Mai 13th, 2020

Ingrid Strobl aus #115, 2005

Posted in interview by Jan

Kunst ist schön. Macht aber viel Arbeit.

Ingrid Strobl ist eine feministische Schriftstellerin, die aus Österreich kommt und in Köln lebt und arbeitet. Ingrid Strobl ist 53 Jahre alt. Sie hat mit dem Buch „Strange Fruit“, eine Kritik an dem Diskurs über Überbevölkerungsideologien im Kapitalismus, mich als 17 Jährigen politisiert. Im September 2005 ist ihr erster Roman erschienen und im Frühjahr 2006 erscheint ihr Dokumentationsbuch über „Junkiefrauen auf dem Strich“. Und sie hat einen guten Musikgeschmack, wobei ich allerdings hinzufügen will, dass wenn Stones, immer Mick Jagger und nicht Keith Richards, aber who cares about me anyway? Eben. Dieses Interview ist Teil I der insgesamt sechstteiligen Serie „Interviews-die-ich-im-Wahn-meines-ersten-eigenen-Diktiergerätes-live-geführt-habe-und-seitdem-als-noch-abzutippendes-Tape-mir-viel-Kummer-und-Sorgen-bereitete-und-wo-ich-mich-dann-doch-dazu-entschloß-es-per-email-zuführen“. Go ahead Punk!

 

Hi liebe Ingrid, schön, daß du Zeit für ein Interview fürs Trust hast. Wir koordinieren ja gerade die Trust # 116 Schwerpunktausgabe, „The sexiest thing is trust“,  zu Sex und Musik. Fällt dir zufällig spontan was zu dem Thema ein? Ich habe in der jungen Welt deinen Artikel über Keith Richards gelesen, wo du meintest, dass du den erst toll fandest, dann mit Anfang 20  Feministin wurdest, die Stones totale Machao Affen fandest und dann später die doch wieder ganz okay findest…den Artikel fand ich super, was denkst du denn über die Stones heute?
Das ist schwer zu beantworten. Die Musik finde ich noch immer großartig, vor allem die alten Sachen (bis in die Siebzigerjahre). Sie geht direkt in den Bauch – und in den Unterleib. Sie ist wild, erotisch, erregend – wenn bloß so manche der Texte nicht wären. Midnight Rambler zum Beispiel, ein musikalisch superscharfes Stück,  kokettiert mit einem Prostituiertenmörder – was soll daran erotisch sein? Das ist nur krank und frauenverachtend. Oder auch so banale Machoscheiße wie Under my Thumb oder Yesterday´s Papers, und und und. Das Verrückte an den Stones ist diese Mischung aus einer Musik, die Frauen anmacht und Texten, die Frauen niedermachen. Dazu der androgyne Auftritt von Jagger, der oft ins Tuntige geht, also das Gegenteil von Macho signalisiert. Das sind eine Menge Widersprüche, die halt nicht zu lösen sind.

Du bist bekannt durch zwei Sachen, einmal als ausgewiesene Expertin, als Schriftstellerin, für „Jüdische Frauen im Widerstand“, und durch die Weckergeschichte, d.h. als als politische Gefangene, der vorgeworfen wurde, Ende der 80iger einem Bombenanschlag der revolutionären Zellen auf das Kölner Lufthansa – Gebäude wegen deren Abschiebeflugpolitik unterstützt zu haben. Was geht dir mehr auf die Nerven; immer zu der Weckersache gefragt zu werden? Was hast du nach dem Knast gemacht?
Nach dem Knast gefragt zu werden, geht mir nur auf die Nerven, wenn ich den Eindruck habe, die Person, die fragt, reduziert mich auf diese zweieinhalb Jahre meines 53jährigen Lebens, oder sie ist nur an der „Sensation“ interessiert, und nicht an den politischen Inhalten oder an mir oder meiner Arbeit. Ich habe im Knast weiter geschrieben (zum Beispiel mein erstes Buch über Frauen im Widerstand „Sag nie, du gehst den letzten Weg“), und bin durch die Arbeit an diesem Buch zu dem Thema gekommen, das mich dann viele Jahre lang beschäftigt hat: die Beteiligung jüdischer Frauen am Widerstand im deutsch-besetzten Europa.

Nach meiner Haftentlassung hatte ich das Glück, dass mir ein linker Kölner Filmproduzent die Möglichkeit gab, einen langen Dokumentarfilm über den Ghettoaufstand und die Partisaninnen von Bialystok zu drehen, und dass der WDR dann diesen Film kaufte. So bin ich ins „Filmgeschäft“ gekommen, das mir lange Zeit meine Arbeit zum Thema Frauen und Widerstand finanziert hat, die ich sonst nicht hätte leisten können. Die Recherchen waren ja sehr aufwändig, ich habe in mehreren Ländern Europas und in Israel Interviews gemacht, in zig Archiven geforscht, das kann man als Freiberuflerin normalerweise gar nicht. Aber indem ich das Geld, das ich mit den Filmen und mit Hörfunk-Sendungen verdient habe, gestreckt habe, ging es irgendwie. Ich kann gut mit sehr wenig Geld auskommen, wenn ich dafür das machen kann, was mir wirklich wichtig ist und am Herzen liegt. Was nicht heißt, dass ich nicht sehr gerne sehr viel mehr Geld hätte…

Du machst für den WDR Fernsehreportagen und hast dein  Journalistenbüro in Köln; nebenbei hältst du Vorträge und Lehrveranstaltungen und hast im September deinen ersten Roman rausgebracht – erzähl doch mal „rasch“ wie das alles so kam mit dem Schreiben…
Ich hab schon immer geschrieben, schon als Kind, Gedichte und Theaterstücke (die ich dann mit meinen Freundinnen aufgeführt habe). Irgendwann aber habe ich mir einreden lassen, von Literatur könne man nicht leben. Also habe ich nur noch Sachen geschrieben, von denen man (halbwegs) leben kann, also Sachbücher, Artikel, Hörfunkbeiträge, etc. wobei ich auch da immer nur Themen bearbeitet habe, die mir wichtig waren, diesen „Luxus“ habe ich mir immer geleistet. Tja, und dann bin ich in eine ziemlich tiefe Krise gestürzt und mittendrin habe ich angefangen, wieder Literatur zu schreiben, Gedichte, Songtexte, meinen Roman „Ende der Nacht“ und mein Theaterstück „Rückfall“, das der Fischer Theater Verlag übernommen hat, worauf ich ziemlich stolz bin.

Wovon handelt dein Roman? Und du gibst doch parallel dazu auch ein Dokumentationsbuch raus über Frauen auf dem Strich…
In dem Roman geht es um eine junge Frau, die Ende der Sechzigerjahre nach London geht und dort zum Junkie wird. Gut dreißig Jahre später und gut dreißig Jahre clean wird sie durch alte Briefe in diese Zeit zurück katapultiert und gerät ziemlich ins schleudern. Es geht in diesem Roman auch um die „Heroinkultur“ der frühen Siebziger, darum, warum die Leute plötzlich von Dope und Trips auf Heroin umgestiegen sind, um das „Klima“, die Musik, etc. In dem Sachbuch, das ich jetzt gerade schreibe, und das im Frühjahr im Orlanda Verlag erscheinen wird, geht es um Junkiefrauen auf dem Strich, also um Frauen, die sich das Geld für den Stoff  beschaffen, indem sie anschaffen gehen.

Wie gefällt dir Köln? Was würdest du machen, wenn du wirklich alles Geld und alle Zeit der Welt hast?
An Köln gefällt mir, dass die Stadt relativ relaxed ist, ziemlich multikulti, dass es eine lebendige Musik- und Kunstszene gibt, dass es den Politikern trotz aller Anstrengungen nicht gelingt, diese Stadt „sauber und ordentlich“ zu kriegen, dass meine (ganz „normale“) Bäckerei den Aufruf zur Anti-Nazi-Demo in der Auslage hängen hatte, dass hier ganz „normale“ Leute bei einem Penner auf der Straße stehen bleiben und mit ihm ein Schwätzchen halten, dass gestern an der U-Bahnhaltestelle, in der binnen einer Woche zweimal eine Frau vergewaltigt wurde, eine Mahnwache stattfand, und ziemlich viele Leute hingekommen sind.

Wenn ich alles Geld und alle Zeit der Welt hätte, dann würde ich erst einmal ein paar Monate mit meinem Mann nach Nepal fahren, das für mich das schönste Land der Welt ist. Dann würde ich erst mal nur noch literarische Texte schreiben, ohne jeden Druck von wegen „Du-musst–jetzt-unbedingt-einen-Auftrag-ranschaffen-sonst-kannst-du-die-Miete-nicht-bezahlen!“. Ich würde Projekten für Junkiefrauen wie zum Beispiel Ragazza in Hamburg, der Hotline in Frankfurt und dem Mäc-Up in Köln ganz viel Geld überweisen, einen Tag lang allen Pennern und Pennerinnen in der Stadt einen dicken Schein in die Blechdose legen, allen Trebermädchen eine Nacht im Hotel bezahlen, meinem Mann eine Fender Stratocaster kaufen, und mir alle CDs und Bücher, die ich haben möchte. So viel mal fürs erste.

Hast du einen Bezug zu Punk? Du meintest, dass du als Hippie „sozialisiert“ worden bist, das hören komischerweise viele in der Punkszene nicht gerne, weil mit Hippie gleich „schlecht weil immer nur am rumreden“ assoziiert wird, was natürlich Quatsch ist.
Wittgenstein hat gesagt: Wovon man keine Ahnung hat, darüber sollte man schweigen. So viel zum Thema Punks über Hippies. Punks können ganz schön spießig, engstirnig und selbstgerecht sein. Ansonsten habe ich den Punkrock sozusagen als legitime Nachfolge „meiner„ Musik empfunden, also des harten, „wilden“ Rock der Anfänge. Ich hab mich ab Mitte, Ende der Siebzigerjahre nicht mehr dafür interessiert, was da an neuer Musik und neuen Bands ankam, ich bin also sozusagen bei den Velvet, MC5, Pattie Smith und Sonic Youth stehen geblieben. Das einzige, was mich aufhorchen ließ und ansprach, war wie gesagt der Punkrock. Wobei mir allerdings die abgerotzte Kaputtnik-Macho Pose von Leuten wie den Pistols zum Beispiel auch auf die Nerven ging.

Am Ende noch ein paar kurze Fragen mt der Bitte um kurze Antworten….Wie gefällt dir die Vorstellung, zum Stones Konzert 2006 in Köln mich einzuladen und alle Getränke zu zahlen ?
Wenn du dafür sorgst, dass mein Roman ein echter Bestseller wird, und ich tierisch Kohle damit mache, dann kriegst du einen Platz in der ersten Reihe plus Getränke. Wenn du dafür sorgst, dass mein Roman bis dahin ins Englische übersetzt und ein englischer Bestseller wird, dann bitte ich Keith, dass er dir auch eine Backstage Karte gibt.

Sagen wir mal, das Interview wird von einer Person gelesen, die selber auch gerne schreibt: hättest du für die nen Tipp (ich habe mal von Stephen King gelesen, der meinte, dass das wichtigste für eine Person, die gerne schreibt, lesen ist)?
Einverstanden mit Mr. King. Und „richtig“ schreiben macht nur Sinn, wenn man es muss, das heißt, wenn man ohne nicht leben kann. Nur dann lohnt sich die Arbeit. Denn wie Karl Valentin schon so richtig sagte: „Kunst ist schön. Macht aber viel Arbeit.“

Welches Buch von dir (ich persönlich finde ja das “Strange Fruit“ von dir toll) würdest du einem raten? Jetzt sag nicht alle ?
Immer das letzte, also jetzt meinen Roman „Ende der Nacht“ (Orlanda Verlag)

Was muss man unbedingt gelesen haben, um ein guter Mensch zu werden?
Den Buddha.

Hast du eine Frage an mich?

Was ist für dich der Sinn des Lebens (jetzt im Moment)?
1) Da werde ich  den RKL Text aus dem Song „alone inside“ für sich sprechen lassen (Link). 2) Ohne geistige Bewegung gar keine Bewegung. Allerdings: 3) Es kommt nicht darauf an, die Welt verschieden zu interpretieren. Es kommt darauf an, die Welt zu verändern. Das ist so, seitdem ich 15 bin,  d.h. auch heute so.

Was ist die beste Droge?
No comment. Aber Dope ist die harmloseste.

Lieblingsbands?
Stones, Doors, Velvet Underground, Grateful Dead, Cream, Traffic, Ramones

 

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: www.ingrid-strobl.de

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