April 21st, 2010

MOENSTER RUSSLAND-TOURBERICHT TEIL 2 (#130, 06-2008)

Posted in artikel by jörg

Freitag, 24.03.2007: Minsk,BY – Moskau,RU

Gegen sieben Uhr morgens erreichen wir die weissrussich-russische Grenze, d.h. diverse Formulare, obskure Versicherungen und und und. Nach nur ca. einer Stunde und 100 weniger sind wir endlich in Russland. Vor uns liegen ca. 300 russische Kilometer, und die Schlaglöcher sind bemerkenswert. Wir kommen aber gut voran und koordinieren per SMS das Treffen mit Sasha von Selftitled Demo Records, der für die Konzerte in Russland, Lettland und Litauen sowie unsere Tour-CD verantwortlich ist. Er und seine Freundin Vera erwarten uns an einer Tankstelle an der Stadtgrenze von Moskau mit ihrem Bus und einem riesigen ö-Pappschild als Erkennungszeichen. Die beiden führen uns in die Wohnung von Kyrill, in der wir die nächsten beiden Nächte schlafen. Wir plaudern nett, relaxen und bekommen viel und lecker Essen. Coole Sache.

Bald müssen wir aber wieder auf den Weg zum Club machen. Und der hat es in sich. Wir müssen den 19 Millionen-Moloch Moskau halb umrunden und sind in der Rush Hour unterwegs. Nach knapp zwei Stunden auf vollen sechsspurigen Autobahnen sind wir endlich am Club. Wahnsinn. Wir kriegen aber auch schon einen ersten Eindruck von der Stadt. Wieder coole Stalin-Architektur und massenhaft Monumente und Denkmäler, die den Sieg der ruhmreichen Sowjet-Armee gegen Nazi-Deutschland vergegenwärtigt. Schon spannend, wie im real existierenden Sozialismus und der angeblichen Gleichheit aller so ein Heldenmythos aufgebaut wurde. An Geld und Raum fehlte es trotz aller Probleme jedenfalls nicht.

Der Club ist eine recht schicke Mischung aus Buchladen und Café. Ein Haufen schwarz gekleideter Securities passt auf, dass weder Lampen zu Bruch, noch Nazis in den Laden gehen. Sasha klärt uns auf, dass es in Russland kaum möglich ist, eindeutig antifaschistische Bands öffentlich spielen zu lassen, da die Gefahr eines Nazi-übergriffes zu gross ist. Krass. Aber weder wir, noch Sashas Band Ricochet oder die Teenage-Streetpunk-Band Hellohill sind bisher in Russland antifaschistisch in Erscheinung getreten, so dass dieses Konzert offiziell angekündigt werden konnte. Die Russen stehen den Weissrussen in Sachen Merch-Kauf in nichts nach.

Und Ricochet sind eine sehr coole, abwechslungsreiche und irgendwie russische Band. Die Stimmung ist gut, auch wir meistern unser erstes Russland-Konzert bestens. Ausserdem gab es massenhaft Gage. Cool. Selbst ein Teil der anfänglich sehr skeptischen Securities wird bei uns süssen Punks butterweich und bedankt sich mit den Worten: „Thanks for REAL music“ sowie einem Zettel mit einer eMail-Adresse und der Notiz: „If you ever have any problems in Moscow, contact me.“ Jetzt kann uns also nix mehr passieren. Die stundenlange Rückfahrt entpuppt sich aber als eher ungeil. Erstens kennt sich Kyrill in seiner Heimatstadt gar nicht aus, zweitens fahren uns die zum Weg weisen herbeigerufenen Sasha und Vera eine fette Beule in unseren uns ihren Van. Drittens kann Kyrill nicht vernünftig den Weg zeigen (wenn er ihn denn mal weiss), und viertens gibt es keinen bewachten Parkplatz in Hausnähe, so dass ein extrem genervter Marek beschliesst im Bus zu pennen. Schwamm drüber.

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Samstag, 25.03.2007: Moskau,RU

Am nächsten Tag stehen Matze und ich rechtzeitig auf, kochen Kaffee und wollen eigentlich so früh wie möglich los, aber die Trägheit der Masse sowie Sashas Zuspätkommen führen letztendlich dazu, dass ein Teil der Crew beschliesst, mit Kyrill und der U-Bahn vorzufahren und ein anderer Teil auf Sasha wartet und den Bus schon mal zum heutigen Konzertort fährt. Wir reffen uns auf dem Roten Platz wieder – wie geil ist das denn bitte? Kyrill geniesst es offensichtlich, den Westeuropäern „seine“ Stadt zu zeigen und labert ohne Punkt und Komma. Aber Moskau ist geil und ich bin Fan. Die Altstadt ist schon ein ganz schöner Touri-Kitsch, aber der Gang am Kreml vorbei auf den Roten Platz und der Blick auf die fast schon surreale St. Basil- Kathedrale sind wirklich ergreifend.

Das Lenin-Mausoleum hat leider geschlossen. Wir wandern noch etwas herum, wundern uns über perfekte Lenin- und Marx-Lookalikes, sowie Affen und Adler, die an Ketten als Touristenattraktion auf der Strasse präsentiert werden und fahren mit der Metro zum Konzertort, der heutigen „geheimen“ Show. Wohngebiet. Hinterhof . Keller. Die fleissigen Russen haben unseren Bus bereits ausgeräumt, so dass wir nur noch aufbauen müssen. Geiles Essen (Teigfladen von der georgischen Grossmutter eines HC-Kids) sowie erschreckend nach Huhn schmeckende Sandwiches). Ausser uns spielen noch drei Bands, die alle sehr engagiert wirken (lange Ansagen).

Der nervtötende Sound und die ohrenbetäubend lauten Feedbacks sind allerdings so grausam, dass ich mir keine Band länger als zwei Lieder angucken kann. Der Kellerraum ist rappelvoll, und die Moskauer HC-Community hat Spass. Das Konzert heute ist zumindest für mich eine der besten Mönster-Shows ever. Superviel Energie, Schweiss, Spass und ein cooles Publikum, dass ausnahmsweise nicht nur aus Typen besteht. Fast schon wirkt alles zu perfekt. Erstaunlicherweise bleibt es aber so. Danke Moskau.

Nach der Show helfen die fleissigen Russen, die Matze liebevoll „Praktikanten“ nennt beim Einladen, und wir überlegen uns, dass es cool wäre einen Bandpraktikanten zu haben, der sich ums leidige schleppen kümmert. Gibt`s bestimmt Zuschüsse vom Jobcenter für. Anschliessend fahren wir noch auf einen Hügel, von dem aus wir einen coolen Blick über das nächtliche Moskau haben. Wieder zu Hause bei Kyrill gehen wir noch im 24h-Supermarkt shoppen und sind erstaunt über die Vielzahl veganer Wurst- und Majo-Produkte, die wir der Fastenzeit der strenggläubigen orthodoxen Christen zu verdanken haben. Mit vollen Tüten kehren wir zurück in die Wohnung, kochen etwas und plaudern. Den Bus parkten wir diesmal bewacht ganz in der Nähe, so dass alle gut und lange schlafen können.

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Sonntag, 26.03.2007: Moskau,RU – St. Petersburg,RU

Heute ist Reisetag nach St. Petersburg. Sasha und Freundin Vera begleiten uns. Doch zuerst noch ausgiebig frühstücken, etwas aushängen und die neue Kaiser Chiefs für die Fahrt brennen. Grossartige CD! Um halb vier geht es endlich (viel zu spät) los. Vor uns liegen 700 russische Kilometer und die Fahrt zieht sich, wobei die Strassenqualität zwischen unglaublich gut und katastrophal schwankt. Zu allem übel erleidet unser kleiner Van noch seinen zweiten Schaden. Ein Steinchen schlägt so unglücklich gegen die Windschutzscheibe, dass sie splittert. Die Risse werden sich in den nächsten Tagen noch verlängern, aber dazu später mehr.

Glücklicherweise können wir aber dennoch weiterfahren. Die Fahrt ist bis auf die völlig zugeschissenen Plumpsklos auf den russischen Tankstellen ansonsten unspektakulär. Gegen 4 Uhr nachts erreichen wir völlig entkräftet St. Petersburg. Veranstalter Misha erwartet uns freundlicherweise am Stadtrand (ob er die ganze Nacht da auf uns gewartet hat, wissen wir nicht) und leitet uns zu seiner Wohung. St. Petersburg ist riesig, aber auch extrem beeindruckend. Wir passieren die Aurora, schicke Brücken und den fast schon kitschigen und erleuchteten Winterpalast des Zaren. Wow!

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Montag, 26.03.2007: St. Petersburg, RU

Nach ca. 2 weiteren Stunden Fahrt erreichen wir die 1-Zimmer-Wohnung, in der wir noch einige Stunden schlafen können. Mit Sasha, Vera und Misha im Schlepptau ist die Bude mehr als voll. Ich schlafe im Flur auf dem Boden und schnarche zu laut. Irgendwann nachmittags geht`s los in Richtung Club. Wir laden aus und ziehen von da aus noch mal durch die City. Am Tage ist St. Petersburg zwar sehr busy, aber immer noch beeindruckend schön. Erstaunlich, dass die Stadt erst vor 300 Jahren gegründet wurde da hat es die Zarenfamilie ganz schön krachen lassen.

Durch die vielen Paläste und Prunkbauten wirkt St. Petersburg mehr wie ein riesiges Museum, aber der 2 Stunden Spaziergang ist in jeder Hinsicht ein Highlight. Mit Misha sprechen wir noch über die kleine, aber recht gespaltene Petersburger Punk/HC-Szene und die massiven Probleme mit Neonazis, die vor 2 Jahren den 19jährigen Punk und Antifaschisten Tibur nach einer Food Not Bombs-Aktion auf offener Strasse ermordet haben. Krasser Scheiss, der Tiburs Freunden natürlich noch in den Knochen steckt

Zurück in dem recht professionellen Club bauen wir unseren Kram auf und machen einen Soundcheck. Vor uns spielt ein kleiner HC-Junge, der von seinem Kumpel auf Gitarre begleitet so eine Art Folk macht und die St. Petersburger D-Beat Dampfwalze Distress, die stumpfer nicht sein können, aber ordentlich Power haben. Viele Leute sind nicht da, zudem ist unser Auftritt durch einen bandinternen Streit mehr als durchwachsen. Unsere Stimmung ist zwar im Arsch, aber die anwesenden Russen scheint`s nicht zu stören. Auch gut.

Nachdem Konzert gibt es lausiges und lauwarmes Essen bestehend aus Kartoffeln, Erbsen, 2 Scheibchen Gurken und 3 Scheiben Tomate. Ausserdem labert uns ein Typ mit Cowboy-Hut voll, der einige Jahre in Neuseeland gelebt hat. Der Typ ist hammervoll, spricht Englisch mit russischem Akzent und neuseeländischem Dialekt und fragt uns permanent, ob wir schwul sind und nach Russland gekommen sind, „to get fucked up the arse“ dabei hängt im seine Brille so schief im Gesicht, dass er so lächerlich aussieht, dass wir ihm nicht mal böse sein können. Wir laden schnell ein, verabschieden uns von unseren neuen Freunden Sasha und Vera und werden von Misha noch zum Stadtrand gebracht. Von dort aus geht`s ab Richtung Grenze, die wir vor Ablauf unserer Visa um Mitternacht erreichen müssen bzw. sollten.

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Dienstag, 27.03.2007: Russisch-estnische Grenze – Tallinn,EST

Was in dieser Nacht bzw. am folgenden Tag folgt, schlägt die 7 Stunden Wartezeit an der polnisch-weisrussischen Grenze um Längen. Um ca. 2 Uhr nachts erreichen wir frohen Mutes die Grenze. Sasha hat uns versichert, dass es bisher bei keiner Band ein Problem war, wenn das Visum bei der Ausreise um ein paar Stunden überschritten wurde. Wir erzählen der Nachtschicht an der Grenze noch, dass wir uns verfahren haben und lassen unsere Papiere und unseren Bus ausgiebig checken. Nachdem uns die Pässe abgenommen wurden und wir weitere 2 Stunden warten mussten, haben wir auch langsam gemerkt, dass das alles nicht so einfach wird.

Eine erstaunlich freundliche Grenzbeamtin erklärt uns dann, dass unsere Visa abgelaufen sind und wir also nicht ausreisen dürfen, sondern stattdessen in den nächsten Ort zurückfahren müssen, um bei der Miliz unsere Visa für die Ausreise verlängern zu lassen. Wir flehen und betteln, erzählen wieder, dass wir uns verfahren haben und doch nur raus wollen, aber keine Chance. Um 4 Uhr nachts fahren wir also zu dieser eigenartigen Miliz-Station, die (wie sollte es auch anders sein) zu hatte. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als uns mit laufendem Motor (es ist saukalt) auf einen Feldweg zu stellen und zu warten, bis die Leute da anfangen zu warten.

Mehr als 2-3 Stunden Schlaf sind so oder so nicht drin und um 8 Uhr versuchen wir unser Glück wieder bei der Miliz-Station, wo wir noch mal weg geschickt und auf halb 10 vertröstet werden. Ab dann übernehmen Marek und Ajka in gebrochenem Russisch die Verhandlungen und kommen 2 Stunden später mit der Information zurück, dass 1. in der Milizstation kein Strom ist und die für unsere Visa-Verlängerung benötigten Computer nicht funktionieren und dass wir 2. trotzdem Passfotos machen und in irgendeiner obskuren Bank irgendwelche Gebühren zahlen müssen. Machen wir doch gern. Zudem ist das für 320 Rubel pro Person (ca. 8 Euro) ein recht günstiger Spass.

Also ab ins City-Center zu einem extrem komisch aussehenden Fotografen mit roten Afro und goldenen Schneidezähnen, dann zur Bank, dann wieder zum Fotografen und Bilder abholen und dann ab zur Miliz, wo gerade Mittagspause gemacht wird. Also wieder warten. Eine Stunde später ist der Laden wieder auf, wir geben brav alles ab und werden bis kurz vor 17 Uhr (Dienstschluss) wieder weggeschickt. Also noch mal zum lokalen Markt und Vodka und billige Kippen kaufen Zigarettenpreise in Russland sind echt unglaublich. Ein Packung einheimischer Kippen kostet sage und schreibe 20 cent!

Bei den Preisen überlege ich kurz anzufangen zu rauchen, lasse es dann aber doch, Wir beschliessen schon gegen 16 Uhr wieder zur Miliz zu fahren und hoffen unsere neuen Visa eher zu bekommen. Immerhin haben wir ja noch ein Konzert in Tallinn zu spielen. Aber letztlich müssen wir doch bis halb 6 warten, kriegen endlich unsere bescheuerten Visa und rasen so schnell es die knietiefen Schlaglöcher zulassen zur Grenze. Aus Russland raus geht es jetzt recht schnell (1  h), aber die Einreise nach Europa hat es dann noch mal in sich. Die Esten lassen uns den kompletten Bus ausräumen und wenn nicht der Reisebus neben uns einige Tonnen illegaler Kippen in den Sitzen versteckt hätte, wären unsere illegal importierten Tour-CDs bestimmt noch ein Problem geworden.

So schickten uns die Grenzbeamten aber schnell weg und stürzten sich auf den Reisebus. Also wieder schnell einladen und ab nach Tallinn. Nach 200 km Fahrt warten Veranstalter XskotX und Freundin Melanie, die uns die nächsten 2 Tage begleiten wird, schon auf uns. Gegen halb zehn sind wir dann an der Reggae-Bar, laden aus und schwupps spielt schon die lokale Pop-Punk-Grunge-Rockband vor den ca. 30 noch anwesenden Esten. Kurz danach wir. Irgendwie macht das Konzert dann doch voll Spass. Wir reden viel, tanzen mit den besoffenen Esten und sind erstaunt, dass sich der lahme Haufen dann doch noch bewegt.

XskotX ist ein zwar ein netter Typ, dem man es hoch anrechnen muss, dass er in der Punk-Wüste Estland Konzerte veranstaltet und ein Zine herausbringt, aber in Sachen Bandbetreuung muss er noch einiges lernen. Nach dieser ganzen Grenzscheisse (für die er natürlich nichts kann) freuen wir uns eigentlich auf etwas zu essen und einen halbwegs guten Schlafplatz. Beides bietet uns XskotX leider nicht. Essen gab es gar keins und bei ihm zu Hause hätten wir spätestens um acht das Haus verlassen müssen. Unmöglich!

Wir entscheiden uns die Tourkasse zu plündern und mieten uns in einem Hostel ein, dass logischerweise mehr kostet als die 40 Euro Gage, die wir bekommen haben. Auch egal. XskotX hat jetzt ein schlechtes Gewissen und sucht bei sich zu Hause nach Essbarem und bringt es uns. So kommen wir nachts noch in den „Genuss“ von Kartoffelbrei auf Weissbrot. Immerhin. Als wir bei der Verabschiedung von ihm, dann noch erfahren, dass XskotX selbst um 3 Uhr nachts wieder aufstehen muss, um vor Uni-Beginn Zeitungen auszutragen, haben wir doch Mitleid und schämen uns fast Essen und Schlafplatz verlangt zu haben. Jedenfalls schlafen wir endlich mal alle gut, können duschen.

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Mittwoch, 28.03.2007: Tallinn,EST – Riga,LET

Morgens kredenzt uns die nette Herbergsmutter Schinkenbrote und Instantkaffee. Zumindest letzteres nehmen wir gern. Wir beschliessen uns noch die mittelalterliche und touristisch gut erschlossene Altstadt von Tallinn anzuschauen. Gegen 2 Uhr mittags machen wir uns auf Richtung Riga. Die Fahrt macht richtig Spass und führt uns teils entlang der schicken Küste, wo wir einen kurzen Stopp am Wasser machen. Die estnisch-lettische Grenze passieren wir sogar ohne auszuladen. Dank einer guten Wegbeschreibung und einer kleinen Stadtkarte kommen wir recht pünktlich am Dirty Deal Café in Riga an. Das Wetter ist saugeil und es hängen schon einige Kids vorm Club ab.

Das Dirty Deal befindet sich im Hafen von Riga, wo einige Gebäude gerade allen möglichen Kunstschaffenden zur Verfügung gestellt werden, so dass sich in der Gegend einige coole Locations befinden. Hintergrund der Sache ist natürlich die ansonsten unattraktive Gegend für finanzkräftigere Investoren interessant zu machen. Aber die so unterstützte Zwischen-Nutzung hat einige Vorteile. Schade, dass es nur eine Frage der Zeit ist bis hier kommerzielle Kultur zu finden ist.

Aber noch ist alles schön und wir sind begeistert vom Club und machen noch einige Poser-Fotos mit überdimensionalen Ankern vorm Sonnenuntergang. Als Veranstalter Viesti mit einem riesigen Topf Essen um die Ecke kommt, stürzen wir uns sofort drauf. Selten hat gekochtes Essen so gut geschmeckt wie nach den letzten 3 Tagen, die wir quasi nur von trocken Brot ernährt haben. Ausser uns spielen noch Sildard und Kriegopfer, die beide keinen Bass haben und mir beide nicht gefallen. Zudem ist das lettische Publikum extrem reserviert, so dass wir alle Motivationskräfte aufbringen müssen, um wenigstens ein paar Kinnbartträger zum Durchdrehen zu bringen. Mit Witzchen, Einbeziehen des ganzen Raumes und einigen kleinen Umbauten gelingt uns das aber ganz gut und so haben wir am Ende einen ganz ordentlichen Circle Pit um uns herum. Macht Spass, auch wenn uns die wilden Kerle ab und an unsere Kabel aus den Verstärkern reissen.

Danach geht es in Viestis Wohnung, wo Matratzen auf uns warten. Vorher gibt es allerdings noch Busunglück Nr. 3, denn plötzlich hängt die Beifahrertür nur noch an einem von zwei Scharnieren. Marek, dem der Bus zusammen mit Ajka gehört, verdächtig Iffi, der fast immer auf dem Beifahrersitz sitzt, dass er falsch eingestiegen ist und somit Schuld an der Sache ist. Die Stimmung droht zu eskalieren Iffi ist besoffen und beschimpft uns alle, bevor er mit Matze noch in die 24h-Bar um die Ecke geht. Mareks Zorn legt sich auch wieder etwas.

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Donnerstag, 29.03.2007: Riga,LET – Vilnius,LIT

Am nächsten Morgen ist alles wieder gut und nach üppigem und leckerem Frühstück bringen Viesti und ich Melanie zum Flughafenbus und unterhalten uns danach noch lange über Lettlands Musikszene. Zurück bei den anderen fahren wir zu Rigas bestem Schrottplatz, um eine neue Windschutzscheibe, ein Beifahrertürscharnier und ein linkes Rücklicht zu kaufen. leider ohne Erfolg.

Also auf ins nächste Land. Heute steht Litauens Hauptstadt Vilnius auf unserem Tourplan. Fahrt und Grenze sind unspektakulär, das Finden des Clubs gestaltet sich da schon als schwieriger. Aber auch das meistern wir. Der Club ist ein Keller und der einzige DIY-Laden in Vilnius, in dem Kids mehr oder weniger legal Konzerte veranstalten. Unser Ansprechpartner Dennis ist ein netter und engagierter Typ, der in seiner Wohnung noch den lokalen Infoshop beherbergt. Litauens politische DIY-Punk-Szene scheint sehr organisiert und aktiv, so finden neben Konzerten auch regelmässig Infoveranstaltungen und Demonstrationen statt.

Das Konzert heute ist mit der lettischen Band Tesa, die aber spät kommt, so dass wir als erstes spielen. Stimmung ist super und Tesa nach uns bringen bombastischen, (meist) instrumentalen Rock. Nicht mein Ding, aber nette Leute. Nach dem Konzert werden noch alle Spuren desselben beseitigt, falls der Vermieter zufällig vorbeikommt. Verrückt.

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Freitag, 30.03.2007: Vilnius,LIT – Olsztyn,PL

Nach einer geruhsamen Nacht in dem Infoshop machen wir uns zu Fuss auf zu unserem bewachten Parkplatz, haben da eine Meinungsverschiedenheit mit dem Wächter, der uns abgezogen hat. Auch egal. Die Fahrt ist lang und zieht sich, aber zum Glück gewinnen wir dank Zeitverschiebung zwischen Litauen und Polen eine Stunde, so dass letztlich doch alles easy ist. Die Masuren im Nordosten Polens sind wirklich eine traumhaft schöne Gegend. Seen ohne Ende, dazu hügelige Waldlandschaften in strahlendem Sonnenschein. Obendrein noch massenhaft Störche. Ich sollte mal zum Urlaub hierher kommen. Auch das mir bisher völlig unbekannte Olsztyn wirkt malerisch.

Dass es gerade in dieser kleinen Unistadt ein Anarcho-Punk-Café namens Molotov Café gibt erstaunt mich doch etwas. Vorm Konzert werden wir interviewt und während die 1. Band spielt ziehen einige der massenhaft anwesenden Antifa-Hooligans los, weil sie gehört haben, dass ein paar Faschos in der Stadt sind. Kurze Zeit später sind sie wieder da und erzählen, dass sie die Nazis in einen Hinterhalt gelockt haben und ordentlich mit Fahrradketten vermöbelt haben.

Vor uns spielen 4.04 und die Edelweisspiraten, beide aus Olsztyn, beide recht brutaler Crustcore und beide mit Sängerinnen. Der Laden ist gut gefüllt und Matze & ich haben das Gefühl in Polen etwas angesagt zu sein. Vielleicht hat das Interview im polnischen Plastic Bomb-Pendant Pasasizer noch mal ein paar mehr Kids auf uns aufmerksam gemacht. Unser Konzert macht viel Spass, auch wenn die Antifa-Skinhead-Hooligans den Dancefloor dominieren. Durch ein paar freche Sprüche unsererseits und ein paar Blumen wird die Stimmung dann noch peaciger und hippie-mässiger. Völlig durchgeschwitzt beenden wir unser vorletztes Tourkonzert.

Zu unserer Freude geht es nahtlos in eine Punk-Ska-Reggae-Party über, auf der wir ausgiebig unsere Tanzbeine schwingen. Anschliessend geht es zur Edelweisspiraten-Sängerin zum Pennen, wo wir noch einen trashigen Michael J. Fox-Film in klassisch polnischer Synchronisation (ein Typ mit extrem monotoner Stimme liest alle Dialoge mit, während im Hintergrund noch der Originalton zu hören ist) schauen.

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Samstag, 31.03.2007: Olsztyn,PL – Gdnyia,PL

Der Samstag beginnt sehr früh mit einem Anruf von unserem Labelboss Filip, der in Danzig eine neue Windschutzscheibe für uns organisieren konnte. Also schnell aufstehen, laden und ab on the road. Die Fahrt zieht sich mal wieder, aber halbwegs pünktlich kommen wir in der Hinterhof-Windschutzscheiben-Werkstatt an, die unsere Scheibe für lächerliche 250Zloty (ca. 60 Euro) ersetzen wird. Da das Ganze ca. 3 Stunden dauert laufen wir noch einmal an den Strand vom Danziger Seebad Sopot und trinken einen Kaffee. Meer ist toll und wir bekommen sogar etwas Farbe im Gesicht. Mit neuer Scheibe im Bus geht es zur fiesen Plattenbau-Crust-Wohnung unseres Kumpels Pawel (aka Obersturmbandführer Wolf), wo er und Freundin Aga uns mit leckerem Essen und gutem Kaffee versorgen. Hier fühlen wir uns schon fast zu hause.

Dann aber ab in den Club, wo wir Matze treffen, der ab mittags seine Eltern, die gerade in Danzig sind, besucht hatte. Ausserdem hat er sich in der Hausbar seines Cousins mit Whiskey volllaufen lassen. Da er aber noch stehen kann, wird es mit dem Spielen schon klappen. Der Club füllt sich gut und vor uns spielt die lokale Old School Hardcore Band No Reason Why, die nicht schlecht sind.

Vor allem entpuppen sich die jungen Kids als echtes Mönster-Fans, die bei unserer Show brav mitsingen. überhaupt kommen wir uns bei unserem letzten Konzert wie eine echte Hardcore-Band vor (es gibt Sing Alongs, Stagediving und Moshing). Eigenartig, denn bei unserem letzten Konzert in der Gegend waren fast nur Crustpunks da. Die Show ist ein würdiger Abschluss der Tour. Wir haben Riesenspass, die Kids haben durch und anschliessend geht es in eine coole 80er-Party über. Am Ende wird noch Europes Final Countdown gespielt und wir haben das Gefühl, dass alles passt. Nachts fahren wir noch zum Tesco, um etwas zu shoppen und anschliessend zu unseren Freunden Filip und Magda zu Pennen.

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Sonntag, 01.04.2007: Gdnyia,PL – Berlin,D

Morgens gibt es grandioses Frühstück und noch einen netten Spaziergang am See, bevor wir uns Richtung Berlin aufmachen. Die Fahrt verläuft problemlos und spät abends ist der ganze Spass nach Ausladen des Busses vorbei. Was bleibt sind unvergessliche Erinnerungen.

Danke an alle, die diese Tour möglich gemacht haben.

Seit einigen Tagen ist Mönsters neuer Release „Some Songs & a film“ erschienen. Neben einer CD mit allen Vinyl-only-Songs gibt es eine DVD mit unserem Tourtagebuch genau dieser Tour. Weitere Infos: www.myspace.com/monsterberlin

 

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