April 30th, 2020

IRAK aus #103, 2003

Posted in artikel by Jan

Der amerikanische Krieg gegen die „Feinde der Freiheit“ – 2. Etappe: Das „Befriedungsprogramm“ der USA im Irak

Die USA rufen nach den Anschlägen vom 11. September einen „globalen Krieg“ gegen die „Feinde der Freiheit“ aus. Nach der Devise „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ wird die gesamte Staatenwelt (neu) nach Freund und Feind sortiert.1 In Afghanistan wird der neue Weltordnungsanspruch und das damit einhergehende Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ durch die Supermacht – hier noch mit dem „Segen“ der UNO – sofort und mit der „nötigen Härte“ exkutiert. Durch diese erste Demonstration des übermächtigen Gewaltpotentials der USA wird die Vereinheitlichung der Staatenwelt unter dem Banner des freiheitlichen Kapitalismus erfolgreich abgeschlossen.2

In diesem neuen Stadium des Imperialismus macht die USA sich an die Arbeit die letzten „Feinde“ von Freiheit, Demokratie und Marktwirtschaft aus dem Weg zu räumen. Mit einen „beispiellosen Krieg“ gegen den Irak wird die Vormachtstellung der USA manifestiert und die Region im Nahen Osten nach ihrem Interesse neu geordnet.3 Dank „shock and awe“ wird Klarheit geschaffen im diplomatischen Gerangel imperialistischer Konkurrenten um Weltordnungsansprüche. Die USA diktieren den neuen Weltfrieden und die Regeln des kapitalistische Weltgeschäfts.4 Schließlich haben sie gerade das Monopol einer (Staats)Gewalt entkräftet, das Programm einer „eingeschränkten Souveränität“ im Irak auf den Weg gebracht und sind dabei es dort dauerhaft zu installieren.

Nun verläuft die Umsetzung dieses Programms nicht ganz reibungslos und ambitionierte Staatsoberhäupter anderer Nationen betrachten dies als Chance ihre Interessen im Weltgeschehen wieder vorstellig machen zu können. Mit tatkräftiger Unterstützung der „vierten Gewalt“ im Lande werden Fragen gewälzt, die hier einmal genauer unter die Lupe genommen werden sollen…

1. Haben Bush und Blair bei der Begründung des Krieges gelogen?

a) „Lügengeschichten“ USA:
Kritiker werfen Bush vor falsche Information zur Begründung des Krieges im Irak benutzt zu haben. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die in einer Regierungserklärung aufgestellte Behauptung, der Irak habe in Niger Uran-Einkäufe getätigt, die der Irak für sein „illegales Atomwaffenprogramm“ benötigte. Eine Woge der Entrüstung schlägt der US-Regierung nun entgegen: „USA lieferten falsches Bild“.5

Allerdings nicht gegen den Krieg – das „irakische Regime“, der „Diktator Saddam“ gehörte abserviert, darin waren Begründer wie Kritiker sich gleichermaßen einig. „Nach wie vor ist die Unterstützung unter den Amerikanern für die Irak-Politik groß. Die meisten Menschen sind immer noch davon überzeugt, dass Washington im Irak das Richtige getan hat.“6 Der Kriegsgrund – Regimewechsel und Neuordnung einer „instabilen“ Region – wird geteilt. Nur bei der Ausmalung des Feindbildes war der Präsident und seine Mannschaft nicht ehrlich.7 Beleidigte Patrioten – „Ich glaube, die Bush-Regierung hat dem amerikanischen Volk kein richtiges Bild [!] über die militärische Bedrohung durch den Irak geliefert“8 – fordern eben keineswegs den Rückzug amerikanischer Truppen aus dem Irak oder stellen gar den Antrag die alten Machtverhältnisse im Irak wieder herzustellen.

Sie zweifeln stattdessen an der Glaubwürdigkeit der Bush-Regierung. Nicht in dem Sinne, dass man sich fragt, ob Bush nun gelogen hat oder nicht. Das Weiße Haus selbst teilte mit: „Präsident George W. Bush habe die Kongress-Abgeordneten in seiner Rede zur Lage der Nation im Januar teilweise falsch über das Waffenprogramm des Irak informiert“9. Das ist Fakt, aber auch gar nicht mehr so wichtig: „Die Frage nach den Massenvernichtungswaffen spielte dabei damals eine ebenso so kleine Rolle wie heute.“10. Viel wichtiger ist da doch die Frage, ob das amerikanische Oberhaupt es nötig hat bei der Begründung für einen Krieg zu lügen? Wenn ja, spricht das nicht für seine Unfähigkeit die Nation ordentlich zu führen? Es ist die Kritik enttäuschter Nationalisten, die gewiss nicht mit Lügen überzeugt werden müssen, wenn es um den Erfolg der Nation auf der weltpolitischen Bühne geht. „Die Welt – ganz sicher Amerika – muss der Regierung vertrauen können“11 – und zwar auf ihre Führungsstärke -, wenn es um die erfolgreiche Durchsetzung amerikanischer Interessen auf dem Globus geht.

Diese Kritik kommt zu einem Zeitpunkt auf, wo die erfolgsverwöhnte amerikanische Öffentlichkeit – nach dem „glänzenden“ Kriegsverlauf – einen ebenso reibungslose Nachkriegsordnung vermisst. „Fast jeden Tag stirbt ein amerikanischer Soldat bei Anschlägen aus dem Hinterhalt.“12 Der Anspruch -Weltmacht zu sein, dessen „…Militärmacht .. derzeit in der Welt unangefochten .. “13 ist – gerät ins Wanken. Und zwar gemessen an einem Ideal, das den Größenwahn dieser „Kritiker“ der Bush-Regierung in punkto „absolute Kontroll- und Ordnungsmacht in wirklich jeder Region der Welt zu sein“ verdeutlicht. Darin sind sie sich mit der Regierung einig. Doch gleichzeitig lässt es sie dazu übergehen, bei jedem „Störfall“14 an der „starken Hand“ ihres Führers und seiner Mannschaft zu zweifeln. Dem Führer vorzuwerfen gelogen zu haben, darf also keineswegs mit einer Kritik an ihm – oder besser an dem wofür das Amt des Präsidenten von Amerika steht – verwechselt werden: Weltmacht zu sein; sich unangreifbar zu machen – um Amerika die Freiheit zum (kriegerischen) Weltordnen zu erobern.

b) „Lügengeschichten“ Großbritannien:
Tony Blair wird ebenfalls vorgeworfen, bei der Begründung des Krieges gefälschte Geheimdienstinformationen benutzt zu haben. Die Aufregung der Kritiker in England begründet sich mit der Angst um das nationale Fortkommen, den Interessen Englands auf der Weltbühne.15 Der Beteiligung am Krieg wurde und wird von der Opposition ein mangelnder Nutzen für das nationale Interesse attestiert und sieht sich nun mit den momentanen „Problemen“ im Irak darin bestätigt. In dieser Situation wird Blair deshalb von seinen Kritikern mit dem Stempel „Unglaubwürdigkeit“ die „Regierungsunfähigkeit“ bescheinigt. Die ganze Aufregung um diesen Waffenexperten Kelly ist in diesem Zusammenhang ziemlich uninteressanter James-Bond-Humbug.

c) Reaktionen Deutschlands und anderer „Kriegsgegner“ auf die „Lügengeschichten“:
Mit einem hämischen Tonfall berichtet z.B. die deutsche Öffentlichkeit über das Nichtauffinden irakischer Massenvernichtungswaffen. Solch eine Kritik sieht das deutsche „Nein zum Krieg“ darüber nachträglich ins Recht gesetzt und zieht Bilanz: „Eine Demokratie [gemeint ist die amerikanische], die für sich in Anspruch nimmt, das moralisch Gute in der Welt zu vertreten, kann sich eine solche Politik, die es mit der Wahrheit nicht genau nimmt, schlicht nicht leisten.“16 Der Supermacht USA wird zwar nicht der Krieg und sein Ergebnis angelastet: „Niemand weint dem abgesetzten, menschenfeindlichen Regime in Bagdad eine Träne nach.“17 Aber: „letztlich ist auch Washington bei seinem Kampf gegen den internationalen Terrorismus auf die politische Unterstützung der Staatengemeinschaft angewiesen.“18 Das die USA dies gerade nicht sind, hat sie mit dem Irak-Krieg unter Beweis gestellt.

Doch wollen nationalistische Schreiberlinge der „vierten Gewalt“ im Lande und deutsche Regierungsbeamte gerade dies durch die „Unglaubwürdigkeit der Bush-Regierung“ ein Stück weit bewiesen sehen. Das ist der Wunsch nach „US-Entmachtung“ – über den Beweis der „Bush-Lügen“ -, um die eigenen Interessen voranzubringen. Es ist ein Wunschdenken nach dem Motto: eine (tatsächliche) Angewiesenheit der USA auf die Unterstützung der Staatengemeinschaft würde dem hegemonialen Treiben der Supermacht ein Stück weit Einhalt gebieten und den eigenen imperialistischen Interessen einen Vorteil verschaffen. Dieser Gedanke wird bei den neusten Überlegungen zur Irak-Nachkriegs-Ordnung vom Kanzler so ausgedrückt: „Auch wenn wir [USA und Deutschland] über den Krieg anderer Meinung waren, heißt das ja nicht, dass wir nicht ein eigenes Interesse [!] daran hätten, dass die Stabilisierung dieser Region gelingt.“19

Bevor man sich über deutsche Interessen im Irak – die sich mitnichten20 mit den Sorgen und Nöten der irakischen Bevölkerung decken (siehe weiter unten) – den Kopf zerbricht, gilt es aber eine andere Frage zu klären…

2. Wie sieht das Wiederaufbau-Programm der USA im Irak aus?
Das erklärte Kriegsziel der USA war die Zerstörung der Herrschaft im Irak und eine Neuordnung der Region nach Vorgabe eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen.21 An Stelle der alten Regierung Saddams tritt vorerst die Besatzungsmacht USA. Gleichzeitig installieren sie einen „Regierenden Rat“. Doch das ändert „nach Meinung der Iraker wenig daran, dass alle Macht in Händen von US-Zivilverwalter Paul Bremer bleibt.“22 Dieser „Rat“ ist nämlich ein bunter Mix aller verschiedenen Interessensgruppen der irakischen Regionen und Religionen (Kurden, Sunniten, Schiiten, Turkmenen, Christen). Unter dem Rubrum der „Demokratisierung des Irak“ wurde ein Regierender Rat und ein Kabinett gebildet, in dem sich die verschiedenen Interessensgruppen gegenseitig blockieren und alle Entscheidungsgewalt fest in amerikanischer Hand ist. Denn ihre praktischen Interessen können die unterschiedlichen konfessionellen und ethnischen Gruppen bloß durchsetzen, wenn sie sich dem amerikanischen Interesse unterordnen.

Die einzelnen Gruppen haben aufgrund eines mangelnden Budgets und eines nicht vorhandenen Militärs keine Möglichkeit zur Kontrolle und Machtausübung im Irak. Diese Fähigkeit besitzt lediglich das US-Militär – „Das Verteidigungsministerium ist abgeschafft, denn die militärische Gewalt liegt allein bei der Besatzungsmacht“23! Dem Irak wird von der Besatzungsmacht eine kleine Polizeitruppe gestattet, um den Ordnungsanspruch nach innen zu ermöglichen. Eine eigene irakische Armee – wodurch eine Unabhängigkeit von der USA in Sachen Machtausübung und somit zur Verfolgung eigener Interessen befähigen würde – wird nicht geduldet.24 Der Irak wird mit dieser kleinen Polizeitruppe und einem BGS-ähnlichen Militär darauf verpflichtet außenpolitisch nicht tätig zu werden.

So kann sich kein politischer Wille, ein nationales Interesse, entwickeln, ohne dass sich die jeweiligen Vertreter einer Interessensgruppe an die US-Interessen anpassen. Damit ist die Zerschlagung eines einheitlichen irakischen Nationalismus gelungen und der Irak ein Staat mit eingeschränkter Souveränität, was staatlichen Antiamerikanismus und eigenes Machtstreben in dieser Region vorerst ausschließt. Diesem hehren Ziel verpflichtet sich die US-Regierung, wenn sie sagt: „Die Koalition wird im Irak so viele Sicherheitskräfte wie nötig und so lange wie notwendig belassen, um die gesetzten Ziele erreichen – und nicht länger.“ (Rumsfeld)

Das irakische Volk taucht in den Überlegungen der Besatzungsmacht nur noch als Ordnungsproblem auf. Das hat seine Gründe in der Funktion die das irakischen Volkes zu Zeiten Saddams spielte sowie in der Beschaffenheit des momentan „Regierenden Rates“. Zu Zeiten Saddams war das irakische Volk ein politisiertes Volk. Es sollte nach nationalen Maßstäben/Interessen funktionieren, weshalb bestimmte Zugeständnisse in Sachen Gesundheit, Versorgung etc. von Seiten der Regierung gemacht wurden. Für den neuen irakischen Staat mit seiner „eingeschränkten Macht“ hat das Volk gar keine Funktion zu erfüllen und wird folglich sich selbst überlassen! „Die Koalition arbeitet darauf hin, das irakische Volk so schnell wie möglich einzubinden und Irakern Führungsrollen bei den Wiederaufbaubemühungen zu übertragen – denn sie [!] sind für die Gestaltung der Zukunft ihres Landes verantwortlich.“ (Rumsfeld)

Ein frisch zerbombtes Land mit einer dementsprechenden materieller Notlage für die Bevölkerung bildet notwendig die Grundlage für kleinere Aufstände, Plünderungen etc.. So wird das „in die Eigenständigkeit entlassene“ irakische Volk zu einem Ordnungsproblem, das es zu bewältigen gilt.
Das irakische Öl kommt wiederum ganz anders in den Überlegungen der USA vor: „Die Übergangsregierung der Koalition wird einen auf Transparenz aufgebauten Plan für die irakische Ölindustrie entwickeln. Der irakische Ölreichtum wird zum Nutzen des irakischen Volkes verwendet und vermarktet werden. … Wo immer möglich werden Verträge für Arbeiten im Irak an jene gehen, die irakische Arbeitnehmer einsetzen und an die Länder vergeben, die die Befreiung des irakischen Volkes unterstützten.“ (Rumsfeld) Im Klartext heißt das, dass die Besatzungsmacht ein Programm aufstellt aus dem klar hervorgeht (Stichwort Transparenz), wer im Irak Öl fördert und wie es abtransportiert wird. Die USA bestimmen die Nutznießer des irakischen Öls, d.h. sie sind das Subjekt der Lizenzvergabe an eigene (nationale) Firmen und an Firmen aus der „Koalition der Willigen“.

Der Reichtum aus dem Ölgeschäft soll jedenfalls nicht für ein nationales Programm des Irak genutzt werden. Der „Nutzen des irakischen Volkes“ aus der „Vermarktung des Öls“: die erwirtschafteten Finanzmittel werden Selbstverständlich zum Wiederaufbau des zuvor von der Kriegskoalition zerbombten Landes verwendet – solange es nicht dem Plan zur Installation eines US-Kontrollregimes im Irak zuwider läuft. Was an Infrastruktur etc. aufgebaut wird geschieht nach Maßgabe dessen, was die Besatzer nach ihrer Interessenslage für dienlich halten.

Liegt dieser Fall von Übereinstimmung in Wiederaufbau und Installation eines US-Kontrollregimes vor, kann die „Vermarktung des Öls“ zum „Nutzen des irakischen Volkes vonstatten gehen. Dazu kommen noch einige hilfsbereite NGOs oder das „Oil for Food“-Programm der UN, welche zum Wiederaufbau benötigte Gelder zur Verfügung stellen können und dies auch tun: „Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Wasserversorgung, aber auch der Aufbau der Polizei und freier Medien werden mit Hilfe von UN-Organisationen und unabhängigen Hilfsorganisationen finanziert.“25. Doch nicht ganz ohne „Hintergedanken“, zumindest von Seiten der UN. Die Besatzungsmacht wäre sogar bereit, weitere Hilfs-Beiträge der UN beim Wiederaufbau des Irak „einzubinden“.

Das wäre dann eine Möglichkeit für die UN, die dringend benötigte humanitäre Hilfe im Irak zu leisten, zu der die Kriegskoalition nach Ansicht der Weltorganisation – der Vorwurf wird gern in einem hämischen Tonfall vorgetragen – nicht imstande ist. Doch wird der UNO dieses „Angebot“ (dazu weiter unten mehr) von der Besatzungsmacht eröffnet, kommt keineswegs Freude in deren Reihen auf. Im Gegenteil: die „Staatengemeinschaft“ winkt ab, „wenn es lediglich .. um die Aufforderung geht, Truppen zu schicken und Geld zu geben, ohne dass andere an der Macht [!] im Irak beteiligt werden.“26 Soviel zu den Sorgen und Nöten der UN um die irakische Bevölkerung! Doch dazu gleich noch mehr. Dieses Befriedungsprogramm der USA im Irak ist zunächst nämlich mit dem ein oder anderen Problem konfrontiert, was die Frage aufwirft…

3. Um was für „Störungen und Probleme“ handelt es sich da eigentlich im Irak?
Die deutsche Öffentlichkeit berichtet ausführlich von einem „Chaos im Irak“.27 Mit einem unverhohlen hämischen Unterton wird konstatiert: „Die USA müssen schmerzvoll und unter hohen Verlusten an Soldatenleben erkennen, dass sie alleine außerstande sind, den Irak zu stabilisieren.“28 Unschwer ist der gesamten Berichterstattung ein interessiertes Aufbauschen der Vorfälle im Irak zu entnehmen. Schlagzeilen wie: „Nahezu 60 Gis starben schon im Irak,…“29 u.ä. wirken bei einem amerikanischen Truppenaufkommen von 150 000 Soldaten wie kleinliches Genörgel und werden von amerikanischer Seite auch locker gekontert: „Jeden Tag wird es besser, wir unternehmen konkrete Schritte, um dieses Land zu einem sicheren Platz zu machen.“30 Worin bestehen nun die „Probleme und Schwierigkeiten“ der USA im Irak genau und welche Absichten verfolgen europäische u.a. Imperialisten mit der Behauptung amerikanischer Unfähigkeit beim Befrieden des Irak?

a) Mit ihrem Programm einer „eingeschränkten Souveränität“ im Irak (wie oben ausgeführt) haben die USA keinen Platz für einen irakischen Nationalismus gelassen: „Sie [die Übergangsregierung der Koalition] wird keine selbsternannten „Führer“ dulden.“31 Die diversen, konkurrierenden Gruppierungen irakischer Nationalisten sind damit nicht zufrieden und geben sich widerspenstig: Plünderungen, Anschläge, Attentate und Sabotage-Aktionen unterschiedlicher Gruppierungen, die die US-Truppen inzwischen „nicht als Befreier, sondern als Besatzer“32 betrachten und im Kanon `Irak den Irakern’ singen. „Diese anti-amerikanische Stimmung wird geschürt von fast allen politischen Gruppierungen, vor allem von den fundamentalistischen Parteien der Schiiten.“33 Mit diesem Anti-Amerikanismus haben die Besatzer momentan und absehbar zu tun – durch ihre eigen Politik im Irak hervorgerufen!34

Das Problem der USA besteht also darin: auch wenn hinter dem Widerstand kein einheitlicher politischer Wille steht, finden sie – am Maßstab einer überlegenen Weltmacht gemessen – es störend. wenn ihr Befriedungsprogramm sabotiert wird. Zum einen kostet es zuviel Tote und Geld (tausende von Soldaten mit Militärgerät, die vor Ort stationiert sind; die Ölförderung wird sabotiert etc.); nicht dass es der Bush-Regierung für dieses Vorhaben an Geld mangeln würde35, aber es ist Geld, das man ebenso gut für anderweitige imperialistische Absichten einsetzen könnte. Zum anderen versucht die Opposition den Erfolg der Bush-Regierung madig zu machen. Was nicht als Kritik am Krieg zu verstehen ist, sondern lediglich den Versuch einen politischen Erfolg für sich selbst herauszuschlagen darstellt: „…warfen mehrere demokratische Präsidentschaftsanwärter wie … dem Präsidenten „Missmangement [!] beim Aufbau“ Iraks und die „Irreführung“ [!] der Amerikaner bei der Begründung des Krieges vor.“36. Eine Debatte, die sich Bush sicher gerne erspart hätte: „Dies bringt die Regierung Bush gut ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl auch innenpolitisch unter Druck.“37 Zumindest hätte es die Opposition im Lande gerne so wie oben zitiert und versucht mit ihrer Kritik am derzeitigen Stand im Irak das Politbarometer zu ihren Gunsten ausschlagen zu lassen.38 Und auch außenpolitisch versuchen die imperialistischen Konkurrenten aus den `Störungen’ Kapital zu schlagen: „Sie [Russland und Frankreich] fordern eine stärkere politische Rolle für die UN beim Wiederaufbau des Irak und Mitsprache bei wirtschaftlichen Entscheidungen.“39

b) Wie versucht die Besatzungsmacht nun diese Last zu bewältigen?
Der US-Präsident hat für alle „frechen“ Kritiker eine passende Antwort parat: Die USA bekämpfen schließlich den Terror – auch oder gerade im Irak! Also folgt nach US imperialistischer Logik – zum Anti-Terror-Kampf hat sich immerhin die gesamte („zivilisierte“) Staatenwelt von den USA verpflichten lassen („Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“) -, dass alle anderen Nationen verpflichtet sind sich am Wiederaufbau des Iraks zu beteiligen und somit nolens volens die USA und deren Interessen zu unterstützen!

Dazu „lädt“ Bush sie nun herzlich ein: Geld, Militär, humanitäre Hilfe, etc. zum Wiederaufbau Iraks. Allerdings – und da sind sich Regierung und Opposition in den USA einig – : „Alle wichtigen Fragen der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes werden .. von den Besatzungsmächten USA und Großbritannien entschieden.“40 Das heißt, auf Basis des Kriegsergebnisses,41 sind alle Staaten von den USA eingeladen Hilfe zu leisten. Diese „Einladung“ ist daher keine Bitte des Präsidenten oder seines Außenministers, sondern die Aufforderung, gerichtet vor allem an die weltpolitischen Konkurrenten, einen Beitrag für die von den USA definierte Nachkriegsordnung im Irak zu leisten – und von einem (politischen) Preis oder Nutzen für die Beteiligung am Wiederaufbau, die somit eine Subsumtion unter amerikanische Interessen darstellt, ist weit und breit keine Spur und auch nicht die Rede.42

Denen, die zuvor eine Subordination unter das US-Programm verweigert haben (Deutschland, Frankreich, Russland, etc.), wird nochmals der Unterordnungswille abverlangt. Mit dem Kriegsergebnis ist die Weltordnungsfähigkeit der USA manifestiert und wird – vorerst und zähneknirschend – von allen anderen Imperialisten anerkannt. Schließlich muss man zugeben, dass man die USA von ihrer Führungsrolle im Irak zwar gern verdrängt sehe, man aber ohne das militärische Potential der USA den Irak auch nicht ordnen kann. „Die UN wollen und können [wenn sie könnten würden sie schon wollen – nur anders herum geht es eben nicht!] die Führung der Soldaten nicht beanspruchen. … tatsächlich führen müssen die USA.“43

Das ist die neue Ausgangslage für alle Imperialisten neben den USA: Die USA sind – definitiv mit dem Irak-Krieg durchgesetzt – die Weltordnungsmacht und ab jetzt gibt es kein Anrecht mehr auf Mitsprache/Mitbestimmung bei allen amerikanischen Weltordnungsvorhaben für die restliche Staatenwelt.

Und aus diesem hohen Anspruch der USA heraus, der sich mit dem Sieg im Irak als berechtigter bestätigt hat und nun vollzogen wird, ist es störend so viele militärische und finanzielle Mittel für das Befriedungsprogramm im Irak zu binden, die die USA gern für potentielle Weltordnungsaufgaben zur freien Verfügung hätten. Daher soll die restliche Staatenwelt den USA einen Teil der Arbeit und Kosten abnehmen.

Diesem „Arbeitsauftrag“ der USA können und wollen die imperialistischen Konkurrenten sich nicht gänzlich entziehen, hofft man bei allem Unterordnungscharakter doch darauf, die Unterstützung der USA ein Stück weit als Einfallstor für die eigenen nationale Interessen benutzen zu können.

c) Wie reagiert also die `alte Kriegsgegnerkoalition’?
Mit dem Kriegsverlauf und -ergebnis wurde den Europäern ihre militärische Unterlegenheit faktisch vor Augen geführt. Aber trotz oder gerade wegen dieser offensichtlichen Schwäche, wird von diesem Punkt aus wieder eruiert, wie es denn möglich ist, eigene imperialistische Interessen zu verwirklichen.
In der Öffentlichkeit wurde das so verhandelt: die USA in ihrer „Not“ – gemeint sind die `Störfälle’ – benötigen Hilfe bei der `Stabilisierung des Irak’. Weil sie Hilfe nötig haben – man sieht ja, es klappt nicht44 – hätte man auch ein Recht auf Mitsprache im Irak. Das diese Mitsprache immer das eigene nationale Fortkommen im Auge hat, verrät oft schon allein der `Tonfall’ in dem diese `Bestandsaufnahmen’ `amerikanischer Not’ getroffen werden: „Egal ob … Hochmut, Überzeugung oder eine Verkettung widriger Umstände, sicher ist eines: Zähneknirschend müssen sich die Neo-Radikalen in Washington eingestehen, dass auch der Weltmacht USA Grenzen gesetzt sind, und dass diese enger sind, als sie gemeinhin vermutet hätten.“45 Die `Störfälle’ werden als `Einmischungstitel` freudig zur Kenntnis genommen: „Washington lässt sich einbinden. Diese Chance sollten die Zwerge um Gulliver nicht verpassen.“46

Politisch läuft es vorerst so: die USA bot eine Resolution an, die die Monopolmacht der Amerikaner im Irak zum Inhalt hatte. Diese haben die restlichen UNO-Mitglieder unterzeichnet. Heilfroh über diesen `Unterwerfungsakt’, weil sie immerhin (!) überhaupt noch irgendwie (!) am Geschehen teilnehmen – „die USA bezieht die UNO in ihre Vorhaben ein, folglich gibt es sie (die UNO) noch, also kommt es auf uns doch noch an!“. So die `Logik’. Für sie also ein Zeichen dafür, dass man beim Weltordnen noch nicht völlig ausgemischt ist, wohingegen das Unterschreiben der Resolution für die USA lediglich ein Abfragen des Unterordnungswillens darstellt und ihre Vormachtstellung bestätigen soll.47

Nun versucht Europa auf eine zweite Resolution zu drängen, um eben doch noch einen Fuß – oder ein bisschen mehr – beim Weltordnen reinzukriegen. Dementsprechend sehen die inhaltliche Wünsche einer neuen Resolution aus: „Im Einzelnen stellen Frankreich, Russland, Deutschland und andere fünf Hauptforderungen: eine politische Schlüsselrolle für die Vereinten Nationen, eine rasche Wiederherstellung der irakischen Souveränität, die Beteiligung von Firmen aus vielen Staaten am Wideraufbau, eine echte [!]48 multinationale Truppe unter UN-Kontrolle und keinerlei nachträgliche Legitimierung für den Irak-Krieg.“49 Wahrlich „kühne“ Forderungen der UNO-Mitglieder, wurden sie doch soeben durch das Kriegsergebnis ihrer Irrelevanz überführt und ihr `Verein’ (UNO) zu einem bloßen Ausführungs- und Absegnungsorgan amerikanischer Interessen degradiert (siehe Fußnote 41). Der Position der amerikanischen Supermacht in der Staatenhierarchie entsprechend, fällt die Antwort des US-Außenministers Colin Powell aus: „Dies ist keine akzeptable Lösung“. (Süddeutsche Zeitung)

Wen wundert’s, stehen sich diese beiden Interessen doch erst mal ziemlich unversöhnlich gegenüber: die USA gestehen der UN lediglich ein Mitwirken unter der Bedingung zu, alle amerikanischen Interessen zu bedienen, ohne ein Mitsprache eingeräumt zu bekommen oder irgendeinen Nutzen für sich dafür erwarten zu können! Und die `alte Kriegsgegnerkoalition’?: Die wollen gerade genau das!50
Dass Interessen und Bedürfnisse der irakischen Bevölkerung in diesem oben zitierten Forderungskatalog nicht vorkommen, wird wohl kaum noch jemanden verwundern, der aufmerksam das Geschehen verfolgt. Schließlich ist nach den letzten Kriegen und der Beseitigung „grausamer Diktaturen“ im Kosovo und Afghanistan auch nicht der Wohlstand im Volk ausgebrochen.
Letzte Meldung zum Irak war, dass die USA eine neue Irak-Resolution – wie sie sich die ausgemischten Staaten vorstellen – mit ihrem Veto blockiert haben. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses imperialistische Tauziehen weiter entwickelt. Inwiefern es sich für die irakische Bevölkerung „gelohnt“ hat, bzw. sie von der Befreiung profitieren, kann allerdings schon jetzt begutachtet werden…

Text: Michèl Nitschke

Fussnoten:

1. Lesetipp: Gegenstandpunkt 4-01, Terror gegen Amerika und der amerikanische Krieg gegen den Terror, www.gegenstandpunkt.com
2. Lesetipp: Gegenstandpunkt 1-02, Der Krieg gegen den Terror und Gegenstandpunkt 2-02, Die amerikanische Militärstrategie für das neue Jahrhundert
3. Lesetipp: Gegenstandpunkt 4-02 Das Kriegsprogramm gegen den Irak – Auftakt zur Neuordnung der Region
4. Lesetipp: Gegenstandpunkt 2-03, Amerikas Mehrfronten-Krieg
5. SZ, 11.07.2003
6. SZ, 10.07.2003
7. Eine absurde Forderung – „ehrliches Feindbild“ -, schließlich ist ein Feindbild vom Begriff her eine (propagandistisch) aufbereitete Bebilderung eines bereits erklärten Feindes. Das ist eigenartige, da tautologisch: den bereits zum Feind bestimmten Widersacher – also Gründe für Feindschaft liegen vor! – mit lauter (negativen) Eigenschaften zu versehen, die diese Feindschaft „begründen“ sollen. Im Falle des Irak bekommt das amerikanische Volk ein „Feindbild verpasst“, das ihnen lauter „Gründe“ für ihre Gegnerschaft mit Saddam liefern soll, die ohne eine Interessensidentität von Regierung und Volk – Saddam = Feind – gar keine wären. Bei den Anschuldigungen gegen den Irak, z.B. im Besitz von Massenvernichtungswaffen zu sein, könnte ihnen ansonsten doch glatt der eigene Staat verdächtig vorkommen! Staatlicherseits trifft man also erfreulicherweise auf ein bereits nationalistisch geschultes Volk, ansonsten hätte die Feindbildpropaganda nämlich keinen Erfolg. Bei solch einer zirkulären „Propagandalogik“ auf Ehrlichkeit zu plädieren, ist wahrlich ein Hohn! Auch in der UNO versuchten die USA ihr Interesse mit einer ähnlichen „Beweisführung“ völkerrechtlich absegnen zu lassen. Mit den im Weltsicherheitsrat gelieferten „Beweisen“ wurde der restlichen Staatenwelt eine „Brücke gebaut“ sich dem US-Interesse unterzuordnen ohne dabei das „Gesicht zu verlieren“.
8. SZ, 11.07.2003
9. SZ, 09.07.2003
10. ebd.
11. 10.07.2003
12. ebd.
13. ebd.
14. Ob sie und, wenn ja, wie sie welche sind, soll später noch geklärt werden.
15. Blair als Pudel Bushs zu bezeichnen kritisiert eben nicht, dass es in der Staatenwelt Gewaltverhältnisse gibt, in denen sich die eine Nation den Interessen der anderen Nation unterzuordnen hat. Die Kritik geht so, dass man selber gern das „Herrchen“ wäre und nicht der „Pudel“.
16. SZ, 10.07.2003
17. ebd.
18. ebd
19. SZ, 23.08.2003
20. Dies als Hinweis für alle demonstrierenden Kriegsgegner, die sich glatt im gleichen Boot mit einem „Kriegsgegner“ wie Bundeskanzler Schröder wähnen, wenn der Bush sein „Nein“ entgegen hält. Lesetipp: Gegenstandpunkt 1-03, Krieg gegen Saddam: Dürfen die Amis das?
21. Lesetipp: Gegenstandpunkt 4-02, Das Kriegsprogramm gegen den Irak – Auftakt zur Neuordnung der Region
22. SZ, 03.10.2003
23. ebd.
24. Es wird dem Irak lediglich ein militärisches Truppenaufgebot von ein paar tausend Mann erlaubt. Solch ein Militär ist darauf beschränkt, als Ordnungsinstanz nach innen zu wirken.
25. SZ, 19.09.2003
26. SZ, 23.08.2003
27. SZ, 26.06.2003
28. SZ, 01.09.2003
29. SZ, 26.06.2003
30. ebd.
31. Auszüge einer Rede Rumsfelds zur Nachkriegsordnung im Irak im Wall Street Journal vom 27.05.2003
32. ebd.
33. ebd.
34. Als Besatzungsmacht lassen sie nationale irakische Interessen nur zu, solange sich diese unter die US-Interessen im Irak subsumieren lassen (siehe auch weiter oben im Text).
35. Lesetipp: Gegenstandpunkt 3-02, Wirtschaftskrise und Kriegswirtschaft in den USA
36. SZ, 09.10.2003
37. SZ, 04.09.2003
38. Was sich bei einem derart gut geschulten Volk als gar kein so leichtes Unterfangen herausstellt: „Noch haben die Verlustmeldungen aus dem Irak die Stimmung in Amerika nicht kippen lassen. Nach einer Umfrage des Senders ABC und der Washington Post glauben 51 Prozent der US-Bürger, die Zahl der amerikanischen Opfer sei `akzeptabel’.“ (SZ, 26.06.2003)
39. SZ, 22.07.2003
40. SZ, 23.07.2003
41. Der Anspruch der daraus folgt wird im nächsten Absatz ff. genauer ausgeführt.
42. Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit, im gewohnten Einvernehmen mit ihrer Regierung, Bush gerne als „Bittsteller“ und „Hilfesuchenden“ – aufgrund eines scheinbar nicht unterzukriegenden deutschen „imperialistischen Optimismus“ – gerne vorstellig macht, der Fall liegt eindeutig anders.
43. SZ, 05.09.2003
44. Was es genau sein soll, wird nicht erwähnt und scheint auch gar nicht so wichtig zu sein. Hauptsache man selbst ist (dran) beteiligt!
45. SZ, 09.09.2003
46. SZ, 05.09.2003
47. Lesetipp: Gegenstandpunkt 1-03, Der Krieg gegen den Irak und die Amerikanisierung des Völkerrechts
48. Ob da wohl auch nordkoreanische oder syrische Truppen mit gemeint sind…?
49. SZ, 10.09.2003
50. Wobei sie bei aller Einigkeit – die Macht der USA ankratzen zu wollen – und gegenseitiger Schulterklopferei während ihres vereinten Vorstoßes, mit ihren jeweiligen nationalen Interessen fleißig am taktieren sind, wie es dabei wohl möglich ist, den größten Nutzen für die eigene Nation herauszuholen. Siehe auch SZ vom 24.09.2003

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