Juli 1st, 2019

MAXIMUM ROCKNROLL Fanzine (# 184, 2017)

Posted in interview by Jan

Trust: Warum sind gedruckte Punk Fanzines noch wichtig?
Grace: In einer Welt, in der unsere Community und Kultur aggressiv zu einer Ware gemacht und von gigantischen Firmen als unabhängige Sache verschleiert wird, ist es wichtig, an den Formaten festzuhalten, die so lange gut für uns waren! Die Materialität von Print ist auch erstaunlich – in fünfzig Jahren werden wir immer noch Ausgaben vom MRR und Trust zum Durchblättern haben, lange nachdem Links zu Noisey zu 404-Fehlern reduziert sind.

MAXIMUM ROCKNROLL FANZINE

Klar, es gab vor dem Maximum RocknRoll Fanzine schon gedruckte Punk-Fanzines, zum Beispiel das PUNK Magazine in New York oder das FLIPSIDE aus Los Angeles. Aber sie sind lange tot. Wer sich für gedruckte Punk-Fanzines interessiert und nicht im Gestern leben möchte, der kommt am Maximum RocknRoll (MRR) Fanzine aus San Francisco nicht vorbei.

Gestartet Ende der 70er als Radio-Show in Berkeley, u.a. mit Tim Yo, Jeff Bale, Ruth Schwartz und Jello Biafra, wurde 1982 die erste Ausgabe publiziert. Wikipedia sagt dazu: „Tim Yohannan vom MRR veröffentlichte die erste Print-Ausgabe 1982 als Booklet zum Alternative-Tentacles-Sampler „Not So Quiet On the Western Front“, der 47 Bands aus Nevada und Nordkalifornien vorstellte“. Seitdem erscheint monatlich eine neue Nummer (und sie sind schon bei mehr als 400 Ausgaben), alles in Non-Profit-Arbeit, Geld bekommt keiner. Zudem gibt es noch das MRR-Radio, das Archiv mit der riesigen Plattensammlung und das Label; früher gab es noch den Blacklist-Mailorder und den Epicenter-Plattenladen in San Francisco und Tim Yo, der legendäre Chef des Heftes bis zu seinem Tod 1998, besorgte zusammen mit anderen Aktivsten 1986 die Gründung des bekanntestem AJZ der USA, der 924 Gilman Street in Berkeley.

Den Laden gibt es heute noch, allerdings gibt es Spannungen, dazu im Interview mehr. Seit Tim´s Tod kamen Koordinatoren und gingen wieder, für Trust # 106 von 2004 sprach ich live im Headquarter in San Francisco mit Mike Thorn, der musste aber gehen, weil er sich u.a. an der Kasse des Heftes vergriffen hatte. Dann unterhielt ich mich für Trust # 135 von 2009 wieder an gleiche Stelle in Kalifornien mit den damals neuen Macherinnen. In diesen beiden Interviews gab’s auch lange Einleitungen, bei Interesse lest euch die alten Interviews nochmal durch und es gibt auch einen guten englischen Wikipedia-Eintrag zu dem Heft und seinen Projekten (und auf der MRR-Seite werdet ihr zur Geschichte des Heftes fündig).

Grace Ambrose ist seit Mitte 2014 die aktuelle Koordinatorin für den Inhalt, mit ihr wollte ich mich über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des MRR austauchen. Das Trust hat u.a. durch Dolfs Reisen nach Nord-Kalifornien (in den 80er) und seiner Freundschaft zu Tim Yo immer schon gute Connections zum Heft (1987 gab es zum Beispiel die Split-Ausgabe vom Trust mit dem MRR zu europäischen HC-Punk-Szene und Anzeigen tauschen wir auch schon seit vielen Jahren)… Die Struktur des Heftes ist ganz anders als sonstige Fanzines: es gibt die Zentrale in San Francisco, ein Haus, dort leben die Koordinatoren, dort ist die Plattensammlung (50 000 Vinyls!) und dort wird auch die Radio-Sendung produziert. Viele Shit-Worker kommen aus der Gegend der Metropole an der amerikanischen Westküste. Und natürlich gibt es in den USA und weltweit auch noch Schreiberinnen…Sodann, da melden wir uns doch jetzt gleich mal in der Bay Area bei Grace, unser Dialog ging in der ersten Hälfte 2017 über die Bühne.

Liebe Grace, willkommen zum Gespräch. Könntest du dich unseren Leserinnen vorstellen, die dich nicht kennen?
Mein Name ist Grace Ambrose. Ich bin 27 Jahre alt und habe die meiste Zeit meines Lebens an der Ostküste der USA – in Philadelphia und den Vororten von Washington, DC – verbracht, bevor ich dann nach San Francisco im August 2014 gezogen bin, um die Content-Koordinatorin des MRR zu werden. Zusätzlich zu der Aufgabe, das Heft am Laufen zu halten, spiele ich noch Gitarre in einer HC-Punk-Band namens Mozart, betreibe ein Plattenlabel namens Thrilling Living und arbeite als Editorin bei dem SFMOMA, dem Museum für Moderne Kunst hier in San Francisco.
Wie ging das vonstatten, dass du Koordinatorin wurdest? Musstest du in die Bay Area fliegen für ein persönliches Interview mit dem Gremium-Rat des MRR? Wie können wir uns diesen Prozess der Selektion vorstellen?
Der Bewerbungsprozess für eine Koordinatorin-Position beim MRR ist sehr intensiv – es gibt einen circa zwölf Fragen langen schriftlichen Fragebogen (ich glaube, meiner war über acht Seiten lang!), gefolgt von schriftlichen Arbeitsproben (eine Kolumne und einige Platten-Reviews). Dann gibt es ein Telefon-Interview mit zahlreichen Fragen zur Punk-Geschichte, zu deinen Management-Fähigkeiten, zu Politik und zu deiner Vision für das Heft. Und wenn es notwendig ist, gibt es dann noch ein Telefon- oder live-Interview. Jeder Schritt in diesem Prozess wird durch den Rat vom MRR überprüft. Dieser Rat, also dieses Gremium, besteht aus einigen früheren Koordinatoren und Shitworkern, die schon lange dabei sind, da sind zum Beispiel welche dabei, die das Heft seit den 80er mitgestalten.

Die meisten, die sich bewerben, kommen nicht über den ersten Schritt hinaus. Am wichtigsten ist es zu zeigen, dass du das Heft liest und verstehst. Du würdest überrascht sein, wie viele Leute sich bewerben, die das Heft in seiner aktuellen Form überhaupt nicht kennen! Warum sollten sie dann ihr Leben einer Sache widmen, die für sie gar nicht so wichtig ist, die sie nicht so sehr kennen? Der Prozess der Auswahl eines Koordinators ist tricky – es muss jemand sein, mit dem wir sowohl gut zusammenarbeiten und als auch komfortabel miteinander leben können. Hier im Heft existiert eine wirklich enge Umgebung, die sehr intensiv ist, und da passt einfach nicht jeder dazu. Wir suchen nach einer Balance – einem Team von Leuten, die sich gut ergänzen! Es gibt momentan vier Koordinatoren-Positionen: für das Archiv und den Vertrieb.
Danke für den Einblick in diesen internen Prozess. Was sind deine Aufgaben als Koordinatorin für den Inhalt?
Ich bin die Herausgeberin, Chef-Redakteurin, Gebäude-Managerin, Buchhalterin, Rechnungsprüferin, Chefin vom Dienst und Schluss-Redakteurin, Grafik-Designerin, Hausmeisterin … Also alle Positionen, die es bedarf, ein Geschäft oder eine Zeitschrift zu managen, die mache ich, natürlich zusammen mit den anderen Koordinatorinnen. Wir alle haben unterschiedliche Aufgaben, aber so ganz im Allgemeinen gilt die Aufgabe der Content-Koordinatorin als der intensivste Job – wir haben die strengsten Deadlines und überwachen die beweglichsten Positionen.

Deshalb sollte es eigentlich zwei Content-Koordinatorinnen geben (sie ist im Moment alleine, JR)! Ich bin dafür verantwortlich, alles, was an Inhalt im Heft ist, auszusuchen, auszuwählen, zu editieren und zu bearbeiten. Das bedeutet, dass ich jeden Monat mit über hundert Leuten korrespondiere, damit alles funktioniert. Ich denke, dass die Tätigkeit des Koordinators eine sehr wichtige ist. Meine Aufgabe ist es, sehr viele dynamische Vorgänge, die von sehr unterschiedlichen Leuten in Bewegung gesetzt und betreut werden, zusammen zu setzen. Es geht also einerseits um das große Ganze und andererseits um die kleinsten Details.
Kannst du uns einen guten Tag im Büro beschreiben? Was wäre ein schlechter?
Mehr als hundert Leute haben den Schlüssel zum Büro und das Haus bzw. die Redaktion ist von zehn Uhr morgens bis 22 Uhr „geöffnet“, jeden Tag. Das bedeutet, dass du manchmal die Treppe runterkommst und deine Küche (die auch gleichzeitig deine Büro-Küche in deinem Büro ist) voller Shitworker ist, die da sind, um gerade eine Radio-Sendung aufzunehmen, Platten-Reviews zu schreiben oder einfach so rumzuhängen. Ein guter Tag im Büro wäre einer, an dem ich nicht so viele E-Mails bekomme. Das ist der schlechteste Teil des Jobs – endlos viele Nachrichten! Die besten Tage sind dann, wenn wir tourende Bands aus dem Ausland in unserem Haus begrüßen dürfen.

Wir machen dann vielleicht mit ihnen eine Radio-Sendung oder hängen einfach zusammen ab und trinken Bier in unserem Innenhof. Ich lerne immer viel über großartige neue und alte Bands dazu, wenn wir Bands als Besuch bei uns haben. Jede Gruppe betrachtet unsere Plattensammlung mit einer unterschiedlichen Perspektive und es ist immer interessant zu sehen, was dann die Leute aus dem Regal herausziehen. Die schlechtesten Tage? Oh je, weißt du, überraschend auftauchende Rechnungen, Lecks im Dach, Computer-Abstürze, Besuch vom Vermieter, angepisste Anrufe von grimmigen alten Männern!

Und ja, das alles ist schon mal an einem einzigen Tag passiert. Es gibt in einem Monat sowas wie Ebbe und Flut – die Woche, in der das Heft in den Druck geht, die ist natürlich sehr arbeitsintensiv, da gibt es zwölf Stunden Schichten. In anderen Wochen, zu Beginn des Monats, wenn es gerade erst so langsam wieder losgeht, dann ist es relaxter. Am End, das tolle an diesem Job ist es, dass wir unsere eigenen Chefs sind. Wir sind verantwortlich im Hinblick auf die Shitworker und für uns selbst und müssen immer unsere Deadlines einhalten. Aber es gibt keinen, der dir sagt, dass du jeden Morgen um neun Uhr am Schreibtisch sein musst. Ich kann meine Arbeit erledigen, wann immer ich will, da bleibt viel Zeit für den Spaß innerhalb und außerhalb des Hauses übrig.
Beschreibt doch mal, wie du lebst, die Koordinatorinnen leben ja alle im MRR-Haus in San Francisco oder? Wie viele leben dort? Und ihr müsst keine Miete dort zahlen, richtig?
Vier Leute leben hier im Haus. Niemand, der für das Heft arbeitet, wird bezahlt und die Koordinatorinnen sind die einzigen, die überhaupt irgendeine Art von Kompensation bekommen – eben die, dass wir hier mietfrei leben dürfen. Wir zahlen auch keine Rechnungen. Die Miete in San Francisco ist sehr sehr teuer, aber selbst wenn du miteinberechnest, wie viel wir pro Stunde „bekommen“, das ist nicht sehr viel! Das Haus gehört nicht dem MRR. Wir bezahlen monatlich die Miete mit den Einnahmen aus dem Vertrieb, den Anzeigen, den Abos und dem Merch.
Wie gefällt dir San Francisco? Aus meiner Außen-Perspektive stellt es sich für mich so dar, dass es dort die beste und größte Punk-Szene weltweit gibt, es existieren so viele Bands… ist das wahr? Was sind vielleicht nicht so gute Sachen an der Szene?
Das ist überhaupt nicht wahr! San Francisco hat natürlich eine reichhaltige Punk-Geschichte, aber es ist hier so teuer und der Platz ist so begrenzt, dass die aktuelle Szene darunter leidet. Es gibt keine nachhaltigen DIY-Orte in der Stadt und immer weniger zum Zeitpunkt unseres Gespräches, weil die Stadt Lagerräume und Kunst-Galerien nach dem tragischen Ghost-Ship-Feuer in Oakland schließt! San Francisco hat auch eine sehr alte Szene – es gibt kaum junge Leute, die Musik machen, weil viele der Plätze, an denen Konzerte stattfinden, Kneipen sind, die sehr alters-restriktiv sind! Ich treffe mich gerade nächste Woche mit einigen Teenagern, um darüber zu reden, wie ältere Punks ihnen helfen können, wie man einen Ort in der Szene finden und betreiben könnte.

Das MRR-Haus liegt nicht weit weg von Oakland, circa 25 Minuten mit dem Zug, und es gibt Verbindungen zwischen diesen Szenen. Sie haben dort mehr Platz, deshalb gibt es dort mehr Optionen für Konzert-Orte. Ich spiele in Bands mit Leuten aus Oakland und wir spielen die meisten Konzerte dort. Als ich in Philadelphia lebte, da hatte jeder einen Proberaum in seinem Keller von ihrem Haus. Hier dagegen muss jeder Miete für seinen Proberaum bezahlen, um überhaupt Musik machen zu können. Ich denke, das alles limitiert das Potential von Bands. Es machen dann nur diejenigen Leute Musik, die es von ihren monetären Investitionen her als wertvoll erachten, zu proben, was bedeutet, dass es immer wieder und wieder die gleichen Leute in den Bands sein werden.

Ich denke, dass hält neue Leute davon ab, eine Band zu gründen. Und so haben wir dann hier immer wieder und wieder den gleichen Kram, der sich wiederholt. Ich finde es deshalb schwierig, Begeisterung für einen großen Teil der hier gemachten Musik zu haben… Es gibt aber einige coole Punk-Projekte hier, zum Beispiel „Punks with Lunch“, die geben Nahrung an Obdachlose weiter; oder die „Scream Queens“, die betreiben einen Piratenradio-Sender und bringen ein Heft heraus; oder „Think and Die Thinking“ in San Jose, sie veranstalten ein Festival und kümmern sich um Jugend-Programme, des Weiteren gibt es noch das „Manic Relapse Fest“, sie sind dafür verantwortlich, dass die Spike-Punks jeden Frühling einen Grund haben, hier zu uns in die Bay Area zu kommen! Und schlussendlich existiert hier natürlich noch das MRR, das ultimative und beste Punk-Projekt der Welt!
Verstehe. Was für aktuelle und alte Bands aus San Francisco gefallen dir den so?
Also an aktuellen SF-Bands gefallen mir u.a. Flesh World, Ugly, SBSM und Flail. Bei den alten Bands sind es die Dead Kennedys (natürlich! Meine allererste Lieblingsband!), Inflatable Boy Clams, Flipper, Negative Trend und Yi. Von den aktuellen Bands, die leider nicht mehr existieren, da mag ich Penny Machine, Grass Widow, Rank / Xerox, Stillsuit und Wet Drag, alle geil!
Wie ist deine Meinung bezüglich des Boykotts der 924 Gilman?
Ich habe ausführlich darüber im Heft geschrieben. Gilman war ein inspirierender Ort für mich als Teenager und es war natürlich schwer, zu realisieren, dass es nicht das war, nach dem es aussah bzw. eben nicht das war, was sie sagten – bestimmt nicht ein Ort, der das umsetze, was als Slogan an die Wand geschrieben war, von wegen „No sexism, no racism, no homophobia“ etc. Wirklich sehr enttäuschend ist es, dass der Laden sich weigerte, Kritik zu hören oder einen nachhaltigen Dialog zu führen über die Dinge, die hervorgebracht wurden. Gilman-Mitglieder und Unterstützer sind zu sehr beschäftigt, um den Schaden zu verstehen; sie sagen, dass die Kritiker „zu sehr PC“ sind, sie verstehen einfach nicht die Realität der politischen Aktivitäten vor ihren Augen.

Wie ich bereits erwähnte, wir haben nicht sehr viele DIY-Orte hier in der Bay Area. Niemand will, dass ein Ort wie Gilman zumacht, aber wir wollen auch nicht untätig rumsitzen, wenn sie Trans-Frauen ausschließen oder über Muslime auf der Bühne spotten (es gab noch mehr Beleidigungen!). Ich glaube immer noch, dass es Potential für einen Wandel gibt, aber einige der verantwortlichen Leute müssen wirklich sehr stark und ernsthaft ihr Denken überprüfen, die Köpfe aus ihren Ärschen rausnehmen und zuhören anstatt zu beschimpfen und zu mobben.
Kannst du uns (nochmal) die Infos geben, warum die früheren MRR-Schreiber Mykel Board und George Tabb nicht mehr ihre Kolumne schreiben dürfen?
Nein. Jeder kann das für sich selber im Heft nachlesen 🙂 Es ist nicht fair, dass die Koordinatoren immer wieder danach gefragt werden. Die Gründe wurden ganz klar gesagt, als Mykel und George gefeuert wurden. Dieses Heft ist viel größer als diese zwei Männer (viel viel größer). Diesen zwei Männern verdankt man nicht so viel, wie sie denken. Ich möchte sie jetzt nicht aus der Geschichte herausstreichen, aber interessierte Leute können sich die Infos selber besorgen. Frag` mich doch lieber nach unseren neuen Kolumnisten oder Rezensenten und warum ich davon begeistert bin, dass sie nun an Bord sind.
Zelebriert ihr eigentlich noch jede neue Ausgabe mit Bier und Pizza?
Jepp! Unser alter Vertriebs-Koordinator arbeitete in einer Brauerei, von daher hatten wir immer viel Bier direkt zur Hand. Am ersten Sonntag jedes Monats kommen alle vorbei, wir machen die Hefte für die Abonnenten und für die inländischen und internationalen Distros zum Versand fertig. Es ist eine großartige Möglichkeit, als Einsteiger bei dem Heft mitzumachen und auch, wenn Leute nur zu Besuch da sind … Also, wenn ihr in der Stadt am „New Issue“-Tag seid, kommt vorbei und helft uns!
Machst du eigentlich auch bei der Radio-Sendung mit?
Yup! Wir rotieren, wer gerade die Sendung macht, deshalb bin ich alle acht Wochen oder so dran! Ich nehme auch zahlreiche Sendungen mit den tourenden Bands auf, also, wenn sie vorbeikommen und uns auf dem Gelände besuchen.
Die Post-Preise steigen und steigen, ich könnte mir vorstellen, dass das Probleme für den internationalen Vertrieb bedeutet, gibt es aus diesem Grund die PDF-Downloads heutzutage?
Das ist ein Teil des Grundes! Wir wollten einige Zugangsbarrieren aus dem Weg räumen – es kann bis zu elf Dollar kosten, um eine einzelne Ausgabe nach Europa zu verschiffen. Das ist sehr viel Geld für viele Punks und wir machen darüber hinaus auch keinen Profit bei diesen einzelnen Ausgaben! PDFs sind für uns billig herzustellen, klar, und sie sind einfach zugänglich für die Leute, die in der Ferne leben. Im Juni werden wir unser online-Archiv mit all den über vierhundert Ausgaben in digitaler Form publizieren, das wird sehr aufregend. Hoffentlich wird es die Leute dazu ermutigen, monatlich die PDFs zu abonnieren.
Wie vertreibt ihr das MRR in den Staaten? Ich erinnere mich daran, dass ich 2004 mal eine Ausgabe des Heftes im Buchladen der UCLA, der Uni in Los Angeles, gekauft habe, geht so was immer noch?
Wir haben unterschiedliche Vertriebswege – Plattenläden und kleine Buchläden, kleine Distros, die das Heft auf Konzerten verkaufen etc. Und dann haben wir noch die großen Vertriebe wie Ingram, Media Solutions und Small Changes. Orte wie der UCLA-Buchladen würden das Heft über eine Firma wie Ingram beziehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie es immer noch anbieten!
Was sind eure Pläne bezüglich dem großen Online-Archiv, ihr habt dafür ja viele Spenden einsammeln können?
Wie ich bereits erwähnte, im Juni werden wir eine Sammlung hoch-qualitativer PDF-Downloads von all unseren Backissues publizieren. Kurz danach werden wir die Online-Database unser Plattensammlung – fast 50 000 Platten – und alle begleitenden Plattenreviews implementieren, da alles wird per Suche durchforstbar sein. Du wirst dann in der Lage sein, Bands nach Ländern, Jahren, Plattenlabel etc. zu suchen. Es wird dann einfach sein, eine Liste von denjenigen Bands zu erstellen, die jemals mit Discharge verglichen wurden!

Wir werden auch all unsere Radio-Sendungen von den späten 70er bis zu den frühen 80er digitalisieren, viele davon sendeten Interviews mit tourenden Bands und spielten Songs von Demo-Tapes, die im Laufe der Zeit irgendwo versandet sind. Die Spenden haben wir u.a investiert in die Bereiche Nachschub (weiche Plastik-Taschen und Papier-Innersleeves für jede Platte in unserer Sammlung!) und Technologie-Updates (Computer, Scanner, Tape-Digitalisierer). Wir waren total weggeblasen von dem Support, den wir bekamen. Wir haben unser monetäres Spendenziel innerhalb der ersten 24 Stunden erreicht! Das Projekt wird in einzelnen Phasen finalisiert werden, die erste Phase wird Anfang Juni 2017 zu sehen sein.
Hat sich eigentlich eure LOS CRUDOS-Doppel-LP-Diskografie gut verkauft?
Yepp! Die war schnell ausverkauft. Es war unglaublich nett von Los Crudos, dass sie ihre Erlöse dem Heft gespendet haben – ihre Band ist für uns alle ein Beispiel für Großzügigkeit, Community-Support und den echten DIY-Spirit!
Wie gestaltest du dir deine Zeit abseits von Punk? Ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwer ist, befreit zu atmen, wenn du 24 Stunden sieben Tage die Woche Punk um dich herum hast.
Ja! Es ist wirklich schwer. Wenn du Koordinatorin wirst, dann wird das, was vorher dein soziales Leben war – zu Punk-Konzerten gehen, in Bands spielen, Platten hören – plötzlich zu deinem Job! Ich hab immer noch Spaß an all diesen Dingen, aber es ist schon nicht ganz einfach: wenn du manchmal auf Konzerte gehst, wollen die Leute mit dir nur über deine Arbeit reden! Ich verbringe einen großen Teil meiner Zeit damit, Musik zu hören, die kein Punk ist, zum Beispiel Jazz, Folk, Hip-Hop und Noise. Und ich bin oft in der freien Natur, unternehme Strand-Spaziergänge und gehe in den Wäldern von San Francisco wandern. Das ist gut, um von dem Punk-Krach und auch von den Bildschirmen wegzukommen!
Wie finanzierst du dich eigentlich, klar, ihr könnt mietfrei mitten in der Stadt leben, aber…?
Ich arbeite als Redakteurin hier bei dem modernen Kunst-Museum in San Francisco, bei einer Publikation namens „Open Space”. Andere Koordinatorinnen arbeiten bei einem Platten-Vertrieb und in einem Coffee-Shop. Wir alle arbeiten drei Tage die Woche in unseren anderen Jobs und den Rest der Zeit sind wir beim MRR. Mein Job bringt genug Geld fürs Essen, Bier, Reisen und Platten!
Ich mag das MRR sehr, als alter Flipside-Leser gefällt mir auch das Razorcake. Wie ist eure Beziehung zu dem Heft, ihr tauscht ja Anzeigen, das ist ja gut…?
Wir tauschen Anzeigen mit dem Razorcake, das machen wir schon seit langer Zeit. Ich denke, die zwei Publikationen sind sehr sehr unterschiedlich und sie haben auch unterschiedliche Rollen in der Punk-Community. Es gibt genug Raum für viele Stimmen!
Wie lange siehst du dich noch in der momentanen Position beim MRR?
Ich bin jetzt seit 2,5 Jahren hier und ich vermute, dass ich noch für ein weiteres Jahr oder so bleiben werde. Es gibt bestimmte Projekte, die ich noch durchführen will – das Archiv-Projekt weiterentwickeln und an dem MRR-Buch arbeiten. Wenn ich diese Dinge fertig gemacht habe, dann fühle ich mich bereit, zu gehen.
Wo siehst du das Heft in fünf Jahren?
Immer noch am Start! Hoffentlich immer noch finanziell stabil und immer noch die umfassendste Quelle für die internationale Punk-Szene. Ich denke, dass das Archiv-Projekt dazu beitragen wird, dass die Leute sehen, wie die momentane Inkarnation des MRR in die Geschichte von Punk als Ganzes passt und hoffentlich bekommen wir so auch einige neue Fans.
Stimmt der Eindruck, dass es oft einen Wechsel in den Koordinatorinnen-Positionen gibt? Warum? Gut, dass du konstant seit mehr als zwei Jahren dabei bist.
Der Job ist hart und er ist nicht für jeden! Es ist null glamourös, überhaupt nicht. Einige Leute sind weg, weil wir es so wollten und andere sind nicht mehr da, weil es für sie nicht passte. Wir wollen nicht, dass das Heft darunter leidet, wenn jemand nicht gut passt und wir wollen nicht, dass die Leute für das Magazin leiden. Zum MRR zu ziehen war die beste Entscheidung, die ich jemals traf und ich bin so dankbar für meine Zeit hier beim Heft, aber ich verstehe auch, dass das nicht für jeden gilt.
Ist es schwer für euch, genug Anzeigenkunden für jede Ausgabe zu finden? Wie geht ihr damit um, wenn Labels nur dann eine Anzeige machen, wenn es eine Story über sie, ihre Bands oder ein positives Review gibt?
Einige Ausgaben verkaufen besser Anzeigen als andere! Wir machen jeden Monat eine Liste der rezensierten Platten, e-mailen dann den Labels und informieren sie, falls sie eine Anzeige schalten wollen. Wir zeigen ihnen niemals die Rezension, bevor sie eine Anzeige machen. Ich verurteile nicht die Labels, die nur dann eine Anzeige machen wollen, wenn eine Story über sie oder ein Review von ihnen drin ist. Wir alle haben nur eine begrenzte Menge an Geld und wir müssen schauen, dass wir es sparsam und im besten Sinne ausgeben.
Warum sind gedruckte Punk Fanzines noch wichtig?
In einer Welt, in der unsere Community und Kultur aggressiv zu einer Ware gemacht und von gigantischen Firmen als unabhängige Sache verschleiert wird, ist es wichtig, an den Formaten festzuhalten, die so lange gut für uns waren! Die Materialität von Print ist auch erstaunlich – in fünfzig Jahren werden wir immer noch Ausgaben vom MRR und Trust zum Durchblättern haben, lange nachdem Links zu Noisey zu 404-Fehlern reduziert sind.
Hey, kurze Fragen am Ende… Slayer oder Metallica?
Metallica.
NOFX oder Bad Religion?
Keins von beiden.
Black Flag oder Flag?
„The First Four Years” und die „Demos von 1982”.
SKA-P oder Mighty Mighty Bosstones?
Weiter.
Kennst du deutsche Bands, wenn ja, was gefällt dir so?
Aktuelle Bands, die ich mag: Piss, Idiota Civilizzato, Mulltute. Ältere Bands: Rotzkotz, Isolierband, Hans-a-Plast, Bärchen und die Milchbubis, Vorkriegsjugend und viele mehr…
Kiss oder AC/DC?
AC/DC!
Danke für deine Zeit. Hast du noch irgendwelche Grüße an unsere Leser?
Lang lebe das Trust und lang lebe das MRR! Wenn irgendwelche deutschen Punks, die das hier lesen, etwas zum MRR beitragen wollen, bitte schreibt mir! Wir würden es toll finden, mehr Perspektiven auf den gegenwärtigen Punk in Deutschland zu haben. Wenn ihr jemals in San Francisco seid und uns besuchen möchtet, schreibt uns.

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: maximumrocknroll.com

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