August 20th, 2019

LARRY LIVERMORE (#183, 2017)

Posted in interview by Jan

„…hätte es nicht diese eine magische Zeit gegeben, in der ich Operation Ivy live im August 1987 gesehen hatte, dann hätte es wahrscheinlich auch niemals Lookout Records gegeben“.

Interview mit LARRY LIVERMORE

Wir saßen Mitte der 90er auf einem Berg umringt von Feldern und konnten perfekt in den weiten Horizont schauen. Wir waren zu fünft oder sechst, schmökerten die eine oder andere Zigarette, tranken Wein und Bier und dazu lief Green Day… Ach ja, die unbeschwerte Jugend. Diese Erinnerung verbinde ich als allererstes mit Lookout Records. Und: es muss 1993 oder 1994 gewesen sein. Ich war 14 bzw. 15 und die geilste Band der Welt waren Operation Ivy. Ich nahm all mein Mut und Geld (schön noch in Dollar gewechselt) zusammen und bestellte bei Lookout im fernen Berkeley, USA u.a. ein OP IVY Shirt, nach Wochen kam es tatsächlich an nebst dem aktuellen Katalogprogramm… das Shirt habe ich auch heute noch, der Katalog hatte eine Zeichnung als Rückseite und hing jahrelang an der Wand.

Somit: es ist einfach schön, 25 Jahre später mit Larry Livermore „von Lookout“ zu sprechen. Ich kann nicht voraussetzen, dass alle über ihn Bescheid wissen. Deshalb hier ein paar recherchierte Infos aus dem Netz. Larry war der frühere Chef von Lookout Records aus Berkeley. Er hat über seine Zeit als Hippie in Nord-Kalifornien und über Lookout Records zwei Bücher bei Don Giovanni Records publiziert („Spy Rock Memories“ und „How to Ru(i)n a Record Label: The Story of Lookout Records“). Viele Fragen an ihn werden also durch die Lektüre dieser zwei Bücher beantwortet und es gibt auch einige Interviews mit Larry im Netz.

Deshalb werde ich im weiteren Verlauf dieser Einleitung nur kurz seine wichtigsten Lebensstationen zusammenfassen und mich im Interview auf möglichst neuere Fragestellungen konzentrieren. Ob mir das gelungen ist, müsst ihr entscheiden. Larry wurde in Detroit geboren und sah 1977 in San Francisco sein erstes Punk-Konzert. Er begann 1984 in Laytonville mit der Publikation seines Fanzines Lookout und lebte in einer abgeschiedenen Hütte in den nordkalifornischen Bergen. 1985 formierte er u.a. mit dem späteren Green Day-Schlagzeuger Tré Cool die bis 1990 existierende Band The Lookouts.1987 gründete er mit seinem Kumpel David Hayes das Label Lookout Records in der East Bay, Hayes verließ allerdings schon wieder 1989 das Label.

Die ganze Blase um die 924 Gilman (das bekannte AJZ an der Westküste), das Maximum RocknRoll Fanzine und Lookout Records existierten Ende der 80er eng miteinander. Viele verbinden Lookout mit Green Day und Operation Ivy. Mitte der 90er explodierte der Erfolg von Green Day: die „Dookie“ erschien nach 2 hervorragenden Lookout-Platten („1,039/Smoothed Out Slappy Hours“ und „Kerplunk“) auf einem Major und viele wollten auch den early shit von Green Day auf Lookout haben. Das führte laut Wikipedia Mitte der 90er zu folgender Bilanz: „In 1995, with the help of Green Day’s „1,039/Smoothed Out Slappy Hours“ and „Kerplunk“, Lookout! Records made $10 million in sales“.

Larry hatte allerdings auch einige Kämpfe mit zum Beispiel Ben Weasel auszufechten, die er in seinem Buch genauer beschreibt. 1997 verkaufte Livermore Lookout an Chris. Der Back-Katalog von Green Day und Operation Ivy blieb bis 2005 bei Lookout. 2012 löste sich Lookout offiziell auf. Vor einigen Jahren traf ich Larry kurz live bei einem Descendents-Konzert in London und bedankte mich persönlich für die großartige Musik, die er in all den Jahren veröffentlichte.

Er bedankte sich ganz bescheiden. Als großer Fan des Labels hatte ich aber noch einige Fragen… Leider konnte ich wegen dummer Krankheit Larry nicht wiedertreffen, als er 2015 bei dem fünfzigsten Geburtstag von unserem Trust-Dolf in Bremen war. Nach dem Ausstieg bei Lookout lebte Larry einige Zeit in England und bis vor kurzem wohnte er in New York. Momentan bereist er die Welt, ich erwische ihn zum Zeitpunkt dieses Gespräches in China…

Hi Larry, ich möchte dir nochmal ganz ganz dolle für die wunderbare Musik, die du herausgebracht hast, danken, speziell für Green Day, Operation Ivy und Screeching Weasel. Bekommst du oft heutzutage solche Komplimente, nach dem Motto „Larry, du bist eine lebende Legende, mein Punkrock-Held“ oder ähnliches?
Es ist ein wenig peinlich, aber manchmal sagen die Leute immer noch solche Sachen zu mir. Jetzt auch nicht mehr so oft, klar, weil es ja mit Lookout Records alles schon eine Weile her ist. Viele Lookout-Fans sind jetzt in ihren Vierzigern und Fünfzigern und ich denke, es ist zum Beispiel weniger wahrscheinlich, dass sie solche Sachen wie „Du bist mein Held“ jetzt sagen als noch in ihrer Teenager-Zeit.
Es ist schön, dich wieder in unserem Heft zu haben. Erinnerst du dich vielleicht an das erste Mal, als du den Namen Trust gehört hast? Du lernest ja auch unseren Dolf schon vor langer Zeit kennen, wie war das?
Ich versuche gerade, mich zu erinnern, ob ich das Trust kennen lernte bevor ich Dolf traf. Ich glaube, es war aber so, weil das Trust eines der größten europäischen Fanzines war. Ich hatte auch immer diese Assoziation zu dem gleichnamigen 7 Seconds-Song in meinem Kopf (ich weiß nicht, ob der Name des Heftes von dem Song stammt, könnte ja sein [Der Name Trust entstammt von einem alten Begriff für Kartell, es sollte ein Wortspiel sein, einerseits Vertrauen, andererseits „Wir sind das Monopol, wir dominieren die Szene“ Anmerkung Jan]. Es fällt mir schwer, mich genau daran zu erinnern, als ich Dolf traf. Ich denke, das muss recht früh Anfang 1987 gewesen sein, zu der Zeit, als die 924 Gilman gerade aufmachte, das war auch zu der Zeit, als Dolf das Maximum RocknRoll besuchte.

Ich weiß noch, dass ich im Sommer gleichen Jahres nach Augsburg kam. Dolf und ich reisten zusammen über Ost-Deutschland nach Berlin zum Punkrock-Fußball-Turnier. Es ist alles etwas verschwommen, ich kam mit Dolf dann an und blieb im Anschluss einige Zeit bei David Pollack (von Destinty Records und Destiny Tours). Ich kannte David und seinen Vater noch aus San Francisco, bevor sie nach Deutschland auswanderten. Ich reiste dann später noch nach Hamburg, dort traf ich den berühmten Stefan Riebesell. Mir war nicht danach, St. Pauli live im Stadion zu sehen, ich konnte es nicht ganz nachvollziehen, warum man im Nieselregen steht, um sich einige Männer anzuschauen, die gegen einen Ball treten.

Na gut, das war natürlich alles bevor ich selber ein großer Fußball-Fan wurde, jetzt verstehe ich es in Gänze… Aber auch schon damals, egal wo ich in Deutschland hin ging: ich fühlte mich sehr wichtig, weil ich die Leute vom Trust kannte. Jeder sagte, dass das Trust das größte und wichtigste Fanzine in Deutschland wäre. Ich hoffe, sie erzählten mir die Wahrheit!
Du hast in den letzten Jahren zwei Bücher veröffentlicht, dein neustes Werk geht um deine Zeit bei Lookout, dazu kommen wir noch. Aber als erstes meine Frage, ob du mit beiden Veröffentlichungen zufrieden bist?
Ja, ich bin sehr zufrieden und glücklich mit beiden Büchern. Vielleicht mit dem ersten Buch etwas mehr, weil es persönlicher ist und ich mich von allem Druck befreit fühlte, als ich die Story zu Papier brachte. Bei dem Lookout-Buch musste ich sehr aufpassen, inwiefern es die Gefühle vieler Leute betreffen könnte. Ich wollte niemanden unnötigerweise verletzten oder desillusionieren, andererseits fand ich auch, dass es notwendig war, die ganze Wahrheit zu erzählen, also darüber, was mit dem Label geschah, „the good, the bad, and the ugly“; auch wenn es mich selbst in keinem guten Licht dastehen lässt. Ich musste sehr hart daran arbeiten, damit alles richtig rüberkommt und ich denke, ich habe das geschafft. Niemand hat mich deswegen umgebracht bzw. es versucht. Bislang jedenfalls nicht.
Hast du viele Lesungen gemacht, um die Werbetrommle zu rühren?
Es waren einige, die ich machte, aber ich glaube, es hätten mehr sein können. Ich genoss das ja sehr, also zu reisen, Leute zu treffen und mich mit ihnen auszutauschen. Das ist einfach spaßiger, als tage-, wochen- und monatelang am Schreibtisch zu sitzen und alles runter zu schreiben und es dann wieder umzuformulieren, so viel kann ich berichten. Ein Buch zu schreiben ist irgendwie so, wie wenn du eine Platte machst und gezwungen bist, im Studio immer wieder den gleich Kram wieder und wieder einzuspielen, bis es „richtig“ sitzt und klingt – rauszugehen und es zu bewerben ist der lustigere Teil, eben als Band auf Tour zugehen.

Was ich auch feststellte war, dass ich nach einiger Zeit kein „öffentliches vorlesen“ mehr machte, also in dem Sinne, dass ich irgendwas aus dem Buch laut vorlese. Das können die Leute ja eigentlich selber machen, nachdem sie das Buch gekauft haben. Ich habe einfach Geschichten live erzählt und Fragen beantwortet. Die Reisen führten mich durch die ganze USA und auch noch in viele andere Ländern. Unglücklicherweise hat mich bislang niemand nach Deutschland eingeladen.
Du lebst in New York, vermisst du San Francisco?
Aktuell lebe ich nicht mehr in New York, weil vor einigen Wochen dort das ganze Haus, in dem auch meine Wohnung war, abgerissen wurde, um neue Luxus-Wohnungen zu errichten. Also eigentlich bin ich nun seit einiger Zeit offiziell obdachlos. Momentan befinde ich mich in China, dort bleibe ich für einige Monate. Wenn es Frühling wird, dann hoffe ich, dass ich noch einige Monate länger durch Europa reisen kann, um meine Sprachkenntnisse zu verbessen. Ich versuche, meine Kenntnisse in Spanisch, Italienisch und Französisch aufzubessern, vielleicht kann ich dann auch mein Deutsch auffrischen.

Danach werde ich mich eventuell entscheiden, ob ich nach New York zurückgehe; wenn das Schlimmste passiert und die USA sich für einen faschistischen Präsidenten entscheiden, dann muss ich sehen, in welchem anderen Land ich leben möchte. Bezüglich San Francisco, nein, das vermisse ich überhaupt nicht. Natürlich, ich habe einige sehr gute Jahre meines Lebens dort verbracht, aber mir gefällt es nicht, was aus der Stadt und der Gegend geworden ist.

Nicht wenige von meinen Freunden aus den alten Tagen sind auch weggezogen. Wenn ich in der Stadt zu Besuch bin (ich habe immer noch Familienmitglieder dort), dann ist es einfach nicht mehr so angenehm. Es ist echt ein bisschen wie die Dritte Welt dort: du hast extrem reiche Leute, die Seite an Seite mit dem extremen Elend wohnen. Die Leute sind einfach entweder zu stoned oder nur mit sich selber beschäftigt, um darauf aufmerksam zu werden bzw. ist es ihnen einfach egal.
Du hast von 1987 bis 1994 für das Maximum RocknRoll geschrieben, warum hast du aufgehört?
Genau, in diesen sieben Jahren hatte ich meine Kolumne in fast jeder Ausgabe drin, ich machte auch Interviews und andere Sachen in jenen Tagen. Als ich das Heft verließ, das war, weil es damals einen Streit darüber gab, wie das Heft gemacht werden sollte. Ich habe immer daran geglaubt, dass es als ein Kollektiv funktionieren sollte, das offen für alle Standpunkte und Meinungen der Punk-Szene ist. Ich meine, deshalb waren ja ich und viele andere für das Heft als Freiwillige tätig. Aber 1993 und 1994 war es dann so, dass Tim Yohannan, der einer der Gründer des Heftes war, in all der ganzen Zeit zu der wichtigsten und mächtigsten Person im Heft wurde.

Er begann, die Inhalte des Heftes mehr und mehr zu zensieren, einerseits bezüglich der Musik (er meinte, dass dort nur Garage und traditioneller Punk reingehörte), aber eben auch bezüglich der Meinungen. Für mich war es dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, als Tim Jeff Bale feuerte, Jeff war ja auch einer der Heft-Gründer. Tim war nicht mit Jeffs politischen Meinungen einverstanden. Es war jetzt nicht so, dass ich mit Jeff in allem übereinstimmte, aber ich dachte, es wäre wichtiger, dass es eine Breite der Meinungen geben sollte, so dass die Leute für sich selber entscheiden können anstatt das es nur Meinungen gibt, die mit Tim übereinstimmten.

Darüber hinaus verstand ich nicht, wie Tim die Macht hatte, jemanden zu feuern. Niemand hatte Tim jemals zum Herausgeber, Chef-Redakteur oder Boss gewählt, er war einfach nur einer aus dem Kollektiv. Es gab dann ein großes Meeting, um das zu diskutieren. Die Mehrheit stimmte für Tims Positionen. Für mich war dann klar, dass ich nicht länger dazugehörte und ich begann dann, für das Punk Planet zu schreiben.
Wie war denn deine Beziehung zu Tim?
Unsere Beziehung war anfangs ziemlich gut und so blieb es für eine ganze Zeit, auch dann noch, als wir uns in Sachen Politik und Musik oft gestritten haben. Diese Differenzen jetzt mal außen vorgelassen: ich muss sagen, dass Tim viele gute Eigenschaften hatte. Eine davon war seine Fähigkeit, leidenschaftlich sich über eine Sache zu streiten und trotzdem mit dieser Person, mit der er gerade stritt, befreundet zu bleiben. Aber trotzdem wurde es schwieriger und schlechter zwischen uns, als ich im MRR-Haus lebte. Hauptsächlich deswegen denke ich, weil Tim daran gewöhnt war, dass jeder, der dort lebte, viel jünger als er war und dazu bereit war, zu allem, was Tim sagte, zuzustimmen.

Ich dagegen war fast gleichalt wie er (nur einige Jahre jünger) und ich zögerte nicht damit, ihm es auch zu sagen, wenn ich dachte, dass etwas Nonsens war oder dass er sich seltsam oder streng verhielt. Ok, als ich dann aus dem Haus auszog, existierte zwischen uns immer noch ein gutes Verhältnis für viele Jahre, das ging so weiter bis zu dem Zeitpunkt, als Lookout zu einem großen Label wurde. Ab dann wurde er sehr kritisch, auch dann, als wir weiterhin auf unserem total unabhängigen Weg blieben. Ich denke, er war Sachen gegenüber misstrauisch, die größer als sein eigenes Heft wurden.

Es kam dann eben zu einem schlimmen Streit, als er versuchte, Druck auf mich ausüben, damit ich eine Platte von einem seiner Freunde herausbringe. Das wollte ich aber nicht, weil ich nicht fand, dass die Platte gut genug war. Von da an wurde Lookout zum Feind für Tim und wir sprachen nicht mehr miteinander. Unglücklicherweise starb er nur kurze Zeit später, bevor wir nochmal eine Chance hatten, die Dinge richtig zu stellen.
Du hast dann von 1994 bis 2007 eine Kolumne für das Punk Planet Fanzine in Chicago geschrieben, wie kam das zustande, haben die dich gefragt?
Eigentlich war es so: Punk Planet fing damals genau zu der Zeit an, als ich desillusionierter in Bezug auf das MRR wurde. Eine Gruppe von jungen Leuten – ich schätze mal im Alter von Universitäts- und vielleicht auch sogar noch Highschool-Kids – kommunizierten in dem „Punk Chat“-Raum auf AOL (das war America Online, einer der ersten Internet-Provider in den Staaten). Sie beschwerten sich immer da drüber, wie schlecht das MRR wurde und wie wenig das Heft sie noch repräsentierte und sie kaum mehr erreichen würde…

So kam es, dass ich zu ihnen sagte „Wisst ihr was, ihr könnt doch immer noch euer eigenes Heft gründen, oder nicht!?“. Anfangs meinten sie so „Wie jetzt, wirklich?“, aber mit der Zeit sprachen sie mehr und mehr darüber, wirklich eins zu machen. Einer von ihnen, Dan Sinker, der zu der Zeit 19 Jahre alt war, glaube ich, fing dann an, diesen Weg wirklich zu beschreiten. Sie befürchteten, dass sie nicht genügend Leute hätten, die für sie schreiben würden, deshalb bot ich ihnen dann an, eine Kolumne zu schreiben. Das machte ich dann für jede weitere Ausgabe, bis das Punk Plant 14 Jahre später aufhörte zu publizieren.
Wann hast du mit deinem persönlichen Blog angefangen?
Ich glaube, das war so um 2009 herum, als ein Kalifornier namens Joshua Doan mir dabei behilflich war, meine Webseite zu bauen. Ich war dann für eine ganze Zeit sehr aktiv. Das führte sogar zu meinem ersten publiziertem Buch, denn eigentlich kam das so zustande, dass ich portionsweise Stoff von früher auf dem Blog veröffentlichte… Dann kam Joe Steinhardt von Don Giovanni Records auf mich zu und fragte „Denkst du nicht, dass mehr Leute diese Geschichten lesen würden, wenn du sie als Buch veröffentlichst?”.

Das wurde dann zu meinem Buch „Spy Rock Memories“, mit dem ich sehr glücklich war. Ironischerweise war ich aber dann so mit dem Buch (und seinem Nachfolger) beschäftigt, dass ich meinen Blog vernachlässigte. Jetzt finde ich irgendwie nur hier und da oder zweimal im Jahr dafür die Zeit. Ich versuche, das zu ändern und wieder mehr zu machen, wir werden sehen, was passiert.
Deine alte Band, The Lookouts, sind jetzt wieder aktiv oder war das nur in Zusammenhang mit der Wiederveröffentlichung eurer alten Songs?
Es war wahrscheinlich nur eine Wiederveröffentlichung, aber du kannst es niemals genau wissen… Zahlreiche alte Lookout-Bands tun sich momentan wieder zusammen für ein Gilman-Festival im Winter 2016 (der 30igste Geburtstag), aber soweit ich weiß, werden wir nicht dabei sein. Unser Schlagzeuger scheint mit dieser anderen Band, bei der er Mitglied wurde, beschäftigt zu sein und unser Bassist lebt schon seit einer ganzen Weile in Japan. Darüber hinaus bin ich mir nicht sicher, dass ich mich überhaupt auch nur an die Hälfte unserer Songs erinnern kann, also, wie man sie spielt.
Weißt du, was mit den Chefs von Lookout aus der Post-Larry Zeit geschehen ist, sind die noch in der Bay Area?
Ja, viele von ihnen sind immer noch dort und ich hoffe, dass ich doch so einige von ihnen bei der Gilman/Lookout-Reunion im nächsten Januar sehen werde.
1987 hast du Lookout Records zusammen mit David Hayes gegründet, weißt du, was er heutzutage so treibt?
Ja, er lebt im Staat Washington, circa tausend Meilen nördlich von Berkeley und auch wenn er dutzende von Platten veröffentlichte, vielleicht sogar noch mehr, bin ich mir nicht sicher, ob er das immer noch macht. Er postet manchmal auf Facebook, was er derzeit so macht. Eine Sache, die er machte, war, dass er alle Platten, an denen er beteiligt war, digitalisierte, also die Platten auf Lookout und auf seinen eigenen Labels – er stellt sie allen, die sie hören wollen, online zur Verfügung, das ist ein großartiger Service.
Wenn du an Lookout denkst, was kommt dir da als erste Erinnerung hoch?
Ich denke, die ersten Erinnerungen wären meistens von der Zeit, als ich immer noch auf dem Berg gelebt habe (darum geht’s in meinem ersten Buch “Spy Rock Memories”), also an die Zeit, als ich gerade meine Band startete und mein kleines Fanzine begann. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, dass all das irgendwie zu einer gigantische Plattenfirma wurde, aber so hat es ja angefangen. Ich erinnere mich daran, wie unschuldig und neu alles damals erschien, als wir so begeistert davon waren, das wir Konzerte spielen konnten und andere Bands kennenlernten und nach den Konzerten mit ihnen noch die Hälfte der Nacht über Musik und Szenen und Kultur redeten.

Oder an andere Nächte, in denen ich Zines kopierte, unseren Mailorder erledigte oder mir Gedanken darüber machte, was als nächstes passieren würde. Und auch an Gilman erinnere ich mich, also, wie wir zusammen kamen und uns entschieden haben, das wir einen Club aufbauen und wie Gilman dann zu so etwas erstaunlichem wurde, das konnten wir vorher uns in unseren kühnsten Träumen natürlich überhaupt nicht vorstellen oder auch nur erahnen. 1988 gab es eine Zeit, als Operation Ivy von ihrer Tour zurückkamen und jeder dann raus kam, um sie zu Hause willkommen zu heißen – und ich denke, dass ich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal realisierte, das wir in der Mitte von etwas waren, dass unsere Leben für immer verändern würde und wir niemals vergessen würden.
Magst du Green Day immer noch, siehst du sie oft live?
Ja, natürlich mag ich Green Day immer noch. Das bedeutet nicht, dass ich jedes einzelne Ding von dem, was sie machen, gut finde, aber ich mag davon das meiste und verglichen mit jeder anderen Band ihrer Größe und Bedeutung (ich meine jetzt auf dem Level „in einer Arena, in einem Stadion und im nationalen Fernsehen spielen“)… sie sind einfach die besten. Bis vor kurzem haben sie nicht viel live gespielt, aber von vielleicht 2009 bis 2012, als sie viel getourt sind, habe ich sie mehrmals gesehen, auf sehr großen und sehr kleinen Konzerten. Und natürlich hatte ich die Ehre, dabei zu sein, als Green Day in die Rock and Roll Hall of Fame eingeführt wurden und sie bei einem Jam mit den zwei noch lebenden Beatles zu sehen, das war eine ziemlich surreale Erfahrung.
Wie unterscheidet sich ein Konzert von Green Day von heute im Vergleich zu einem in den 80er?
Nun ja, als jemand, der sie frontal aus dem Zuschauerraum und vom Backstage aus live sah… lernte ich, dass sich ein Konzert in einer riesiger Arena sehr von einem in einem kleinem Club unterscheidet, auch wenn du exakt die gleichen Songs spielst. Alles – sogar die Bewegungen, die Gesten, das Verhalten – muss größer sein und sorgfältiger gemacht werden, damit es von einer großen Masse wahrgenommen werden kann. Wenn du dagegen für nur hundert Leute in einer Halle oder einem Keller spielst, dann sind alle direkt um dich herum, du musst dir nicht wirklich Gedanken darüber machen, wie du rüber kommst, weil jeder direkt dort um dich herum versammelt ist.

Nichtsdestotrotz und das im Hinterkopf behaltend; ich erinnere mich an das eine Mal, als ich hinter Billie im Madison Square Garden stand, als er eine Zugabe gab, die nur aus ihm und seiner Akustik-Gitarre bestand. Und auch wenn da 20 000 Leute zuschauten, fühlte es sich an, als ob er nur zu einigen wenigen guten Freunden am Lagerfeuer sang. Um so etwas so zu machen, dafür brauchst du wirklich ein besonderes Talent. Einige Tage vor der Rock and Roll Hall of Fame-Einführung gab es ein Konzert mit dem originalem Lineup von Green Day als Sweet Children in einem kleinem Club in Cleveland in Ohio.

Es war das erste Mal seit 1991, das sie in dieser Besetzung spielten und es war erstaunlich; es fühlte sich an, wieder in der Gilman Street zu sein, es war die gleiche rohe Energie, die gleiche Rumblödelei und die gleichen wunderbaren Songs. An so einem Moment denkst du echt beinahe, dass sich die Dinge in all diesen Jahren nicht so groß verändert haben.
Wie waren eigentlich Operation Ivy damals live? Die sind ja echt für mich eine der besten Bands aller Zeiten, wobei, Dolf erzählte mal, dass er sie live in der Gilman sah und es „langweilig“ war, das kann ich mir echt nicht vorstellen!
Well, Dolf ist ein echt brillanter Mensch und ein scharfsinniger Kommentator, aber es könnte ja sein, dass er einfach einen schlechten Abend erwischte oder er war in dem Alter (späte Teenager/frühe Zwanziger), wo du versuchst, dadurch cool zu sein, dass du niemals irgendjemanden gegenüber zugibst, dass du von irgendeiner Sache beeindruckt bist. Oder vielleicht sah er ein Konzert, das ich nicht sah und wo sie nicht so gut waren, aber ich bezweifele das. Ich persönlich sah nie ein Operation Ivy-Konzert, das nicht beeindruckend war (außer einem (aber da bin ich sicher, dass Dolf nicht dabei war)).

Ich schreibe darüber in meinem Buch, es war eine Zeit, in der sich Druck auf die Band aufbaute und Lint ziemlich stark zu trinken anfing. Er kam schon besoffen zum Konzert und konnte nicht gut spielen. Aber das war das einzige Mal. Jedes andere Konzert, das sie spielten und wo ich war, war wie eine religiöse Erfahrung. Jeder kannte die Texte und sang mit, auch wenn sie noch nie Operation Ivy vorher hörten. Oft waren so viele Leute vom Publikum auf der Bühne, so dass du die Band gar nicht mehr sehen konntest und Jesse ging dann runter in den Pit, um weiter zu singen. Wie ich es im Buch beschreibe, hätte es nicht diese eine magische Zeit gegeben, in der ich Operation Ivy live im August 1987 gesehen hatte, dann hätte es wahrscheinlich auch niemals Lookout Records gegeben.
Verfolgst du die Punk-Szene heutzutage, gehst du auf Konzerte?
Bis vor kurzem machte ich das, aber aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil ich so beschäftigt mit dem Bücher schreiben war – habe ich letztes und vorletztes Jahr größtenteils das Interesse verloren. Oder vielleicht habe ich auch die Geduld mit einigen der dümmeren Aspekte von Punk verloren, das heftige Besaufen zum Beispiel oder wie generisch bzw. gewöhnlich vieles ist. Ich informiere mich über einige der Bands auf Don Giovanni Records – darunter zählen auch meine Favoriten, die Screaming Femals und Laura Stevenson – und ich bin auch informiert über den Stand der Dinge von den Bands, die meine Freunde in New York und England so machen. Aber ich muss ehrlich sein und sagen, dass ich heutzutage nicht auf viele Konzerte gehe. Vielleicht ändert sich das in den nächsten oder übernächsten Jahre. Wir werden sehen.
Was war deine Absicht, den Sampler “The Thing That Ate Larry Livermore” zusammen zustellen?
Eigentlich war es nicht meine Idee. Billie Joe von Green Day rief mich an und fragte mich, ob ich das für ihr Label machen würde. Ich glaube, der Grund, warum er es tat, war, weil ich so viel über die wachsende Szene in New York, Baltimore und im amerikanischen Mittelwesten erzählte, das sind ja die Gegenden, aus denen die meisten Bands auf dem Sampler her kommen. Es war ein großer Spaß und einige der Bands wurden richtig erfolgreich, aber ich war sehr glücklich mit der Platte als Ganzes. Ich denke, dass jeder Song darauf irgendwo zwischen gut und exzellent ist.
Wenn junge Leute dich nach Ratschlägen in Sachen Label machen fragen, was wären deine Tipps oder Tricks?
Ich sagen ihnen, dass sie herausfinden müssen, wie viel Geld sie sich leisten können, zu verlieren und das sie dann nicht mehr als diese Summe ausgeben sollten.
Was hast du für Zukunftspläne, arbeitest du an einem neuem Buch? Irgendwelche musikalischen Projekte?
Ich reise viel, denke nach, studiere und schreibe. Angeblich arbeite ich an meinem dritten Buch, aber es geht viel langsamer voran, als ich mir das vorstellte. Ich dachte zum Beispiel, dass ich es zum Ende diesen Jahres fertig hätte, aber stattdessen arbeite ich immer noch am ersten Kapitel. Und ein viertes Buch ist danach geplant. Das, an dem ich gerade arbeite, sind auch meine Memoiren, wie die ersten zwei, aber dieses Mal geht es hauptsächlich um England (es geht auch über Deutschland und dein Editor Dolf wird ein oder zwei Auftritte haben).

Danach möchte ich eine Novelle schrieben, aber das liegt noch ein paar Jahre entfernt. Außer der eventuellen Reunion der Potatomen für das Gilman Street Festival diesen Winter habe ich keine musikalischen Projekte am Start. Jetzt im Moment bereise ich die Welt, ich habe keine Gitarre dabei, somit kann ich momentan musikalisch nur so aktiv waren, wenn ich zu dem Radio mitsinge. Moment, das stimmt gar nicht, ich habe noch nicht mal ein Radio. Ich vermute, dass ich momentan nur zu der Musik in meinem Kopf mitsingen kann.

Kontakt: larrylivermore.com

Interview: Jan Röhlk

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