Oktober 25th, 2019

JUDAS FACTOR (#79, 1999)

Posted in interview by Thorsten

TUT DIE WELT WIRKLICH SO WEH? HIER LEIDET DIE NEUE EMO-SCHULE MIT METALLISCHEM SCHLIFF, AUF DASS SICH DAS GERÄT NOCH TIEFER INS SCHWÄRENDE FLEISCH EURER DEKADENTEN SELBSTZUFRIEDENHEIT GRABE. HIER IST ES WIEDER, DAS ECHTE GEFÜHL IN ALL SEINER BESCHRÄNKTHEIT, EXORZIERT, VORGEFÜHRT. ALLERDINGS IN PRÄZISEN STUDIEN, DIE NICHT IMMER AUSKOMMEN MIT SPLITTERNDEN STROMGITARREN UND GESCHREI, SONDERN AUCH FRAGILERE MOMENTE KENNEN, ZU DEREN ILLUSTRATION EIN CELLO UND AKUSTISCHE GITARREN FEIN BEISPRINGEN. OH FUCK, WIE SCHÖN. DAS REICHT ZWAR NICHT GANZ AN ´WILLPOWER´ VON ´TODAY IS THE DAY´ HERAN, IST NICHT GANZ SO KAPUTT UND ZERRÜTTET, ABER WER SICH FÜR SOLCH´ PEINGESCHWÄNGERTE ENTÄUSSERUNGEN BEGEISTERN KANN, SOLLTE DAS HIER MAL ANCHECKEN. (STONE in einer rezension aus TRUST #77 des JUDAS FACTOR albums BALLADS IN BLUE CHINA).

zugegebenermaßen hat es etwas gedauert, bis mich der reiz dieses albums und dieser band wirklich gepackt hat. es zündete nicht gleich nach den ersten beiden durchläufen, und auch der dritte dürfte noch nicht der jenige welcher gewesen sein. aber ist es nicht gerade diese tatsache, die wirklich gute alben auszeichnet? alben, die über jahre immer wieder gehört werden. alben, die ihre zeit zur entfaltung brauchen, bis sie dann ganz unerwartet in dir etwas zur explosion bringen? ganz ohne frage gehören THE JUDAS FACTOR aus NEW YORK in diese kategorie band.

als ich das erste mal auf THE JUDAS FACTOR stiess, erinnerte mich das ganze musikalisch stark an eine sehr viel schnellere, aggressivere, härter rockende und alles in allem an eine modernere version von new york noise-pain-core ala MIND OVER MATTER. liege ich da mit meiner einschätzung eures musikalischen backgrounds richtig, oder ist der unwürdige fanziner völlig auf dem holzweg?

musikalisch gesehen war es in erster linie unsere absicht etwas anderes als die gängigen klischees zu erfüllen. wir haben zwar alle einen hardcore background, sind aber wesentlich stärker in den unterschiedlichsten formen des rock n roll verwurzelt. unser ziel war eine heavy band, die aber weniger durch einen metal einfluss geprägt sein sollte als vielmehr durch eine sensibilität für eine gewisse form des rock. eine gute portion noise und geschwindigkeit mit rock zu vereinen ist in der heutigen musiklandschaft nicht gerade das auf der hand liegendste. somit war dies erst einmal unser idealer musikalischer ausgangspunkt. ein knallender noise orientierter rock.

wenn man sich mal so durch eure lyrics liest, lässt sich eigentlich nur resümieren, daß THE JUDAS FACTOR weder spezifische messages predigt noch mit dem finger auf leute oder dinge zeigt. textlich scheint es sich um sehr viel persönlichere angelegenheiten zu drehen, tägliche geschehnisse, die euch wie auch immer emotional bewegen. können wir daraus schliessen, dass eure musik ein einziger emotionaler ausbruch ist, welcher im grunde weniger durchkomponiert und durchstrukturiert ist als er letztlich klingt? ein kollektiver ausbruch direkt aus euren herzen und bäuchen?

wir ziehen es vor, die musik selbst die stimmung und die richtung der band bestimmen zu lassen. ich setzte mich nicht hin und versuche einen song zu schreiben. wenn ich die musik höre schreibe ich einfach frei drauf los. die musik bestimmt dabei in der regel die richtung. textlich und thematisch gibt es da dann für mich keine grenzen. bis heute haben wir zwar keinen einzigen politischen oder sozial kritischen song geschrieben, aber ich würde das für die zukunft nun auch nicht komplett ausschliessen wollen. der wichtigste aspekt für uns beim schreiben neuer songs ist, der musik und der energie zu folgen wo immer sie uns auch hintragen mögen.

der umstand in new york city zu leben konfrontiert euch sicher täglich mit jeder menge shit. einem unaufhörlichen strom potentieller inspirationen, oder wohl noch wahrscheinlicher, täglicher mist, der ganz einfach ein druckablassventil benötigt. was denkst du, wie sehr spiegelt sich euer wohnsitz in eurem musikalischen output wieder?

keine ahnung ob das leben in new york sehr viel mit meiner art zu schreiben zu tun hat. ich schätze es hat einen subtilen einfluß, aber im großen und ganzen ist meine schreibe offener ”bare bones” als alles was ich zuvor geschrieben habe. ich versuche jegliche art von selbstzensur auszuschalten und über das zu schreiben was mich gerade beschäftigt.. das leben ist in meinen augen immer potentielle inspiration. es ist nur die frage, wie du diese dinge wahr- und aufnimmst.

ein paar eurer songs wurden co-written by justin brennan von INDECISION. ich zitiere den guten mann mal aus einem interview welches ich vor einiger zeit mit ihm geführt habe: -HARDCORE ISN´T FOR HAPPY PEOPLE- . stimmst du dem zu? muß da ein gewisses maß an unzufriedenheit über diese und jene dinge in der welt in einem sein, um in aggressiven musikformen aufzugehen?

ich bin mir nicht sicher, ob ich diesem zitat voll und ganz zustimmen kann. für mich dreht es sich bei hardcore musik um lebenserfahrungen, glückliche sowie traurige. it all has to be there. die ehrlichkeit und aggression des hardcore hat mich eigentlich immer mehr angezogen als der ”hass”. klar war auch dieser immer ein teil des ganzen, aber doch nicht der alles bestimmende. für mich war eine band wie die DESCENDENTS sehr viel wichtiger und prägender als alle anderen bands dieser zeit.

da du ja nun selbst aus new york stammst steht dir vielleicht nicht unbedingt der sinn danach andere nyhc bands mit scheiße zu beschmeissen. aber hältst du es nicht auch irgendwo für einen schlechten witz, daß bands wie AGNOSTIC FRONT oder CAUSE FOR ALARM wieder re-united sind, um noch mal richtig abzukassieren, auch wenn es für die college ausbildung von vinnie´s sohn ist? muß man es in gewissem sinne nicht sogar schon als zurückgeblieben bezeichnen, jeden abend raus auf die bühne zu stürmen, um mit seinen songs die wut, den hass und die ängste seiner teenager zeit ausdrücken zu wollen, wenn man mittlerweile schon selbst in den vierzigern ist? gibt es nicht in unser aller leben eine gewisse weiterentwicklung, ein erwachsen werden? verändert nicht die zeit wie von selbst unsere art und weise die eigenen ansichten auszudrücken? unterliegen nicht auch unsere ansichten, unsere ängste und unsere wut einer veränderung, die dinge wie zum beispiel lebenserfahrung im laufe der jahre einfach mit sich bringen?

um ganz ehrlich zu sein, ich persönlich habe nicht den leisesten schimmer was diese bands zu ihrem tun motiviert. musik ist in meinem leben von essentieller bedeutung, und ich werde nicht behaupten, etwas über die bedeutung ihrer band für ihr leben zu wissen. natürlich stehen unsere ängste und sorgen in direktem zusammenhang zu unserer persönlichen entwicklung. mit den meisten songs, die ich vor 4 jahren schrieb, verbinde ich heute auch nicht mehr besonders viel. über 10-12 jahre alte songs will ich besser gar nicht erst nachdenken. trotzdem sind diese songs immer noch ich, immer noch ein teil von mir. ich habe mich alleine im letzten jahr sehr entwickelt und verändert, und dies ist ein anhaltender prozess. wenn jemand also musik macht in der hoffnung damit das große geld zu machen, bitte schön, gutes gelingen. aber noch einmal, in diesem speziellen fall habe ich nicht die geringste ahnung welcher antrieb hinter ihrer musik steckt.

einer von euch war doch mal bei einer band namens 108. eine dieser krishna bands. stehen THE JUDAS FACTOR in der selben tradition, oder sind das schatten der vergangenheit? ist es nicht überhaupt erstaunlich wie organisierte religion so dermaßen fuß fassen konnte in einem teil der hardcore szene. einer szene deren anhänger man so gerne als selbständig und frei denkende individuen betrachten würde. menschen, die es eigentlich nicht nötig haben sollten, sich in einen wie auch immer gearteten religiösen glauben zu flüchten, um ein bisschen halt in dieser welt zu finden.

ich habe bei 108 gesungen. für mich dreht sich hardcore/punk um das leben. nichts sollte ausgeschlossen werden bei der selbstverwirklichung eines jeden in der musik. ich denke punk sollte jedeN dazu ermuntern alle seine/ihre verhaltensweisen und taten im leben zu hinterfragen. für manche bedeutet das einen religiösen background zu hinterfragen, für andere wiederum das gleiche mit einem nicht-religiösen zu tun. punk sollte jedem Individuum die kraft geben eigene entscheidungen im leben zu treffen. bin ich heute noch der selbe der ich war als ich für 108 hinterm mikro stand? nein, nicht wirklich. ich habe mich in vielerlei hinsicht verändert, aber ich bereue auch nichts von dem was ich in der vergangenheit getan habe. ich habe leuten die möglichkeit geboten etwas zu entdecken und kennen zu lernen wozu sie sonst womöglich nie die chance gehabt hätten. 108 hat menschen zum nachdenken gebracht. THE JUDAS FACTOR hat mit 108 jedoch überhaupt nichts zu tun. haben die lyrics heute noch einen bezug zu diesem teil meines lebens? ja, das haben sie in songs wie choose your poison und my favorite stranger. diese songs behandeln das thema selbsterfahrung. und da religion zu einem bestimmten zeitpunkt in meinem leben nun mal eine bedeutende rolle gespielt hat, ist es nur zu natürlich, dass ich darüber auch schreibe.

bestimmte leute sehen die hardcore szene ausschließlich als dieses unabhängige/selbstbestimmte netzwerk wo jedeR alles non-profit style zu tun hat. ein wenig geld zu machen, oder gar zu einem gewissen teil von seiner musik zu leben scheint für nicht sehr wenige pc polizisteninnen das allerteuflischte überhaupt zu sein. ich persönlich halte die frage, ob du geld mit deiner musik machst, nicht für das entscheidende. die frage ist doch letztlich dein stil, und die art und weise wie du mit leuten umgehst, wie du sie behandelst. wie du zum besipiel als band oder booker non-profit konzertveranstalter behandelst, die sich teilweise den arsch ziemlich weit auf machen, weil ihnen das ganze einfach spass macht, auch ohne finanzielle hintergedanken. leute, die infrastruktur zu verfügung stellen, auch für bands, die sehr wohl einen finanziellen aspekt in ihrer musik sehen. ich denke das ist die eigentlich frage. naja, und das aller schlimmste ist es natürlich wenn du als band ein bisschen größer wirst und plötzlich ins major lager überläufst. dann bist du natürlich der sell out arsch in den augen dieser leute, der verräter an der szene welche dich groß gemacht hat. wo in dieser eigenartigen welt des hardcore würdest du THE JUDAS FACTOR einordnen? tendiert ihr eher zu den bands, die sehr wohl von ihrer musik leben wollen, vielleicht sogar, bei einem anständigen angebot, auch bei einem major unterschreiben würde, um fortan die geballte ignoranz der pc wächter zu ernten? ich meine, ihr seit doch eh schon auf revelation records, einem lebel, bei dem es sich bereits in einem überschaubaren rahmen um geld und finanzen dreht. (nur mal so am rande, ist es wahr, daß jordin sein label vor einiger zeit an eine major company verhökert hat. dieses gerücht hält sich hier schon eine ganze weile)

wenn du von music leben kannst, sei es in dem du ein zine herausgibst oder ein label betreibst, dann ist das großartig. wer zum teufel will für irgendeine große firma arbeiten, or do something that doesn´t mean the world to them? ich sehe nichts falsches daran mit kunst sein geld zu verdienen. der punkt dabei ist lediglich, die leute dabei nicht abzurippen und nie aus den augen zu verlieren, dass musik kunst ist, die künstlerische seite des ganzen somit das aller wichtigste. wäre ich glücklich meinen job hinschmeissen zu können, um nur noch musik zu machen? fuck yeah, aber wenn, dann will ich es zu meinen bedingungen machen. das halte ich nämlich für den knackpunkt bei der ganzen sache. wenn es eine band nach ihren bedingungen durchziehen kann, wie zum beispiel fugazi, dann ist das phantastisch. wenn du es als marionette einer übermächtigen company tust, dann ist das eine ganz andere sache. was revelation und einen verkauf an eine major company angeht. kann ich nur sagen, dass das zu diesem zeitpunkt nicht wahr ist. wird er sein label jemals verkaufen? keine ahnung, aber zu diesem zeitpunkt ist es sein label.

die beste möglichkeit dieses jahr sylvester zu verbringen

eine show spielen und bei meinem sohn sein.

die zukunft bringt…

…ende des jahres eine neue lp, sowei 2 US und europa tourneen im jahr 2000.

THE JUDAS FACTOR
little dave: bass
chad dziewior: guitar
robert fish: vocals
justin fullam: guitar
jason lederman: drums

interview: torsten
interviewter: rob fish
promo photo: luke hoverman
other pix: geklaut

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0