da jetzt geschrieben habe.

Ist „Sudholt“ so eine Ansage an das Establishment?

Nagel: „Sudholt“ ist Teil einer Trilogie, es gibt drei Läden in der Innenstadt von Rheine, einer davon ist Sudholt.

Brahmi: Da konnte man unten Schulsachen und Zeitschriften kaufen, und oben gab es dann Unterwäsche und so Umhängetaschen.

Nagel: Ich kauf meine Unterwäsche bei Sudholt klingt doch pervers, oder? Das ganze resultiert einfach aus einem Faible für komische Wörter und Wortkreationen. Was mich einfach fasziniert hat, dass es in der Rheinenser Innenstadt Läden gibt, bei denen es gar nicht nötig ist, die zu verändern, weil die schon so total brutal klingen.

Lebt ihr als Musiker eigentlich so in eurer eigenen kleinen Welt?

Brahmi: Würde ich gern, so als Rock-Musiker im Opiumdunst des Rock`n Roll leben. Wir werden jeden Tag mit der Realität konfrontiert, weil wir auch nie wirklich Geld haben. Ich finde nicht, allerdings ändert sich das auf Tour. Wenn man so drei Wochen weg ist, dann lebt man schon so in seinem kleinen Siffbiotop.

Nagel: Wenn man Sonntags von einer kleinen Tour wiederkommt und dann am Montag wieder arbeiten geht, dann ist das schon etwas durcheinander. Wir hoffen halt, das wir viel mehr unterwegs sind, wenn die neue Platte rauskommt.

Ist es als Band mit deutschen Texten denn schwierig, über die Grenze hinaus auch erfolgreich zu sein?

Nagel: Englisch ist einfach universal. Als wir in England waren, haben das manche Leute auch gut gefunden, aber es ist halt nicht dieses „Wow, da fahr ich total drauf ab“ Ding. Es ärgert uns schon, das wir niemals dasselbe sein werden wie eine Band mit englischen Texten.

Schredder ist neu am Bass eingestiegen, hat sich da vom Sound noch was geändert?

Brahmi: Klar, das hat erst mal Zeit gekostet, aber dafür ist es jetzt auch total super.

Nagel: Schredder ist einfach ein total energiegeladener Typ, hat Feuer im Arsch und hat uns nach der „Bordsteinkantengeschichten“ einen ganz neuen Drive gegeben.

Brahmi: Das war so ein Punkt, an dem keiner von uns wirklich wusste, wie es weitergeht.

Nagel: Er hat einfach einen deutlichen Einfluß, weil er ein guter Musiker ist, und ich war und bin immer noch sehr beeindruckt.

Wie sieht denn die nächste Tour aus?

Nagel: Die wird 13 Tage dauern und wir werden so die Highlights abklappern.

Was waren denn damals und jetzt noch musikalische Helden für euch?

Nagel und Brahmi: Das sind immer noch Sex Pistols und Dead Kennedys, weil deren Texte in ihrer Einfachheit und Aussagekraft immer noch unübertroffen sind.

Dem kann ich mich anschließen, ich bedanke mich bei Nagel und Brahmi und wünsche Muff Potter das sie mit dem neuen Album wirklich gewinnen. Seht sie euch an wenn sie in eurer Stadt spielen und vielleicht laden sie euch auch auf ein Bier ein.

Interview: Sascha Klein

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