März 16th, 2020

Golden Shop aus # 198, 2019

Posted in artikel, interview by Jan

WE ARE GOLDEN

Nur ein paar Meter von der Sielwallkreuzung, Bremens vielleicht belebtester Platz, zumindest freitagsnachts, befindet sich, am Anfang einer Seitenstraße, der GOLDEN SHOP, der für seine Kundschaft mehr als ein Buch- mit angeschlossenem Plattenladen ist, sondern eine Art Freizeitheim für Erwachsene. Normalerweise halten die Kunden sich länger im Geschäft auf, als stöbern, aussuchen und kaufen dauert. Ein kurzes Gespräch mit Inhaberin Ausma gehört dazu, nicht selten geht die Kundschaft mit mindestens einem Produkt mehr aus dem Laden, als ursprünglich geplant, mindestens aber um eine Empfehlung reicher, und nie (wirklich nie) liegt Ausma mit ihren Vorschlägen daneben.

Bereits in der Schule begann Ausmas Begeisterung für Literatur. Dort kam sie zum ersten Mal mit Trümmerliteratur in Kontakt. Es folgten die deutschen Klassiker, auf die sie im Deutschlehrbuch gekommen ist. Also die großen deutschen Namen Böll, Lenz und Thomas Mann. Im Laufe der Zeit änderten sich die bevorzugten Schwerpunkte, momentan liest Ausma gerne junge Amerikaner. Die Idee des eigenen Buchladens hingegen entstand schon in jungen Jahren.

Im Gegensatz zu den meisten Menschen, die irgendwann in ihrem Leben eine Berufsvorstellung haben, zog Ausma ihr Ding durch. Bevor es allerdings so weit war, galt es die Grundlagen des Geschäfts zu lernen. Dies geschah in einer bürgerlichen Buchhandlung in Hamburg, in der neben Ausma nur die Inhaberin arbeitete. Eine gute Konstellation, um alle Aspekte des Handels zu lernen. Nur das Bürgerliche passte nicht zu Ausma. Sie wollte einen Laden nach ihren Vorlieben haben – den GOLDEN SHOP.

Zum kleinen Geschäft führen zwei Steinstufen hoch, bevor die Glastür im silbernen Rahmen sich öffnet (und schwer wieder schließen lässt). Ist Ausma nicht im unteren Verkaufsraum, gibt die Hündin Lefka laut, um auf die Kundschaft aufmerksam zu machen. Schon steht man im Shop, vor sich der Büchertisch mit ausgewählten (gebundenen) Neuerscheinungen und wird spätestens jetzt freundlich (manchmal auch von der Nacht davor verkatert) von Ausma begrüßt. Manche Kunden gehen zielstrebig auf die Kasse zu und fragen nach bestimmten Büchern, Comics oder Platten.

Andere schauen sich unschlüssig um, müssen sich zunächst orientieren, fühlen sich aber meistens sofort wohl im Laden. Wer nach oben geht, findet neben aktueller Prosa, modernen Klassikern und jede Menge theoretischer Literatur über (linke) Politik, Feminismus und Genderthemen, zunächst eine ausgewählte Comicabteilung und vier große Kisten mit Vinyl Schalplatten. Bei jeder Bewegung knarzt der Holzboden und vermittelt ein heimeliges Gefühl, vor allem für die Person, die sich vor dem Bukowski Poster, den Platz auf dem Sessel, gegenüber von dem Bestellcomputer, mit der einzigen weiteren Sitzmöglichkeit im Laden, gesichert hat.

Manche Kunden bringen, je nach Tageszeit oder eigener Stimmung, Bier oder Kaffee mit, vor allem, wenn sie vorbeikommen, um sich die Zeit zu vertreiben, sich zu unterhalten oder weil sie Ausma länger nicht gesehen haben und hören wollen, wie es ihr geht, und was es Neues gibt, nicht nur im Laden, sondern in der Bremer Subkultur und bei ihr privat. Selbst Mitarbeiter tauchen außerhalb ihrer Arbeitszeit, kurz vor Feierabend, am Tag des Interviews auf, weil sie kurz raus mussten, um Tabak zu kaufen und einen Abstecher zu ihrer Arbeitsstelle machten, um zu „chillen“ (und sich das Jay-Pop Tape abzuholen) – ich kenne sonst niemanden, der freiwillig zu seiner Arbeitsstelle fährt, um kurz abzuhängen. Was macht den GOLDEN SHOP so besonders?

In einem Plattenladenspezial der VISIONS sagte Ausma einmal, dass in dem Geschäft kein Scheiß rumsteht. Das stimmt, wo andere Läden mit einer riesigen Auswahl punkten wollen, geht es im GOLDEN SHOP, schon alleine aufgrund der begrenzten Verkaufsfläche, exklusiver zu. Als generelle Richtlinie gilt, im Laden steht, was Ausma gefällt und was sie sich selber kaufen würde. (Bestellungen sind natürlich möglich und werden nahezu täglich aufgenommen.) Der gesamte Laden wurde mit der Idee eröffnet, einen Ort zu etablieren, den Ausma als Kundin sich wünschte.

Daran hat sich im mittlerweile zwölften Jahr nichts geändert. Außerdem kennt Ausma ihre Stammkundschaft, bestellt auf eigene Faust Veröffentlichungen, von denen sie glaubt, dass sie einer bestimmten Person gefallen könnte, und liegt auch hier meistens richtig. Obwohl dem GOLDEN SHOP eine gewisse Szenezugehörigkeit nicht abgesprochen werden kann, wird jeder Kunde gleichermaßen freundlich behandelt, selbst wenn jemand am Record Store Day zum ersten Mal in den Shop stürmt und sich nach U2 oder BON JOVI Releases erkundigt, die dann natürlich nicht im Laden stehen.

Während unseres Gespräches für diesen Text wird zufälligerweise die Liste mit den Veröffentlichungen des diesjährigen Record Store Day online gestellt. Mein erster Tipp: Ungefähr zehn Wiederveröffentlichungen von AC/DC werden die Liste anführen, dann entscheide ich mich anders, und bin mir sicher, mit einer überflüssigen ABBA 7“ richtig zu liegen! Fast – Format und Herkunftsland stimmen – es ist aber eine Single von ACE OF BASE – Hilfe! Was mag da sonst noch kommen? Nicht viel stellen wir schnell fest. THE FALL werden gleich mit sechs Wiederveröffentlichungen beehrt.

Wer ist letztes Jahr noch mal gestorben? Natürlich dürfen David Bowie, U2, Madonna, Johnny Cash und Bob Dylan (mit einem Duplikat der „Blood On The Tracks“ Testpressung – WTF – wer braucht so was?) nicht fehlen. Nicht falsch verstehen, alles mehr oder weniger gute Bands, darüber will ich gar nicht urteilen, nur die (eben nicht raren Auflagen) Wiederveröffentlichungen sind meistens überflüssig und stets überteuert – können auf jeder Plattenbörse oder Flohmarkt für wenige Euro in der Originalpressung erstanden werden. Ich verstehe den Hype nicht, der sich um diesen Tag entwickelt hat.

Der Record Store Day verkauft sich als „Indie“ Marke, ist aber mittlerweile schlimmer als Amazon, weil die Veranstaltung den Käufern Exklusivität vorgaukelt. In Wahrheit ist nur ein geringer Bruchteil der Veröffentlichungen limitiert. Für mich ist jedenfalls dieses Jahr wieder nichts, aber auch so gar nichts, Interessantes dabei. Ausma, die in den letzten Jahren am Record Store Day teilgenommen hat, teilt meine Einstellung und ist sich nicht sicher, welche der wenigen akzeptablen Platten sie für ihre Kunden überhaupt bestellen soll.

Unsere Unterhaltung wird unterbrochen, (ach, es sind ja noch Kunden im Laden, während wir schon fleißig Bier trinken) als drei junge Frauen aus der oberen Etage nach unten kommen und ihre Fundstücke bezahlen wollen. Über die Anlage läuft das neue JAY-POP Tape „Oceanspray“ welches Ausma auf ihrem neu gegründeten Verlag GOLDEN PRESS rausgebracht hat. Eine der Frauen erkundigt sich, was wir hören und Ausmas Augen beginnen zu strahlen, als sie von dem Tape erzählt, wie gut es ist und nicht ohne Stolz in der Stimme berichtet, wer für die Veröffentlichung verantwortlich ist. Schließlich nimmt die Kundin das Tape, was für Ausma ganz natürlich ist, denn sie ist der (berechtigten) Meinung, mindestens jeder (zumindest Bremer) sollte eine dieser babyblauen Kassetten besitzen.

Viele Kunden des Shops verstehen nicht, was GOLDEN PRESS genau sein soll, ein Label oder ein Verlag. Ausma will sich keine Vorschriften machen lassen und da der GOLDEN SHOP sowohl Platten-, als auch Buchladen ist, nimmt sie sich heraus beides zu veröffentlichen, als „Publisher“ sozusagen. Denn das JAY POP Tape ist zwar im besitzt der #001, aber nicht die erste Veröffentlichung des Verlags. Zuvor gab es bereits das Fotobuch COPINES, welches Christian in der TRUST Ausgabe #195 bereits besprochen hat. Hier ein kurzer Auszug davon: „Copines zeigt dabei Rolles Fotografien, die zwischen 2010 und 2017 entstanden, wobei im ersten Teil Menschen in Fakulteta, einer der größten Roma-Siedlungen in Bulgarien, porträtiert und sodann im zweiten Teil Graffiti in St. Jacques, einem Stadtteil in Perpignan in Südfrankreich, dokumentiert wurde.“

Alles Weitere kann in der entsprechenden Ausgabe nachgelesen werden. Ferner erschien das Vinyl Album „Infinity“ vom Bremer TIGHTILL, wie JAY-POP Mitglied der Crew EROTIK TOY RECORDS, welcher gerade anfängt Deutschen Hip Hop auf den Kopf zu stellen, aufzumischen, und ganz lässig auf ein neues, ganz anderes, Level, ich möchte sagen: Niveau, zu heben.

Zehn Minuten nachdem die Frauen, um eine JAY POP Kassette reicher, den Shop verlassen haben, betritt ein bärtiger Mann den Laden, geht zielstrebig zur Kasse und fragt ebenfalls nach dem Tape, zahlt still und verschwindet wieder. „In Bremen passiert mehr, als allgemein bekannt ist, das gefällt mir“, stellt Ausma fest und beginnt Bücher für die „Lesemixtapes“ zu packen – eine Art Abo, bei dem der Kunde einen Betrag im Voraus zahlt und dafür monatlich ein, für ihn ausgewähltes Buch erhält, welches im Vorfeld natürlich nicht bekannt ist. Kurz hält sie beim Aussuchen inne und stellt, den vorherigen Gedanken folgend, fest: „Je weniger es gibt, desto mehr wird kommen“, und es ist in diesem Moment nicht sicher, ob sie ihre eigenen Veröffentlichungen damit meint. Aber sie hat Recht.

Bremen ist vielleicht ein spezielles Pflaster. Viele Menschen sind kreativ tätig oder gestalten etwas. Es gibt lose Bekanntschaften untereinander, aber eine große Vernetzung der Machenden existiert (warum auch immer) nicht. Der GOLDEN SHOP bildet, als fester Ort, mit einem breiten Angebot, vielleicht noch etwas, wie ein Fixpunkt, wo unterschiedliche Menschen zusammen kommen, sich kurz austauschen und dann wieder ihres Weges gehen. Aber eigentlich ist das viel zu wenig.

Und auch Ausma findet: „Es müsste viel mehr los sein! Wo kaufen die Leute ihren Kram überhaupt, wenn es so einen Laden in Bremen gibt?“ Eine berechtigte Frage, und ich werde das Gefühl nicht los, dass auch die (grünen) Alternativen gerne bei Amazon bestellen, anders lassen sich die vielen DHL Laster und langen Schlangen bei der einzigen Postfliale im Umkreis, in dem als links kulturell geltenden, Steintor Viertel nicht erklären.

Es ist spät geworden. Ausma hat keine Lust mehr Bücher auszusuchen. Wir schließen den Laden, gehen in eine Kneipe und quatschen weiter. Ausma erzählt glühend von den nächsten Projekte, die sie bei GOLDEN PRESS rausbringen will. Da wäre das Debüt Album von DOUBTBOY, ebenfalls aus der Bremer EROTIK TOY RECORDS Crew, allerdings erst im nächsten Jahr. Ferner steht ein Comic über den Bremer Bunker Valentin an, den Ausma schon seit fast zwei Jahren rausbringen will. Im Herbst gibt es den Kurzroman „Du bist mir gleich“ von Dietmar Dath, es geht um Medien, Nachrufe und eine Frau mit Messern.

In ihrer Stimme schwingt Euphorie mit, aber auch Zufriedenheit. „Ich will nur Sachen mit Haltung machen“, sagt sie, „aber das ist schwer. Wo ist die Haltung hin?“ Andersrum könnte auch gefragt werden, wo die Menschen sind, die sich überhaupt noch mit Themen, die eine Haltung haben, streitbar sind, auseinandersetzten wollen? Vielleicht ist dies mit ein Grund für den Niedergang von Spex, Intro und Groove. Wir sind schließlich (beide) der Meinung, es gibt noch ein Interesse an einem vernünftigen (Pop-Kulturellen) Magazin, es muss lediglich unabhängig berichten und sich trauen auch unpopuläre Themen anzusprechen, eben eine Haltung besitzen, wie der Golden Shop.

Text: Claas Reiners

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