Juni 16th, 2020

HELL & BACK (#185, 2017)

Posted in interview by Thorsten

Seit vielen Jahren schon erfreue ich mich an dem Output der Stuttgarter Band Hell & Back, die famosen Melodic Punk Rock schrubben und diesen stets mit viel Verve und Liebe zum Detail darbieten. Nach zwei großartigen EPs aus den Jahren 2011 und 2012, dem mitreißenden 2014er Debütalbum „Heartattack“, welches seinen musikalischen Vorvätern zwischen Santa Barbara und Gainsville Tribut zollt, aber dennoch einen ganz eigenen Sound fährt, und der Split-EP mit Perfect Youth (2015), die fünf absolut runde, vor eingängigen Melodien nur so strotzende Punk Rock-Nummern beinhaltet, erschien nun dieser Tage das zweite Album mit dem wundervollen Titel „Slowlife“. Klar, die ganze OrgCore-Szene im deutschsprachigen Raum pusht sich gut gegenseitig und verteilt viel Liebe an ihresgleichen, aber Hell & Back stechen nicht nur aufgrund der immens hohen Qualität hervor, sondern auch weil sie nicht vergessen, dass Punk Rock immer noch etwas über den eigenen Horizont hinausschauen sollte. Zudem sind die vier Jungs einfach unglaublich sympathisch und bodenständig, sodass gerade ihre Release-Show im Goldmarks zu Stuttgart vor einigen Tagen wieder ein Fest der guten Laune war, inklusive viel Begeisterung für Bier und Bewegung. Dass das neue Album – mal wieder – ganz große Kunst ist: geschenkt. Drüber reden wollte ich dennoch mit den Herren Vukitsevits (Gesang und Gitarre) und Zolnierkiewitsch (Bass) aka Vuki und Zol.

Erst einmal großen Respekt zur neuen Platte, wie immer ein Punk Rock-Kleinod mit Dauerrotations-Suchtgefahr. Was ist zwischen eurem letzten Output, der Split-EP mit Perfect Youth, und „Slowlife“ bei euch so passiert? Gab es etwas Besonderes, was auch Eingang in euren zweiten Longplayer gefunden hat?

Vuki: Cool, freut uns, dass dir die neue Platte gefällt. Rückblickend waren die zwei Jahre zwischen den Releases wenig spektakulär. Da Peter, unser Schlagzeuger, kurz vor den Arbeiten zur Split-EP eingestiegen ist, war der Umstand besonders, dass ich bei „Slowlife“ das Gefühl hatte, dass wir erst jetzt musikalisch richtig zusammengewachsen sind und unser volles Potenzial ausschöpfen konnten. Ein Event, das mir einen echten Anschubser für das Album gegeben hat, war das Obenuse Festival in Zürich, das wir im Mai 2015 gespielt haben. Ich war davor ein bisschen ausgelaugt, etwas demotiviert was die Band anging. Dieses Konzert hat mich so mitgerissen, dass es in mir etwas verändert hat und ich wieder richtig Lust auf Musikmachen bekommen habe. In diesem Fall ist von meiner Seite aus viel vom „Obenuse Spirit“ drin.

Musikalisch sehe ich auf jeden Fall einige Weiterentwicklungen, seien es die schicken Crew Vocals, mehr Abwechslung im Songwriting oder die ausgefeilteren Gitarren-Arrangements: Was sind für euch die Hauptunterschiede zu eurem bisherigen Schaffen? Habt ihr diesmal was anders gemacht?

Vuki: Wir haben versucht, dass was wir schon bei „Heartattack“ gemacht haben, diesmal noch präziser und intensiver zu machen. In der Vorproduktion haben wir viel Wert auf Details gelegt, sodass wir im Studio genau wussten, was wir machen wollten. Auch haben wir dieses Mal noch mehr Zeit in die Songauswahl gesteckt und aus ursprünglich über 22 Songideen letztendlich 13 aufgenommen, wovon es 12 auf das Album geschafft haben. Aufgenommen haben wir wieder in den Tin Roof Studios in Stuttgart, wo wir auch schon das Debüt-Album eingespielt haben. Und auch für Backup Vocals waren wieder unsere Freunde von (mittlerweile ex-) The Plastic Smile verantwortlich.

Euer Artwork ist wieder sehr einzigartig und speziell: Was und wer steckt dahinter? Und worauf legt ihr besonders wert?

Zol: Das Artwork stammt von der holländischen Künstlerin Mara Riccione, die ich über ein Plattencover der Band Union Town entdeckt habe. Wir arbeiten schon ein paar Jahre zusammen und „Slowlife“ ist das vierte gemeinsame Projekt. Mara ist sympathisch, professionell, hat ihren eigenen Stil und macht hervorragende Arbeiten. Es ist jedes Mal ein sehr angenehmer Prozess, bis ein Artwork fertig gestellt wird, meist gibt es nur den Album-Namen und ein paar Textzeilen als Inspirationsvorgabe. Ich habe mir erst kürzlich ein paar Siebdrucke von ihr gekauft, da ich ein großer Fan ihrer teils doch abstrakten und nicht sofort greifbaren Kunst geworden bin. Ich habe z.B. an Hot Water Music schon immer sehr geschätzt, dass alle Alben ein genre-untypisches Artwork hatten und sich dadurch nicht in eine Schublade einordnen ließen. Man wusste nicht, was einen erwartet, aber man konnte es immer sofort als eine HWM-Platte identifizieren und viel Zeit damit verbringen, die Details der Bilder zu erkunden, während man der Musik lauschte. Meistens ist es ja so, dass du an einem Albumcover sofort ablesen kannst, was es für eine Musik ist. Das kann hilfreich sein, aber manchmal auch sehr unspannend. Umgefallene Streichhölzer in Schwarz-Grau-Optik: Blackmetal. Retro-Turnschuhe und ein Bürstenhaarschnitt auf einem Live-Bild, das einen dicken, eckigen Rahmen hat und darüber einen Schriftzug, der an das Handballtrainingslager von ´92 erinnert. Genau, der Youthcrew-Posicore. Ein Schwarz-Weiß-Photo, schlimmer als in jeder Bravo Girl-Heftmitte mit einer Serifenschrift und möglichst viel Abstand zwischen den Buchstaben. Zack. Der Melodic Hardcore. Ich schweife ab. Das hat ja auch alles seine Berechtigung und dient der Identifikation. Wir kopieren da eigentlich nur HWM, nur dass unsere Artworks nicht von Sinclair, sondern von Mara Piccione gemacht werden.
Vuki: Das Artwork ist ein grower. Ein paar Leute, die unsere Platte schon gehört haben, sagten das auch über die Musik. Das finde ich toll, dass beides so Hand in Hand geht.

Vuki, Zol hat diesmal viele Texte geschrieben, fast die Hälfte wenn ich das richtig sehe. Wie kam es dazu?

Vuki: Zol hat schon immer viele Texte geschrieben, nur haben wir in den Credits nie vermerkt, wer der Autor der einzelnen Texte ist. Oft ist es schwer zu differenzieren, weil wir auch viel zusammenschreiben. Unser Gitarrist Taner hat in der Vergangenheit ebenfalls ein paar Lyrics verfasst.

Und wie fühlt sich das an, Texte einer anderen Person zu singen? Hast du schon einmal Lyrics von Zol abgelehnt?

Vuki: Natürlich haben wir schon mal Texte abgelehnt, hauptsächlich weil sie nicht auf Songs passen. Gleiches passierte auch mit Texten von mir. Es ist etwas ganz Normales. Ich finde Zol schreibt tolle Texte und es ist super, dass diesmal mehr als bei unserem Debüt von ihm sind. Ich mag es sehr, seine Texte zu singen, wir denken in vielen Sachen ähnlich, das macht es einfach.

Mit „Fiction And History“ und „War, What Is It Good For?“ habt ihr auch Songs, die sinnlose Gewalt und die Unfähigkeit, aus der Geschichte zu lernen, anprangern. Generell vermisse ich solche Tracks meist bei anderen Bands, die aus eurem Genre kommen, was auch immer das ist zwischen OrgCore und Melodic Punk Rock. Warum ist es euch wichtig, solche Texte zu schreiben?

Vuki: Die zwei von Dir genannten Songs haben auch eine sehr direkte und klare Message. Es gibt viele Bands, die Lyrics mit einer politischen Message schreiben, auch wenn es auf einer nicht so offensichtlichen Ebene passiert. Da viele Bands des Genre aus den Vereinigten Staaten kommen, wird sich das auch wieder ändern, wenn man sich die derzeitige politische Lage dort anschaut. Beide Texte behandeln Themen, über die ich schon lange schreiben wollte, mir aber nie die passenden Worte eingefallen sind. Ich bin verärgert über die weltpolitische Lage und in vielen Konflikten ist keine Lösung in Sicht ist, das macht mich traurig.

Zol, deine Lyrics zu „Its Not A Lie (If You Believe It)“, „Head Over Heels“ oder dem Titeltrack leben für mich von einer immensen Bodenständigkeit, fernab von ego-pushendem Twitter-Game und einem ausgeprägtem Karriere-Denken. Keine sinnlosen Status-Vergleiche mit den Nachbarn, eine positive Grundeinstellung und immer auch die nötige Portion Stress-Freiheit: Ist das dein Naturell, was da spricht, oder stammen jene Erkenntnisse aus deinen persönlichen Erfahrungen?

Zol: Ich hätte das nicht besser zusammenfassen können. Das trifft den Nagel auf den Kopf, mit dem was ich mit „Slowlife“ sagen möchte und ja, es entspricht auch meinem Naturell und zu Teilen auch denen der Band. Einen Gang runterschalten, Entschleunigung, nicht immer mit den Ellenbogen nach außen durch die Menge. Der Druck steigt, ein Burnout und Depressionen, das gehört doch leider schon zum Alltag, auch bei jüngeren Leuten. Man muss dieses Spiel aber nicht zwangsweise mitspielen; versuche zu finden, was dich glücklich macht, ohne alles zu ernst zu nehmen. Wir kommen hier alle nicht lebendig raus. Man muss nicht immer die Nummer eins sein und man muss es auch nicht immer versuchen. Ein konkretes Beispiel für den Text zu „It´s Not A Lie (If You Believe It)“ sind diese Bilder, die einem auf der Facebook- oder Instagram-Timeline erscheinen. Mir kommt es manchmal so vor, als müsste ich ein schlechtes Gewissen haben, dass ich diese Woche noch keinen Halbmarathon vor der Arbeit gelaufen bin. Ich muss mich nicht jedes Mal mitteilen, wenn ich meinen Körper ins Schwitzen gebracht habe oder wenn ich mich mal gesund mit einem Smoothie ernähre. Dann ständig Urlaubsbilder, die man immer nur zu sehen bekommt, wenn man im stickigen Büro hockt. Was ist mit all den anderen Tagen, an denen man ohne zu Duschen einkaufen war und es zum Abendessen nur für ein Butterbrot mit Salz gereicht hat, welches auf dem ungewaschenen Teller vom Vortag lag? Da hilft dann auch kein Vintage-Filter mehr. Mit so etwas müsste man eigentlich einen Account machen. Nicht wie man sich gerne zeigen würde, sondern wie das wahre Leben manchmal spielt.

Würdest du sagen, ist diese Haltung auch eine Anleitung dazu, die Augen vor der Realität zu verschließen oder gar Teil einer besseren Welt zu sein?

Zol: Ob „Slowlife“ eine Anleitung dazu ist, Teil einer besseren Welt zu sein? Das würde wohl etwas zu weit gehen. Tompa meinte mal, dass dieses ganze Oi-Skinhead-Ding auch nur eine Realitätsflucht sei. Vielleicht muss man das auch bei „Slowlife“ so sehen. Eine Flucht vor der Realität. 24/7 Slowlife ist im Real Life leider nur schwer möglich, selbst für mich.

Ich finde in Stuttgart gibt es stets viel Bewegung, was einzelne Locations angeht: Wie schätzt ihr die aktuelle Situation in Stuttgart ein? Geht es bzgl. Locations, Proberäumen und Freiflächen eher bergab oder gibt es Besserung?

Vuki: Es geht leider seit Jahren bergab. Gefühlt hat alles angefangen als das OBW9, ein besetztes Haus mit vielen DIY-Shows, geräumt wurde. Ich vermisse die Röhre, meiner Meinung nach war das die beste größere Konzert-Location hier. Auch was Proberäume angeht wird es immer enger: Wir mussten schon zweimal umziehen, weil die Häuser geräumt wurden. Jetzt soll vielleicht auch bald das Proberaum-Haus in Stuttgart Wangen dicht machen – 60 Gruppen und Bands wären dann obdachlos. Wir hoffen, dass unser Proberaum in den Baracken in Ludwigsburg noch länger bestehen bleibt – zumindest sind dort die Mieten noch erschwinglich. Stuttgart ist und bleibt eine der teuersten Städte in Deutschland und eine Entspannung ist leider nicht in Sicht. Dennoch gibt es noch gute Alternativen und Leute, die sich für Freiflächen einsetzen.

Wie steht es eurer Meinung nach um den Nachwuchs in Stuttgart? Keine Ahnung ob es an den Shows liegt, auf die ich gehe, aber ich habe das Gefühl, dass die jungen Semester sowohl als Zuschauer als auch als Band eher fehlen. Habt ihr auch den Eindruck?

Vuki: Es ist wirklich schwer die Frage objektiv zu beantworten. Ich würde sagen, dass generell viel weniger Leute auf kleine DIY-Konzerte gehen als noch vor zehn Jahren. Hell & Back sind eine Band, die jedenfalls älteres Publikum zieht. Die ganze Musik-Szene ist in so viele Genres aufgeteilt und jüngere Menschen hören oft ganz andere Bands, auch wenn alles unter dem Namen Punk / Hardcore läuft. Aber mit vielem kann ich nichts anfangen. Dass eine Band wie Rise Against in der Stuttgarter Schleyerhalle vor 7.000 Leuten spielt zeigt aber, dass trotzdem Interesse an dieser Musik besteht. Was junge Stuttgarter Bands angeht glaube ich, dass ich da ein bisschen den Faden verloren habe und es bestimmt die eine oder andere junge Band gibt, die ähnliche Musik wie wir macht.

Welchen anderen Bands aus dem Stuttgarter Raum sollte man noch ein Ohr leihen? Ich feier Bikeage gerade, auch ja eher eine Band mit gestandeneren Herren.

Zol: Bikeage sind top. Frischer Skatepunk von süßen Assis. Die Songs sind wie eine Zeitreise in das Kalifornien der 90er Jahre. Ich hoffe da kommt noch mehr! Ich bin großer Fan der letzten Kuballa Single „Auf dem Weg durch die Zeit“. Die Band gibt es in verschiedenen Besetzungen seit fast zehn Jahren und ich erinnere mich, dass sie zu Beginn noch wie eine schlechte Schülerband geklungen haben. Nur mit dem Unterschied, dass sie bereits in einem Alter waren, wo man eher Lehrer ist. Vor ca. drei Jahren ist mir dann bei einem Konzert aufgefallen, dass die Band unglaublich gereift und gut geworden ist. Ich bin ja überhaupt kein Fan von diesem intellektuellen Deutschpunk-Indie á la Turbostaat und Konsorten, aber diese Band hier hat wirklich mein Herz geklaut. Da treffen die besten Momente von Muff Potter auf dieses filigrane Leatherface-mässige Gitarren-Gegniedel. Dazu kommen ganz normale Typen bzw. Mädel ohne aufgesetztes Szene-Gepose oder Profilneurosen. Die haben das Herz am rechten Fleck und es gibt obendrein noch interessante, teils politische Texte. Ich kann nur jedem, der die genannten Bands abfeiert, empfehlen hier mal ein Ohr zu riskieren. Wirklich ein Juwel diese Platte und auch wenn es nicht so klingt, eigentlich bin ich nicht leicht zu begeistern! Ansonsten gibt es hier aktuell wirklich einen Haufen teils bekanntere, teils unbekanntere Bands, die alle ihr eigenes Ding machen und die es lohnt mal anzuhören wie Planet Watson, Deliver, Loose Suspense, Minutes from Memory, Boden, Wølfenstein, Begbie Boys, Human Abfall, Bastard Royalty, Mofakette, Nametaker, Empowerment, Kill Valmer und die großen Helmut Cool.

Besten Dank!

https://hellandback.bandcamp.com/
http://hellandbackheartattack.tumblr.com/

Interview: Lars Schubach

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0