April 23rd, 2020

MAHLSTROM (#171, 2015)

Posted in interview by Thorsten

Es war ganz klar keine Liebe auf den ersten Blick – aber wann gibt es die schon? „Gönn dir mal Mahlstrom, die können was; und live reißen die auch alles ab“, so wurde mir die frohe Kunde übermittelt, dass es da im Stuttgarter Umland eine famos-rotzige Emo Hardcore Punk-Band zu geben scheint, eine mit eigenem Style, deutschen Lyrics und Unmengen an Energie. Und so begann ich gleich mit einem Fehler, den man viel zu oft macht: Man checkt Bands über den Laptop und erwartet, dass die mickrigen Lautsprecher einem eine Musik näherbringen, die doch so stark von Lautstärke und Leidenschaft lebt. Und so war Mahlstrom zehn Minuten später quasi abgehakt, klar, schon impulsiver Hardcore, gut rollend und mit schickem Emo-Einschlag, aber naja, ist sowieso nicht so ganz meine Tasse Tee. Die Lyrics passabel, aber beim Überfliegen als eher schwammig zu bezeichnen, zu wenig direkt für meinen Geschmack. Ein paar Tage später checke ich nochmals die Homepage, vielleicht kann ich sie ja mal live erleben und dann den Effekt genießen, von dem mir vorgeschwärmt wurde, die Wahrscheinlichkeit ist ja nicht so gering, dass die vier Jungs ihre Heimat bespielen. Also nochmal rauf auf Bandcamp, „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“ angespielt, und auf einmal macht es Klick. Diese schneidenden Gitarren, dieser nach vorne gehende Druck, diese dröhnende Atmosphäre, diese Zeilen, die mir geschickt Bilder aufzeigen, die berühren und zugleich zum Denken anregen. Genauso „Auf Eis“, „In unserer Stadt“ oder „Linke Hand offen“ – weitere Songs, die von der Relevanz dieser Band zeugen und mir klar machen: Mehr solche Bands braucht das Land. Gegründet 2011 in Ditzingen, arbeitete man sich von einer Keller-Band über erste Shows, die bereits sehr eigenständige Debüt-EP „heimwärts“, kleine Touren auf nationaler und internationaler Ebene hin zu „Nach dem Stillstand“, der zweiten EP und dem Beweis, dass trotz großer räumlicher Distanzen zwischen den vier Bandmitgliedern Jakob (Vocals), Shammi (Gitarre), Markus (Bass) und Martin (Drums) eine Band leben und sich immens positiv weiterentwickeln kann. Und so saß ich auch schon kurze Zeit später mit ¾ der Band im Proberaum zu Ludwigsburg, um – gestärkt mit koffeinhaltigen Getränken und ohne große Umwege – eine illustre Gesprächsrunde zu eröffnen, die aufzeigt, dass Mahlstrom Wort und Zukunft gehört.

Mit welcher Intention habt ihr Mahlstrom gegründet? War euer Sound, so wie er jetzt existiert, bereits von Beginn an so in euren Köpfen?

Shammi: Wir haben in Ditzingen im Jugendhaus viele Jahre lang selber Konzerte organisiert und da hatten wir irgendwann zum ersten Mal eine Hardcore-Show gemacht mit We Had A Deal, Man The Change und Kaishakunin. Und dieses Konzert hat uns alle angefixt, auch musikalisch in diese Richtung zu gehen, sprich Hardcore mit Geschrei zu machen, eben auf die Fresse.
Jakob: Wir wollten alle auf den Gesang verzichten, weil wir alle vorher bereits in Bands gespielt hatten, die eher Richtung Rock-Musik gingen, manchmal auch Punk Rock. Wir haben immer schon viel ausprobiert, aber in dieser Zeit wurde uns klar, wir machen eine Band mit einem eigenen Sound, der aber kein Hybrid-Sound ist, sprich etwa Hardcore und Gesang vermischt. Und dann haben wir stückweise einige Entscheidungen getroffen, z.B. dass wir keine zweite Gitarre hinzunehmen, dass wir die Gitarren herunterstimmen, damit alles etwas mehr Schlagkraft hat, und eben auch dass wir deutsche Texte schreiben. Ich habe in meinen früheren Bands oft gemerkt, dass man sich durch das Verfassen englischer Texte vielmals in Plattitüden verfängt, und durch die deutsche Sprache kann ich mich einfach besser und klarer ausdrücken. Zudem ist es auch eine größere Herausforderung. Und mit den deutschen Lyrics kam dann auch der deutsche Bandname.

Ok, und was bedeutet Mahlstrom an sich, aber ganz besonders für euch?

Markus: Der Begriff beschreibt ein Naturphänomen, und zwar einen Gezeitenstrom, welcher vor allem in norwegischen Fjorden zu beobachten ist und bei dem durch die Gezeiten sehr starke Strömungen und riesige Strudel entstehen.
Jakob: Wir waren schon einige Male in Nordeuropa unterwegs und für mich spiegelt der Begriff die Brachialität unserer Musik wieder, eben weil es so ein mächtiges Naturphänomen ist, von dem eine große Faszination ausgeht. Und zum Zweiten ist es eine Metapher für die vielen Gedanken und verschiedenen Ansichten, die einem im Kopf herumschwirren und sich zu diesem Strudel vermischen, der manchmal auch überfordernd sein kann. Das waren eigentlich die beiden Gedanken bei dem Bandnamen.

Meine Auseinandersetzung mit euch als Band war für mich sehr wechselhaft. Auf den ersten Blick war Mahlstrom für mich treibender Hardcore, ja, aber nicht ganz meinen Nerv treffend, und dazu eben die deutschen Lyrics, die für mich reich an Metaphern sind, was mir nicht ganz so liegt – ich mag einfach Lyrics, bei denen ich weiß, um was es geht bzw. gehen könnte. Erst auf den zweiten Blick habe ich dann aber gemerkt, dass ihr – neben der mitreißenden Musik – meines Erachtens sehr viel Herzblut und Gedanken in eure Texte steckt und es sich wirklich lohnt, genauer hinzuschauen und sich mit euren Lyrics zu befassen. Was würdet ihr sagen, wie wichtig sind die Texte für die Band Mahlstrom?

Jakob: Also für mich sind die Texte sehr wichtig. Hardcore und Punk an sich ist Musik, bei der die Texte wichtig sein sollten und sich die Texte auf die Musik beziehen. Bei uns entstehen zuerst die Songs und ich schreibe dann die Lyrics darüber, weil für mich jedes Lied auch musikalisch ein Thema hat. Die Texte sollten dann auch darüber hinausgehen, nur aus einer introspektiven Sicht alles als schlecht zu beschreiben – so finde ich zumindest sollte es nicht sein. Wir sind ganz klar keine explizit politische Band, aber ich versuche auch politisch zu schreiben und unsere Ansichten, die natürlich eher dem links-politischen Spektrum zuzuordnen sind, sei es z.B. zur Integrationspolitik, in den Texten auftauchen lassen. Das heißt ich schreibe es nicht direkt, etwa „Scheiß Bullenstaat“, sondern es taucht dann im Subtext auf. Zum Beispiel auf „Nach dem Stillstand“, hast du dir die mal angehört?

Haha, na klar!

Jakob: Haha, ja klar. Da gibt es Songs, die beziehen schon direkt auf unser System, indem wir leben und was manchmal auch einfach nicht stimmt. Aber das sage ich eben nicht direkt. Ich schreibe eben nicht: „Ich hab kein Bock, 40 Jahre für irgendwelche Arschlöcher zu arbeiten“, sondern ich formuliere es anders, weil eben auch das Spiel mit der Sprache das Instrument des Sängers ist. Ich schreibe nicht einen Text und klatsche den einfach auf das Lied, in dem Sinne „so muss das jetzt passen“. Vielmehr nutze ich die Worte und die Rhythmik, um das eben an die Songs anzupassen, sei es z.B. auch durch Betonungen. Und das ist mir auch sehr wichtig, eben aus dem künstlerischen Anspruch heraus, weil es ganz einfach das Instrument Sprache ist, aber eben auch, um etwas herüberzubringen, also um die Inhalte. Auch wenn wir nicht explizit und direkt mit der Brechstange bestimmte Themen ansprechen, freuen wir uns natürlich, wenn die Leute die Texte lesen.
Shammi: Mir ist auch wichtig, dass wir immer noch so einen Touch hinten dran haben. Also es ist erstmal eine Beschreibung des Ist-Zustandes, aber dann kommt eben auch der Punkt, dass wir versuchen wollen, etwas zu ändern. Es läuft vieles kacke, aber das und das kann man machen und das sind eben die Probleme, die angegangen werden müssen. Das ist dann schon in dem Sinne positiv, also wir versuchen eben Lösungswege darzustellen.
Jakob: Es kommt schon auf den Song an, aber an sich hat er schon Recht. Ich lese auch viele Texte von anderen Bands und gerade so in dem Hardcore-, Punk- und Screamo-Bereich, in dem wir uns ja auch befinden, gibt es einfach viele Texte, die halt sehr negativ sind und viel das eigene Innere reflektieren. Das finde ich auch voll ok, aber wir versuchen eben auch zu schauen, uns selbst aufzuzeigen, was wir tun können und was unserer Rolle bei der ganzen Sache ist. Auf der neuen EP werden wir z.B. auch einen Song haben, „Deutscher Sommer“ heißt er, der thematisiert die vielen Flüchtlinge und wie mit ihnen umgegangen wird, sowohl auf politischer als auch menschlicher Ebene.

Ein Song, der mir hinsichtlich des doch recht brachialen und kompromisslosen Textes aufgefallen ist, ist „In unserer Stadt“. Ihr schreibt darin „Wir sind wieder auf der Jagd/unser Ausweg ist die Jagd/meine Brüder dies sind unsere Straßen/wir werden ihnen zeigen/was passiert wenn man uns vergisst“. Wer ist das „wir“, was genau beschreibt ihr darin? Und woher kommt diese destruktive Haltung?

Jakob: Zu dem Song gibt es eine interessante Geschichte, was die Interpretation anbetrifft. Es geht hin und wieder in meinen Lyrics auch darum, dass es nicht nur meine Meinung ist, die dargelegt wird, sondern dass ich mich auch in Charaktere hineindenke. In „In unserer Stadt“ geht es um Jugendgewalt auf der Straße und nicht darum, dass ich persönlich alles kaputtschlagen möchte. Es geht um junge Menschen, die keine Perspektive haben und auf der Straße herumhängen, und eben ihre Gewalt dort ausleben. Und in der Zeitschrift Visions gab es ein Review zu der Platte, und dann stand darin, in dem Song geht es um Blut und Ehre, was komisch sei, aber ganz gut klänge. Und dann dachte ich so: „Ok, muss ich die Songs noch expliziter schreiben oder gar weniger explizit, oder ist das nun rein die Interpretation dieser Person?“ Das ist schon schwierig, weil wir natürlich nicht in eine Blood & Honour-Ecke geschoben werden wollen.

Es ist schon anspruchsvoller, mit deutschen Texten den richtigen Ton zu treffen oder? Sei es in die eine Richtung mit Schlager und Poesiealbum, als auch eben in die andere Richtung mit rechtslastigen Bildern á la Kampf, Blut und Ehre.

Jakob: Ja, man muss auf jeden Fall aufpassen, dass man keinen Tonfall erhält, der zu sehr nach rechter Rhetorik klingt, da Deutsch einfach eine sehr harte Sprache ist. Man klingt schnell sehr martialisch, was eben überhaupt nicht zu unserer pazifistischen Einstellung passt. Die Musik ist so brutal und die Texte und die Sprache sind auch sehr hart, was hin und wieder auch kritisiert wird, was ich aber nicht verstehe. Man muss eben die richtigen Worte wählen, dass es richtig herüberkommt.

In „Maiores Nostri“ beschreibt ihr mit Zeilen wie „Das haben wir immer schon so gemacht/gestern wie heute/von Tag zu Tag“ oder „Kein Zusammenhalt ohne Feind./ Wo fängt man an zu suchen/in den eigenen Reihen“ eine konservative Gesellschaft, die alles Fremde als feindlich ansieht. Heute Abend werden in Dresden wieder zigtausende PEGIDA-Anhänger auf die Straße gehen – sind das die Menschen, die ihr in dem Song meint? Oder an wen habt ihr gedacht?

Jakob: Der Text ist schon etwa drei Jahre alt und ich kann nicht mehr sagen, ob es da eine bestimmte Situation dazu gab, aber ich hatte damals schon oft das Gefühl, dass zwar oft gesagt wird, dass einem alle Türen und Möglichkeiten offen stehen, aber dass so viele Dinge in unserer Gesellschaft von wenigen, aber mächtigen Personen festgelegt werden. Und diese Dinge bleiben dann auch so und müssen auch so bleiben, damit unsere Gesellschaft nicht an den Arsch geht. Das hat mich schon immer aufgeregt. Überall da, wo einem Grenzen aufgezeigt werden und einem gesagt wird, so und so hast du das zu tun, da hatte ich oft Probleme damit. Wenn mir es einer erklären kann und es Sinn macht, ist das ok, aber man muss Dinge einfach auch hinterfragen.
Shammi: Im Vordergrund stand die Aussage „Das haben wir immer schon so gemacht“, und dies bezieht sich eben auf Traditionen und Strukturen, die ganz einfach nicht hinterfragt werden.

Oft findet man in euren Texten auch das Motiv und die Angst, „nicht zu leben“ oder das Leben zu verpassen. Wo kommt diese Thematik her, was heißt „nicht leben“, was „leben“? Warum ist es schwer, „zu leben“?

Jakob: Allgemein kann man ja sagen, dass wir generell schon ein gutes Leben hier leben können, aber ich habe mir oft gedacht, gerade von sich selbst aus, dass man viel zu oft zu inkonsequent handelt hinsichtlich der Sachen, die man eigentlich will. Man verfällt zu schnell in alte Muster und verkriecht sich in seinen Panzer, anstatt zu sagen „Ich will das jetzt genau so machen“ und bestimmte Risiken einzugehen. Gerade vor einigen Jahren gingen bei uns allen krasse Veränderungen ab und wir mussten viele Entscheidungen treffen, sodass solche Texte dann oft auch sehr introspektiv sind und die Musik auch ein Ventil darstellt. Viele Texte klingen bei uns sehr negativ und wütend, aber die Musik ist einfach auch sehr emotional und voller Energie, und darüber kann man keine Texte schreiben, die einen nichts bedeuten.

Audio88 hat mal gesagt: „Die eigene Lebensaufgabe führt zur Lebensaufgabe – oder umgekehrt“, bei euch heißt es „Neue Taten erstehen aus feuchter Asche, das Leben eine Aufgabe“ – was bedeuten diese Zeilen, die ja quasi fast eine positive Message haben?

Jakob: Das ist von unserem allerersten Song, den wir je geschrieben haben, und soll einfach bedeuten, dass man den Kopf nicht in den Sand steckt und auch akzeptiert, wenn mal etwas nicht klappt: Mund abwischen und weitermachen, an sich Dinge tun, die einem etwas bedeuten.
Shammi: Für mich bedeutet es auch, dass jede Erfahrung eine gute Erfahrung ist und man eben nicht aufgeben darf. Man kann Dinge zerstören, aber sollte stets etwas für sich mitnehmen.

Glaubt ihr, dass die Leute sich mit euren Texten befassen? Und lest ihr selbst die Lyrics von anderen Bands? Ich hatte lange Zeit das Gefühl, dass die Lyrics wenig relevant sind und nicht gelesen worden sind, nun scheint sich da meiner Meinung nach seit einiger Zeit ein Wandel zu vollziehen, hin zu anspruchsvolleren Texten.

Shammi: Ich persönlich muss sagen, dass mir die Musik doppelt so wichtig ist. Es ist erst so der dritte oder vierte Blick auf eine Band.
Jakob: Für mich kommt es auf den Musikstil an. Bei Rap etwa geht es um die Texte und da gehe ich auch nach den Texten, aber bei unserer Musik gibt es noch weitere Komponenten, die eben sehr wichtig sind.
Markus: Wir sind aber auch schon einige Male auf unsere Texte angesprochen worden. Sei es in Rostock zu „Karthago“ oder zuletzt in Stuttgart. Man hat schon das Gefühl, dass es Leute gibt, die sich mit den Texten auseinandersetzen.
Jakob: Ich glaube eben, dass gerade durch die deutschen Texte eine Hürde genommen wird, die Texte zu lesen. Weil es liegt dann direkt vor einem und man muss es nur einfach lesen. Klar, die Bedeutungsebene ist noch einmal eine andere Sache, aber das reine Lesen an sich ist einfacher und die Leute sind aufmerksamer, und das finde ich auch gut. Und mir ist aufgefallen – es gibt ja gerade auch sehr viele tolle Bands mit deutschen Texten, sei es z.B. Fjørt, Afterlife Kids oder reznik syndrom – dass die Leute auf Shows die deutschen Texte oft besser mitsingen können als englische Lyrics.

Ihr meintet zu Beginn, dass ihr kurz nach dem Bandstart bereits nicht mehr am gleichen Ort gewohnt habt, nun seid ihr auf Städte wie Heidelberg, Lüneburg, Ditzingen und Hamburg verteilt – wie schafft ihr das, Mahlstrom am Leben zu erhalten?

Jakob: Das ist schon anstrengend und wir haben da auch stets viel Geld reingesteckt, in Zugfahrten und so, dass es halt läuft. Und dann hatten wir immer wieder richtig gute Rückmeldungen erhalten, tolle Konzerte gespielt und überall neue Leute kennengelernt. Und das motiviert ungemein, einfach weil die Hardcore-Community aus vielen tollen Menschen besteht, die keine Arschlöcher sind und sich gegenseitig unterstützen. Und dann wird es immer einfacher, Konzerte zu veranstalten oder zu buchen, sich gegenseitig zu helfen, sodass es jetzt auch viel einfacher für uns ist, eine Tour zu planen, also vor einigen Jahren. Diese ganzen Erfahrungen, aus denen habe ich auch als Mensch sehr viel gelernt, auch wie wir die Band zusammen führen, das ist anstrengend, aber am Ende denken wir doch, lasst uns ein paar Tage treffen, dafür auch Urlaub nehmen, um gemeinsam wieder etwas Neues zu erschaffen. Dann sitzt man innerhalb kürzester Zeit zig Stunden im Proberaum, und es kommt etwas dabei heraus. Wir schaffen es irgendwie immer, uns konzentriert zusammenzusetzen und Musik zu schreiben, und auf Tour viel Spaß zu haben. Dass es so gut läuft und dass wir z.B. mal in Stockholm spielen, dass hätte ich nie gedacht.

Das finde ich schon besonders, dass es in so konzentrierter Zeit, zweieinhalb Tage oder so, funktioniert und man seine kreative Arbeit in gute Ergebnisse münden lassen kann. Das kann man ja nicht erzwingen.

Jakob: Ja das ist schon ein sehr großes Glück.
Shammi: Aber eben auch, weil wir uns auch außerhalb der Musik gut verstehen. Ich glaube das ist sehr wichtig. Wir sind vier Freunde, die auch Lust haben Zeit miteinander zu verbringen und dies auf einem Level passiert, dass wir auch recht locker wichtige Entscheidungen treffen können. Wir sind stolz drauf, was wir bisher erreicht haben, aber alles was jetzt kommt, ist ein Mehrwert für uns. Wenn es in einem Jahr anders aussieht, dann ist das so, aber wir können auf eine schöne Zeit zurückblicken und müssen jetzt nicht Mahlstrom in den Himmel schrauben.
Markus: Ich habe immer das Gefühl, dass sich eben in diesen langen Phasen, in denen wir uns nicht sehen und in der ich zum Beispiel auch keine Musik mache, alles aufstaut und wenn wir uns dann treffen, dann kommt halt alles heraus und es funktioniert einfach.
Jakob: Wir schaffen es auch nicht, außerhalb der Band zum Beispiel Songs zu Ende zu bringen. Shammi schickt auch hin und wieder mal etwas herum und wir tauschen uns dazu aus, aber ein Song zu Ende zu schreiben, das geht nur im Proberaum, da dort diese Dynamik bei uns unfassbar hoch ist.

Du hast erst am Memotron gesessen: Was wird auf eurer neuen EP musikalisch passieren? Probiert ihr neue Sachen aus? Und wie würdet ihr generell eure musikalische Entwicklung beschreiben?

Jakob: In dem Instrumentarium, was wir jetzt hier haben, haben wir uns seit der ersten Platte auf jeden Fall weiterentwickelt. Die drei neuen Songs sind jetzt auch …
Shammi: Gesetzter.
Jakob: Das klingt mir jetzt zu lahm. Es ist ausgecheckter, aber immer noch schnell, und ja, vielleicht ist es ein bisschen erwachsener. Wir versuchen halt stärker, Härte, Schnelligkeit und Melodien miteinander zu verbinden.
Markus: Von den Harmonien ist alles etwas komplexer und ausgefeilter geworden, einfach auch ausgecheckter.
Shammi: Ich finde man kann es so sagen: Wir haben zum Anfang eine riesen Suppe gekocht, und mit jeder Veröffentlichung wird es eingedickter, also man kommt mehr und mehr auf den Kern.
Jakob: Und das Memotron ist eine Idee, die mir bei einem Song gekommen ist, und wir probieren da gerade etwas herum. Ob es auf die Platte kommt, weiß ich aber nicht. Aber generell sind wir sehr offen für so etwas, einfach auch weil wir alle sehr unterschiedliche Musik hören und Lust haben, neue Sachen auszutesten, wobei es schon zu unserem Stil passen muss.
Markus: Wir schrecken vor nichts zurück [lacht].
Jakob: Es wird aber wahrscheinlich auch nicht live gespielt werden, weil es mir gar nicht gehört. Ich habe das Ding – es ist zwölf Kilo schwer – extra aus Lüneburg hier nach Ludwigsburg geschleppt, und vielleicht ist es ja Wert, es auszuprobieren – mal sehen.
Shammi: Es wird auch nur sehr im Hintergrund spielen.
Jakob: Ja das denkst du. Ich werde ein Solo spielen [lacht].

Ich bin gespannt, was herauskommt. Kommen wir noch auf ein anderes Thema. Ich habe oft gehört, dass es mit der DIY-Kultur hier im Raum Stuttgart sehr schwierig ist, also dass man hier sehr wenig auf die Beine stellen kann, obwohl es eine große Stadt ist. Jetzt habt ihr früher selbst Konzerte veranstaltet – wie seht ihr das Thema?

Shammi: Es liegt glaube ich eher an der Konsumentenhaltung, die hier oft vorherrscht. Gerade wenn man das mit anderen großen Städten vergleicht, dann ist man hier mehr lethargisch und auch gesättigt.
Jakob: Der Punkt ist einfach: Uns geht es zu gut hier in so einer großen und reichen Stadt wie Stuttgart. Wir sind nicht direkt aus Stuttgart, wir sind aus Ditzingen, einer 30.000-Einwohner-Stadt. Da gibt es eigentlich keinen Club oder Konzertraum. Und dann hatten wir, also wir waren so eine Gruppe von zehn bis teilweise 30 Leute, damals einfach gesagt, dass wir selbstständig Konzerte organisieren. Dann hatten wir mit dem Jugendhaus gesprochen und mit dem haben wir das zusammen gemacht. Was Stuttgart angeht: Es gibt eine Vielzahl an Clubs, die auch die verschiedensten Musikrichtungen bereitstellen, und wenn etwa Title Fight oder Dillinger Escape Plan kommen, da gehen die Leute auch hin. Der Anspruch der Leute ist dann so hoch, dass sie sagen: „Warum soll ich da in irgendein kleines Jugendhaus, in irgendeinen Keller in Stuttgart gehen, um mir eine Punkband anzuschauen, weil die sind sowieso scheiße!“ Das ist meines Erachtens das Problem der Stuttgarter Musikwelt, aber ich meine damit nicht die DIY-Szene. Weil es gibt Leute, die Bock haben Konzerte zu machen, und das findet auch statt. Aber das Problem ist, dass die Leute nicht zu den Shows gehen. Das ist in Ostdeutschland schon anders, da müssen keine riesigen Bands kommen, und eine Chemiefabrik in Dresden ist trotzdem voll. Oder in Osteuropa, da haben wir in Tschechien gespielt, da gehen die Leute einfach hin, weil sie die Sache an sich abfeiern und es einfach geil finden. Also es gibt glaube ich kein Problem mit der DIY-Kultur in Stuttgart, aber die Leute sind eben von dem großen Angebot stark übersättigt.

Das Problem gibt es schnell, wenn mehr und mehr Konzerte stattfinden, aber die Anzahl der Leute nicht ausreichend mitwächst. Dann haben es die kleinen Shows mit den lokalen Bands meist sehr schwer.

Jakob: Was mir zudem immer wieder negativ auffällt, ist die Passivität der Besucher. Viele Leute stehen einfach so da, sind quasi nicht wirklich beteiligt und bilden den Halbkreis des Todes. Und die Bands spielen sich den Arsch ab und lassen alles heraus, und man hat das Gefühl die Leute sind überhaupt nicht involviert. Sie beobachten nur und am Ende des Songs klatschen sie verhalten. Klar, man kann es nicht erwarten, aber oft wünsche ich mir, dass jemand Anlauf nimmt und in die Bass Drum springt: Weil das ist Punk Rock. Es geht nicht darum, wer cool ist und das coolste Bandshirt hat, sondern es geht um den Dialog zwischen Publikum und Band, und das ist hier schon sehr schwer, weil die Leute sich einfach „benehmen“ und sich nicht frei bewegen. Das ist weiter östlich oft ganz anders, da legt niemand Wert darauf, cool zu sein, und die Leute sind einfach positiv eingestellt. Das ist auch ein Grund, warum so viele Jahr für Jahr auf das Fluff Festival fahren, weil dort machen die Leute was sie wollen und es gibt großartige Shows.

Oh ja, da muss ich auch mal wieder hin. Ist immer wieder ein Fest. Abschließend: Was waren eure Lieblingsplatten in 2014?

Jakob: Mhm, schwierig, aber ich würde sagen Russian Circles Album “Memorial”.
Shammi: Fat Freddy’s Drop mit „Blackbird” und “d´accord” von Fjørt.
Markus: Ich habe nur alte Sachen gehört, glaube da war nix aus 2014.

Und wollt ihr sonst noch was loswerden?

Jakob: Veranstaltet Konzerte, sammelt Erfahrungen, macht mit und stellt euch nicht nur tatenlos an die Seite. Die Sachen laufen nicht von allein, man muss eben auch etwas dafür tun, egal wo man ist. Aber ich glaube das wissen die TRUST-Leser alles.

Und wer sich jetzt für das neueste Liedgut der vier Jungs interessiert, kann sich ab Ende April die neue EP namens „Raum“ gönnen, welche über Through Love Entertainment und Lala Schallplatten erscheinen wird. Am besten mahlstrom.bandcamp.com checken und die richtigen Boxen aufdrehen – over and out!

Lars Schubach

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