Februar 13th, 2020

MATULA (#144, 2010)

Posted in interview by Thorsten

Wenn man einen Abend mit der Band Matula verbringt, dann gibt es viel zu erzählen. So viel, dass ich lange Zeit an diesem Text saß. Und zwischen dem Treffen mit der Band im Mai und Fertigstellung des Textes Ende Juni verging viel Zeit. Aber gerade das Phänomen Fussball Weltmeisterschaft machte es irgendwie leichter, Gedanken und Eindrücke zusammen zu fassen.

Lest selbst:
Matula sind eine dieser Bands, die dir allein mit ihren Texten einen Schlag in die Magengrube verpassen, denn sie verpacken Existenzangst in melancholische kleine Schocker, die dich, wenn du dich nur halbwegs darauf einlässt, für ein ganzes Wochenende außer Gefecht setzen können. Entweder weil du dich frustriert in deiner Wohnung verschanzt oder weil du vor die Tür gehst und dich aus Frust höllisch betrinkst. Dabei sind Matula aber gar keine besonders in sich gekehrten oder gar frustrierten Typen. Viel mehr wirken sie wie ein Haufen Kids, der zum ersten Mal auf große Klassenfahrt geschickt wird. Eltern weg, Schulstress weg, erster Alkohol, erste Küsse. Nicht ganz so drastisch, aber ein wenig erinnert das Szenario heute an eben jene Kindheitserinnerungen. Es liegt Spannung in der Luft. Die Angespanntheit einer Band, die ein höllisch gutes Album aufgenommen hat und zu wenig Geld für eine gleichwertige T-Shirt Produktion hatte. So beginnt der Abend mit einem Spektakel, welches ich gar nie mehr aus meinem Kopf löschen möchte. Insgesamt, für ihre komplette Tour, haben Matula 50 T-Shirts herstellen lassen. Von jenen T-Shirts sind höchstens zwei identisch, weil man höchst individuell verschiedene Muster auf verschiedene Farben zu verschiedenen Größen entwarf. Jedes Shirt ein Unikat, quasi. Dass die Band dabei mit dem Ansturm, der heute herrscht, nicht gerechnet hat, merkt man nur allzu offensichtlich. Sänger Thorben wühlt nervös in den Kartons, fragt den Fan ob das Shirt für „Mädel“ oder, herrlich schnoddrig, für „Typ“ sei. Wenn gewünschtes Shirt nicht zu finden ist wird im Kollektiv beschlossen, dass alles nur die Schuld von Renke sei. Nicht vorwurfsvoll, eher im Spaß, weil hier einer weniger Ahnung von seiner Materie hat als der andere. Renke, das ist der Chef vom Kieler Label Zeitstrafe, welches inzwischen in Hamburg sitzt. Und bei allem Chaos blitzt immer wieder eine tiefe Freundschaft zwischen Band und Label hervor, denn wie Sänger Thorben mir eine gute Stunde später versichert hält alles um Matula die Freundschaft zusammen.

Vier Jahre dauerte es bis „Blinker“ endlich fertig war. Kein Wunder: Die Band, die ursprünglich aus dem Münsterland stammt ist verteilt zwischen Kiel, Hamburg und Hannover. Da fällt Proben schwer, auch wenn es moderne Techniken gibt und auch Matula sich Texte und Melodien durch das World Wide Web schicken. Was aber wichtiger ist, ist ja ohnehin das Ergebnis. Und wie sagt ein altes, doofes Sprichwort zu schön: Lieber spät als nie. Und eigentlich könnte „Blinker“ gar nicht passender erscheinen. Gerade jetzt wo die Fussball-Weltmeisterschaft ansteht und jeder Hintz und Kuntz sich auf einen peinlichen Patriotismus stützt, der so vergänglich und gleichzeitig überflüssig ist wie irgendwelche Religionen. Aber warum gerade die WM dafür hinhalten sollte, eine Platte wie „Blinker“, eine Band wie Matula zu erklären? Vielleicht weil es schon immer leichter war eine Sache mit seinem Gegenteil zu rechtfertigen. Matula sagen, sie seien zu sehr Pop für Punk und zu sehr Punk für Pop mit „ein bisschen Geschrammel“. Das kommt hin. Ihre Wurzeln liegen eindeutig im Punk, der irgendwo im Kosmos vom Plattenlabel Schiffen ihren Ursprung hat. Damit reihen sich Matula in weitere deutsche Punkbands ein, die derzeit so angesagt zwischen Nische und Underground-Screamo funkeln. Zu nennen wären allen voran, weil sie eben erfolgreich weiterhin relevant bleiben, die Herren von Turbostaat, ansonsten die noch sehr jungen Town Of Machine (mit Mitgliedern von den aufgelösten Jet Black), viele weitere Acts vom Label Unterm Durchschnitt und natürlich den Mates von Captain Planet. Als diese ins Gespräch geworfen werden fällt wieder das Wort Freundschaft. Im Booklet von „Blinker“ liest man in der Dankesliste neben wenigen anderen auch Captain Planet. „Die kamen öfters mal vorbei, gaben uns Tipps, lobten und kritisierten uns. Die sind inzwischen alle sowas wie Brüder im Geiste geworden und überhaupt stehen in unserer Dankesliste nur die Leute, die wir auch wirklich lieben, mit denen wir wirklich befreundet sind. Manche schreiben da ja jede Band rein, mit denen man mal gezockt hat. Aber bei uns ist Freundschaft das, was uns alle so zusammenhält. Wir kommen ja aus diesem Punkbereich, da ist das ja irgendwie logisch.“ Nicht die einzige Sache, die Matula authentisch und ehrlich wirken lässt. „Wir schreiben nur über das, was wir auch kennen. Wenn wir also über „Hähnekrähen“ singen, dann wissen wir was wir da sagen, weil man sich sicher sein kann, dass irgendwer von uns jemanden kennt oder in der Familie hat, der in der Kneipe sitzt, Reval raucht und seinen Korn trinkt.“ Das ist eben das, was Matula mit all den aufgezählten Bands gemeinsam hat: Sie sind ehrlich und lassen nur ihren Frust raus.

Beispielsweise besingt man den Hamburger Verfallsstadtteil „Hammerbrook“ oder Einzelschicksale von gescheiterten Existenzen wie in „Böller“. Insgesamt gibt man sich wenig versöhnlich, wenn man von den zwei letzten Songs der Platte absieht. Aber das war auch schon beim Debüt „Kuddel“ so. „Es gibt ja genug was irgendwie scheiße ist“ sagt Sänger Thorben. Bassist Beitz wird da dann schon konkreter. „Eben. Und weil gerade soviel scheiße ist, sollte man auch darüber singen. Ansonsten könnten wir auch Ska machen oder einfachen Punk spielen in dem es um Dosenbier und ficken geht. Ficken, ohnehin so ein Thema über das niemand singen sollte. Klingt immer scheiße.“ Da hat er irgendwie Recht. Dann doch lieber die Weakerthans zitieren und mit dem Finger auf Offensichtlichkeiten zeigen. Offensichtlichkeiten, die mal mehrere Menschen sehen sollten, als nur der, zwar stetig wachsende, dafür aber kleine, Fankreis. Denn Matula haben treue Anhänger und die würdigen jedes Wort. „Neulich hat uns doch erst einer bei Myspace geschrieben, oder? Der fand doch auch irgendeine Zeile so super.“ Basser Beitz erklärt aber schnell etwas ernüchterndes: „Wir lesen das zwar, aber was sollen wir auf sowas antworten, wenn uns jemand sagt, dass wir in irgend einem Song das beschreiben was er denkt oder wir ihm seinen Frust von der Seele singen? Da kann man nicht viel zu schreiben außer Danke. Aber wir freuen uns höllisch über sowas. Wie kleine Kinder.“ „Ja“, schreitet Thorben ein: „Oder wenn jemand nen Song von uns als Profilsong klickt. Das ist echt ein tolles Gefühl und wir gehen da auch echt drauf ab.“ Und das merkt man auch. Das West-Germany ist heute sehr gut gefüllt, aber gerade bei kleinen Bands kann genau das Gegenteil eintreffen. Matula haben aber auch heute keine besondere Bühnenshow oder ähnliches zu bieten. Sie spielen ihr Set, erzeugen intime Momente voller Intensität und lachen sich gegenseitig zu. Man sieht, dass sie gerade etwas gutes fühlen und das würdigt das Publikum. Nicht durch Tanz und Gegröhle, aber durch Lauschen zur Musik. Manchmal, zum Beispiel heute, auch wesentlich besser als ein schwitzender Mob. Was aber, wenn jegliche Reaktion mal ausbleibt? „Natürlich ist man enttäuscht, wenn man irgendwohin kommt und niemand interessiert sich für einen. Aber dann erfährt man vielleicht von irgendwem, der extra für dich gekommen ist und dann lohnt sich das auch.“ Das viele Touren, die guten Alben, all das gäbe es in diesem Ausmaß vielleicht auch gar nicht, wenn es Renke von Zeitstrafe nicht gäbe. Angesprochen auf ihr Label werden Matula dann ziemlich dankbar: „Ohne Renke und all seine Kontakte würden wir heute gar nicht hier spielen. Renke steht total hinter einem, das ist ein gutes Gefühl.“ Klingt also nicht danach, dass die Band in Zukunft zu einem anderen Label wechseln möchte, viel eher nach einer tiefen Verbundenheit. Ob die nächste Platte dann wieder 4 Jahre dauert weiß man nicht. Ob sie dann pünktlich zur WM erscheinen würde auch nicht.
Diesmal ist es aber eben (fast) so gewesen. Und irgendwie würde man gerne einen Song wie „Hammerbrook“ auf der Fanmeile mal laut laufen lassen. Mal all diesen patriotistischen Prolls vorzeigen, was in Deutschland falsch läuft. Mal erwähnen, dass nicht alles Schwarz, Rot, Gold ist, dass nicht alles aus Bier und Kippen besteht. Die Fan-Meile würde dadurch sicherlich nicht leer gefegt werden, aber sie würde vielleicht für kurze Zeit mal nachdenken. Der kleinste Ansatz kann ja schon helfen.

Raphael Schmidt

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