November 7th, 2019

MIGHTY MIGHTY BOSSTONES (#99, 2003)

Posted in interview by Thorsten

Ein kalter Oktobertag in Hamburg. Der Regen wird uns vom Herbstwind der Hansestadt ins Gesicht geblasen. Kaputte, von der Abhängigkeit gekennzeichnete Junkiegesichter nehmen uns desinteressiert war, während wir die Fixerstube in Hauptbahnhofsnähe passieren. Unser Ziel, die Markthalle, ist nun in Sichtweite, von Weitem signalisiert uns das rote beleuchtete Logo des Clubs den Weg. Am Abend des 16.10.2002 sollen hier die Mighty Mighty Bosstones auftreten, vorher, ein paar Stunden nur vorher, gibt uns der seltsam gelaunte Dicky Barrett die Ehre und plaudert über George W. Bush, seine Band und den aktuellen Longplayer „A Jacknife To A Swan“.

Auf der „A Jacknife To A Swan“ -Tour spielt ihr nur vier Shows in Deutschland, warum?

Barrett: Wir wussten nicht, dass es noch mehr Plätze gab, wo wir spielen könnten. Wir dachten, es gäbe nur vier gute Städte in Deutschland. Das war es halt, was sie für uns gebucht haben. Sie buchten halt nur vier Shows, ich entschuldige mich dafür, nächstes Mal spielen wir mehr Konzerte, denke ich.
Ich habe nix damit zu tun. Sie laden mich in einen Bus irgendwo in England und dann fahren sie mich durch Europa. Seht es von der anderen Seite und seit glücklich, dass ihr nicht in Italien wohnt, die haben keine einzige Show, aber ich entschuldige mich trotzdem dafür. Manchmal starten wir eine US-Tour und spielen nur ein einziges Konzert: Boston, das ist wahr.
Ihr sprecht nicht mit dem Booker, sondern mit dem Typen, der jeden Abend auf die Bühne springt und ins Mikro brüllt. Ich habe keine Ahnung, ich bin ein Idiot, kombiniert das mit der Tatsache, dass ich Amerikaner bin, was mich zu einem amerikanischen Idioten macht, also lasst mich in Ruhe und verpisst euch. Dankeschön.

Etwas verdutzt und irritiert überlege ich, das Interview abzubrechen oder einfach frohe Miene zum bösen Spiel zu machen und die nächste Frage zu stellen. Ich entscheide mich für letzteres. Barrett springt zwischen Zynismus und Ironie Hin und Her, während ich mit einem freundlichen-diplomatischen Lächeln meine Fragen stelle.

Lass uns über euere aktuelle CD „A Jacknife to a swan“ reden. Wo habt ihr..?

(Barrett unterbricht mich und stellt sich diese Frage lieber selber)

…warum sind da nur 13 Songs auf dem Album? Das ist nicht genug. Es ist doch immer das Gleiche, uns Amerikanern wird vorgeworfen alles immer groß und pompös zu machen, dann machen wir etwas klein, wie nur 13 Songs auf das Album zu setzten oder nur 4 Shows in Deutschland zu spielen, sind alle gegen uns.

Etwas Zynisms, da kann doch spaßige Ironie nicht weit sein. Gesagt – getan.

Ich habe für diese Tour extra mein Gewicht verringert – alles wird kleiner, wir spielen heute Abend auch nur 30 min. Wir reduzieren alles momentan:

-weniger Shows
-weniger Zeit auf der Bühne
-weniger Songs auf dem Album.

Das ist die neue Politik des neuen Jahrtausends.

Trotzdem seid ihr nicht weniger Musiker on stage?

Ich werde eventuell die Zahl der Musiker reduzieren. Vielleicht feuere ich heute Abend einen meiner Musiker hier in Hamburg.

Was bedeutet der Name eueres neuen Albums „A Jacknife To A Swan“?

Mein Onkel war lange Zeit Boxer, der Bruder meiner Mutter. Er benutzte den Ausdruck, wenn ein Boxer nach einem harten Schlag des Gegners auf den Boden fiel. Eigentlich ist es aber ein Ausdruck aus der Tauchfachsprache.
Ich schrieb diesen Text über einen Mann, der vor einen Zug sprang, eine U-Bahn, im Jahre 1972. Boston, ein schlechter Ort, zu einer schlechten Zeit, das ist keine besonders interessante Story, aber so war es, eine traurige Geschichte.

Wenn du momentan an deine Heimat USA denkst, was bewegt dich dabei?

Ich möchte mich bei allen Europäern entschuldigen, für das arschlochmäßige Verhalten unseres Präsidenten. Ich möchte allerdings nicht, dass ihr bedauernd auf das ganze Land der Vereinigten Staaten schaut, denn hier geht es hauptsächlich um den Staat Texas. Er ist ein Trottel und sein Vater das pure „Böse“. Glücklicherweise bin ich jetzt hier in Europa.

Trotzdem habt ihr Amis George W. Bush mehrheitlich zum Präsidenten gewählt.

Stimmt, klar. Das war unsere Auswahl. Das ist ja das verdammt traurige daran. Es ist total lächerlich. Haltet Bush fest in seinem Büro. Lasst ihm das Öl und lasst ihm das Militär, aber hört auf meine Zeit zu verschwenden.

Versucht ihr als Band ein politisches Statement abzugeben?

Ich denke, dass wir politisch gebildet sind. Wir wissen, was auf der Erde los ist. Zum ersten Mal in meinem Leben gibt es einen Präsidenten, von dem ich glaube, dass ich netter bin als er und das ist wirklich angsteinflößend. Ich bedanke mich für das Interview, viel Spaß noch gleich bei der Show.

Nach einer halben Stunde Local Support der Band „No life lost“ und dem Toursupport „Snuff“, die auf ganzer Linie überzeugten, begaben sich die Mannen aus Boston um Dicky Barrett auf die Bühne. Eine bunte Mischung aus Songs aller Alben mit Schwerpunkt „A Jacknife to a swan“ ließen mich das nicht so einfache Interview mit Mr. Barrett vergessen. Spätestens beim Song „1-2-8“; und dem dritten Glas Bier springt bei mir der Funke über. Ende gut – alles gut.

Interview: Robin Kruska

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