März 15th, 2007

MERZBOW (#105, 04-2004)

Posted in interview by sebastian

„The silent lord of loud“

Da stehen wir nun im Halbdunkel. Eine letzte Zigarette vor dem Einlass des Teatro Fondamenta Nuove in Venedig rauchend. Das knarzende Geraeusch von sich spannenden Tauen der am Kai festgezurrten, leicht schunkelnden Dampfschiffe in der Luft. Etwas abseits, fast versteckt unter einem Torbogen ein Japaner, ebenfalls wartend. Wir nicken uns zu. Der von der Lagune kommende Wind hat sein langes, schwarzes Haar erfasst. Welch` schuechtern wirkende Headbanger-Gestalt.

Erst beim Hereingehen erkenne ich, dass er der Grund meiner Anreise ist. Masami Akita, alias MERZBOW, der Zelebrant grossmeisterlich-inszinierter Klangorkane, wie es auf dieser Welt keine zweiten zu hoeren gibt. Masami Akita wirkt, wenn man ihm gegenuebersteht, weitaus juenger, als sein Geburtsdatum vermuten laesst.

1956 in Tokio geboren, wuchs er mit westlicher Rockmusik der 60er und 70er auf, studierte Literatur und darstellende Kunst am College und begann Gitarre in ProgressiveRock-Coverbands zu spielen. Spaeter entdeckte er FreeJazz fuer sich und beschaeftigte sich eingehend mit der DADA-Bewegung und den Surrealisten um Salvador Dali.

Mitte der 70er Jahre entfernte sich Akita von den Limitierungen in Rockmusik, haengte sein bisheriges Banddasein an den Nagel und begab sich in seinen Keller, um mit kaputten Kassettenrekordern und Rueckkopplungen herumzubasteln. 1979 sah sein erstes, „cassette only`-Label, „Lowest Arts & Music“, das Licht der Welt.

„Metal Acoustic Music“ nannte er sein Debut, und wie besessen produzierte er einen primitiv-wuetenden Anschlag nach dem anderen auf alles zuvor Gehoerte und Dargewesene. Punk war zur der Zeit reine Popmusik im Vergleich zu seinen Kakophonien und wenn ueberhaupt konnten nur wenige Industrial-Kuenstler, wie S.P.K. oder THROBBING GRISTLE seinen Ansatz teilen.

Mit „Material Action 2“ erschien 1983 MERZBOW`s erste LP in Japan und verhalf ihm zum Sprung aus dem Keller in die besseren Plattenlaeden. Schnell zog Akita nach und formierte ein neues Label, ZSF Produkt, das dutzende weitere Singles, EP`s, LP`s und noch mehr Kassetten unters paralisierte Volk brachte. Ende der 80er wurden dann endlich auch Labels ausserhalb von Japan auf den umtriebigen Japaner aufmerksam.

Insbesondere die Australier von EXTREME verhalfen Masami Akita mit ihrer Veroeffentlichung von „Collaborative“ 1988 dazu, internationales Publikum zu erreichen und die Faszination des Japaners an kollagenhafter Verknuepfung von Abfall, gepaart mit ritualisierter Erotik (Bondage & Fetischismus) in die westliche Welt zu tragen.

Ueber diverse Touren in Europa und Amerika und eine halbe Tonne weiteren Vinyls an Werken, konnte MERZBOW seit dem konsequent zum unangefochten kompromisslosesten Klangterroristen weltweit avancieren.

Seine Laermorgasmen lassen die Zuhoererschaft mit einem Gefuehl peinigender Hilflosigkeit zurueck, richtungslos im Zentrum des tobenden Orkans verharren zu muessen und sich ja nicht zu bewegen, um nicht in abgrundtiefes Elend hinfortgerissen zu werden.

Seine genutzten Folterinstrumente haben sich dabei ueber die Jahre gewandelt, von eingangs erwaehnten praeparierten Kassetten und „klassischen“ Rueckkopplungen, ueber Metall-Percussion, Loops, elektronische Manipulatonen, Synthesizer, Moogs, Metall-Objekte, Generatoren, Kurzwellenradios, gestrichene Instrumente bis zu Powerbook und Software.

Doch so abschreckend dieses Arsenal fuer viele auf den ersten Blick wirken mag, so ist im Inneren fast eines jeden seiner geschaffenen Biester ein beinahe elegischer Ruhepol zu finden, das Auge des Orkans. Erst einmal eingetaucht und die kondizionierten Hoergewohnheiten beim Durchschreiten monstroeser Waelle an Soundgewalten ueberwunden, bekommt man gerade bei den neueren Werken MERZBOW`s, wie „1930“, auf JOHN ZORN`s Tzadik-Etikette erschienen, oder „MAZK“ ein Gefuehl von Zugang zu den Symphonien von Morgen.

Da wirkt ploeztlich nichts, was eben noch Angst bereitet hat, beklemmend, nichts, was eben noch abstossend wirkte, fremd und feindseelig. Im Gegenteil, als Akita und Karkowski in Venedig ungefaehr eine halbe Stunde gemeinsam am Toben waren, setzte bei mir eine innere Ruhe, ein tiefes Wohlbefinden in Koerper und Geist ein, das mich noch in den Schlaf getrieben haette, waeren die Beiden nicht mit einem abrupten Paukenschlag von der Buehne gegangen.

Provokation und Schock machen schon seit einigen Jahren nicht mehr den Hauptteil an der faszinierenden Wirkung aus, die MERZBOW auf viele seiner westlichen Kollegen ausuebt, die wie LEE RANALDO, MIKE PATTON (Maldoror) oder GENESIS P. ORRIDGE Kooperationen mit ihm suchten.

Vielmehr ist es diese reine, ungeschminkte und so gaenzlich hippie-fremde meditative Ruhe und Kraft, die seiner Musik anhaftet und das Zuhoeren selbst nach weit ueber einhundert Alben spannend bleiben laesst. Folgendes Gespraech fuehrten wir direkt nach seinem Auftritt

MERZBOW alias Masami Akita: Apple G3 Powerbook & verschiedene Software

***

Guten Abend. Deine Musik ist eine natuerliche Erfahrung, nicht mit irgendetwas Strukturiertem zu vergleichen, eher einem Erdbeben aehnlich, das Koerper und Sinne erfasst. Heute war das wieder so. Die hundert Anwesenden hier habt Ihr effektiv vom Scheitel bis zur Sohle durchgebuerstet. Wie hast Du Deine musikalische Herangehensweise als 1956 geborener entwickelt?

Masami:  Ich?

Ja.

Masami: Entwickung. Ganz einfach natuerliche Entwicklung.

Allerdings so weit entfernt von konservativer Rockmusik.

Masami: Der groesste Unterschied in meiner MERZBOW-Musik besteht darin, dass das meiste improvisierte Musik ist. Improvisiert und wie ein Unfall entstanden. Und sehr kritisch.

Wie hast Du diesen Ansatz der natuerlichen Gewalt gefunden und dabei die Zusammenarbeit mit Deinem polnischen Kollegen Zbigniew Karkowski entwickelt?

Masami: Wir haben uns vor ungefaehr zehn Jahren getroffen. Zu der Zeit benutzte ich noch Instrumente, waehrend er schon mit einem Computer arbeitete. In den 90er Jahren wechselte ich also zu Computern ueber. So wurde die Zusammenarbeit sehr einfach.

Wo habr Ihr Euch das erste Mal getroffen?

Masami: Wir trafen uns in Tokio. Er kam aus Amsterdam und besuchte mich in meinem Haus. Ich kannte ihn bereits von seinen Arbeiten her. Er unterrichte mich darin, einen Computer zu nutzen.

Vorher warst Du auf „herkoemmliche“ Instrumente konzentriert?

Masami: Ja, vorher benutzte ich viele analoge Pedale.

Und praeparierte Gitarren?

Masami: Gitarren als Instrumente habe ich nicht genutzt. Ausschliesslich Pedale und Verzerrer.

Vor Jahren kaufte ich mir Dein Album „Venereology“. Welche Klangquellen hast Du fuer diese Aufnahmen genutzt?

Masami: Gitarren-Pedale. Das war 1994.

Genau.

Masami: Ausserdem benutzte ich selbstgemachte Instrumente.

Welcher Art?

Masami: Metallische Schrottteile, die ich mit Saiten versehen und mit Kontaktmikrofonen bestueckt habe. Die habe ich dann mit den Pedalen und Filtern verbunden.

Diese Apparaturen hattest Du selbst entwickelt?

Masami: Ja.

Was inspirierte Dich dabei, diese Instrumente zu bauen, was war die Idee dahinter?

Masami: Vorher befestigte ich nur Kontaktmikrofone an Metallplatten, dann jedoch wollte ich mehr Aktion haben. Mehr Aktion auf der Buehne. Was alle Kontaktmikrofone kaputtgehen liess. (haelt laengere Zeit inne)

Wegen dieser Aktion fing ich dann an Draht und staerkere Verkabelungen zu benutzen, was es mir nicht mehr ganz so einfach machte, meine Ausruestung zu zerstoeren.

(lacht) Deine Instrumentierung und der Klang Deiner Musik finden fuer mich weder Anlehnung an traditionelle westliche noch oestliche Musik. Was hat Dich dazu inspiriert, Deinen recht eigenwilligen Weg zu gehen?

Masami: Ich wuchs damit auf, westliche Rockmusik zu hoeren. STONES, THE WHO, LED ZEPPELIN, DEEP PURPLE.

Und worin besteht die Verbindung, zu dem, was Du heute selbst an Musik machst?

Masami: In meinem Kopf ist die ziemlich kurz. Ich war eigentlich an allem an Rock- und Metalmusik interessiert. Also denke ich, das, was ich mache, ist eine Art von Heavy Metal Musik. Das ist extreme Heavy Metal Musik.

(lacht) Okay, das koennte man gelten lassen. Aber es ist gleichzeitig auch ziemlich weit fortgeschritten.

Masami: Nun…

Du arbeitest ja nicht mit Riffs wie (imitiert „Smoke on the water“)

Masami: Nun, beides hat mit Sound und Feedback, mit zerstoertem Sound zu tun. Wie bei JIMI HENDRIX und THE WHO. Verzerrungen, zerstoerte Gitarren, das hat Krach geschaffen. Ich dachte schon immer, dass das ziemlich cool ist. Also moechte ich ein wenig Geld mit dieser Art von Musik verdienen.

Du bedientest Dich also der Momente in Rockmusik, in denen sie ihre Instrumente zerstoerten

Masami: (lacht)

und kompromiertest diese zu Deinem MERZBOW-Sound.

Masami: Nicht jetzt, aber frueher, in den 80ern.

Deine erste Platte hast Du 1983 aufgenommen. Kannst Du die 20 Jahre Deiner Klangentwicklung in Worte fassen?

Masami: Als ich mit dieser Art von Musik begann, benutzte ich ausschliesslich bespielte Kassetten. Dann begann ich staerker, verschiedene Arten von Live-Electronics einzusetzten. Mit vielen Verstaerkern. Jetzt benutze ich Laptops. Meine Musik veraendert sich bestaendig und wird beeinflusst von den Moeglichkeiten der jeweiligen Instrumente.

Computer sind Dein einziges Instrument in diesen Tagen?

Masami: Ja.

Hast Du damit am meisten Spielraum?

Masami: Als ich noch analoges Equipment nutzte und viele Dinge zusammenbringen wollte, war das nicht so gut. Mit Computern ist das simpler. Als ich anfing, Musik zu machen, benutzte ich eine sehr einfache Ausruestung. Mit Computern ist das jetzt, wie an den Ausgangspunkt zurueckzukehren.

Trust: Mit einem Computer zu arbeiten ist fuer Dich in etwa also mehr „Punkrock“, als mit allen moeglichen Analog-Quellen zu arbeiten, deren Steuerung weitaus schwieriger ist?

Masami: Richtig.

In Westeuropa und den Vereinigten Staaten erfaehrst Du eine schon als legendaer zu bezeichnende Rezeption als der „Koenig des Krachs“, wie ich oft gelesen habe. Wie empfindest Du persoenlich diese Praeskriptionen?

Masami: Ich denke, viele Menschen haben Schwierigkeiten, Dissonanzen zu akzeptieren und daher geht es ihnen leicht von der Hand, Musik als Krach zu kategorisieren. Es ist so einfach, zu dieser Art von Musik Krach zu sagen. Ich mache nur meine Musik. Ausserdem bin ich daran interessiert, zu provozieren. Mit Laerm.

Dein Kuenstlername ist von KURT SCHWITTERS Bild „Merzbau“ abgeleitet. Bist Du generell an Malerei interessiert?

Masami: Hmm. Seine Art zu malen ist nur eine Art, Abfall zu vermischen. Ja, er bediente sich des Abfalls und machte daraus Objekte. Was er Merzbau nannte, ist ein gejagtes Objekt. Als ich sein Bild sah, dachte ich, meine Musik ist in aehnlicher Weise gemacht. Also nahm ich diesen Namen an. Das war am Anfang. Heute inspiriert mich jeder Tag des Lebens. Jeden Tag hoere ich mir Musik an und denke nach.

Worueber?

Masami: Jeden Tag ueber andere Sachen.

Natuerlich. (lacht)

Masami: Ich erreiche keinen bestimmten Punkt. Ich mache Musik unter dem Einfluss eines jeden Tages meines Lebens.

Hast Du Albtraeume, denkst Du, dass Du ein gluecklicher Mensch bist?

Masami: Denke ich nicht. (schweigt laengere Zeit) Kuerzlich wurde ich Vegetarier. Ich esse kein Fleisch. Letztes Jahr habe ich mir Huehner als Haustiere zugelegt und so begann ich, Vegetarier zu werden. Vier Huehner, zwei Enten und zwei Tauben. Das sind sehr friedvolle Tiere.

Ich unterstuetze nicht die Fisch- und Fleischindustrie. Ich denke, dass Menschen ihre Essensgewohnheiten aendern muessen. Bei Tieren ist das instinktbedingt, wir als Menschen jedoch koennen uns durch unseren Verstand veraendern. Ich mag also Tiere und will den Tierschutz unterstuetzen. Von daher ist es nur natuerlich, mit dem Fleisch- und Fischessen aufzuhoeren.

Wie wuerdest Du Dich darueber hinausgehend beschreiben?

Masami: Ich denke, dass war ein gutes Statement zum Menschsein.

(grinst) Botschaft verstanden, letzte Frage: Was denkst Du von den Menschen, die heute Abend mit Ohrenstoepseln zu Deinem Konzert gekommen sind?

Masami: It`s up to them.

Herzlichen Dank fuer unser Gespraech.

***

Tom Dreyer

Ausgewaehltes aus der Vergangenheit:

Merzbow: „Sleeper Awakes On The Edge Of The Abyss“ („87/Streamline)

Merzbow: „Ecobondage“ („87/Ecobondage)

Merzbow: „Rainbow Electronics 2“ („90/Dexter`s Cigar)

Merzbow: „Noiseembryo“ („94/Laughing)

Merzbow: „Venereology“ („94/Release)

Merzbow: „Deus Irae“ („95/Nux)

Merzbow: „Music For Bondage Performance“ („95/Extreme)

Merzbow: „Mort Aux Vaches“ („96/Staalplaat)

Merzbow: „Noizhead“(live) („96/Blast First)

Merzbow: „Music For Bondage Performance, Vol.2“ („96/Extreme)

Merzbow: „Pulse Demon“ („96/Release)

Merzbow: „Magnesia Nova“ („96/Staalplaat)

Merzbow: „Voice Pie“ („96/Relapse)

Merzbow: „Bastard Noise“ („96/Release)

Merzbow: „Rectal Anarchy“ („97/Relapse)

Merzbow: „Balance“ („97/Human)

Merzbow: „Pinkcream“ („98/Dirter)

Merzbow: „1930“ („98/Tzadik)

Merzbow: „Tauromachine“ („98/Relapse)

Merzbow: „Mort Aux Vaches:Locomotive Breath“ („98/Staalplaat)

Merzbow: „A Perfect Pain“ („99/Cold Spring)

Merzbow: „Doors Open At 8 AM“ („00/Cold Spring)

Merzbow: „Merzbox Sampler“ 50!CD`s („00/Extreme)

Merzbow: „Mazk“(live) („01/Tigerbeat6)

Merzbow: „Frog“ („01/Misanthropic)

aktuelle Veroeffentlchungen:

V.A.: „Ikebana: Merzbow`s Amlux, Rebuilt, Reused and Recycled“ DCD (mit u.a. DJ Spooky, DJ/Rupture, Luke

Vibert, Alec Empire, Negativland, Mouse On Mars, Sonic Boom, KKNull)

Masami Akita & Russel Haswell: „Satanstornade“ LP

Links (2015):
Wikipedia
Homepage
Discogs

 

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