September 7th, 2019

MATULA aus # 193/12-2018

Posted in artikel, interview by Jan

„Da ist es mir lieber, mit wenigen Statements auszukommen – manchmal sogar am liebsten, gar keine zu haben – und mir meine eigenen Gedanken über eine Band zu machen, gerne die Gefahr in Kauf nehmend, etwas ganz anderes in sie hineinzulesen, als die Künstler selbst darin sehen. Das hat nichts mit mangelndem Respekt gegenüber den Ausführenden zu tun – im Gegenteil: jede Interpretation zollt einer Sache mehr Ehre, Mühe und Einfühlungsvermögen als bloß ein Interview zu führen.“

Kaum läuft SCHWERE – das neue Album von MATULA – zum ersten Mal, ist dieses Gefühl da, zu wissen, warum ich diesen Scheiß – SCHREIBEN – über Sachen, die wichtig sind, mir wieder und wieder antue. Ich nicht damit aufhören kann und meine Euphorie, in Wörter gepackt, teilen muss. Obwohl ich mit dem Versuch die Musik von MATULA zu beschreiben nur scheitern kann. Trotzdem (oder gerade darum) macht sich das Gefühl breit, alleine durch das Hören dieser Platte, Teil etwas Großem zu sein.
Es entsteht der Wunsch, ein Interview mit MATULA zu führen. Die Band steht nach der Kontaktaufnahme prinzipiell zur Verfügung. Ich erbete mir Zeit, um SCHWERE angemessen zu würdigen, mir Gedanken zu machen und Fragen zu notieren.

Das Releasedatum verstreicht, ein weiterer Monat zieht unbemerkt vorbei, das Album packt mich, wächst, wird immer besser, ich beginne die nachfolgende Einleitung zu schreiben, aber die richtigen Fragen wollen mir nicht einfallen.

Vor vier Jahren, als zwischen den Feiertagen die Promo von AUF ALLEN FESTEN eintrudelte und ich die CD endlich am 4. Januar hörte, legte ich mich an diesem Tag in meiner Review fest und bezeichnete die Platte als Album des Jahres. Eine mutige Aussage so früh im Jahr. Ich sollte dabei bleiben, das Musikjahr 2014 brachte kaum Alben hervor, die es mit AUF ALLEN FESTEN aufnehmen konnten. Im Laufe der Zeit wuchs die Musik sogar noch. Je mehr ich verstand, desto genauer hörte ich zu. Trotzdem blieb manches verschlossen. Das ist nicht weiter schlimm, macht das gerade den Reiz aus. Nun also SCHWERE – das Album danach.

Die Überraschung ist nicht mehr ganz so groß, wie bei AUF ALLEN FESTEN, das sowohl textlich und musikalisch, als auch produktionstechnisch, eine Weiterentwicklung zum Vorgänger BLINKER darstellte. Die (Fort-)Schritte fallen nun kleiner aus, wohl wurde aber an einigen Stellschrauben gedreht. So wirkt SCHWERE noch ausgereifter als sein Vorgänger, welches sich thematisch kritisch mit einem Überangebot der Möglichkeiten und den Umgang damit auseinandersetzte. Auf dem Album gab es das Stück IN EINEM KRIEG, der sich mir nie ganz erschloss und unter dem ich einen Scheidungskrieg verstand. Nun folgt mit SCHWERE vielleicht so etwas, wie die Fortsetzung. Don’t call it Konzeptalbum. Call it Wiederauferstehung! Oder ist es gar eine Comeback Story?

Ganz greifen kann ich SCHWERE auch nach mehrmaligem Hören nicht. Die Frage, ob ich mir alles einbilde oder zwanghaft jeden Song, jeder Text in diese Idee packen will, kann ich nicht beantworten. Sicherlich passt nicht jede Zeile, jeder Satz auf SCHWERE in diese Idee. So einfach ist das Leben nicht. Neben einer gescheiterten Beziehung besteht weiterhin die Dringlichkeit den Alltag, mit Job, Freunden, Hobbys, Ansprüchen und so weiter, zu schaffen.

Mit jedem Durchlauf des Albums, verfestigt sich jedoch der Ursprungsgedanke. Da mögen die bereits veröffentlichten und teilweise von der Band auf Facebook geteilten, Interviews und Kritiken etwas anderes vermuten lassen. Wie lange die Promo vorab lief, kann ich nicht sagen. Allerdings ist es vielleicht ein Vorteil keinen Termindruck für diesen Text zu haben. Im Gegenteil, ich kann mir alle Zeit der Welt nehmen, dieses Album wird so oder so die Jahre überdauern, da kommt es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an, und ich werde SCHWERE wieder und wieder hören, bis ich es verstanden habe.

TEAM ist der Titel des Eröffnungsstücks. Ein Team besteht gemeinhin aus mehreren Personen, mindestens aber aus zwei Menschen, einem Duo oder einem Paar. Und schon sind wir im Thema. Im Song heißt es: „Zwischen all den Jahren war diese Stadt schon immer kalt.“ Würde die Zeile lauten; Zwischen den Jahren – wäre wohl der Jahreswechsel gemeint, der Sprung von einem Jahr ins Nächste. Der Text geht aber; zwischen all den Jahren … war es kalt. Demnach war es früher kalt und jetzt muss es wieder kalt sein. In der Zeit dazwischen hingegen war es warm. Oder vielleicht anders ausgedrückt, gemütlich, behaglich, schön oder gar beglückend. Genau zwischen all diesen Jahren ist aber etwas passiert und davon erzählt SCHWERE.

Der zweite Track führt uns auf den Rummel, eventuell den Hamburger Dom. Vielleicht bringt ein Ausflug etwas Ablenkung, den Kopf freikriegen, mal wieder etwas erleben, den Tag vergessen, nicht immer in der Bude hocken, sonst droht der völlige Zusammenbruch. Der Alltag läuft schließlich weiter, zerrt an einem und lässt nicht los. Am Ende bleibt die Einsicht „Dein Platz ist hier! Sollen sie doch versagen.“ Die anderen Idioten können ihre Beziehung in den Sand setzen. Du und ich doch nicht – wir sind anders. Oder? Leider mitnichten. Du und ich – wir waren höchstens anders.

Wie es wirklich um den Zustand des Albumhelden steht beschreiben BRACHLAND SONNENUNTERGANG und VERLETZTES TIER. In BRACHLAND wird zunächst die Vergangenheit beschwört, schließlich war das alte Leben nicht schlecht. Jetzt gilt es „raus aus der kleine Ecke“ zu kommen „und dann neu aufbauen“, denn „es ist nicht schön hier allein.“ Wenn das so leicht wäre. Es gab mal Pläne und Vorstellungen vom Leben. Wie sollen die nun (alleine) in die Tat umgesetzt werden? Wie ein VERLETZTES TIER wild um sich beißt, nimmt der Verlassene angebotene Hilfe nicht an. „Das ist kein Lauf der Dinge, das hier ist falsch.“ (Andererseits könnten einige Zeilen, ein Kommentar zum gesellschaftlichen Klima darstellen – schnell verbanne ich den Gedanken aus meinem Kopf, ich will mittlerweile, dass die Story passt.)

Die zuletzt zitierte Zeile wird in EINZELHAFT gleich darauf wiederholt. Das Stück bildet vielleicht das Kernstück des Albums. Das Hab und Gut des Paares wird aufgeteilt. Er haut aus der Wohnung ab, um sich den Mist nicht anzusehen. Unweigerlich springt die Szene aus dem Film/Buch High Fidelity in den Kopf, als der Held (Rob) eine ähnliche Situation beschreibt und die angesprochene Musikerin Marie de Salle einen ihrer Songs erwähnt, der davon handelt, wie sie sich mit ihrem Ex die Plattensammlung aufteilt. EINZELHAFT könnte eine Coverversion dieses Stückes sein. „Diese Heimat ist falsch, solang du noch da bist und die Wohnung voll ist.“ Dabei findet in EINZELHAFT ein anderer Film (bzw. Buch) Erwähnung. „Die Brücken am Fluss stürzen ein und jetzt muss ich schwimmen.“

Dies ist einer der wenigen Lieder auf dem Album, in dem auf die erste Person Singular als Erzähler zurückgegriffen wird und ganz eindeutig im Vordergrund steht. Häufig bedienen die Texte sich der zweiten Person, entweder weil jemand angesprochen wird oder als Mittel, um eine Distanz zum Erzähler zu wahren. Ein Indiz für eine größere emotionale Distanz zwischen Autor und Wirklichkeit?!

Zeitlich dürfte VERHANDLUNGSBASIS, (die Eröffnung der zweiten LP Seite) vor EINZELHAFT angesiedelt sein „Grenzen werden verhandelt“ und in den Lyrics ein weiterer Film erwähnt – Zurück in die Zukunft – dass gibt das Handlungsmotiv vor. Ein Partner zieht in eine andere Stadt (Land?), schimmert durch den Text. Folgerichtig geht der Blick zurück in die Vergangenheit, in der die Dinge vielleicht geradegebogen hätten werden können. „Hinfallen ist wie anlehnen, nur später.“ Sicherheit macht jeden Menschen träge, die Handlungen und Gesten von geliebten Personen werden schnell als selbstverständlich hingenommen. Schleichend investieren wir weniger in eine Sache, als wir sollten. Wir lehnen uns zurück, geben uns weniger Mühe und bemerken unsere Fehler erst, wenn wir auf die Schnauze fallen. Meistens ist es dann zu spät.

SCHÜTZENGRABEN beginnt mit einem abgebrochenen Aussagesatz: „Ich weiß nicht mehr… .“ Was folgt, bleibt der Fantasie des Hörers überlassen. Weiter? Ob alles noch Sinn hat? Warum wir das machen? Alles Möglichkeiten, wir erfahren nur, dass in der Zwischenzeit ein Jahr vergangen ist, aber nichts besser geworden ist. „Du musst verstehen, dass der Schmerz nie endet.“ Das Stück zeigt eine weitere Parallele zu den vorherigen auf, ein Motiv, welches bereits bei VERLETZTES TIER und EINZELHAFT verwendet wurde. Sicherlich nicht bloßer Zufall. In VERHANDLUNGSBASIS wurde noch über Grenzen verhandelt, nun heißt es: „Wenn Namen Grenzen ziehen“, dann verläuft diese Grenze zwischen Dänemark und dem Elsass. „Zu viel Wasser geschluckt, zu viel Sand in meiner Lunge.“ Wer (unter Wasser) zu viel Wasser schluckt oder Sand in seine Lunge bekommt, der wird, im wahrsten Sinne des Wortes, ertrinken oder anders ausgedrückt: untergehen. In diesem Fall geht der Alleingelassene unter oder hat zumindest das Gefühl nicht mehr weitermachen zu können.

Ich gebe zu, an dieser Stelle verlässt mich meine Fantasie. Wie sehr ich mich bemühe, einen Zusammenhang zu finden, fällt mir zusehends schwerer. Ich weigere mich zu glauben, dass es keinen gibt. Wahrscheinlich bleibt mir das Offensichtliche verschlossen. Das macht nichts. Irgendwann, zu einem Zeitpunkt, an dem ich es am allerwenigsten erwarte, werde ich die Bedeutung feststellen und mich ärgern nicht eher darauf gekommen zu sein. Bis dahin behelfe ich mir mit folgender Überlegung:
Das Titelstück ist vordergründig eine Geschichte über eine verlorene Freundschaft. Vielleicht aber auch über eine Fehlentscheidung, wenn sich jemand für Geld verkauft.

SCHWERE kann in diesem Zusammenhang aber ebenfalls als Metapher für ein Scheitern funktionieren und bleibt deswegen mysteriös und macht ratlos. Zumal die Teilstrophe: „Mit der Idee gestartet und mit dem Studium geendet. Mach dir nichts draus“, es nicht ins Textblatt geschafft hat. Ein Versehen oder volle Absicht? Der Song könnte eine Wende symbolisieren, wenn die hintergründige Thematik wirklich Scheitern oder das Weiterleben mit einem Fehler, der nicht wieder gutzumachen ist, sein sollte. „Mach weiter, bis die Schwere kommt.“

Mit DER MONARCH folgt der dritte Filmtitel auf dem Album – es handelt sich um einen Dokumentarfilm über einen Typen, der in den 70er Spielautomaten professionell geleert hat. Der Monarch verliert nie, heißt es in dem Film. Auf SCHWERE nimmt das Stück so etwas wie eine musikalische Wende ein, weil es der poppigste Song auf dem Album ist. „Du tust alles, um den Kurs zu ändern, er muss wieder stimmen.“

DEN GANZEN REST VERGESSEN behält den leicht poppigen, eines ansonsten gegenüber seines Vorgängers deutlich schnelleren Albums, bei und deutet musikalisch und textlich den Übergang zurück in den Alltag an. Einkaufen, mit Bekannten rumhängen, zusammen kochen und schließlich: „Die leeren Flaschen zum Container, alle Ängste hinterher.“ Die Ängste werden auf den Müll geworfen, um eben „den ganzen Rest vergessen.“ Es geht zurück ins Leben. Natürlich ist nicht alles gut. In MATULAs Texten ist eigentlich nie alles gut. Scheitern, Schmerz, Trauer und Ängste gehören zum Leben. Und diese Seite besingen MATULA. Doch am Ende bleibt stets ein kleiner Lichtblick. Es lohnt sich weiterzumachen.  An dieser Stelle verlassen MATULA die Hörer und lassen sie mit einem offenen Ende zurück. Wie es weitergeht, ob es überhaupt weitergeht, bleibt abzuwarten.

Ist das jetzt ein Haufen Mist, den ich verzapft habe? Ich überlege Teile des Textes zu nehmen, der Band ein paar Fragen zu schicken, um aus den Antworten einen neuen Artikel zu stricken. Vielleicht bin ich übers Ziel hinausgeschossen und einfach over the top – was maße ich mir an, Dinge zu behaupten, die ich gar nicht belegen kann, der Band quasi unterstelle? Dann schicke ich MATULA den Text und bitte um einen Kommentar.

Ein paar Tage passiert nichts und dann kommt die Antwort:  „Wenn sich Leute dermaßen Mühe geben, über etwas zu schreiben, dass man selbst gemacht hat und dann dabei noch das Kunststück schaffen, sich mehr Gedanken und Interpretationen dazu einfallen zu lassen, als man selbst es getan hat, macht mich schon ein wenig Stolz. Das ist ja deutlich mehr, als man überhaupt erwarten kann. Ich meine, ich wäre ja schon glücklich, wenn ein paar Leute sich das mal genauer anhören würden. Wenn Du dann sowas vor den Latz geknallt bekommst, hast Du echt das Gefühl, dass es die ganze Arbeit und Zeit wert war, die Du daran zugebracht hast. Und man hat dann auch irgendwie das Gefühl, tatsächlich etwas gegeben zu haben, das Leute gebrauchen können. Also ist man doch nicht so unnütz, wie man manchmal denkt. Großes Tennis.“

Text: Claas Reiners

Eingangszitat: Martin Büsser aus TRUST #81

Ausgangszitat: Stefan von Matula per Mail, 30.9.2018

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