Mai 17th, 2019

MRR – Ende einer Ära (#195, 2019)

Posted in artikel by Jan

Das Ende vom Maximumrocknroll – das Ende einer Ära

Als unser Christian Mitte Januar eine E-Mail mit dem Screenshot der Ankündigung der Einstellung des gedruckten Maximumrocknroll schickte, dachte ich im ersten Moment, dass es sich um einen wohlvorbereiteten Aprilscherz handeln könnte. Später in der Nacht kam dann aber eine Mail von Allan, einem der „Board of Directors“ vom MRR, die die Meldung bestätigte, und nach einem sehr späten Telefonat war klar:  Das Maximumrocknroll wird das gedruckte Heft einstellen. Bammm.

Für mich stirbt das Heft damit sozusagen zum zweiten Mal. Das erste Mal war, als Tim Yohannan 1998 starb. Damit einher ging auch der Verlust seiner regulativen Funktion. Danach haben es die unterschiedlichen Koordinatoren dann noch bis ins jetzige Jahr 2019 weiter betrieben. Das ist eine mehr als respektable Leistung!

Ich erinnere mich, als ich irgendwann 1983 das allererste Mal in meinem Leben einen Brief aus den USA erhielt (von Dave Dictor, Sänger bei MDC). Damals waren in der gerollten Sendung eine Ausgabe vom MRR sowie eine vom Ripper. Es änderte sich vieles, und seitdem gehörte das genaue Studium des MRR jeden Monat für viele Jahre dazu – es war praktisch das Internet der damaligen Zeit und unentbehrlich zum Netzwerken. Auf jeden Fall war das MRR mit ein Vorbild (neben Ripper, Flipside und wie sie alle hießen) für uns, als wir 1986 das TRUST gründeten. Schon im Winter des gleichen Jahres reiste ich nach San Francisco, um die „Mutter aller Fanzines“ zu besuchen und am Heft mitzuarbeiten.

Kurz danach erschien dann auch das „Welcome to Cruise Country“, ein Photozine in Zusammenarbeit mit dem MRR – was in den späten Achtzigern bedeutete, dass wir das Heft für Europa druckten und das MRR eben für die USA. Seitdem verbindet die beiden Hefte eine Freundschaft, die mal mehr, mal weniger intensiv war, aber eben über drei Jahrzehnte Bestand hatte. Über die Jahre wohnte ich viele Wochen immer wieder im MRR HQ in der Clipper Street. Das Haus in der Clipper Street war ein „normales“ Haus im Stadtteil Castro, in dem Souterrain und Hochparterre vom MRR belegt war, der Komplex in der 330 Grove Street ist ein geschichtsträchtiges Gebäude im Fillmore, in dem schon in den 70er-Jahren verschiedene linke Underground-Publikationen – Leviathan, Dock of the Bay und The Movement – ihre Heimat hatten. Ebenso hatten hier die Anfänge der Queer-Bewegung in San Francisco ein Zuhause, hier wurde auch die Regenbogen-Fahne kreiert.

Nach dem Umzug in die Grove Street beschränkte sich unsere Verbindung dann in erster Linie auf den Austausch von Heften, die gegenseitige Rezension derselben, Tauschanzeigen, und das ein oder andere Interview zu Jubiläumsanlässen oder wenn es eben mal wieder eine neue Person als Koordinator gab. Und das soll jetzt vorbei sein? So sieht es aus. Einige werden jetzt analysieren, wie es dazu kommen konnte, wie es weitergeht und was das für die noch übrigbleibenden Fanzines bedeutet… Was ist passiert? Das MRR hatte zum Ende einfach viel zu wenig Hefte verkauft, um weiterhin die – für San Francisco Verhältnisse sehr günstige – aber dennoch mehrere Tausend Dollar hohe Miete zu bezahlen. Das lag nicht nur daran, dass die Menschen in den USA immer weniger gedruckte Publikationen lesen, sondern auch daran, dass es kein funktionierendes Vertriebssystem mehr gab, das die Hefte an entsprechende Verkaufsstellen brachte, um neue und alte Leser zu gewinnen oder zu behalten.

Dazu kam, dass die Koordinatoren immer schneller ausbrannten, bzw. einige in der jüngeren Vergangenheit den Focus des MRR aus den Augen verloren hatten. Nun darf man auch nicht vergessen, dass im MRR-Compound eine der größten Punk-Platten-Sammlungen der Welt archiviert ist – über 50.000 Vinyls sind das, und es werden täglich mehr. – Außerdem sind da noch zahllose Demo-Cassetten, Fanzines, Fotos und Flyer – Alles in allem war es ein nicht mehr funktionierendes System. An dem auf jeden Fall auch die unglaubliche Gentrifizierung der ganzen Gegend (Bay Area) mit Schuld hat.

Vielleicht ist das der Gang der Dinge, dass Fanzines in diesem Jahrzehnt vorläufig begraben werden? Man weiß es nicht, ich persönlich glaube das aber nicht, weil es nicht die Zukunft sein kann alles nur noch online zu lesen, das ist nicht gut für die Menschen. Wenn das MRR die „Mutter aller Fanzines“ war und jetzt gestorben ist (was ja nicht ganz stimmt, da es ja online irgendwie weitergeht), dann haben die noch übriggebliebenen „Kinder“ hoffentlich noch ein paar Jahre vor sich.

dolf

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