Juni 16th, 2020

LOOK MA, NO CAVITIES (#187, 2017)

Posted in interview by Thorsten

Das erste Mal habe ich LOOK MA, NO CAVITIES! gehört in einer völlig rohen Proberaumaufnahme in meinem alten, durchgefaulten Vectra Caravan. Mit einer kleinen Gruppe von Leuten aus Berlin war ich auf dem Weg zu zwei Konzerten der „Tischlerei Lischitzki“ und der „Option weg“ in der Villa in Rotenburg/Wümme und im Anna&Arthur in Lüneburg. Stichwort Lüneburg, Stichwort „Tischlerei Lischitzki“. In dieselbe Umgebung gehört Chris, Schlagzeuger in eben dieser Band und – jetzt neu – auch bei LOOK MA, NO CAVITIES!. Chris hatte Pennplätze für uns Hand voll Leute bei sich in Uelzen klar gemacht, damit wir nach den beiden Konzerten einen Ort zum Einkehren hatten (Danke nochmal an der Stelle!), und hatte sich auf diese Weise gleich noch seinen Nachhauseweg für beide Abende organisiert. – Chris verbrachte also die Zeit von hier nach da auf meinem Beifahrersitz und musste sich von mir ausquetschen lassen, wie es denn mit der neuen Screamo/Punk/Alternative Band LOOK MA, NO CAVITIES! von ihm und Andreas (Gitarre bei „Tischlerei Lischitzki“) aussieht. Er zückte seinen mp3-Player hervor und sagte: „Hier. Schließ mal an!“ Bei sowas erinnerst Du dich später natürlich an nichts mehr, aber die Energie und das Gefühl, das diese Band in ihre Songs legt, war sofort wieder da, als ich später dann in die erste fertige Veröffentlichung hören konnte, die ausschließlich digital erschienen ist. Auch eine Sache der Haltung, denn nicht jede neue Band braucht das high end Digipack oder die kostspielige Vinylscheibe (einseitig bespielt und hinten mit einem laschen Motiv zerkratzt) am Start. LOOK MA, NO CAVITIES! wäre das zu prätentiös. Hier wird diy noch kleingeschrieben. Einfach aus Leidenschaft an der Musik. Genug Lieder für eine nächste Veröffentlichung haben die Jungs jedenfalls schon zusammen. Für mich alles Grund genug mit der Band mal ein Interview zu führen. Und was ich mit Chris und Andreas (hauptsächlich mit Andreas) so zu bereden hatte, könnt ihr nun hier nachlesen. Das Interview entstand kurz vor bzw. kurz nach der Wahl im September 2017, seht es uns also nach, wenn wir von ‚kurz vor‘ oder ‚kurz nach der Wahl‘ sprechen. An Aktualität verlieren die Aussagen dadurch ja nicht… Wenn ihr beim Lesen schon mal reinhören wollt: lookmanocavities.bandcamp.com

Hi Jungs! Andi und Chris, Ihr seid nach wie vor auch bei „Tischlerei Lischitzki“ aktiv. Wie kam’s denn, dass ihr Euch jetzt noch eine weitere Band zugelegt habt? Und wer spielt überhaupt alles bei „Look Ma, No Cavities!“ mit? Es gibt da ja noch jemanden am Bass, richtig? Und die wichtigste Frage überhaupt: Warum nur darf Ralf (Gesang bei „Tischlerei Lischitzki“) nicht mitmachen? Fragen über Fragen.

Chris: Der Bass wird von Mo bearbeitet, ein langjähriger Freund, mit dem ich schon in diversen Bands (Peacock Butterfly, Whose Mouth Should I Use To Talk, Sadisko) zusammengespielt habe. Einzige Voraussetzung für die Band war, seine Milchzähne noch zu besitzen.
Andreas: Moinsen Benni, erstmal ein Dankeschön, dass du uns ein wenig darin unterstützt, Leute auf uns aufmerksam zu machen. Ja….wie ist das alles gekommen. Chris und ich hatten eigentlich schon immer irgendwie im Kopf, dass wir noch etwas anderes ausprobieren wollen. Aber familiäre Realitäten und andere Bandprojekte ließen das Ganze lange Zeit nur als Zukunftsfantasie stehen. Aber Kinder werden größer und selbstständiger, Bands brechen auseinander oder können aus diversen Umständen nicht bestehen bleiben und so ergab es sich im Spätsommer letzten Jahres die Chance zu sagen: Ja, wenn nicht jetzt wann dann. Chris spielt also wie sonst auch bei der Tischlerei Schlagzeug, ich spiele Gitarre und versuche zu schreien bis der Arzt kommt. Als die Frage nach einem Bassisten im Raum stand, waren wir uns eigentlich sofort einig, dass nur Mo dafür in Frage kommt. Chris kennt ihn schon sehr lange und spielte und spielt noch in anderen Projekten mit ihm zusammen. Zu unserer großen Freude fand Mo die Idee gut, und da sind wir. Im Oktober trafen wir uns zum ersten Mal im Proberaum. Das das alles nun doch so schnell ging und wir im Mai unsere erste Veröffentlichung aufnehmen konnten, davon waren und sind wir immer noch etwas überrascht. Aber die Dinge sind einfach geflossen und wir haben nichts verkompliziert, sondern haben die Ideen einfach umgesetzt und fertig.

Und der Bandname „Look Ma, No Cavities!“? Wie seid ihr darauf gekommen?

Andreas: Bandnamen….ja, das ist so ´ne Sache. Sucht man sie, findet man nix. Denkt man nicht dran, laufen sie einem über den Weg. Das ist so ähnlich wie wenn man einen Songtext schreiben möchte. Aber ja, ich habe tatsächlich nach Redewendungen geschaut und bin über diese gestolpert. Es ist mittlerweile eine Redewendung, kommt aber ursprünglich von einer amerikanischen Zahnpastawerbung aus dem Jahr 1958. Da kommt ein junger Bengel über die Veranda ins Haus gestolpert und präsentiert nach dem Zahnarztbesuch seine tollen Zähne. Wir hatten keine Lust auf einen Bandnamen, bei dem man gleich weiss, welche Art Musik man zu hören bekommt oder bei dem man auf einen bestimmten Musikstil festgelegt ist.
Bei „Look ma, no cavities!“ kann man sich vieles und nix vorstellen. In erster Linie ist es völliger Blödsinn und hat keine wirkliche Bedeutung, klingt halt gut. Interpretationsfreudige Menschen finden natürlich Dinge wie, „alles ist in Ordnung“ oder „ich habe keine Probleme“, was natürlich ironisch zu verstehen ist wenn man sich mit den Texten näher beschäftigt.

Ja, diese alte Zahnpasta-Werbung! Ok, da hak ich mal nach: Was wären denn so typische Bandnamen, die für Euch Genre-Zugehörigkeiten gleich mit transportieren? Und passt das eigentlich, wenn man eure Musik unter Screamo/Punk/Alternative fasst oder sind das Kategorien, die für Euch beim Musikmachen selbst eigentlich Null Bedeutung haben? Anything goes, solange es Euch dreien gefällt? Ist das so das Credo? Zu den Texten kommen wir dann gleich.

Andreas: Death, Megadeath, Manowar, Slayer, Kastelruther Spatzen, Helene Fischer…..ok, jetzt wird es albern. Ich glaube, Du weisst was ich meine. Es gibt halt Bandnamen, in denen man musikalisch eingefroren ist und wenn man etwas anderes versuchen oder ausprobieren möchte ist das unter manchen Namen eben schwierig. Oben genannte wollen natürlich auch nur das eine Genre bedienen aber wir sind musikalisch doch recht offen zu allen Seiten hin und haben uns eben für diesen Bandnamen entschieden, der, wie ich finde, alle Freiheiten zulassen könnte. Ich habe auch gar nichts gegen Genrebezeichnungen. „Weary Head“ gehört wohl definitiv in die Screamo/Hardcore/Punk-Ecke und die neuen Lieder werden wohl in die ähnliche Kerbe schlagen und das ist auch völlig ok so. Aber vielleicht kann ich auch in zwei Wochen vor lauter Brüllen nicht mehr schreien und wir müssen Country machen. Auch das würde unter unserem Namen wohl gehen. Und ja, mit dem Credo liegst Du richtig. Wir machen einfach und schauen ob es uns gefällt.

Merke ich auch daran, dass es zwei Akustik-Nummern gibt, die dennoch ziemlich gut ins gesamte Bild passen. Eine Reihe von Liedern des Albums sind auch sehr politisch geworden („Dead to the world“, „Shitstorm“), andere hingegen handeln eher von der persönlichen kleinen Welt oder artikulieren ein Gefühl von Mattheit. Der Album Titel „Weary Head“ legt das ja durchaus nah. Gibt es da eine Agenda beim Texten? Besondere Themen, die Euch besonders am Herzen liegen? Und weshalb fiel die Wahl auf englischsprachige Texte (nebenbei gesagt: gute Wahl, funktioniert so ganz gut auch in meinem Hörempfinden)?

Andreas: Da ich bis jetzt alle Texte geschrieben habe sage ich mal Nein zu einer Agenda. Es gibt keine. Die Ideen kommen einfach. Ich mag es, über persönliche Dinge oder Gefühlslagen, Ansichten usw. zu schreiben. Dabei muss es nicht immer zu hundert Prozent autobiografischer Natur sein, um authentisch zu wirken. Ich kann mich ganz gut in Dinge reindenken bzw. reinsteigern und befinde mich oft genug selber in persönlicher Schieflage. Es ist also nicht so, dass wir uns hinsetzen und uns ein Konzept ausdenken, nach dem dann getextet wird. Auf englisch sing ich einfach gerne.

I´ve always known this day would come
sitting on this desk, write a song about the fascists in this land
you´re growing like a cruel disease,
and the beauty in the chorus tries to compensate the shit I´m about to sing

All you fuckers come along now in the streets
you´re like no others
kick your swastikas in your teeth
All you fuckers come along now down the streets
and all your braindead followers
this is an attitude and no protest

I thought this would be very hard
to find words describing you without the whole backround in history
but now I´m surprised,
at least in took me 15 minutes and the chorus contains the word that I have found

(Look Ma, No Cavities! – „Shitstorm“)

Kann man dann z.B. euer Lied „Shitstorm“ auch dokumentarisch verstehen für eure Art zu texten? Die rechte Hetze im Netz, die der Song anprangert, scheint ja schon wie aus einer von Dir/Euch selbst erlebten Situation gegriffen. Und die Art und Weise wie der Text geschrieben ist, thematisiert ja auch ganz direkt das Entstehen des Textes, die Schwierigkeiten, das in einem Songtext gut aufzuarbeiten, zugleich aber auch die Resignation darüber, dass rechte Hetze vermutlich leider immer Teil von Gesellschaften bleiben wird und einem oftmals nicht mehr bleibt als immer wieder den Mittelfinger dagegen zu erheben. Wie habt ihr – jetzt vor der zurückliegenden Wahl im September 2017 – das konkret in und um Lüneburg nochmal wahrgenommen?

Andreas: Auch wenn das Wort „Shitstorm“ aus dem Bereich des Internets kommt hat das Lied wenig mit der von dir angesprochenen Hetze darin zu tun. Als Titel beziehe ich „Shitstorm“ ganz wortwörtlich auf die Gruppierungen und Tendenzen, die sich, immer schon da, immer präsenter zeigen. Der Text geht in der Tat darum, wie ich versuche, einen Song gegen Rechts zu schreiben, ohne in politisch, gesellschaftlich-historischen Erklärungswahn zu geraten, dem ich nicht gewachsen bin. Es hat auch nichts mit Resignation zu tun, sondern vielmehr damit, was ich von denen halte…..und diese Wörter finden sich dann im Chorus wieder. In meiner Naivität muss ich immer wieder feststellen, dass man es gar nicht erklären muss, um sich diese Meinung zu bilden. Deshalb habe ich aus dieser vereinfachten Perspektive geschrieben, nämlich eher über den Vorgang, sich solch einem Thema zu widmen als über den Inhalt. Und diese Art und Weise zu texten kann man nicht dokumentarisch für uns sehen….aber vielleicht rede ich auch gerade an dir vorbei. Ich bin auch in meinem Alltag viel zu sehr beschäftigt, als das ich diesen gesellschaftlichen Zustand jetzt kurz vor der Wahl anders wahrnehmen würde als sonst. Dennoch ist es jedesmal ein Schlag ins Gesicht, ohne überrascht davon zu sein, dass solche Leute in der Regierung sitzen und demnach gewählt wurden.

Und jetzt nach der Wahl? Ist Musik machen neben Haltung demonstrieren für Euch auch etwas Therapeutisches, um mit bestimmten Dingen fertig zu werden? Etwas, das einem hilft zu verarbeiten oder zu reflektieren? Neben Liedern mit eher politischer Ebene, denke ich da z.B. nur an so Lieder von Euch wie „Paralyzed“, „Bad Weather“ oder „A Gift“.

Andreas: Jetzt kurz nach der Wahl trifft einen der Schlag doch wieder mitten ins Gesicht. Es ist unfassbar. Und wenn man sich dann Prognosen anhört und diesen Glauben schenkt, dass die meisten AFD Wähler aus Enttäuschung von den anderen Parteien so gewählt haben, macht es die Sache nicht besser, sondern nur noch unverständlicher. Musik als Therapie? Ja, dem stimme ich zu. Rein in den Proberaum und Dampf ablassen. Dinge herausschreien, die man nicht begreift, mit denen man hadert, Probleme, die man nicht angehen kann oder denen man sich nicht stellen will….Vergangenheiten, die man nicht so einfach abstreifen kann…. Zukunftsängste, die man täglich mit sich herumschleppt usw.. Ja, man kann sich so richtig schön auskotzen und ich fühle mich meist danach besser. Kannst dir jetzt ja vorstellen was los ist, wenn die wöchentliche Probe mal ausfällt…..ganz zu schweigen von Urlaub oder Ähnlichem.
Chris: Musik hören oder machen hatte für mich immer schon auch eine therapeutische Ebene. LMNC! helfen mir da enorm weiter.

Ja, ein vertrautes Gefühl. Spielt ihr denn im Augenblick viel live oder machen Euch eure Jobs etc. da oft einen Strich durch die Rechnung? Wie ist das bei Euch in der näheren Lüneburger-Umgebung mit Konzerten?

Andreas: Ehrlich gesagt, haben wir noch nicht ein einziges Konzert gespielt. Uns gibt es ja auch erst seit kurzem und bisher galt unsere Priorität, Lieder schreiben und etwas aufnehmen. Natürlich mit dem Ziel, das auch bei Zeiten live zu präsentieren. Hat sich bisher noch nicht ergeben. Für mich kann ich sagen, dass das Schreiben und Entwickeln von neuer Musik im Vordergrund steht und das Livespielen das I-Tüpfelchen von all dem ist. Derzeit schreiben wir Musik für ’ne zweite Platte und ich denke, das wir diese spätestens im Frühjahr aufnehmen werden. Dennoch wollen wir uns bemühen, das Ganze mal live zu spielen, keine Frage…..und da werden uns auch nicht Familie und Beruf im Wege stehen, da wir ja selber entscheiden, wann und wo wir spielen. Hier in der Umgebung von Lüneburg und Uelzen gibt es einige Räumlichkeiten, die wir schon mit unseren anderen Bands bespielt haben und die sehr nett sind. Es gibt also, auch durch die Nähe von Hamburg, einige Möglichkeiten einen schönen Abend zu haben.

Also geht es demnächst schon wieder ans Aufnehmen, sehr schön! Macht ihr das wieder selber im Proberaum mit Ralf von „Tischlerei Lischitzki“? Und gibt es auch schon Ideen für das Format? Etwa Vinyl? Ich für meinen Teil finde ja interessant verpackte Download-Codes total super oder auch das um Unlängen günstiger (auch in Kleinstauflagen) produzierbare Tape. Wie ist das bei Euch?

Andreas: Wenn es soweit ist werden wir es wieder im eigenen Proberaum und hoffentlich auch mit Unterstützung von Ralf aufnehmen. Hat beim ersten Mal ganz gut geklappt. Beim Format sind wir uns nicht sicher….erstmal werden wir es vermutlich wieder via Bandcamp veröffentlichen. Natürlich wäre es schön, etwas physisches in der Hand zu halten. Das ist aber, gerade auch ohne Label, eine Geldfrage. Wenn es zu Auftritten kommt, hatten wir das mit den USB-Sticks schon mal angedacht, um den Leuten etwas in die Hand geben zu können. Mal sehen…erstmal aufnehmen….erstmal auftreten.

Ja hervorragend, warum nicht eine VÖ via USB-Stick! Ich bin schon echt auf Live gespannt. Wäre mal wieder ein Grund nach Lüneburg zu reisen! Bestellt mir schöne Grüße nach Lüneburg und danke für das Interview! Die letzten Worte gehören Euch.

Andreas: Ja, hmmmm….was bleibt da noch zu sagen. Wir bedanken uns bei Dir Lieber Benni für das Interview-Machen. Wir freuen uns derweil auf die nächste Probe, auf das baldige Aufnehmen neuen Materials und auf hoffentlich bald stattfindende Konzerte. Ausserdem hoffen wir, dass durch das hier einige in unsere Musik mal reinlauschen werden. Viel Spaß! Danke.
Chris: Großes Danke und Grüße nach Berlin.

here comes the ambulance
the warships and the tanks
the crisis management
prepared for everything
here are the bills to pay
here our receivables
a brand new agenda
out of place for you

(Look Ma, No Cavities! – „Dead to the World“)

lookmanocavities.bandcamp.com

Fragen: Benni Hübbe
Antworten: Look Ma, No Cavities!

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