März 9th, 2020

HINTERLANDT aus # 179, 2016

Posted in interview by Jan

Neues aus dem Hinterlandt

Als wir uns kennenlernten, wollten wir die schnellsten sein. Genauer: meine Band. Jochen, um den es im Folgenden gehen soll, hatte schon damals andere musikalische Ziele, glaube ich. Ich weiß es aber auch nicht mehr. Es ist erstens schon sehr lange her. Zweitens ist es auch egal. Jedenfalls trafen wir uns in der kleinen Grindcore-Welt selbstverwalteter Jugendheime und besetzter Häuser. Schweiß und Bier und Zigarettenqualm lag in der Luft, zum Nachtisch gab es veganes Chilli.

Feedback Recycling hieß Jochens Band, und sie spielten so mit das komplizierteste Zeug, dass ich bis dahin gehört hatte. Was ein Glück, dass wir dauernd zusammen auftraten!

Später interessierten wir uns vermehrt für anderes, Jochen machte Buckethead auf, die ich für das TRUST einmal interviewte, dann gab es, es muss im Jahr 2000 gewesen sein, eine letzte, ziemlich tolle Tour mit den großartigen Ninewood, und Jochen zog mit Familie nach Sydney, erst nur für ein paar Jahre, später dann auf Dauer. Hinterlandt entstand schon während des ersten Aufenthalts, nachdem er mit Two Pin Hotwire noch einmal in Rock gemacht hatte.

Hinterlandt gibt es immer noch, als mal mehr, mal weniger loses Ensemble, oft als Titel für elektronische Experimente, mal auch als eine Art frei improvisierendes Orchester, und zuletzt ist darunter auch ein Streicher-Trio plus Jochen zu verstehen. Geredet hatten wir schon ein paar Mal über ein Interview, nachhören, was so passiert ist, wie das geht: neben der Arbeit und der Familie gefühlt jährlich ein Album mit neuer Musik zu veröffentlichen, in der Weltgeschichte herumzutouren. Nun haben wir es endlich geschafft, das mal auf elektronischen Wegen zu klären.

Gib uns doch mal eine kurze Zusammenfassung, was passiert ist, seit du mit einer deiner Bands, nämlich Buckethead, hier im Heft interviewt wurdest – verdammt, das muss gut 15 Jahre her sein…
Buckethead, ja das muss über 15 Jahre her sein. Das erste Konzert meiner ersten Band Feedback Recycling war 1988, also noch viel länger her – unglaublich, wie wahnsinnig alt man so ist. Die wichtigsten Veränderungen in den letzten 15 Jahren waren Umzüge: Im Jahr 2000 sind meine Lebensgefährtin Sabina und ich mit unseren zwei Kids nach Sydney gezogen. Von 2004 bis 2009 haben wir dann noch mal in Deutschland gewohnt, und seit 2009 sind wir wieder in Sydney. Hinterlandt ist seit 2002 in verschiedenen Versionen und Formaten dabei.

Hinterlandt hast du eingeführt, als du das erste Mal in Sydney warst. Der Name könnte zu lesen sein als Verweis auf das weniger Offensichtliche. War das der Hintergedanke?
Ja, der Name sollte gleich klarmachen, dass es um eine eigenartige Sache jenseits von aktuellen Strömungen geht. Die Musikindustrie mit ihrem ganzen Hipness-Wirbel und Promo-Alarm hat mich schon immer genervt – und eigentlich ist es in der Indie-Szene ja oft genug das gleiche: Alle wollen in hippen Läden auftreten, Support für ihre Vorbilder spielen, coole Videoclips machen, T-Shirts verkaufen und so weiter. Auf dieses Spiel bin ich nicht so scharf. Da köchle ich lieber mein seltsames Hinterlandt-Süppchen und spiele vor ein paar Leuten, die richtig zuhören.

Außerdem steckt ja ein Buchstabe zu viel drin. Wie kommt der dahin?
„Hinterland“ ist eins der wenigen Wörter, die in beiden Sprachen funktionieren. Das T habe ich drangehängt, weil ich irgendein Alleinstellungsmerkmal gesucht habe und den Gedanken mochte, dass es wie Familienname wirkt… Rembrandt, van Zandt und so.

Hinterlandt kann ja offenbar vieles sein: ein Solo-Ding, eine kollektive Improvisation, eine Rockband. Jetzt als Ensemble mit Streichern – trotz alledem nicht das Naheliegendste. Wie kam diese Besetzung zustande?
Hinterlandt war von Anfang an so angelegt, dass es verschiedene Formen annehmen kann. Ich kann bei meiner Musik nicht gut mit Stagnation umgehen: Ich muss irgendwie immer weiter, will nicht immer den gleichen Sound in der gleichen Besetzung hören und machen. Das Ensemble-Format kommt nach einer Hinterlandt-Phase, die stark von Technologie geprägt war: Da standen Effect Pedals, elektronische Sounds und so weiter im Vordergrund. Ich habe zwar immer auch echte Instrumente benutzt, aber irgendwann hatte ich ein Bedürfnis nach einer gewissen Klarheit und Einfachheit – nach direkter und gradliniger Kommunikation zwischen Musikern und Zuschauern, ohne Netz und doppelten Boden. Die Musik sollte trotzdem ein bisschen anspruchsvoll und komplex sein, und dadurch bin ich dann bei dieser Kammermusik-Idee gelandet. Es ist total spannend und eine große Herausforderung, Kompositionen als Noten zu schreiben und dann gemeinsam einzustudieren.

Kompositorisch hast du für „Ensemble“ neue Wege beschritten, zumindest hab ich dich auf diesen noch nicht gehört. Wie bist du vorgegangen? Wahrscheinlich, so klingt es jedenfalls, hattest du einen bestimmten Klang im Kopf, der nicht zuletzt mit den Streichern zu tun hat.
Ja, ich habe immer am Anfang ein ganzes Klangbild im Kopf, normalerweise ungefähr 20-40 Minuten. Dieses Bild ist wie eine Landschaft, eine Geschichte, eine Reise, ein Gemälde, ein Film… naja, eigentlich wie das Leben. Es gibt Umwege, Komplikationen, Harmonie, Knotenpunkte, Rückbesinnungen, Schönheit, Sackgassen, Sanftmut, Frustration, Irrtum, Melancholie und so weiter. Dieses Klangbild versuche ich dann, in der entsprechenden Instrumentierung zu illustrieren, also das Bild quasi in Noten zu konvertieren. Violinen und Cello sind tolle Instrumente, sie haben ein großes Klangspektrum und man kann sie super miteinander kommunizieren lassen.

Ich genieße es total, diese String Arrangements zu schreiben. Manchmal schreibe ich mir selbst absichtlich ein paar Takte Pause rein, so dass ich bei Konzerten für ein paar Sekunden einfach da sitzen und den Streichern zuhören kann.

Ich höre Einflüsse aus Minimal Music, klassischer Kammermusik, ein bisschen Rock – nicht unbedingt ein Spektrum, das klassische Musiker so breit bearbeiten. Musstest du viel erklären?
Bisher habe ich viel Glück mit den anderen Ensemble-Mitgliedern: Sie sind nicht nur super Musiker, sondern auch total offen für verschiedene Genres und musikalische Konzepte. Manche Dinge erkläre ich natürlich, und stellenweise wird das auch sehr detailliert. Aber sobald wir alle die Noten in technischer Hinsicht durchspielen können, wird diese Composer-Performer Hierarchie hinfällig und es wird unsere gemeinsame Musik – und dann arbeiten wir eher zusammen daran, dass wir diese Musik gemeinsam wirklich gut und ausdrucksstark klingen lassen.

Was ich ehrlich gesagt nicht wirklich heraushöre, sind die improvisierten Teile. Wo kam das als Prinzip zum Tragen?
Du hast schon recht, der größte Teil ist Note-für-Note durchkomponiert. Es gibt improvisierte Passagen, allerdings sind auch dabei bestimmte Aspekte abgesprochen – ich nenne das Guided Improvisation. In manchen Fällen sind zum Beispiel die Töne vorgegeben, aber nicht ihre Länge. Ein anderes Beispiel sind Instruktionen, Handzeichen, Blickkontakt und so weiter. Sagen wir, die Violinistinnen tippen für eine bestimmte Zeit arhythmisch auf das Holz ihrer Instrumente, während Gitarre und Cello ebenfalls ohne klaren Takt klopfen, bis der Cellist ein bestimmtes Motiv spielt, was von den Violinen imitiert wird – und das Motiv führt dann über eine harmonische Auflösung in einen neuen Teil, bei dem wieder alles notiert und klar ist. Diese Teile sind immer in die Komposition eingebettet, es geht dann recht zügig wieder zurück zu klaren Strukturen.

Sind die Tage des großen Lärmens eigentlich gezählt?
Ach nein, das glaube ich nicht. Ich habe so viele Jahre laute Musik gemacht und gehört, natürlich mag ich das auch immer noch. Wie jeder klar denkende Mensch höre ich im Bus nach einem anstrengenden Arbeitstag „Reign in Blood“. Unser Ensemble-Album ist auf Art as Catharsis rausgekommen, im Prinzip ein Math/Prog/Drone/Doom-Label. Aber momentan reizt es mich nicht, eine Postpunk-Band mit harten Breaks und schrägen Takten zu machen oder sowas – obwohl das viel einfacher wäre. Diese neue akustische Musik mit Hinterlandt zu spielen ist ein ziemlich intensives Erlebnis. In der Reduktion liegt eine Intensität, die sich gewagt und riskant anfühlt. Es ist leisere Musik als früher, aber man spürt eine größere Spannung im Raum.

Aus gegebenem Anlass: Wie machst du das eigentlich, neben Job und Familie? Oder sieht das nur nach so viel aus?
Sabina und ich arbeiten beide seit vielen Jahren Full Time. Die Kids sind inzwischen Teenager, aber wir verbringen immer noch viel und gern Zeit zu viert. Ich glaube, man lernt, anders mit Zeit umzugehen, wenn es wenig davon gibt. Sie wird wertvoll und man überlegt sich gut, was man damit machen will. Musik machen ist mir wichtig – und wenn ich schon Musik mache, möchte ich Musik machen, die mich interessiert und erfüllt… nicht einfach irgendwas. Hinterlandt ist im Vergleich zu anderen Bands recht effizient und straff organisiert. Da gibt es nicht so was wie stundenlang im Proberaum rumhängen und ab und zu einen Song spielen.

Proben sind eine ziemlich konzentrierte Angelegenheit. Die Musik ist vor den Proben ja schon fertig geschrieben, PDFs und Demos sind an die Musiker verschickt. Für die Proben bereite ich alles so vor, dass wir innerhalb von ein paar Stunden richtig weit kommen können. Die Stücke sind normalerweise um die 20 Minuten lang und nicht so einfach zu spielen, insofern verlangt uns das viel Konzentration ab. Aber es macht auch echt Spaß, weil die Musiker total nett sind und sich gegenseitig mögen, und man auf diese Weise halt auch zügig an einen Punkt kommt, wo es gut klingt und man ein kollektives musikalisches Erfolgserlebnis hat.

So ein Ensemble auf Tournee zu bringen, ist ja auch etwas anderes, als die Gitarre und ein Köfferchen mit Gerät zu packen und in den Zug zu steigen. Seid ihr auch mal als Quartett unterwegs?
Momentan spielen wir eher vereinzelte Konzerte. In Australien ist es nicht grade einfach, zu touren. Es gibt nur eine Handvoll Städte, in denen du spielen kannst, und in vielen Fällen musst du fliegen, wofür dann wieder die Gagen nicht reichen. Es ist außerdem schwer, Zeiträume zu finden, in denen wir alle können. Diese Art von Musik kannst du nur mit klassisch ausgebildeten Musikern machen – und die sind oft Profis und daher busy mit anderen Projekten. Hinterlandt macht uns allen viel Spaß, aber die Miete kannst du damit natürlich nicht zahlen. Hoffentlich wird in Zukunft etwas mehr möglich sein, vielleicht auch mal Overseas. Ich würde es mir wünschen und glaube prinzipiell schon, dass es organisiert werden könnte. Mal sehen…

Stone

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