Januar 23rd, 2013

KYLESA (#155, 08-2012)

Posted in interview by jörg

„We want to touch more senses than just the ears and the eyes. Just make it a total body experience“

Kylesa starteten 2001 als Nachfolgeband von Damad als Crustband mit leichtem Metaleinschlag. Auch durch den relativen Bekanntheitsgrad der Vorgängerband konnten sie sich schnell einen gewissen Ruf erspielen. Die Pushead-Artworks auf den frühen Platten haben dabei sicher auch nicht geschadet. In den folgenden zehn Jahren gab es mindestens so viele Tonträger wie Besetzungswechsel – und das waren nicht wenige.

Es folgten regelmässige Touren durch Europa, Nordamerika und anderswo, und wer die Entwicklung nicht kontinuierlich und aufmerksam verfolgt hat, mag sich heute wundern, dass Kylesa mit ihrem fünften Album „Spiritual Shadow“ mittlerweile eine einzigartige Mischung aus Metal, Punk, Sludge, Stoner- und Psychedelicrock spielen.

Wie keine andere Band bewegen sie sich leichtfüssig und problemlos zwischen den Polen Punk und Metal. Auch wenn die Bandmitglieder noch immer eher crustig aussehen, scheinen sie mittlerweile in erster Linie von einem Metalpublikum rezipiert zu werden. Die Promoagentur ihres aktuellen Labels Season Of Mist scheint da ordentliche Arbeit geleistet zu haben und die heutigen Kylesa Platten- und Konzertpreise tragen sicher den Rest zur Entwicklung bei.

Wer tiefer in der Szene verwurzelt ist, wird wahrscheinlich von den Diskussionen um die gebuchte USA-Tour von Kylesa zusammen mit The Haunted und den zweifelhaft anmutenden Nachtmystium mitbekommen haben. Nachtmystium, nennen sich selbst „unpolitisch“, arbeiten jedoch auffallend häufig mit Neonazis zusammen.

Das Demo der Band erschien beispielsweise auf dem Nazilabel Vinland Winds, auf einem anderen Tonträger gibt es ein Burzum Cover und ein Interview im Rock Hard trägt die Überschrift „Antifa, du kannst mich ma'“. Die Liste liesse sich problemlos fortsetzen. Die gemeinsame Tour mit Kylesa wurde glücklicherweise abgesagt und Kylesa vorzuwerfen, dass sie beinahe mal auf der gleichen Tour wie eine „unpolitsche“ Dumpfbackencombo ohne Berührungsängste nach ganz rechts aussen gespielt hätten, ginge dann vielleicht doch ein wenig zu weit.

Trotzdem bleiben ein dumpfer Nachgeschmack und der Wunsch da noch einmal nachzuhaken. Wahrscheinlich ist der Vorfall auch nur ein exemplarischer unter vielen. Beständig wie regelmässig sorgt das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bands aus dem weiten Metalspektrum für Diskussionen und Bauchschmerzen innerhalb antirassistisch geprägter Punkzirkel, die sich musikalisch eher ausserhalb des engen Punk-Tellerrandes verorten.

Ende Januar begeben wir uns also in den Backstagebereich des Berliner Magnet Clubs um die Kylesa-Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit zu diskutieren. Kylesa sind gerade mit Circle Takes The Square und Ken Mode auf Tour. Nachdem wir eine Viertelstunde vergeblich auf unsere zweite Interviewpartnerin Laura (Gitarre und Gesang) warten, führen wir das Gespräch gezwungenermassen allein mit Tyler Newberry (Schlagzeug und Keyboard). Gut gelaunt und mit Bier in der Hand, scheint er von der gewissen Tiefe unserer Fragen überrascht, findet aber schnell Interesse daran.

***

Kylesa bewegen sich irgendwo auf der Grenze zwischen Punk/Hardcore auf der einen Seite und Metal auf der anderen Seite. Sind das für Euch zwei völlig verschiedene Welten oder sind die Unterschiede doch nur gering?

Tyler: Ich denke nicht, dass es so große Unterschiede gibt. Beide Musikstile kommen von jungen Menschen, die sich innerlich etwas anders fühlen. Sie wollen keine Sportler werden und starten deshalb eine Punk-, Metal oder was-auch-immmer-Band als Alternative zum gewöhnlichen Lebensstil. Deshalb sehe ich das nicht als unterschiedliche Sachen an, es sind nur unterschiedliche Musikstile.

Aber mittlerweile seid Ihr auch älter geworden. Warum also seid Ihr am Ball geblieben?

Tyler: Weil es mein Leben zerstört hat. (lacht) Nein, es ist eher, dass ich mir mein Leben ohne Musikmachen nicht vorstellen könnte. Geschmack verändert sich, wenn man älter wird, aber ich hoffe, man kann die junge Person bleiben, die man einmal war, die sehr passioniert in Bezug auf Hardcore-Musik war oder was auch immer man gehört hat.

Wo fing Deine eigene Geschichte an? Auf der Hardcore- oder auf der Metalseite?

Tyler: Persönlich war ich immer im Punkrock verwurzelt. Ich mag auch Metal, höre ihn aber nicht zu oft. Ich liebe Punkrock. Er hat mein Leben völlig verändert.

Kylesa haben als D.I.Y. Punkband angefangen und sich über die Jahre sowohl musikalisch als auch ökonomisch entwickelt. Heute bewegt sich die Band eher in der businessorientierten Metalwelt. War das eine bewusste Entscheidung oder ist es einfach so gekommen?

Tyler: Nein, das ist etwas, was stückweise gekommen ist. Du bist nicht für immer 18 Jahre alt. Du hast keine Lust mehr auf dem Fussboden zu schlafen. Dein Körper wird älter (lacht) und Du kannst nicht mehr die gleichen Dinge machen. Und wenn Du Deine Band wie einen Beruf betreibst, ist es schön, wenn man eventuell auch davon leben kann.

Die Band ist also mittlerweile Euer Beruf und kein Hobby mehr?

Tyler: Weitgehend, zumindest ist es das Ziel. Wenn wir kontinuierlich auf Tour sind, dann geht das. Wir verdienen nicht viel Geld, aber es ist genug zum Überleben. Das ist großartig, wenn man bedenkt, dass wir aus der Punkszene kommen. Die meisten von uns müssen arbeiten, wenn wir nicht auf Tour sind. Ich arbeite auf dem Bau. Das habe ich zwölf Jahre gemacht und es ist scheisse, aber es ernährt mich.

Eine sehr typische Arbeit für Musiker, die nicht auf Tour sind.

Tyler: Definitiv. Ich glaube, es liegt daran, dass viele von uns anti-soziale Personen sind, die nicht in Restaurants arbeiten können, weil sie dort mit der Öffentlichkeit interagieren müssen, in der die meisten Menschen Arschlöcher sind.

In unserem Umfeld scheinen viele ihre normalen Beruf zu hassen. Hast Du das Gefühl mit Deinem Beruf in der Band heute auch manchmal?

Tyler: Das ist eine komplizierte Frage. Du findest immer etwas, das falsch läuft. So ist die menschliche Natur, man findet immer etwas, was nicht gut läuft. Es wird niemals alles gut sein. Ich bemühe mich, bescheiden zu bleiben und mich daran zu erinnern, dass das hier der beste Job der Welt ist. Es kann gar nicht besser werden, als so durch die Welt zu reisen. Ich habe hier keine real-life Probleme. Wenn ich zu Hause auf der Arbeit wäre, könnte ich sterben, aber hier drüben sind die Probleme einfach anders.

Einer von uns hat Euch auf Eurer ersten Tour 2005 in Hamburg in der Roten Flora spielen sehen. Der andere von uns hat mit seiner alten Band zusammen mit Euch 2006 in Mannheim in einem selbstverwalteten Club gespielt. Alle Bands haben danach in einem großen Raum im Haus geschlafen und nebenan war eine Gothicparty. Seitdem ist viel passiert. Vermisst Du manchmal die guten alten Tage?

Tyler: Klar, aber ich habe ja die Erinnerungen daran. Falls Ihr meint, ob ich die alten D.I.Y.-Tage vermisse, in denen man alles selber gemacht hat, sicher tue ich das. Aber wenn man mehr Erfolg hat, wird der Druck auch immer grösser und grösser. Die Belohnung ist auch grösser und das treibt Dich an. Es dreht sich nur um die Musik und darum besser zu werden. Man will nicht immer das Gleiche machen und als Band wachsen, man will sich als Person entwickeln und sich Wissen aneignen.

Du könntest eine zweite Band gründen, damit Du neben den großen Bühnen mit Kylesa auch die D.I.Y.-Erfahrung wieder hast.

Tyler: Wenn ich nicht auf Tour bin, spiele ich mit vielen unterschiedlichen Musikern. Das ist der beste Weg, ein besserer Musiker zu werden, also mit unterschiedlichen Leuten, unterschiedliche Stile zu spielen, unterschiedliche Instrumente zu lernen. Aber eine neue Band gründen um die D.I.Y.-Erfahrung wieder zu machen? Ich will nichts Schlechtes darüber sagen, aber die Erfahrung habe ich bereits.

Der Sound auf kleinen D.I.Y.-Shows unterscheidet sich stark vom Klang professionellerer Konzerträume. Der Sound ist viel direkter, es gibt in den Kellern keine große P.A., man hört die Instrumente direkt. Glaubst Du, dass Kylesa besser über den P.A.-Sound funktionieren?

Tyler: Ja, das denke ich, weil wir viele unterschiedliche Instrumente haben und die Songs sehr dicht strukturiert sind. Wir sind keine Punkband mehr, also im Kern sind wir das schon, aber man braucht eine große P.A., um all die Sounds einzufangen. Auf dem Level, auf dem wir sind, wollen wir eine große Show mit Licht und allem machen, wo jeder alles hören kann. Wir wollen Menschen auf einen Trip bringen. Mit einer besseren P.A. ist das einfacher zu erreichen. Ab und zu spielen wir aber auch noch kleine old-school Punkshows. Die machen höllisch Spass.

Würdet Ihr also einen anderen Musikstil spielen, wenn Ihr nicht den Erfolg mit den grösseren Bühnen hättet, ohne die Eure Musik nicht so gut funktionieren würde?

Tyler: Man passt sich an, wenn man als Band muss. Würden wir andere Shows spielen, würden wir uns daran anpassen.

Auf der ersten Kylesa Europatour haben Eure Konzerte etwa 5-8 Euro gekostet, heute Abend sind es 18 EUR. Wir wollen Euch sicher keine sell-out Vorwürfe machen, aber hat sich Deine eigene Praxis auf Konzerte zu gehen verändert, dadurch dass Du jetzt die Businessseite der Musikwelt aus Deiner eigenen Perspektive kennst? Also in dem Sinne, dass Du es heute vielleicht okay findest, für 18 EUR auf ein Konzert zu gehen, wogegen Du das vor 10 Jahren möglicherweise abgelehnt hast?

Tyler: Eine Sache, die sich über die Jahre verändert hat ist, dass ich jetzt die Geschäftsaspekte einer Band und dem Veranstalten grösserer Shows verstehe. Es ist teuer. Wenn Du wirklich gut klingen willst, benötigst Du anständiges Equipment und einen Tontechniker. Es gibt so viele Aspekte, über die Menschen nicht nachdenken, die aber viel Geld kosten. Wenn man früher auf Tour gegangen ist, wusste man, dass man kein Geld verdient.

Man musste sich viel Geld leihen, man musste viel Geld sparen, um überhaupt auf Tour gehen zu können. Das sind zwei unterschiedliche Welten. Man musste sechs Monate seinem Tagesjob nachgehen, um in der Lage zu sein, eine Tour alle sechs Monate spielen zu können.

Orientiert man sich aber ein wenig mehr in Richtung Geschäft, kann man es so machen, dass es sich selbst trägt. Ich weiss, dass sich die Leute über den Preis beschweren, aber ich denke, wenn man älter wird, fängt man an, über Dinge anders zu denken. Ich habe auch schon 40 Dollar bezahlt, um eine Band zu sehen. Das habe ich nicht gerne getan, aber die Band hat mich umgehauen.

Ich persönlich bin von grösseren Shows schon öfters enttäuscht worden, weil ich dachte, dass ich gerade drei Bands für fünf Euro gesehen habe, die mich alle umgehauen haben, jetzt habe ich dreimal soviel bezahlt, also müssten sie auch dreimal so gut sein. Die Rechnung ging nicht immer auf.

Tyler: Mathematisch ist das definitiv richtig (lacht). Das ist der Grund weshalb wir versuchen, mehr mit unserer Lichtshow zu machen und vielfältig zu sein. Die meisten von uns spielen mehrere Instrumente. Es ist ein dreidimensionales Erlebnis, wir wollen mehr Sinne als nur die Augen und Ohren berühren. Es soll ein Ganzkörpererlebnis sein. Das war das Ziel mancher der besten Bands aller Zeiten. Sie wollten alle Deine Sinne angreifen, dass Du die Show verlässt und Dich fragst, was mit Dir passiert ist.

Wechseln wir das Thema. Während wir hier im cold-as-fuck Deutschland sitzen, finden in den USA die Vorwahlen der Republikaner statt. Verfolgst Du die Nachrichten aus den USA, während Du hier bist oder vernachlässigst Du sie?

Tyler: Ich verfolge die Nachrichten, leider. Meine persönliche Meinung ist, dass beide politischen Parteien in den USA korrupt sind und ich keinem Politiker traue. Das Zweiparteiensystem muss verschwinden. Trotzdem verfolge ich die Nachrichten, weil ich informiert sein möchte. Deshalb sehe ich mir nicht Fox News an, um mir erzählen zu lassen, dass alles okay ist.

Denn man weiss, dass es nicht so ist. Wenn man ein informierter Bürger sein will, um die richtigen Wahlentscheidungen oder andere Entscheidungen im eigenen Leben treffen zu können, muss man informiert sein. Man muss die Fakten verstehen. Ich kann nicht für den Rest der Band sprechen, ich bin mir nicht sicher, wie ihre politischen Ansichten sind, aber sie verfolgen die Nachrichten. Ich möchte beide Seiten einer Geschichte kennen und versuchen sie zu verstehen. Ich traue keinem Politiker, aber ich stelle Fragen.

Das machen wir gerade auch. Hast Du Dir die TV-Debatten angesehen oder Zusammenfassungen davon?

Tyler: Nein, die republikanischen Kandidaten sind, bis auf vielleicht eine Ausnahme, nur Idioten. Es ist so parteiisch. Demokraten und Republikaner hassen sich, einfach nur weil sie Demokraten und Republikaner sind. Das ist dumm und sinnlos, keine Seite geht auf die andere ein. Beide Seiten sind stur. Es ist eine Schande. Ich verfolge die Nachrichten von hier drüben auch ein wenig.

Es gibt hier so viele Länder, da bekomme ich natürlich nicht alles mit, aber ich versuche, informiert zu bleiben. Aus meiner Erfahrung von Touren kann ich Euch bestätigen, in einer globalen Wirtschaft zu leben. Die Welt wird vom Geld zusammengehalten.

Eure Heimatstadt Savannah ist so etwas wie eine demokratische Insel im republikanischen Staat Georgia oder gar dem ganzen Deep South. Kannst Du uns erklären, was der Unterschied zwischen Savannah und der Umgebung ist?

Tyler: Ich denke, in den letzten 50-60 Jahren sind eine Menge Freidenker nach Savannah gezogen. Es ist sehr günstig dort zu leben und es ist eine wunderschöne Stadt. Wie Ihr sagt, liegt es im Deep South und diese Dinge sind alle noch da: Rassismus, Homophobie und all diese Scheisse, die vielleicht nie verschwinden wird.

Ich weiss nicht, warum das so ist. Es ist auch nicht so absolut demokratisch, wie Ihr vielleicht denkt, es sind nur geschätzte 64 Prozent. Savannah ist einfach eine schöne, südländische Stadt. Es gibt noch einige weniger andere Städte in Georgia, die nicht so republikanisch sind. Athens, Georgia, wo die Band R.E.M. herkommt, ist ein gutes Beispiel.

Ich habe zugegebenermassen nie darüber nachgedacht, obwohl es eine gute Frage ist. Es ist meine Heimat, sie verändert sich nicht. Ich kann für zwei Monate weggehen und es ist immer noch alles beim Alten. Es ist angenehm dort zu leben und es ist schön. Vielleicht liegt es an unserer großen Kunsthochschule dort. Es laufen viele Freaks herum.

Viele Menschen aus der Hardcore/Punk-Szene sagen, dass Metal deutlich weniger politisch ist als Hardcore/Punk. Du kennst beide Seiten, stimmst Du dem zu oder ist das nur ein Klischee?

Tyler: Das ist ein Klischee, weil man nicht weisst, was jemand denkt, bevor man ihn nicht gefragt hat. Man verallgemeinert, ohne die Leute gefragt zu haben. Viele behalten ihre Einstellungen für sich. Das wurde uns beigebracht, als wir jung waren. Sprich nicht über Religion und Politik, weil Du niemanden verärgern willst.

Wenn Metalbands über Politik reden, bewegen sie sich allerdings oft auf der rechten Seite. Zumindest hier in Deutschland gab es Debatten über die angedachte, gemeinsame Tour von Kylesa, Nachtmystium und The Haunted. Keine Ahnung, wie es in den USA war…

Tyler: Ich weiss, wovon Ihr sprecht.

Kannst Du uns erklären, warum es in der Metalszene so wenig Berührungsängste gibt, mit Neonazis zusammenzuarbeiten, also wie im Falle Nachtmystium?

Tyler: Das ist eine gute Frage. (überlegt) Ich wusste nichts von ihrer Politik und ich bezweifle, dass die Person, die dachte, wir sollten mit ihnen eine Tour spielen, davon wusste. Wenn wir darüber nachdenken, mit anderen Bands zu spielen, überlegen wir meist eher, wie die unterschiedlichen Sounds zusammenpassen. Selbstverständlich unterstützen wir solche Standpunkte nicht.

Dort wo wir aufgewachsen sind, ist Rassismus so irrsinnig verbreitet, dass wir sehr sensibel sind, was solche Dinge angeht. Das Tourbooking wurde jedenfalls nicht aus diesem Grunde gemacht. Wir verstehen das Problem, wir sind damit aufgewachsen und wir leben jeden Tag damit, wenn wir zu Hause sind.

Vielleicht liegt es auch daran, dass Ihr aus einem D.I.Y.-Background kommt, wo jeder selbstverständlich antirassistisch eingestellt ist. Heute spielt Ihr aber oft mit Metalbands zusammen. Ihr habt noch die gleiche Attitüde, aber die Bands in Eurem Umfeld sind andere. Darunter befinden sich eben auch Rassisten. Dass soll jetzt nicht heissen, dass Nachtmystium Rassisten seien, aber sie arbeiten definitiv mit Rassisten zusammen.

Tyler: Ich stimme zu, es ist definitiv anders. Wir haben mal im Sommer irgendwo in Deutschland auf einem Festival gespielt. Nach unserem Auftritt habe ich mich betrunken und ich weiss auch nicht mehr, wo es war. Im Backstageraum sassen aber Leute in Naziuniformen. Es hat mir höllisch Angst gemacht.

Ich war nicht klar im Kopf und musste jemanden fragen, ob das hier gerade wirklich passiert, ob ich meinen Augen trauen kann. Er sagte, das sei okay und ich bin gegangen. Diese Scheisse ist unheimlich. Aber Geschichte ist sehr unheimlich, es gibt so viel davon…

Warum sind Menschen in den USA eigentlich so fasziniert vom Nationalsozialismus? Das Problem betraf die Menschen in den USA doch niemals, ganz im Gegensatz zu den Deutschen hier. Warum berufen sich Amerikaner eigentlich nie auf den Rassismus vor ihrer eigenen Haustür, also dem KKK oder White Aryan Resistance? Nur sehr wenige Bands machen das.

Tyler: Ich weiss es nicht. Ihr seid damit aufgewachsen. Wir dagegen sind die Nachfahren von Sklavenbesitzern und haben das über unseren Köpfen hängen. Die gleiche Sache, aber anders. Warum machen sich Menschen als Blackface auf und glauben, dass es lustig sei? Ich verstehe das nicht, aber Menschen schockieren andere gerne.

Das zu tun gibt ihnen den Kick. Diese Menschen denken wahrscheinlich nicht darüber nach, ob es richtig oder falsch ist. Sie versuchen Leute zu schockieren, ich halte das nicht für cool, aber… ich weiss nicht, es ist so ein kompliziertes Thema. Die eine Sache ist 70 Jahre her, die andere 150 Jahre. Es ist so frisch und Leute sind vielleicht noch nicht bereit darüber zu sprechen, weil es so fucked up ist, ob nun die Sklaverei oder was auch immer.

Manche Leute sind aufgebracht und wollen einen Feldzug gegen die Dinge führen, die sie als teuflisch erachten. Und manche Leute suchen einfach einen Kick darin, Arschlöcher zu sein. Wenn sie herausfinden, dass jemand mit einem bestimmten Namen nicht angesprochen werden möchte, nennen sie ihn erst recht so. Das ist sehr kindisches Verhalten, aber die meisten Menschen verhalten sich wie Kinder.

Es ist interessant, dass Du Blackface erwähnst. Vor Kurzem gab es hier in Berlin einen kleinen Skandal. Es ging um das Stück „Ich bin nicht Rappaport“ in einem Theater, das von einem sehr bekannten, deutschen, old-school Comedian namens Dieter Hallervorden betrieben wird, den Du aber sicherlich nicht kennst. Die beiden Hauptcharaktere sind ältere Männer, ein weisser Mann und ein Afro-Amerikaner. Der Schwarze wurde vom einem Weissen in Blackface gespielt. Abseits von ein paar People of Color Organisationen und den Antifaschisten sieht eigentlich niemand ein Problem darin. Du sagst, dass Du die Sklavenbesitzgeschichte über Deinem Kopf hast, kannst Du das verstehen?

Tyler: Verstehen, warum sie das so gemacht haben? (lacht) Nein, das kann ich nicht verstehen. Es ist total sinnlos.

Die Begründung war, dass sie keinen Schwarzen gefunden haben und sich deshalb gezwungen sahen, dass Stück so umzusetzen.

Tyler: Man muss wissen, dass das nicht cool ist. (lacht) Die Bands in den USA, die solche Sachen zelebrieren, kommen übrigens nicht aus dem Süden. Wenn man in der Umgebung aufgewachsen ist, in der ich aufgewachsen bin, dann ist man sicherlich ein wenig sensibler, was solche Themen betrifft. So wie Ihr sensibel in Bezug auf die Themen seid, mit denen ihr aufgewachsen seid.

Die Menschen im nördlichen Teil der Vereinigten Staaten verstehen es aber nicht so wie wir. Sie halten uns für dumm, weil wir aus dem Süden kommen, aber nicht jeder aus dem Süden ist ein Redneck. Es sind Generalisierungen und Stereotype, die sich wahrscheinlich niemals ändern. Ich denke, dass die durchschnittliche Person nur genug Geld verdienen will, um mit ihrer Familie zu überleben und glücklich zu sein.

Die meiste Zeit spielen Religion und Politik dabei keine Rolle, das ist eine sehr persönliche Sache für Leute. Auch ich habe meine eigenen Ansichten in Bezug auf Religion und Politik. Ich würde einem Christen niemals erzählen, dass es falsch ist, an Gott zu glauben, weil es seine Entscheidung ist. Umgekehrt sollen sie mir nicht erzählen, dass es falsch sei, nicht zu glauben. Das ist mein Recht.

Ich habe neulich in Bezug auf die Abschaffung der Sklaverei gelesen, dass die nördlichen Staaten deutlich rassistischer waren in ihrem täglichen Verhalten.

Tyler: Oh ja. Ich persönlich bin ein echter Geschichtsnerd und habe sehr viel über den amerikanischen Bürgerkrieg gelesen. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, denn es ist ein sehr kompliziertes Thema. Ich bin mir sicher, sie hielten die Leute im Süden für bescheuert.

Arme Weisse und arme Schwarze arbeiteten nebeneinander zusammen in Plantagen und hatten keine Probleme miteinander. Nach dem Bürgerkrieg wurde alles neu definiert. Die Leute aus dem Norden kamen und führten Rassismus ein. Das ist meine persönliche Meinung.

Ein Grund für den Rassismus im Metal oder auch im Hardcore/Punk ist sicher, dass es eine von Weissen dominierte Kultur ist. Hast Du eine Idee, warum es so wenig People of Color im Metal und Hardcore/Punk gibt?

Tyler: (überlegt) Die gleiche Sache ist, warum dort so wenig Frauen sind. Das ist unheimlich, ich verstehe es nicht. Aber im Norden gibt es auch nicht so viele Schwarze wie im Süden, so ist es halt. Im Süden machen die Leute unterschiedliche Sachen, die Wege kreuzen sich nicht. Wenn man sonst nichts unternehmen könnte, würden alle gemeinsam zu Shows gehen. Junge Leute sind alle gleich.

Vielleicht wird manchen, während sie aufwachsen, Hass beigebracht und dass sie anders aufgrund ihrer Hautfarbe seien. Wenn sie dann älter werden, sind sie davon überzeugt, anders zu sein. Aber das stimmt nicht. Unterschiedlich ist nur, wie wir aufgezogen werden.

Habt Ihr bandintern eine politische Linie festgelegt, die Ihr nicht überqueren würdet? In Eurem Bereich gibt es einige Bands, die üblen Standpunkten mehr oder weniger nahestehen. Zum Beispiel hat Aaron Turner von Isis und Hydra Head Records auch eine Band, in der jemand mitspielt, der auch eine Nazi-Blackmetalband hat. Diese Band veröffentlicht Ihre Platten bei Southern Lord. Beide Labels haben viele Bands veröffentlicht, mit denen Ihr schon zusammengespielt habt oder es zumindest könntet. Auch wir haben Southern Lord und Hydra Head Platten zu Hause stehen. In diesem Netzwerk gibt es aber auch Nazis. Würdet Ihr mit Burzum auftreten? Würdet Ihr mit einer Band spielen, die Burzum covert? Oder ein Burzum Shirt trägt? Wir persönlich finden es sehr schwer, die Linie zu definieren, die nicht überschritten werden darf…

Tyler: Wenn man eine Linie zieht, gestaltet man alles es sehr schwarz und weiss. Die Welt ist aber nicht schwarz und weiss, sondern grau und es gibt viele unterschiedliche Diskussionspunkte. Du weisst nicht, wie jemand denkt, bevor Du ihn nicht fragst und es herausfindest. Falls Du jemanden siehst, der sich daneben benimmt, ist es Dein Recht zu sagen, wie Du darüber denkst.

Wenn sie sich äussern, wie sie sich fühlen und es ist rassistisch, homophob, fremdenfeindlich und so weiter, ist es Dein Recht Dich dagegen zu stellen. Aber bis dahin möchte ich nicht irgendetwas über eine Person annehmen. Ich kann es verstehen, wenn ihr aufgebracht seid, aber niemand weiss es, bevor es nicht diskutiert wird.

Viele sehen es als gegeben an, dass Vark Vikernes längst bewiesen hat, ein rassistisches Arschloch zu sein.

Tyler: Dann müssen sie damit leben.

Es gibt immer diese Gefahr des guilty by association innerhalb der Szene? Wenn Ihr mit einer bestimmten Band zusammengespielt habt, wollen andere Veranstalter Euch nicht mehr spielen lassen? Da muss immer ein gewisser Druck sein, oder? Da habt Ihr doch sicher mal darüber nachgedacht Euch zu positionieren, damit Euch derartiges nicht widerfährt?

Tyler: Wir sind da wachsam. Wir unterstützen keine Bands, die für gewissen Dinge stehen. Das ist intense shit, den wir hier bereden… (lacht)

***

Es ist Tyler Newberry anzumerken, dass er sich ein wenig unwohl fühlt, damit alleine vor zwei Leuten zu sitzen und für die ganze Band zu sprechen, zumal er in der Band „nur“ einer von zwei Schlagzeugern ist, der auch nicht von Anfang an dabei war. Wahrscheinlich möchte er einfach nichts Falsches sagen, denn was einmal gedruckt ist, das bleibt. Papier ist halt geduldig. Wir können das durchaus nachfühlen und nachvollziehen. Wahrscheinlich hat er eher mit Fragen wie „Magst Du Deutschland?“ oder „Wer ist dein Lieblingsschlagzeuger?“ gerechnet…

Jedenfalls wollen wir ihn auch nicht noch mehr bedrängen als ohnehin schon und lassen ihn vom Haken. Der schlaksige Typ mit den langen Haaren und den dicken Koteletten wirkt sehr sympathisch und irgendwie grundehrlich. Das auszunutzen nur der Story wegen wäre nicht fair. Wer weiss, was er sich sonst vom Rest der Band anhören müsste, wenn er sich irgendwie verhaspeln und die Band damit in Teufels Küche bringen würde.

Das Konzert später war übrigens wirklich gut, auch wenn Circle Takes The Square einen beschissenen Sound hatten und die U-Bahn auf dem Heimweg 30 Minuten am Bahnhof Moritzstrasse halten musste, weil jemand einen Herzinfarkt oder etwas Ähnliches hatte. Auch intense shit irgendwie…

Benjamin Schlüter, Jan Tölva

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