April 21st, 2010

MOENSTER RUSSLAND-TOURBERICHT TEIL 1 (#129, 04-2008)

Posted in artikel by jörg

On the road:
Marek (Bass)
Iffi (Schlagzeug)
Matze (Gitarre)
Ajka (Fahrerin)
Kath (Merch)
Ich (Gitarre, Gesang)

Wahrscheinlich geht das nicht nur uns so, aber der Anfang von Touren verschiebt sich immer. Dabei ist diese Tour (gezwungenermassen) die best geplanteste, die wir je machen. Das hängt damit zusammen, dass wir nicht nur in unsere zweite Heimat Polen, sondern mit Weissrussland und Russland auch zwei Länder bereisen für die man nicht nur Visa braucht, sondern auch „offizielle“ Einladungen.

So sind wir also schon Wochen vor Tourbeginn mit weitaus mehr beschäftigt als „nur“ Tour buchen. Weissrussland erscheint noch human und wir brauchen für die drei Tage Aufenthalt keine offizielle Einladung eines weissrussischen Staatsbürgers, sondern müssen nur eine Adresse angeben und einen mehrseitigen und erstaunlich detaillierten Visumsantrag ausfüllen. Zusätzlich noch 65.- Eur Gebühren. Und nach einer Woche ist das Visa im Reisepass!

Ganz anders Russland. Ohne die richtigen Papiere läuft nix. Unser Freund Sasha von S/T-Demo-Records hat sich aber im Vorfeld (wenn auch recht kurzfristig) um alles gekümmert und mit weiteren 45.- Eur Gebühren und einer weiteren Woche Wartezeit, sitzen wir jetzt mit Visa für die beiden Länder im Pass im total vollgepackten Bus gen Wroclaw/Polen. Trotz allem hab ich das Gefühl, dass noch einiges auf uns zu kommen wird und mein Gefühl trügt mich leider nicht. Doch dazu später mehr.

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Freitag, 16. März 2007: Berlin, DE – Wroclaw, PL

Recht frohen Mutes sitzen wir in der Freitag-Nachmittag-Rush-Hour von Berlin und bis zur Stadtgrenze von Berlin brauchen wir ca. genau so lange, wie für die restlichen 400 km nach Wroclaw, so dass wir viel zu spät ankommen und von unserem alten Kumpel und Konzertveranstalter Hubert erstmal gerügt werden. Kennt er aber schon von uns. Also alles halb so wild. THE NOW-DENIAL, die uns die nächsten 4 Tage in Polen begleiten, sind bereits am Cut.

Ausser den beiden deutschen HC-Dampfwalzen spielt die polnische Screamo-Band BONITO an diesem Abend noch ihr letztes Konzert. NOW-DENIALs erstes Polen-Konzert ever rockt wie Sau und wir haben danach einen sehr schweren Stand. Zudem kommen wir bei diesem ersten Konzert noch nicht so richtig in Schwung. Schade. Wir haben trotzdem Spass und die ca. 80 Zuschauer sind ganz zufrieden. Immerhin hat ja eine der ganzen Bands ein sehr gutes Konzert abgegeben.

Nach dem Spielen hängen wir mit den NOW DENIAL-Boys aus, Hubert interviewt uns für seine Radiosendung und die vorwiegend schwarz-gekleideten und gedreadlockten polnischen Crustpunks trinken mit der Sauffraktion unserer Bands diverse Alkoholika in der Bar des autonomen Zentrums. Die Edger entziehen sich dieser Idylle recht früh und verziehen sich in die (leider komplett unbeheizten) Schlafräume.

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Samstag, 17. März 2007: Wroclaw, PL – Rzeszow, PL

Früh aufstehen! Vor uns liegt eine gar nicht so weite, aber extrem lange Fahrt ins südostpolnische Rzeszow. Die Nacht war zu kalt und zu kurz. Nach dem Ausladen steht unser tägliches Real-Life-Tetris an: Das Beladen des Vans mit Fullstack-Gitarren-Backline, 8×10″-Ampeg-Box, 4 Gitarren, Schlagzeug, Tonnen an Merch und und und. Entlohnt werden wir mit einem üppigen und leckerem Frühstück, dass dem sehr guten vokü-esquen Abendessen des Vortags in nichts nachsteht.

On the road. Bis Krakau gute Autobahn. Pommes- bzw. Piroggi-Pause in einer Raststätte, die sich wenig von (ost-)deutschen unterscheidet. Die letzten 170 km sind Landstrasse und eindeutig befinden wir uns in Gegenden, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben. Ich habe das Gefühl, dass es nicht nur am zugegebenermassen schlechten Wetter liegt, dass hier alles grau und leblos wirkt. Kompensiert wird das anscheinend durch das vermehrte Aufstellen von Kruzifixen und den Bau von Kirchen um der streng katholischen polnischen Landbevölkerung zumindest zu vermitteln, dass es nach dem Tod besser wird. Kann man den Leuten hier nur wünschen.

Die Wegbeschreibung in Rzeszow ist eher so semigut und so kommen wir erst nach einigen Telefonaten mit Veranstalter Gustav im Absinth-Klub an. Netter, recht schicker kleiner Keller-Club mit kleinem Konzertraum. Ausladen. Essen – gut, aber zu wenig. Drinks müssen wir selbst zahlen. Naja. Eine Gesangsanlage ist noch nicht da, kommt irgendwann, muss aber dann erst noch von Marek und seinen Zauberwerkzeugkasten zusammengebastelt werden. Da wir zum Teil eh schon auf der „Bühne“ sind, beschliessen wir auch als erstes zu spielen.

Der Raum ist gut gefüllt. Wir sind ganz ok und es gibt einige polnische Provinz-Pogotänzer, über die ich während des Spielens wirklich lachen muss. Nach uns spielen ROMEO MUST DIE. Deren Mischung aus Grind-, Hard- und Crustcore ist zwar ganz gut, aber geht mir schon wegen der Lautstärke ganz schön auf die Nerven! Und das schon am zweiten Tourtag! Wie soll das bloss weitergehen. NOW-DENIAL gucke ich mir aus genau diesem Grund kaum an und verziehe mich lieber etwas in den zu kalten, aber dafür ruhigen Bus.

Das Konzert ist früh zu Ende und wir können die Sachen bis zum nächsten Tag im Absinth-Klub lassen. Auch gut. Die Sauffraktion gibt sich ganz schön die Kante. Matze, gebürtiger Pole, unterhält sich mit jungen Punks mit schlechten Zähnen und wir plaudern noch etwas mit dem gebrochen deutsch sprechenden Gustav über sein Arbeitslosenleben und seinen Job als Vinyl-DJ. Ich bin dann noch etwas geschockt, dass Gustl, den ich locker auf 40 geschätzt hätte, jünger als ich ist. Netter Kerl aber.

Spät geht es für die beiden deutschen Bands in zwei winzigkleine Einzimmerwohnungen in recht zentralen Plattenbausiedlungen. Die „MöNSTER-Wohnung“ beherbergt neben uns noch den Gastgeber, seine zwei Hunde und eine Katze. Das Tetris-mässige Packen des Busses kommt uns nun auch bei der Schlafplatzeinteilung zugute und kein qm des Zimmers bleibt ungenutzt.

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Sonntag, 18.3. 2007: Rzeszow, PL – Lublin, PL

Wir schlafen und duschen gut. Anschliessend geht es zum gemeinsamen Frühstück mit NOW-DENIAL in Gustavs Einzimmer-Wohnung. Wahnsinn. Knapp 20 Leute auf 12qm. Gut gesättigt machen wir uns auf dem Weg zum Absinth-Klub und laden ein.

Anschliessend geht es noch in einen extra für uns geöffneten Hinterhof-Plattenladen, wo Plattennerd Iffi massenhaft polnische New Wave-Scheiben der frühen 80er einkauft und wir noch zwei Plattenspieler und einen Verstärker für die weissrussischen Punks besorgen. Beides ist dort extrem schwer zu bekommen und wir freuen uns hier noch ein paar billige Exemplare zu bekommen. Die selbstgemalten South-Park- und Tribal-Shirts und die Reggae-Amulette lassen wir im Laden. So im Nachhinein wäre das doch ein ganz nettes Souvenir gewesen.

Die Fahrt nach Lublin ist nicht weit. Dort angekommen wird mir von der zweiten Rückbank aus bewusst, dass nicht unbedingt die Wegbeschreibungen schlecht sind, sondern Beifahrer und Kartenleser Marek ab und an Probleme mit rechts und links hat. Macht nichts, denn irgendwie kommen wir ja dann doch immer an. NOW-DENIAL, die uns aufgrund nur polnischer Wegbeschreibungen hinterfahren, haben sich inzwischen angewöhnt nicht sofort auf das Blinken unseres Vans zu reagieren. Clevere Typen.

Das Konzert findet in einer leer stehenden „Villa“ statt, die sich Tektura nennt. Draussen regnet es und drinnen riecht es extrem nach Chlor. Die Deutschen sind wenig erfreut, dass auf einen Sonntag 6 Bands spielen, aber Veranstalter Michal lässt MöNSTER & NOW-DENIAL als 3. und 4. spielen. Immerhin. Gut 160 Leute zwängen sich in den Raum und es gibt gutes und viel Essen. Die polnische Abiturienten-Poppunk-Band FRESH PANTS weiss trotz „Karma Chameleon“-Cover nicht zu überzeugen. Die Ex-SEHC-Band CRUSH ALL FAKE (!) spielt anschliessend ihr Abschiedskonzert. Auch ok. Anschliessend wir.

Und endlich haben wir anscheinend zu unserer alten Form gefunden und spielen (vielleicht auch dank umgestellter Setlist) ein grandioses Konzert mit bombiger Publikumsresonanz, viel Schweiss und aufgeplatzten Blasen. Es geht echt total ab. Insgeheim denken wir, dass NOW-DENIAL es nach uns total schwer haben. Ham se aber nicht, sondern rocken wieder wie Sau Wahnsinn. Lublin wird ein Highlight der Tour bleiben. Glücklich, aber müde ertragen wir sogar noch gefühlte 2 Stunden der eigentlich gar nicht schlechten Melody-HC-Band BOMB THE WORLD, sowie ca. 60min. Umbau und 20min. Show der HC-Band THE LAST BELIEVER, von denen mir die avantgardistische Frisur und das PENNYWISE-Tattoo des Sängers am besten gefallen.

Ein Spätkauf ist um die Ecke und die Alkolol-Fraktion lässt es ordentlich krachen. Ich bin müde und schlafe „Sidestage“ auf einem Stuhl ein. Durch Van-Beladen auf schlammigen Boden und die Kälte bin ich jedoch schnell wieder hellwach. Anschliessend geht es zu Michals 1-Zimmer-Wohnung, in der wir, NOW-DENIAL und noch einige andere untergebracht sind. Mit etwas Glück erwische ich noch eine 1,20m lange Matratze zum Pennen. Iffi, der sternhagelvoll ist, nimmt noch den Nachtbus nach Warschau, um Kath am nächsten Tag rechtzeitig vom Bahnhof abzuholen.

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Montag, 19.3.2007: Lublin, PL – Warschau, PL

Eigentlich habe ich nicht schlecht geschlafen und wundere mich nach dem Aufwachen über den Schaschlik-Geruch aus der Küche. Noch ist mir nicht nach den ultrafettigen Soja-Spiessen, aber ich bin beeindruckt von der Masse, die da durch die Pfanne gezogen wurde und nach einem Kaffee zieh ich mir ein paar rein. Nebenbei gucken wir einige Fotos von gestern an und hören INTEGRITY. Guter Tagesanfang.

Nach Warschau ist es nicht allzu weit, also begleiten wir Michal noch zu seiner Gerichtsverhandlung. Michal wurde vor 1 Jahren von Mitgliedern der ultrarechten und an der polnischen Regierung beteiligten Partei „Liga der polnischen Familie“ wegen eines Konzertplakats angezeigt. Abgebildet waren dadrauf neben Jesus und einem Kreuz, noch 3 Nägel, ein Hammer und die Worte „Do it yourself“. Die Anklage lautet auf „Verletztung der religiösen Gefühle“! So viel zur freien Meinungsäusserung im EU-Land Polen!

Glücklicherweise wird Michal mangels Beweisen freigesprochen, nicht aber ohne sich noch eine ellenlange Litanei über echte christliche Werte anzuhören. Trotzdem Glück gehabt. Das hatten wir aber nicht mit unserem Parkplatz. Halteverbot. 100 Zloty ärmer, Bob Marleys „Gold Collection“ ider Anlage und NOW-DENIAL im Schlepptau machen wir uns auf den Weg gen Warschau.

Für die 180km Fahrt brauchen wir etwa 4 Stunden. Schnell ausladen und die Zeit noch für einen Besuch bei Mama (Marek), Schlafen (Ajka) und einen Gang durch die im Krieg völlig zerstörte, aber originalgetreu wieder aufgebaute Altstadt (der Rest) nutzen. Wir haben total Glück und jemand verteilt mit Helium gefüllte Werbeballons auf der Strasse. Helium-Stimmen sind ähnlich wie diese riesigen Sonnenbrillen ein Garant für Spass.

Den haben wir also. Matze dreht den Ovo-Lacto-Typen Zapiekanka an, der Rest isst Frytki. Zurück am Club Aurora treffen wir Iffi mit Kath. Ich bin erstaunt, dass auf einen Montag abend doch so viele Leute zum Warsaw Mosh Day No. 19 kommen. Das Essen ist gut, die erste Band (HARD TO BREATHE) leider nicht. Anschliessend wieder BOMB THE WORLD, die Matze und ich inzwischen richtig geil finden, und THE LAST BELIEVER. NOW-DENIAL rocken wieder wie die Hölle, müssen sich aber mit ein paar übereifrigen Mosh- und Pogo-Typen rumärgern. Stimmung trotzdem 1A! Wir danach auch. Anscheinend haben wir unsere Tour-Form gefunden. Macht sauspass und wir spielen sogar „Safari Woman“.

Nach der Show machen wir den Van grenzfertig (Merch, Platten und CDs soweit nach hinten wie möglich), denn am nächsten Tag wollen wir um 7.30 Uhr los. Ab zur Wohnung von Aneta und Patrik. Patrik war eigentlich für das Konzert zuständig, liegt aber seit 2 Wochen mit gebrochenem Fuss im Bett und wir sehen ihn mitten in der Nacht zum ersten Mal, plaudern etwas und legen uns auch bald schlafen. Ajka und Marek pennen bei Mareks Mutter und wir sind für 8 Uhr morgens zur Weiterfahrt verabredet.

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Dienstag, 20.3.2007: Warschau, PL – Grodno, BY

Es wird etwas später. War ja eigentlich klar, trotzdem standen wir recht pünktlich im Regen und ohne Frühstück vorm Haus. Die Wärterin in dem Apartmenthaus, die ich in der Nacht schon bemitleidet habe, sitzt immer noch in ihrer Box und sieht ultrafertig aus. Würde mich nicht wundern, wenn die da 24h-Schichten schieben krass.
Irgendwann geht`s los. Unsere Mägen knurren, doch weder der straffe Zeitplan noch Marek lassen eine Frühstückspause zu. Jedenfalls nicht bevor wir ordentlich was geschafft haben. Das ist nach ca. 3 Stunden Fahrt der Fall und wir fallen über einen Dorf-Lidl her und kaufen irgendwelche obskuren Lebensmittel.

Die Veganer (Ajka & ich) schauen etwas in die Röhre, aber ist ja unsere Entscheidung Die polnischen Strassen werden Richtung Weissrussland nicht wesentlich besser und für die ca. 230km brauchen wir etwa 5  Stunden. Gegen 2 kommen wir an der Grenze, vor der uns der Organisator der weissrussischen Konzerte schon gewarnt hat, an und halten seine Einschätzung von 2 bis 5 Stunden zur Einreise für deutlich übertrieben. Immerhin haben wir ja Visa und diverse Versicherungen Dass das den weissrussischen Beamten so ziemlich scheissegal ist, haben wir dann schmerzlich am eigenen Leib erfahren.

Zuerst kaufen wir noch diverse Versicherungen und Formulare (hielt sich alles noch im Rahmen) und kriegen nach ca. 2 Stunden einen Stapel russischer Formulare in die Hand gedrückt, die wir ob unseres Equipments ausfüllen sollen. Wir erwidern kurz, dass wir kein Russisch können und auch Probleme mit den kyrillischen Buchstaben haben, aber das interessiert niemanden. Mit Hilfe einiger mit an der Grenze wartenden Polen, die Russisch können, schaffen wir es dann die Formulare nach bestem Wissen und Gewissen auszufüllen. Mir wird bewusst, dass wir ohne unsere Polen hier völlig aufgeschmissen wären Jedenfalls geben wir die Formulare stolz ab, nur um dann zu hören, dass irgendetwas falsch ist. Diese Prozedur wiederholt sich mehrer Male und die Stunden ziehen ins Land.

Nach weiteren 3 Stunden kommt einer dieser weissrussischen Grenzer mit den grotesk grossen Mützen zu uns und drückt uns die gleichen Zollerklärungs-Formulare, die wir nach 3 Stunden endlich korrekt in Russisch ausgefüllt haben, auf Deutsch in die Hand! Wir müssen etwas lachen und winken ab, dass wir das alles jetzt schon fertig haben. Der humorlose Weissrusse macht uns aber in gebrochenem Englisch deutlich, dass wir als Deutsche diese deutschen Formulare auszufüllen haben. Mit einem „Verstanden?“ auf Deutsch sowie einem extrem bösen Blick, überzeugt er uns die ganze Arbeit noch mal zu machen. Was soll`s Ajka und Marek verschwinden immer mal wieder in diesem Zollhäuschen und müssen immer wieder irgendetwas Neues machen.

Um etwa 20 Uhr (wir sind seit 14 Uhr an derselben Stelle) ist offensichtlich eine Wachablösung und die neue Mannschaft wundert sich etwas über uns und fragt, was wir hier machen würden als ob wir uns, dass in den letzten 6 Stunden nicht schon oft genug gefragt hätten. Jedenfalls können weder die noch wir so richtig verstehen, was das Problem ist und so geht es dann doch plötzlich recht fix. Die neue Garde bringt einen törichten Drogen-Retriever, der natürlich nix findet. Dafür ist das Herrchen aber auf unsere CDs und Merch gestossen, beweist aber ein grosses Herz und lässt uns passieren. In der Zwischenzeit haben wir übrigens per SMS erfahren, dass das Konzert, was zum Glück nur 20km hinter der Grenze in Grodno ist, schon längst angefangen hat und um 22 Uhr zu Ende sein muss.

Zudem gibt es noch eine Stunde Zeitverschiebung. Also rasen wir ganz schön erleichtert nach Grodno. Am Ortseingang erwartet man uns mit einem grossen Mönster-Schild und wir müssen uns extrem beeilen. Was folgt ist das schnellste Konzert, was wir je gespielt haben. Um viertel vor zehn sind wir da, sehen noch ein Lied der letzten Band, laden in Windeseile mit Hilfe einiger arbeitswütiger weissrussischer Punks den Van aus, bauen unseren Scheiss auf und sind um kurz nach zehn schon wieder aus dem Laden raus! In der Zwischenzeit haben Ajka und Kath alle Hände voll mit T-Shirt- und CD-Verkauf zu tun und wir spielen ein ziemlich geiles Konzert! Die Kids haben ausserordentlich viel Spass und wir sind froh hier zu spielen!

Ach ja, es gibt noch einen lustigen Zwischenfall mit Matze. Wir haben ja hinten im Bus keine Heizung und in der letzten Reihe ist es extrem fusskalt. Da Matze und ich da meist sitzen, sind wir entsprechend und zu recht am jammern. Heute ist Matze besonders jammerig und offensichtlich nicht ganz bei Sinnen. Jedenfalls empfehlen Iffi und ich ihm doch einfach Iffis Schmerzsalbe auf die Füsse zu schmieren, die produziere ja auch Wärme! Obwohl wir beide schon oft genug Zeuge von Matzes na ja, nennen wir es mal „Leichtgläubigkeit“ geworden sind, glauben weder Iffi noch ich ernsthaft, dass er sich das Zeug auf die Füsse schmiert. Tut er aber.

Zweimal sogar, weil es 5 min. nach der ersten Salbung noch keine Wirkung gezeigt hat. Aber wer so Schmerzsalbe a la Voltaren kennt, weiss, dass es nun mal etwas dauert. Auch Iffis Salbe zeigt nach ca. 15 min. Wirkung! Matzes Füsse werden zwar nicht warm, brennen aber voll! Der Plan ist voll aufgegangen! Und das beste an der Sache ist, dass Spielen, also Schwitzen, das Ganze die nächsten 4 Tage noch weiter brennen lässt! Heute jedenfalls sind Matzes Füsse nach dem Konzert krebsrot! Hihi

Nach dem Konzert helfen uns wieder freundliche Weissrussen beim Laden und wir fahren zum Bahnhof vom Grodno um aus riesigen Orginal-Armee-Warmehalteeimern ein gutes Nudelgericht und Tee serviert zu bekommen und ein wenig mit den extrem netten weissrussischen Punks und HC-Kids auszuhängen! Supernett!

Zum schlafen geht es in eine stilechte Plattenbausiedlung, wo Veranstalter Dima und sein Bruder eine sehr stylische und grosse 3-Zimmer-Wohnung ihrer Eltern übernommen haben. Die langweiligen Deutschen und Polen gehen früh schlafen und die Weissrussen betrinken sich noch lange in der Küche.

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Mittwoch 22.3.2007: Grodno, BY – Baranowice, BY

Heute ist nicht nur Ajkas Geburtstag, sondern auch Zeit für ein entspanntes Frühstück und einem langen Gespräch mit unserem zukünftigen neuen Freund Gourski, der uns viel über Weissrussland`s Politik und Szene erzählt. Es muss komisch sein in einem Land zu leben, das quasi offiziell die „letzte“ Diktatur Europas ist. Sowohl Antifa-Geschichten, als auch Punk- und HC-Konzerte haben einen komplett anderen Stellenwert als im vergleichsweise freien Deutschland.

Nach dem Frühstück verkaufe ich Dima meine Ersatzgitarre, weil es verdammt schwer ist an halbwegs vernünftiges Equipment zu kommen. Er ist sehr glücklich für die alte, aber fitte Epiphone Les Paul Studio nur 150$ zahlen zu müssen. Ich bin ab sofort ohne Ersatzgitarre, aber zufrieden, jemandem geholfen zu haben.

Mit Ruslan und Gourski, den wir ab sofort nur noch Gurki nennen, geht es am späten Mittag nach Baranowice (oder so ähnlich). Der Zustand von Weissrusslands Strassen erstaunt uns alle, denn sie sind gut. Nach Ostpolen haben wir wirklich desaströse Zustände erwartet, aber im Vergleich zu seinem westlichen Nachbarland spielt Weissrussland in einer anderen Liga! Ansonsten ist es ausserordentlich flach, was mir tendenziell nicht so gut gefällt. Ausserdem wirkt das Land im Vorbeifahren irgendwie leer

In Baranowice verfahren wir uns erstmal, um schlussendlich in der Wohnung von Veranstalter Dima Skoo zu landen. 9. Stock Plattenbau. Geile Aussicht. Gutes Essen. Kaffee. Halva. Und ein Haufen offensichtlich bekiffter minderjähriger Weissrussinen, die wie paralysiert vorm Fernsehen sitzen und eine Art Sandmännchen anstarren. Crazy Shit.

Das Konzert heute findet in einem echten Rockclub statt. Türsteher, Gesichtskontrolle, Barfrauen, die wohl sonst eher wenig mit Punk am Hut haben und eine weissrussische NewGrunge-Vorgruppe hindern uns trotzdem nicht daran Spass zu haben. Zudem helfen die netten weissrussichen Jugendlichen wieder beim Aus- und Einladen und Ruslans Band, I KNOW, spielt auch noch. Sound ist scheisse, macht aber nix. Wir spielen als Letztes und der Sound on stage ist noch beschissener und wir kommen nicht so richtig in Schwung.

Dennoch ein Konzert mit zwei Highlights: 1. Wir überreichen Ajka eine Tafel Schokolade als Geburtstagstorte (etwas veganeres war nicht aufzutreiben) und die Jugend brüllt unisono „Happy Birthday“ auf russisch. 2. Unser neuer irrer Freund Gurki reisst sich seine Sporthose auf und dived mit blankem Arsch. Klingt eigentlich nach ner Panne-Aktion, aber war witzig. Nach dem Konzert geht es direkt nach Minsk (2 Std.). Bei unserer Minsker Herbergsmutter Zolta gibt es Suppe, Fernsehen und für mich zum Schlafen eine zu kurze Couch. Aber wir sind hundemüde und alles klappt gut.

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Donnerstag, 23.03.2007: Baranowice, BY – Minsk, BY

Am nächsten Tag dauert es lange, bis alle in Schwung kommen und das Wetter ist scheisse. Trotzdem treffen wir mit Gurki und Zolta im Schlepptau unseren Freund Ruslan und kriegen eine Führung durchs nur im Zentrum schicke Minsk. Die Mischung aus stalinistischer Architektur und dem Versuch die eigene nationale Identität zu demonstrieren, hat schon einen gewissen Reiz. Weissrussland befindet sich ja ohnehin in einer krassen politischen Situation: Präsident Lukaschenko kann man wohl getrost als den letzten europäischen Diktator bezeichnen. Die weissrussische Bevölkerung ist anscheinend recht resigniert. Unsere Punkfreunde sowieso. Aber trotzdem noch mit genug Wut und Unzufriedenheit um sich nicht aufzugeben. Ausserdem hat eine so krasse Regierung ja auch positive Auswirkungen auf eine politische Gegenkultur. Da ist das wenigstens mit den Feindbildern einfacher.

Das Konzert findet in der Kantine des Minsker Flughafens statt. Ausser uns spielt Gurkis Band Pull Out An Eye und wie bereits gestern I Know. Die Weissrussen kaufen schon wieder wie bekloppt Merch. Unsere Show ist dafür genial.130 Kids drehen durch, diven, circlepitten und Gurki tanzt aufgrund der tags zuvor verlorenen Wette um den Text von Roxettes The Look nackt. Wir diven auch. Geil. Komplett durchgeschwitzt und glücklich fahren wir noch mal zu Zolta, trinken Kaffee, kaufen ein, machen Restbusiness mit Ruslan und uns dann gegen halb drei auf den weiten Weg gen Moskau. Ajka am Steuerrad, ich als Co-Pilot. Strassen sind ok. Russischer Dancefloor im Radio und Danzigs How The Gods Kill halten uns wach.

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Freitag, 24.03.2007: Minsk, BY – Moskau, RU

Gegen sieben Uhr morgens erreichen wir die weissrussich-russische Grenze, d.h. diverse Formulare, obskure Versicherungen und und und. Nach nur ca. einer Stunde und 100.- Eur weniger sind wir endlich in Russland. Vor uns liegen ca. 300 russische Kilometer, und die Schlaglöcher sind bemerkenswert. Wir kommen aber gut voran und koordinieren per SMS das Treffen mit Sasha von Selftitled Demo Records, der für die Konzerte in Russland, Lettland und Litauen sowie unsere Tour-CD verantwortlich ist. Er und seine Freundin Vera erwarten uns an einer Tankstelle an der Stadtgrenze von Moskau mit ihrem Bus und einem riesigen ö-Pappschild als Erkennungszeichen. Die beiden führen uns in die Wohnung von Kyrill, in der wir die nächsten beiden Nächte schlafen.

Wir plaudern nett, relaxen und bekommen viel und lecker Essen. Coole Sache. Bald müssen wir uns aber wieder auf den Weg zum Club machen. Und der hat es in sich. Wir müssen den 19 Millionen-Moloch Moskau halb umrunden und sind in der Rush Hour unterwegs. Nach knapp zwei Stunden auf vollen sechsspurigen Autobahnen sind wir endlich am Club. Wahnsinn. Wir kriegen aber auch schon einen ersten Eindruck von der Stadt. Wieder coole Stalin-Architektur und massenhaft Monumente und Denkmäler, die den Sieg der ruhmreichen Sowjet-Armee gegen Nazi-Deutschland vergegenwärtigt. Schon spannend, wie im real existierenden Sozialismus und der angeblichen Gleichheit aller so ein Heldenmythos aufgebaut wurde.

An Geld und Raum fehlte es trotz aller Probleme jedenfalls nicht. Der Club ist eine recht schicke Mischung aus Buchladen und Café. Ein Haufen schwarz gekleideter Securities passt auf, dass weder Lampen zu Bruch, noch Nazis in den Laden gehen. Sasha klärt uns auf, dass es in Russland kaum möglich ist, eindeutig antifaschistische Bands öffentlich spielen zu lassen, da die Gefahr eines Nazi-übergriffes zu gross ist. Krass. Aber weder wir, noch Sashas Band Ricochet oder die Teenage-Streetpunk-Band Hellohill sind bisher in Russland antifaschistisch in Erscheinung getreten, so dass dieses Konzert offiziell angekündigt werden konnte. Die Russen stehen den Weissrussen in Sachen Merch-Kauf in nichts nach. Und Ricochet sind eine sehr coole, abwechslungsreiche und irgendwie russische Band. Die Stimmung ist gut, auch wir meistern unser erstes Russland-Konzert bestens.

Ausserdem gab es massenhaft Gage. Cool. Selbst ein Teil der anfänglich sehr skeptischen Securities wird bei uns süssen Punks butterweich und bedankt sich mit den Worten: „Thanks for REAL music“ sowie einem Zettel mit einer eMail-Adresse und der Notiz: „If you ever have any problems in Moscow, contact me.“ Jetzt kann uns also nix mehr passieren. Die stundenlange Rückfahrt entpuppt sich aber als eher ungeil. Erstens kennt sich Kyrill in seiner Heimatstadt gar nicht aus, zweitens fahren uns die zum Weg weisen herbeigerufenen Sasha und Vera eine fette Beule in unseren uns ihren Van. Drittens kann Kyrill nicht vernünftig den Weg zeigen (wenn er ihn denn mal weiss), und viertens gibt es keinen bewachten Parkplatz in Hausnähe, so dass ein extrem genervter Marek beschliesst im Bus zu pennen. Schwamm drüber.

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Samstag, 25.03.2007: Moskau, RU

Am nächsten Tag stehen Matze und ich rechtzeitig auf, kochen Kaffee und wollen eigentlich so früh wie möglich los, aber die Trägheit der Masse sowie Sashas Zuspätkommen führen letztendlich dazu, dass ein Teil der Crew beschliesst, mit Kyrill und der U-Bahn vorzufahren und ein anderer Teil auf Sasha wartet und den Bus schon mal zum heutigen Konzertort fährt. Wir reffen uns auf dem Roten Platz wieder – wie geil ist das denn bitte?

Kyrill geniesst es offensichtlich, den Westeuropäern „seine“ Stadt zu zeigen und labert ohne Punkt und Komma. Aber Moskau ist geil und ich bin Fan. Die Altstadt ist schon ein ganz schöner Touri-Kitsch, aber der Gang am Kreml vorbei auf den Roten Platz und der Blick auf die fast schon surreale St. Basil-Kathedrale sind wirklich ergreifend. Das Lenin-Mausoleum hat leider geschlossen. Wir wandern noch etwas herum, wundern uns über perfekte Lenin- und Marx-Lookalikes, sowie Affen und Adler, die an Ketten als Touristenattraktion auf der Strasse präsentiert werden und fahren mit der Metro zum Konzertort, der heutigen „geheimen“ Show. Wohngebiet.

Hinterhof. Keller. Die fleissigen Russen haben unseren Bus bereits ausgeräumt, so dass wir nur noch aufbauen müssen. Geiles Essen (Teigfladen von der georgischen Grossmutter eines HC-Kids sowie erschreckend nach Huhn schmeckende Sandwiches). Ausser uns spielen noch drei Bands, die alle sehr engagiert wirken (lange Ansagen). Der nervtötende Sound und die ohrenbetäubend lauten Feedbacks sind allerdings so grausam, dass ich mir keine Band länger als zwei Lieder angucken kann. Der Kellerraum ist rappelvoll, und die Moskauer HC-Community hat Spass. Das Konzert heute ist zumindest für mich eine der besten Mönster-Shows ever. Superviel Energie, Schweiss, Spass und ein cooles Publikum, dass ausnahmsweise nicht nur aus Typen besteht. Fast schon wirkt alles zu perfekt. Erstaunlicherweise bleibt es aber so. Danke Moskau.

Nach der Show helfen die fleissigen Russen, die Matze liebevoll „Praktikanten“ nennt beim Einladen, und wir überlegen uns, dass es cool wäre einen Bandpraktikanten zu haben, der sich ums leidige schleppen kümmert. Gibt`s bestimmt Zuschüsse vom Jobcenter für. Anschliessend fahren wir noch auf einen Hügel, von dem aus wir einen coolen Blick über das nächtliche Moskau haben. Wieder zu Hause bei Kyrill gehen wir noch im 24h-Supermarkt shoppen und sind erstaunt über die Vielzahl veganer Wurst- und Majo-Produkte, die wir der Fastenzeit der strenggläubigen orthodoxen Christen zu verdanken haben. Mit vollen Tüten kehren wir zurück in die Wohnung, kochen etwas und plaudern. Den Bus parkten wir diesmal bewacht ganz in der Nähe, so dass alle gut und lange schlafen können.

Text: Jobst Eggert

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