Mai 11th, 2020

Investmentpop aus # 195, 2019

Posted in artikel by Jan

Schlussverkauf in der Konzertbranche

Das Genre Punk Rock verlor seine Unschuld bereits 1976 als die erste Single der Sex Pistols beim dem Major Label EMI erschien. Immerhin waren es Plattenfirmen wie EMI, die über Dekaden hinweg in enger Symbiose mit dem Kapitalmarkt lebten, ebenso wie seinerzeit BMG, Sony Music, Universal Music Group & Warner Music, deren Geschäftsberichte zwar weniger für Musikfans, dafür aber für Finanzanalysten von Interesse waren.

In der Oberklasse des Musikgeschäfts gehören Aktionäre und Investoren seit jeher dazu. Im Zeitalter des prosperierenden Hyperkapitalismus erst recht. Allen geplatzten Finanzblasen zum Trotz, dürfte auch der Begriff „Kapitalschwemme“ aufmerksamen Zeitgenossen durchaus schon einmal untergekommen sein. Eine nette Umschreibung dafür, dass Investmentfonds heuer nicht nur Zahnarztpraxen, sondern aktuell auch die Konzertbranche auf dem Einkaufszettel haben.

Nach dem kapitalkräftige Akteure aus der Finanzbranche sich unlängst noch ausgiebig dem Verlagsgeschäft gewidmet haben, genießen nun Konzertunternehmen die Aufmerksamkeit branchenfremder Geldgeber. Die Folgen dieser Entwicklung sind ein umfassender Strukturwandel, der längst auch Veranstaltungen von und mit einschlägigen Bands wie At the Drive In, Bad Religion, Descendents, Green Day, Misfits, Nofx, selbst Pussy Riot oder Protagonisten wie Henry Rollins betrifft. Dazu später mehr.

Binnen fast zweier Jahrzehnte haben die zwei börsennotierte Firmen Live Nation und CTS Eventim Teile der Konzertbranche in Konzernstrukturen zusammengefasst. Dennoch ist dieser Teil des Musikgeschäfts überwiegend immer noch kleinteilig organisiert und aufgestellt. Zumindest aus Sicht großer Investmentgesellschaften, denn im direkten Vergleich erscheinen selbst Umsatzzahlen der beiden genannten Branchengrößen doch eher überschaubar.

So erzielte Live Nation im Geschäftsjahr 2017, der weltgrößte Konzertkonzern, erstmals einen Umsatz von über 10 Milliarden US Dollar. Dennoch nimmt sich das Unternehmen im Vergleich zu der Investmentbude Provindence Equity mit einem Investitionsvolumen in Höhe von über 46 Milliarden US Dollar immer noch bescheiden aus.

Der passendere Vergleichswert um den Größenunterschied zwischen diesen beiden Unternehmen aufzuzeigen, ist die Marktkapitalisierung von Live Nation an der New Yorker Börse (NYSE), welche sich auf rund 11,9 Milliarden US Dollar beläuft. Ergänzend sei an dieser Stelle noch die Marktkapitalisierung des heimischen Branchenprimus CTS Eventim an der Frankfurter Börse angeführt, die derzeit bei 3,9 Milliarden Euro liegt. Seit des Börsengangs von CTS Eventim im Frühjahr 2000, erzielte das Unternehmen im Geschäftsjahr 2017 erstmals einen Umsatz von etwas über 1 Milliarde Euro.
Zurück zu Provindence Equity und dessen bemerkenswerter Rolle, die gegenwärtig im Konzertgeschäft für jenen Strukturwandel sorgt, der dem Gros des zahlenden Fußvolks an Konzertgängern und Festivalbesuchern weniger bekannt, geschweige denn bewusst ist.

Providence Equity ist nur eine der Firmen aus dem Finanzsektor, die gegenwärtig das Konzertgeschäft als lohnende Anlagemöglichkeit für sich entdeckt haben. Bei Providence Equity, einem Unternehmen aus dem Bereich „Private Equity“, eine Variante von nicht an der Börse gehandelten Kapitalbeteiligungsgesellschaften, firmiert dieses Vorhaben unter dem Codenamen „Superstrukt Entertainment“ unter Leitung von James Barton als Strippenzieher.

Während sich Barton zuvor noch für Live Nation verdingte, ist er Branchenkennern auch als einem der Gründer der UK-Raver-Sause Creamfield bekannt, dass mit Ablegern in Asien, Osteuropa oder Lateinamerika zu der ersten Generation von Festivals gehört, die im Franchise-Verfahren zum Exportschlager wurden.

Anfang 2017 erwarb Superstruct eine Mehrheitsbeteiligung von 70 Prozent am Veranstalter des Sziget Festivals in Budapest, einem Unternehmen, welches darüber hinaus noch vier weitere Festivals in Ungarn, unter anderem Balaton Sound sowie das Volt-Festival veranstaltet. Der Jahresumsatz dieses Unternehmens liegt bei rund 36 Millionen Euro.

Seit dem erwarb Superstruct Beteiligungen an den Festivals Sonar (Barcelona), dem Multi-Elektro-Veranstalter Elrow, Oya Festival (Oslo) sowie im November letzten Jahres das Flow Festival in Helsinki. Für jene, denen der Name der Elrow nichts sagt, sei angemerkt, dass dieses Unternehmen nach eigenen Angaben rund 150 Veranstaltungen von Festivals bis hinzu Klubshows in 27 Ländern in Asien, Europa, im Nahen Osten oder Lateinamerika veranstaltet.

Das Oya Festival wartet mit 2019 neben den Post-Punk-Hoffnungsträger Black Midi mit illusteren Namen wie The Cure, Robyn, Tame Impala, Idles oder Motorpsycho auf und sicherlich keinesfalls zufällig treten auf dem Flow Festival ebenfalls The Cure, Robyn und Tame Impala an. Das Sziget wiederum geht mit den Foo Fighters, Ed Sheeran und Twenty One Pilots ins Rennen.

Eine Prise An- und Verkauf
Sorgte 2014 der Einstieg des CTS Eventim-Ableger FKP Scorpio (Hurricane/ Southside) ins dänische Konzertgeschäft mit strategischen Beteiligungen am Northside-Festival und der Neugründung des Tinderbox-Festivals (2015) sowie dem Konzertveranstalter Beatbox noch für Aufsehen, gestaltete sich das Firmenkonstrukt bereits im Frühjahr 2018 bereits wieder neu.

Im April des vergangenen Jahres verkündete FKP Scorpio, es habe die Anteile an den beiden Festivals an die bisherigen Geschäftspartner veräußert, werde aber weiterhin Gesellschafter von Beatbox bleiben. Im darauffolgenden Mai wurde bekannt, dass der amerikanische Venture Capital Fond „Orkila Capital“ für einen mehrstelligen Millionenbetrag 40 Prozent an der Down The Drain Holding, dem neuen Eigner der besagten Festivals, erworben hat. Unlängst im Januar 2019 firmierte Beatbox nun um zu Down The Dain Concerts, allerdings offenbar ohne Beteiligung von FPK Scorpio. Das deutsche Unternehmen hatte zuvor im November bekanntgegeben, es habe 25 Prozent an dem dänischen Konzertveranstalter smash!bang!pow! erworben.

Orkila Capital hingegen hielt bereits zuvor Beteiligungen an den US-Festivals Boston Calling und dem Eaux Claires Music & Arts Festival sowie Bellator, einen Veranstalter für „Mixed Martial Arts“- Events. Bleibt noch zu erwähnen, dass die beiden Firmengründer dieses Fonds zuvor für Providence Equity tätig waren.

Nordic by niederländischem Investment
Nicht nur in Dänemark wurden die Besitzverhältnisse im Konzertgeschäft binnen eines Jahres neugeregelt. Dank des niederländischen Investors Waterland Private Equity Investments gibt es seit Dezember mit All Things Live sogar eine weitere neue Größe im skandinavischen Konzertmarkt.
Waterland gruppierte sechs Konzertunternehmen unter einem Firmendach und sicherte sich eigenen Angaben zufolge die Mehrheitsrechte an diesem Unternehmen. Mit von der Partie sind ICO Concerts, ICO Management and Touring (DK), Friction and Atomic Soul Booking (NO), Blixten & Co und Maloney Concerts (SW), die es zusammen auf einen Jahresumsatz von 85 Millionen Euro bringen. Mit rund 70 Mitarbeitern wird All Things Live jährlich etwa 3000 Konzerte und Veranstaltungen verarbeiten und dabei mehr als eine Millionen Eintrittskarten verkaufen, sei es nun für Konzerte mit Rammstein, Green Day oder einheimischen Größen wie Robyn.

Eine Nummer größer
In einer ganz anderen Liga mischen Investoren bei den Global Playern unter den Konzertagenturen, William Morris Entertainment (WME),Creative Artist Agency (CAA) oder United Talent Agency (UTA) mit.

2010 fusionierten die US-Firmen William Morris Agency und Endeavor Talent Agency zu WME. Zwei Jahre später erwarb der Investor Silver Lake Private Equity erst 31 Prozent, 2014 dann 51 Prozent an dem Unternehmen. Insgesamt beläuft sich das Investment auf 750 Millionen US Dollar. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. WME sicherte sich 2017 ein weiteres Investment in Höhe von 1,1 Milliarden US Dollar von dem Pensionsfond Canada Pension Plan Investment und dem Staatsfond Singapurs Singapore Investment Fund.

Laut der Ratingagentur Moody’s erzielte WME im Geschäftsjahr einen Umsatz von 2,8 Millionen US-Dollar, der Marktwert von WME beträgt nach Medienberichten mehr als 6,3 Milliarden US Dollar. WME ist längst mehr als eine Künstleragentur für Film- oder Popstars, darunter ehedem die Buzzcocks, At the Drive In, Dinosaur Jr., The Hives oder Quicksand. Ein Unterhaltungsmulti, der Heerscharen von Musikanten, Sportlern, Schauspielern bis hinzu zu Politikern oder Spitzenköche unter Vertrag hat. Vom Management für die Veranstaltung Miss Universe mal ganz abgesehen…

TGP Capital indes verfügt über ein Anlagevermögen von über 100 Milliarden US Dollar und hält eine Mehrheitsbeteiligung am WME-Erzrivalen CAA. Los ging es 2010 mit einem Initial-Investment in Höhe von 165 Millionen US-Dollar. Vier Jahre später folgte eine weitere Zahlung von 225 Millionen US Dollar für die Aufstockung des Anteils auf 53 Prozent. Zudem gewährte TGP Capital dem Unternehmen nach Informationen von CNBC gleich zu Beginn eine zusätzliche Finanzspritze von 500 Millionen US Dollar für weitere Firmenankäufe. Unter der Bezeichnung Evolution Media verfügt CAA somit über eine eigene Investmentabteilung. So übernahm Evolution Media gemeinsam mit TGP Growth beispielsweise Anfang 2018 die Mehrheit an dem afrikanischen Media-Network Trace, welches über mehr als 20 Pay TV-Kanäle verfügt und jährlich bis zu 400 Konzerte aufzeichnet und ausstrahlt.

Ein Jahr zuvor sicherten sich China Media Capital sowie Temasek, eine Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Singapur, Minderheitsbeteiligungen an CAA, um bei Gründung der Filiale von CAA China von Beginn an dabei zu sein.

Anfang diesen Jahres sorgten desweiteren Medienberichte für besondere Aufmerksamkeit in der Finanzbranche, wonach Liberty Media, der größte Einzelaktionär von Live Nation, dem Vernehmen nach eine Beteiligung an CAA in Erwägung ziehe. Zu den Klienten von CAA gehören unter anderem Bad Religion, Descendents, Green Day, Misfits, selbst Pussy Riot oder Henry Rollins.

UTA, die Konzertagentur unter anderem von NOFX, Idles, The Hives, Mighty Mighty Bosstones und Millencollin, fuhr gerade erst August letzten Jahres ein Investment in Höhe von 200 Millionen US Dollar ein. Für den Betrag sicherten sich Investcorp und der Pensionsfond PSB Investments rund 40 Prozent an dem Unternehmen.

Zwischen Equity Story und Exit Strategie
Waren es zuvor noch Live Nation und CTS Eventim, die ihr Firmenwachstum über Zukäufe generierten, besetzen Investmentfirmen eine Lücke, die die Konzertkonzerne so nicht bedienen. Auch wenn CTS Eventim in der jüngsten Vergangenheit gleich vier Konzertveranstalter in Italien (D’ALESSANDRO & GALLI, F&P, Vertigo und Vivo Concerti) sowie Doctor Music in Spanien für sich vereinnahmte, so belegen die angeführten Akquisitionen durch Private Equity Firmen, dass diese nicht nur aus einer Kauflaune heraus sich das Konzertgeschäft zu eigen machen.

Im Zeitalter von Niedrigzinsen für Staatsanleihen und einem überaus volatilen Aktienmarkt, profitieren Investmentgesellschaften aus dem Bereich Private Equity, dass institutionelle Anleger aus dem Bereich der Großbanken oder die Vermögensverwalter der steigenden Zahl von Superreichen einfach nicht weiterwissen, wohin mit dem ganzen Geld. Die paar Millionen fürs Konzertgeschäft erscheinen da nur als durchlaufender Posten in den Geschäftsbilanzen und wenn diese auch noch Rendite abwerfen, fällt dass ebenso wenig ins Gewicht, wie die Steuervorteile, die Anleger im Falle eines Verlustes als Abschreibungen geltend machen können.

Der allgemeine Masterplan in diesen Investmentfirmen indes sieht vor, Firmen aufzukaufen, diese zu konsolidieren und bestenfalls in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren entweder gewinnbringend weiterzuverkaufen oder an die Börse zu bringen.

Vom Impresario zum Asset-Manager
Die Ära der Konzertimpresarios jedenfalls scheint größtenteils gelaufen. Im Gegenzug gleichen sich die Strukturen großer Konzertunternehmen immer mehr denen der großen Plattenfirmen an, verfügen immer öfter über A&R-Departments, wo Bands weltweite Deals unterzeichnen und Konzertagenten zu Produktmanagern avancieren, unterstützt durch Fachabteilungen für Marketing & Sponsoring oder Legal Affairs, die sich der Klärung von Senderechten oder Konzertverträgen annehmen. Zum formvollendeten Abschluss des Strukturwandels kommt es aber spätestens dann, sobald es eine eigene Abteilung für „Investor Relations“ im Unternehmen gibt, welche konsequent ein Mitspracherecht bei der Besetzung der Gästelisten einfordern…

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Text: Manfred Tari (Der Autor ist Popmusikwirtschaftsexperte und betreibt die Online Seite pop100.com)

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