März 16th, 2020

MELT BANANA aus #96, 2002

Posted in interview by Jan

Nippon Connection / Melt Banana

Japanische Filme sieht man immer noch recht selten im deutschen Fernsehen, bzw. in den deutschen Kinos. Zum einen liegt das daran, daß das Angebot an Filmen im Fernsehen meist über die üblichen Einkäufer wie Kirch-Media und anderen großen Verleiern bzw. Filmrechte-Verwerter geht, zum anderen daran, daß unsere Sehgewohnheiten doch eindeutig nach Hollywood schielen und so kaum ein finanzieller Erfolg mit japanischen Filmen gemacht werden kann.

Wenn überhaupt mal ein japanischer Film im deutschen Fernsehen zu sehen ist, dann ist es ein alter Kurosava in Arte oder 3-Sat. Das dies sehr schade ist, bemerkt man schnell, wenn man sich mal auf gut Glück ein paar japanische Filme in einer guten Videothek ausleiht und sich zum Beispiel von Kurosavas Macbeth-Adaption begeistern läßt. Auch bei Arthaus gibt es immer wieder geile Filme auf Video zu kaufen, obwohl das leider sehr schnell richtig ins Geld geht. Zum Glück habe ich noch keinen DVD-Player, denn dann würde ich wahrscheinlich noch mehr Geld los werden.Ende April gab es in Frankfurt zum zweiten Male ein japanisches Filmfestival namens Nippon Connection.

An fünf Tagen wurden ca. 20 Filme, 30 Kurzfilme und zig Videoproduktionen gezeigt. Im Rahmenprogramm gab es lecker Nudelsuppen, Sushi, ein Konzert mit Melt Banana (dazu später mehr) und allerlei Verrücktes, wie Kendo-Vorführungen und japanische DJs. Um den Verdacht von Vetternwirtschaft zu entkräften, nein, weder ich noch sonst wer vom Trust hat mit diesem Festival zu tun.

Ich will jetzt auch gar nicht groß Werbung für das Festival machen, sondern einfach von den Filmen, die ich gesehen habe, meine persönlichen Favoriten vorstellen. Vielleicht läuft einer der Filme ja mal bei euch in einem Programmkino.

Der Eröffnungsfilm war „Ichi The Killer“ (Koroshiya Ichi) von Takashi Mike. Ich muß gleich vorweg sagen, daß ich diesen Film relativ schlecht finde. Es geht in weiten Sinne um einen Yakuza, der das Verschwinden seiner Clanchefs aufdecken soll. Der Gegenspieler dieses Yakuzas ist der Titelheld. Das klingt erst mal recht normal, nur startet ab der ersten Sekunde des Filmes eine wirklich derbe Splatterorgie, bei der das Blut nur so Eimerweise über die Leinwand fließt. Das ist OK, ich mag Splatterfilme, kann bei Tanz der Teufel lachen und sogar dabei Spaghetti essen.

Was ich bemängele ist die extreme Darstellung von Gewalt gegen Frauen. Jeder Film braucht einen Held, mit dem man sich identifizieren kann, das ist einfachste Dramaturgie, bei Ichi The Killer wird das für mich recht schwer, den der Yakuza, ist gleichzeitig ein Sadist, der gefesselten Frauen mit dem Teppichmesser die Brustwarzen abschneidet, und Masochist der hofft seinen Meister zu finden und ins Nirwana gequält zu werden. Der Titelheld ist psychisch ein völlig kaputter Typ, der einerseits als Rächer dargestellt wird, aber auch onanierend beobachtet wie einen Frau bei einer Vergewaltigung fast totgeschlagen wird.

Diese recht kranke Darstellung von sadistischen Tendenzen in der japanischen Gesellschaft scheint in Japan nicht unbedingt zu stören. Der Film ist dort scheinbar sehr erfolgreich, hat meines Wissens nach auch einen Preis beim Sundance Festival bekommen. Weiter unten im Gespräch mit Yasuko von Melt Banana versuchte ich diese für mich nicht nachvollziehbare Akzeptanz zu ergründen und stieß auf mehr oder weniger Unverständnis.

Der nächste Film den ich gesehen habe war „Battle Royale“ von Kinji Fukasaku. Der ist zwar auch recht blutig, bekommt von mir aber die volle Punktzahl!! Muß man gesehen haben. Die Story ist klasse, weil plausibel. Japan in der näheren Zukunft. Um Gewalt und Verbrechen an Schulen und unter Jugendgangs zu unterbinden wird willkürlich einmal pro Jahr eine Schulklasse ausgesucht, auf eine Insel gebracht und vor eine einfache, aber brutale Aufgabe gestellt. Alle haben ein Halsband mit Sprengstoff um den Hals und bekommen eine Waffe.

Sie haben drei Tage Zeit um sich gegenseitig umzubringen. Sollte nach den drei Tagen mehr als einer noch am Leben sein, werden alle Verbleibenden in die Luft gesprengt. Ist nur einer übrig, ist er/sie der Sieger und bekommt die Freiheit und Geld. Im Grunde genommen geht es in diesem Film auch nur ums Abschlachten, aber trotz der Splatterszenen funktioniert der Plot, die Charakteren sind echt.

Als nächstes habe ich mir einen Manga angeschaut. „Metropolis“ von Shigeyuki Hayashi. Naja, kein japanisches Filmfest ohne Manga dachte ich mir, ist auch ganz nett, aber Zeichentrick ist einfach nicht mein Ding. Die Story ist so einen Mischung aus Tim & Stuppi und einer Liebesgeschichte. Das einzige, daß ich wirklich klasse fand, waren die Schwenks und Kamerafahrten, denn dort wurde das Potential der Animation voll ausgeschöpft, denn als Realfilm gedreht, müßte man die Kamera auf einen ferngesteuerten Hubschrauber montieren, um so etwas zu drehen.

Nett, für den, der so etwas mag.
Jetzt kommt der Film der mich am meisten begeistert hat. „Blue Spring“ (Aoi Haru) von Toshiaki Toyoda. Toyoda wird einigen durch seinen Film „Pornstar“ bekannt sein, der auch auf dem letzten Nippon Connection seine Deutschlandpremiere hatte. Meiner Meinung nach stimmt bei „Blue Spring“ einfach alles. Es geht um eine Klicke Gymnasiasten im letzten Jahr und um die völlige Sinnlosigkeit ihrer Existenz, um den alles beherrschenden Nihilismus. In teilweise zu schönen Bildern wird gezeigt wie Freundschaften zerfallen, Gewalt sich aus Langeweile generiert und Fußball langweilig wird. (hahaha) Wirklich ein toller Film, mit einem super Soundtrack eines Kenji Ueda, von dem ich schon mal gehört habe, aber nicht weiß wo. Falls einer mir sagen kann wer der Typ ist bitte ich um einen Mail ans Trust.

Weiter geht es mit einem Film der eigentlich keiner ist. „The Color Of Life“ von Yoshimasa Ishibashi. Eigentlich ist es eine Zusammenstellung der besten Sketche der japanischen Fernsehserie „Vermilion Pleasure Night“. Angekündigt als japanische Antwort auf Monty Phython, muß ich sagen, bekifft vor dem Fernseher bestimmt klasse, aber im Kino, nicht so toll. Aufgeteilt in vier Themenblöcke, Family, Food, Anger & Fear und Love gibt es Episoden der Fuccon Family, die ohne richtige Akteure, sondern von Schaufensterpuppen gespielt werden, die Zombie Family, drei Frauen in recht schlechten Zombiekostümen im Alltagsstreß, und weitere Obskuritäten wie singenden Putzfrauen, singende Fernsehköche, Spacemutanten in Pappmaché- Kostümen.

Vielleicht ist der Film auch besser als ich ihn in Erinnerung habe, aber direkt nach „Blue Spring“ fand ich ihn eher langweilig. Am zweiten Tag des Festivals spielten Melt Banana ein Konzert, das ziemlich Klasse war. 60 Minuten grandiose Power zwischen Grind und Noise. Wer die Möglichkeit hat sie irgendwo zu sehen, dem kann ich nur sagen, hingehen!!!!

Vor dem Konzert hatte ich noch die Gelegenheit mit der Sängerin Yasuko über japanische Filme im Allgemeinen und dem eigenartigen Frauenbild in „Ichi The Killer“ im Besonderen zu reden, bzw. ich habe es versucht. Problem war nur, daß ich das Gefühl hatte mit meiner Unverständnis relativ allein zu sein und vor allem mit dem, ich nenne es mal „Guitar Wolf-Problem, konfrontiert zu sein. Yasuko spricht ca. 50 Wörter Englisch, was die Antworten recht kurz und leider sehr ungenau werden lies. Ich mache ihr jetzt keinen Vorwurf daraus, mein Japanisch ist nicht existent, aber es ist für beide Seiten recht nervig, wenn man sich nicht richtig verständigen kann. Das Trust braucht einen Japaner!! Bewerbungen bitte an Dolf! Here We Go:

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Ich möchte dieses Interview, anders als sonst, nicht über die Band Melt Banana führen, sondern auch auf das Filmfest und die japanische Filmkultur eingehen. Wie fühlt ihr euch, als einzige Band zu diesem Filmfest eingeladen zu sein und so, fast schon als Aushängeschild für die neuere japanischen Kultur zu fungieren?
Yasuko: Also eigentlich weiß ich selber nicht, warum sie gerade uns ausgewählt haben. Aber es ist für uns eine sehr gute Gelegenheit vor Leuten zu spielen, die uns oder unsere Szene nicht kennen. Und außerdem können wir noch all diese tollen Filme sehen.

Werdet ihr in Japan denn auch als Teil der Kulturszene gehandelt, also wird über euch in den Feuilletons der Zeitungen geschrieben, oder seit ihr dort mehr eine „normale“ Rockband?
Yasuko: Nein eigentlich nicht. Über uns kann man in Musikmagazinen bzw. Fanzines lesen. Andere Zeitungen, die generell über Kultur berichten, schreiben eigentlich nie über Rockmusik, wie wir sie machen, sondern über Mainstreambands die dann auch viel bekannter sind.

Das Bild der japanischen Kultur und Lebensart, das man als Mitteleuropäer so erfährt, ist oft von Extremen begleitet. Eine Band wie die Bordoms zum Beispiel. Auch die Darstellung von Gewalt, speziell gegen Frauen, in den Filmen ist sehr extrem. Ist diese Darstellung nun ein fiktives Bild von Japan, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat, oder ist die Darstellung gar nicht so übertrieben?
Yasuko: Vieles ist übertrieben, aber im Grunde genommen stimmen die Darstellungen.

Gestern habe ich „Ichi The Killer“ gesehen, ich hoffen du kennst den Film, und ich war sehr erstaunt eben diesen Film am Eröffnungsabend des Festivals zu sehen. Der Eröffnungsfilm ist nicht immer des beste Film des Festivals, aber er zeigt doch oft die Richtung der ausgewählten Filme. Gestern wurde also mit „Ichi The Killer“ ein Festival über den neueren japanischen Film eröffnet. Ich fand den Film nicht besonders gut, denn seine traditionelle japanische Yakuza Geschichte war so mit völlig übertriebener Gewalt vollgestopft, was der Film nicht brauchte. Besonders die Vergewaltigungsszenen und überhaupt das offene Quälen von Frauen wurde ohne dramaturgischen Nutzen einfach dargestellt.
Yasuko: Also ich muß gestehen, daß ich den Film nicht selber gesehen habe, aber ich sehe sehr viele japanische Zeichentrickfilme. Diese sind auch immer sehr brutal, dort gibt es auch immer Vergewaltigungen, das ist normal. Die heutigen Filmemacher beziehen sich oft auf die Mangas.

Na gut, aber die Frage bleibt doch warum Gewalt gegen Frauen als völlig normal gesehen wird.
Yasuko: Das liegt daran, daß die Comics für Erwachsene und nicht für Kinder gemacht werden. Ich selber lese sehr viele Mangas, auch weil die Geschichten sehr gut gemacht sind. Mangas sind gut, sie sind wie Romane. Die meistem Japaner sind Buddhisten, deswegen gibt es zum einen sehr viel Gewalt in den Comics und Filmen zum anderen aber auch sehr viele spirituelle Themen, die aber nicht von Außen kommen sondern in einem selber sind. Buddhisten glauben an eine spirituelle Kraft im Körper.

Als Europäer denk man immer, daß junge Leute in Japan durch die Eltern, die Schule und die Gesellschaft viel mehr Restriktionen auferlegt bekommen, einerseits viel weniger Freizeit haben und andererseits weniger Freiräume haben. Ist das jetzt meine Vorstellung, oder sind Teenagers in Japan gar nicht so brav?
Yasuko: Das stimmt absolut. Als ich jung war, so in der High-School mußte ich immer um fünf Uhr nachmittags zu Hause sein. Ich mußte nach der normalen Schule in eine zweite Schule gehen, um noch weiter zu lernen, damit ich es schaffe auf die Universität zu gehen. Ich bin nie weggegangen, war nie in einer Kneipe, oder so.

Wie hast du es dann geschafft überhaupt eine Band zu gründen?
Yasuko: Naja, nach der High School kommt man auf die Universität, und dann ist man frei! Dann kann man endlich tun was man will. Normaler Weise hören alle, sobald sie auf der Uni sind, mit dem Lernen auf. Dann geht man nur noch in Bars und hat Spaß.

Wenn ich mir alte Filme von Kurosava ansehe, speziell die alten Samurai-Filme, wird immer ein besonderer Ehrenkodex gezeigt. Auch in seinen in den 60ern spielenden Filmen ist dieser Kodex zu finden. Ist dieser Kodex im modernen Japan existent? Oder ist das nur eine romantische Verklärung?
Yasuko: Nein, das ist das Bild das die alten Leute von sich haben, das ist ein Märchen. Heute ist die japanische Gesellschaft normal.

Dann ist also auch ein Fotograf wie Nobuyoshi Araki (bekannter japanischer Fotograf, der sehr oft in den Grenzen zwischen Pornographie und Bondage arbeitet) ein normaler Künstler? Er wird hier auf dem Festival morgen von Jean-Christoph Ammann, dem ehemaligen Chef des Museums für Moderne Kunst und bekannter Kunstkritiker geehrt. Gleichzeitig dürfen seine Bücher, so weit ich weiß, in Bayern in Buchläden nicht im Regal stehen.
Yasuko: Also Araki ist in Japan ein normaler Künstler.

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Naja, manchmal klappt ein Interview, manchmal nicht, ich würde sagen, diesmal hat es eher nicht geklappt. Das Gespräch ging noch weiter, aber es kam mir so vor, daß ich mit meiner Kritik an dem japanischen Frauenbild, dem Vorhandensein von einschweißten Schulmädchenschamhaaren in Automaten auf S-Bahnhöfen, recht allein war. Das Erstaunen über meine Fragen ging fast so weit, daß ich mich wie ein Sittenwächter fühlte, was ich ja nun eigentlich auch nicht bin. Vielleicht ist es auch so, daß ich mich als blöder Mitteleuropäer geoutet habe, und das alles doch ganz normal ist?!? Egal, schaut euch die Filme an, wenn ihr die Chance habt, wer in der Nähe von Frankfurt wohnt, die nächste Nippon Connection ist in Frühjahr 2004.

Text, Bilder, Interview (naja…) : Al Schulha

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