Juni 16th, 2020

MOBINA GALORE (#187, 2017)

Posted in interview by Thorsten

Manche zugkräftigen Bands empfinden es als Verpflichtung, gute Vorbands mit im Gepäck zu haben, wenn sie auf Tour gehen. Against Me! haben diese Verpflichtung auf ihrer letzten Europatour übererfüllt, da sie mit Milk Teeth und Mobina Galore zwei so grandiose Bands dabei hatten, dass sie selbst den kürzeren zogen und von ihren Zöglingen in den Schatten gestellt wurden. Das ist umso beeindruckender, als es sich bei Mobina Galore nur um zwei Personen handelt, die Dank maximal verzerrter Gitarre und oft gedoppeltem Gesang aber keinesfalls weitere Bandmitglieder vermissen ließen. Aus Kanada, Winnipeg kommen sie und klingen doch mehr nach Calgarys Tegan and Sara (wenn die Punk machen würden) als nach Winnipegs Propagandhi. Sehr persönliche Texte über Verzweiflung, Tod und Erschöpfung durch das immergleiche Hamsterrad begründen, warum Sängerin Jenna eigentlich immer schreit. Nur Schlagzeugerin Marcia verliert zumindest auf der Bühne niemals den Spaß am Leben und trommelt jeden noch so schnellen, harten Beat mit einem fröhlichem Lächeln auf den Lippen. Im Mai 2018 werden sie wieder in Deutschland zu sehen sein, Grund genug also sie vorzustellen und auch unserem Teil der Verpflichtung als unabhängiges Medium auf tolle neue Bands aufmerksam zu machen nachzukommen.

Gerade zu Beginn der Riot-Grrl-Bewegung gab es einige musikalische Duos (Heavens to Betsy, Tattle Tale, etc.), aber mittlerweile ist das selten geworden. War es für euch eine bewusste Entscheidung eine Zweierband zu gründen?

Jenna: Wir haben in einer anderen Band angefangen Musik zu machen, in der wir zu dritt waren. Wir waren Anfängerinnen und klangen ganz anders als Mobina Galore. Unser drittes Mitglied hat Keyboard gespielt und wir klangen viel folkiger mit einem Fokus auf akustische Gitarren. Als wir uns von der Person am Keyboard trennten, habe ich mir eine neue elektrische Gitarre gekauft und mich mit Marcia gemeinsam dazu entscheiden uns mehr in Richtung Punk Rock zu orientieren. Das war das womit ich auch angefangen hatte als ich vor vielen Jahren Gitarrespielen erlernt hatte. Somit haben wir als Duo begonnen und bislang sind wir eins geblieben. Das war nicht notwendigerweise eine bewusste Entscheidung aber es hat immer super für uns funktioniert, warum sollten wir also jetzt etwas daran ändern.

Apropos akustische Gitarre, ihr habt bei einer Akustik-Session Dismantle Me gecovert. Ich kann mir vorstellen, dass du oft mit Brody Dalle verglichen wirst, weshalb ich sehr schmunzeln musste, dass ihr diesen Song besonders undistllershaft interpretiert habt.

Ich werde ziemlich oft mit ihr verglichen, aber mit jemanden verglichen zu werden der mich inspiriert ist durchaus nichts schlechtes. Ich finde nicht, dass meine Stimme oder die Musik der Band klingt wie Brody Dalle oder The Distillers. Wenn ich das denken würde, wäre ich durch diese Vergleiche ja als unoriginell entlarvt. Da das aber nicht so ist und keine Kritik darin mitschwingt, freue ich mich darüber.

Eines meiner Lieblingslieder eures aktuellen Albums Feeling Disconnected ist der Bonus Track 4th of July. Warum wurde gerade dieser Song separiert?

Fourth of July ist ein Stück darüber, wie wir uns mal in Omaha, Nebraska betrunken haben. Wir hatten einen Tag frei und sind zu einer Bar gegangen, die Conor Oberst gehört und wie es der Zufall wollte, war er auch selber anwesend. Wir haben uns beide nicht getraut ihn anzusprechen, aber beschlossen einen Song über diesen Moment zu schreiben. Er ist sehr anders als der Rest des Albums geworden, vielleicht weil wir sonst nie Stücke über Augenblicke schreiben in denen wir uns aktuell noch befinden. Deswegen übermittelt er eine ganz andere Stimmung als der Rest des Albums. Wir fanden ihn aber beide super und deshalb hat er jetzt diesen besondern Platz bekommen.

Das ist spannend, dass so eine konkrete Geschichte hinter dem Song steckt, denn vieles von dem was du schreibst ist allgemeingültig auf andere Situationen im Leben anwendbar. Diese Mehrdeutigkeit in deinen Texten machen sie sehr anschlussfähig.

Alle sollen genau das aus Songs ziehen, was ihnen gerade wichtig ist. Das gilt natürlich auch für unserer Lieder. Diese Idee steckt für mich hinter jedem gut geschriebenen Song, dass er unterschiedlich interpretiert werden kann. Wir wollen, dass möglichst viele unterschiedliche Menschen etwas mit unserer Musik anfangen können. Etwas was von mir sehr persönlich gemeint war, kann Dir mehrdeutig erscheinen, so dass du daran anknüpfen kannst. Das ist toll, wenn sich Menschen damit identifizieren können, was ich schreibe.

Sexismus in der Punkszene ist spätestens seit den Vorfällen mit den Dickies auf der Warped Tour wieder mal ein großes Thema geworden. Wie steht ihr zur Idee des sicheren Raumes auf Konzerten?

Menschen die auf der Bühne stehen haben die Macht das Publikum zu beeinflussen und in unserem derzeitigen Klima brauchen wir viel mehr Leute die über positive Werte sprechen, über Inklusion und über Unterstützung. Jedes Konzert sollte ein sicherer Raum sein. Es sind immer ein paar Arschlöcher, die es allen anderen kaputt machen. Schau Dir an, was gerade in Las Vegas passiert ist. Ein einzelnes Arschloch mit einer Knarre kann einfach so das Leben hunderter Menschen zerstören. Was Bands wie die von Dir Erwähnte angeht, bin ich froh, dass Kevin Lyman sie von der Tour geschmissen hat. Die sind nichts weiter als eine Gruppe selbstermächtigter Rüpel. Natürlich sollte er sie erst gar nicht eingeladen haben. Egal wie sehr sie jetzt beteuern, dass es irgendwie witzig gemeint war (oder das andere Leute tun, die genauso drauf sind, wie sie), hätten sie es besser wissen müssen. Es war verletzend, unhöflich, und völlig ignorant von ihnen. Wir wollen niemals Teil einer Show sein, bei der Menschen mit so einer Einstellung mitmachen, und genau so schaffen wir uns unsere sicheren Räume.

Justin Trudeau wurde kürzlich des Pink-Washings bezichtigt, also dessen, dass er mit seiner vermeintlich positiven Einstellung gegenüber LSBTIQ*-Personen versucht gravierende politische Probleme Kanadas zu überschatten. Was hältst du von dieser Analyse?

Je mehr Leute Regenbogenfahnen schwenken, desto besser, egal wer sie sind und welchem politischem Spektrum sie vielleicht zuzuordnen sind. Ich halte Kanada für ein progressives, schwulen/lesbenfreundliches Land und dazu trägt auch unser Premierminister bei. Ich habe das Gefühl, dass er ernsthaft dafür kämpft, dass jede Person so willkommen geheißen und akzeptiert wird, wie sie ist. Man sieht das vor allem daran, was er für einen Caucus gebildet hat, als er seinen Job angetreten hat und daran, dass er Geflüchtete ins Land kommen lässt. Natürlich sind Politker_innen immer ein stückweit scheiße, da sollten wir uns nichts vormachen, die sind nicht perfekt, sonst würden sie kein Land anführen wollen (lacht). Ich bin einfach nur froh, dass er nicht Trump ist, der ist der schlimmste von allen.

Du bist freischaffende Grafikdesignerin aber ihr seid so gut wie immer auf Tour. Wie bekommst du das unter einen Hut? Und entwirfst du deine eigenen Tattoos?

Ich habe früher sehr viel von unterwegs gearbeitet, aber je mehr wir touren, desto schwieriger wird das. Ich trenne die beiden Sphären lieber und habe dann was zu tun, während ich zu Hause auf den Start der nächsten Tour warte. Normalerweise gestalte ich meine Taatoovorlagen nicht selber, weil ich keine Illustratorin bin. Eines meiner Tattoos habe ich aber selber desgint. Es befindet sich auf meinem Oberschenkel und soll mich an unsere erste Europatour 2015 erinnern. Es beinhaltet zum Beispiel die Initialen der vier Teammitglieder dieser Tour und ich liebe es sehr.

Ihr habt auch ziemlich viele Videos für eure Songs gemacht, macht euch das Spaß, oder habt ihr das Gefühl es geht nicht ohne?

Musikvideos sind immer noch wichtig, auch wenn wir uns nicht mehr in der Ära MTV befinden. Die Leute haben kurze Aufmerksamkeitsspannen und brauchen immer neue Inhalte, sonst langweilen sie sich. Deshalb machen wir für jede Veröffentlichung auch ein paar Videos. Ich habe davon nur Skeletons selber gemacht. Die anderen haben verschieden Leute aus Winnipeg gemacht. Leute im Musikgeschäft wollen Videos sehen, also machen wir welche und mir macht das auch echt Spaß. Marcia nicht so, aber es gehört eben dazu.

Test & Interview: Alva Dittrich

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