Februar 5th, 2020

GOD-FREE YOUTH (#143, 2010)

Posted in interview by Thorsten

Selten zuvor war die deutsche Hardcoreszene so aktiv wie in den letzten Jahren. Gerade im Jahr 2009 erblickten mit Fargo, Remember und allen voran Sundowning drei Bands die Bildfläche und ließen jene gleich erbeben. Apokalyptisch und düster der Sound, sinnig die Lyrics. Vor allem aber der Banner, unter dem die Bands flankieren, wirft Fragen auf, die ich mir gleich von den Bands selbst beantworten ließ.

Mehr als ein kurzes Knirschen konnte man nicht vernehmen, als der Stromkreis des 800 Seelendörfchens in dem ich mich aufhalte sich den Schneemassen ergab und komplett abschaltete. Plötzlich war alles weg. Die Musik verstummte, der Fernseher und das Licht löschten sich von selbst und einzig der Laptop sagte mir, er habe noch ca. zwei Stunden. Erst einmal in Ruhe Herr über die Situation werden, Kerzen aufstellen, ein Blick aus dem Fenster und dann die Überraschung. Nicht nur eine oder zwei Straßen sind komplett dunkel – Nein – das gesamte Dorf ist durchzogen von einer Dunkelheit, die sich so bedrohlich und mächtig über noch mehrere Dörfer gelegt hat. Das Bild, welches sich mir erschließt ist unglaublich schön, gleichzeitig auch angsteinflößend und surreal. Die Dunkelheit, man unterschätzt sie scheinbar oft und verbindet mit ihr inzwischen nicht mehr das, was sie eigentlich ist. Denn im Grunde, so zumindest im musikalischen Sinne, ist sie zu einem Stilmittel verkommen. Zu einem Subgenre und einem speziellen Sound, der eine ganze Generation prägt. Die Generation God-Free vielleicht. Es passt ja auch. Wenn es einen Gott geben würde, man könnte sich gerade sicher sein, er wäre wütend. Einfach so löscht er den Strom aus einem Dorf, nimmt Sicherheit und Schutz und lässt den Menschen in seinen eigenen vier Wänden verstört und ängstlich zurück. Um wieder zur Musik zu kommen; Verstört, ängstlich und düster, so klingen derzeit eine Menge Bands. Nicht nur alte Flagschiffe, die vielleicht auf Labels wie Deathwish Inc. veröffentlichen, auch kleine, deutsche Bands, die sich das aufstrebende, fast schon wieder völlig überfüllte, Genre zum Vorteil auslegen und ihre blutjunge Wut in eine extra Nische pressen: Der God-Free-Youth.

Wir schreiben das Jahr 2009. Der Boom, den die Hardcoreszene in den letzten Jahren erlebt, wird langsam zum Streitfall und ruft Frust hervor. Bands wie die Youth Of Today, Champion oder sonstige „Posi-Bands“ sind zwar noch immer gern gesehen, jedoch ist das national geprägte Bild ein anderes. Zwanzigjährige Jungen schlagen sich die Mikros so hart ins Gesicht oder an den Kopf, dass man es mit der Angst zu tun bekommt und schnell das Mikro und T-Shirts mit einem blutigen Rot überzogen sind. Was tun die da? In diesem Alter etwa schon so wütend? Es wirkt tatsächlich befremdlich, Bands auf der Bühne zu sehen, die noch dasselbe junge Alter haben, vielleicht sogar jünger sind als man selbst, und Texte singen, die von einer derart ausgeprägten innerlichen Zerrissenheit zeugen. Die eine davon, Remember aus Dortmund, spielen seit 2008 zusammen und gehen sehr engagiert ans Werk. Eine Demo und eine 7“ veröffentlichte man in Eigenregie, Merchandise hat man schon jetzt in respektablen Mengen im Programm und auf Tour war man schon. Ebenso ihre Freunde von Fargo, die sich weniger klassischem Hardcoresound verschrieben haben, als einem gewissen Anstrich der Screamo-Ecke. Jedoch ist keine der beiden Bands vergleichbar und messbar, mit den kleinen Erfolgen, die Sundowning bereits für sich verbucht haben. Mit nur einer EP hat man bereits die erste Tour hinter sich, ist derzeit in Planung der nächsten, die auch das Ausland beinhalten soll und schreibt bereits an neuen Songs. Engagement oder Glück? Definitiv beides. „Wir wissen es echt zu schätzen, dass wir aus einer Gegend kommen, wo viele Shows organisiert werden.“  sagen die Herren zwischen 17 und 21 Jahren, angesprochen auf ihre Herkunft Essen. Der Ruhrpott, schon immer zentrales Organ der deutschen Hardcoreszene, läuft in letzter Zeit über vor guten Shows. Dass Sundowning bei jenen unterkamen, haben sie sicherlich ihrer brillanten EP zu verdanken, aber auch guten Freunden und Kontakten. Weder Fargo, noch Remember verfügen über sowas wie ein geordnetes Management, wenn man das überhaupt so sagen darf. Johannes Schmidt, ehemals Fotograf für das Online-Magazin allschools.de ist jetzt örtlicher Veranstalter diverser Shows und nahm sich Sundowning zur Brust. Gemeinsam erarbeitete man diverse Shows und eine kleine Wintertour über die Weihnachtsfeiertage.

Auch Remember zeigen sich dankbar für ihre Herkunft, nahe des Potts. Jedoch wird schnell klargemacht, dass es wesentlich mehr gibt, als den Ruhrpott. „Hardcoreszene einschätzen… Im Ruhrgebiet sind viele Shows, okay, klar das stimmt – allerdings kannst du die Konzertmentalität aus dem Ruhrgebiet gar nicht mit der aus dem Osten vergleichen.“ so Remember. Dasselbe unterzeichnen auch Fargo. Außer dem AZ Mühlheim und dem Emokeller in Essen, fühlen sie Jungs nicht so wirklich wohl in ihrer Heimat. Was aber Remember und Fargo gleichermaßen erwähnen, ist die Erfahrung, im Osten Deutschlands aufzutreten. „Auf unserer Tour im Dezember wurde in Döbeln nach 3 Bands der Strom abgedreht. Nach kurzer Überlegung entschloss sich der Veranstalter das Konzert in das 10km entfernte JUHA Rosswein zu verlegen, ohne zu wissen, wie viele Leute folgen würden. Die Backline wurde abgebaut, eingeräumt, rüber gefahren, ausgeräumt, aufgebaut… und das Ganze für 2 Bands! Letztendlich sind alle 100 Gäste, die zuvor in Döbeln waren, mitgereist und haben dort 2 Bands unterstützt – da ging einiges. Ich bin mir nicht sicher, ob es im Ruhrgebiet genauso abgelaufen wäre.“ Man merkt schnell, Remember sind bereits viel herumgekommen und wissen wovon sie reden. Jene Beobachtung fällt mir auch schnell auf, als ich alle drei Bands auf das Thema God-Free anspreche.

Gott, der hatte im Hardcore noch nie gute Karten. Vielleicht zu Recht, vielleicht zu Unrecht. Das muss jeder für sich entscheiden und da mag man natürlich nicht missionarisch agieren. Und wie bereits erwähnt, die aktuelle Welle an neuen, jungen Bands im Hardcore hat sich mit der God-Free-Youth eine neue-alte Nische ausgesucht, die es zu besetzen gilt. Jedoch bleibt da immer die Frage, die kritisieren und hinterfragen muss, warum junge Menschen auf die Idee kommen, sich der Gottesfrage zu stellen. Angesprochen auf ihre ausgesuchte Nische, verfallen gleich alle Bands in eine Formulierungsfalle. Weder Sundowning, noch Fargo, liefern für mich überzeugende Antworten, vielmehr Phrasen und auswendig gelernte, zu Recht gelegte Sätze, die man so von jedem hört, der nichtmal eine eigene Meinung zu haben pflegt. „Godfree bedeutet für uns in erster Linie, dass wir für unser Handeln allein verantwortlich sind und auch verantwortlich sein wollen. Wir wollen uns keiner höheren Instanz unterordnen und lehnen jegliche Form von Homophobie, Sexismus und Faschismus ab, die aus unserer Sicht mehr oder weniger von jeder Religion ausgeht.“ so Sundowning. Über die zentralen Themen, die von Gotteshäusern ausgehen, liest man leider nichts. Für Fargo ist die God-Free Bewegung nichts weiter als die (berechtigte) Kritik an den Herrschaftsstrukturen. Zwar mögen Fargo und auch Remember mit ihren Ansichten die völlig richtigen Meinungen vertreten, jedoch fühlt man sich, gerade wenn man den Godfree-Aspekt in den Bands verfolgt, ein wenig des Gefühls beschlichen, man möchte sich bloß einem Genre zuordnen und weiß gar nicht so recht, was man da redet. Ganz anders und wesentlich erfrischender geben sich Remember. Gleich mit der Gegenfrage, wo Hardcore heute steht und wo er stehen sollte, kontern sie überraschend. „Wenn sich jeder Gedanken darüber macht, was allein die katholische Kirche für Dinge tut und wie sie handelt, dann kann doch jeder Mensch, der sich einige Gedanken macht, feststellen, was da falsch läuft.“ Klare Worte, die auch in den folgenden Sätzen zeigen, dass Remember sich auseinandersetzen. „Es ist wichtig, dass die Menschen und die Menschen, die heranwachsen, lernen, dass weder ein Buch, noch eine Religion, noch ein höheres Wesen dafür verantwortlich sein sollte, wie man zu leben hat.“  Im weiteren Verlauf wirkt der Duktus der E-Mail Antworten wütender, genervt und gestresst. „Letztendlich sagen wir uns: Es ist Quatsch sich als Atheist rechtfertigen zu müssen. Es würde auch kein Mensch verlangen, dass wir erklären, warum wir nicht an pinke Elefanten glauben. Nur weil der Glaube an eine Religion als gesellschaftlicher Standard gilt und wir uns davon ausnehmen müssen wir solche Fragen doch beantworten. Auch ohne Gebete zu irgendwem geht es uns gut.“ Vielleicht liegt der Tonfall an den Strapazen, denen sich Remember immer wieder stellen mussten. Angesprochen auf Kritik antwortet man zwar gleichgültig, jedoch kann man diese Antwort so nicht stehen lassen. Remember mussten sich im Internet mit Beleidigungen und Anfeindungen konfrontiert sehen, als ihre Platten besprochen wurden. Die Anfeindungen kamen meist von derselben IP-Adresse. Neider oder einfach nur jemand, der die Band nicht mag. Jedenfalls erstecken sich unsinnige und anonyme Beleidigungen über mehrere Seiten. „Natürlich trägt das Internet/2010 seinen Teil dazu bei wie Bands von außen dargestellt werden oder welches Ansehen sie erreichen, aber uns interessiert das nicht wirklich. Natürlich kannst du als Band heute nicht mehr auf das Internet als Basis verzichten – das wollen wir auch gar nicht – denn es war nie so einfach Kontakt mit anderen Bands und Menschen aufzunehmen. Allerdings solltest du dir immer noch ein eigenes Urteil über Bands bilden, um halbwegs zu wissen oder einschätzen zu können, was für Menschen und Einstellungen hinter der Band stecken.“ Genauer und deutlicher werden da Sundowning: „Kritik ist uns wichtig und wir können daher auch gut damit umgehen. Wir wissen, dass wir an unserer Musik noch arbeiten müssen und schätzen daher jede konstruktive Art von Kritik. Allerdings müssen wir auch sagen, dass Beleidigungen uns am Arsch vorbeigehen.“ Leider müssen sich die jungen Bands aber eben auch damit auseinandersetzen, was keine von ihnen tut. Vielmehr entwickelt man eine offensichtliche Egalo-Haltung gegenüber erwähnten Magazinen, vergisst, dass Autoren nichts für die Kommentare können und lassen sich hinziehen zu anderen Blogs, die weniger reif und gebildet zu Werke gehen. Aber das nur nebensächlich.

Angesprochen auf die andauernde Motivation und große Pläne der Bands, sind sich alle einig. Dabei stehen das Sammeln von Erfahrungen ganz oben, sowie eine geerdete Auffassung von Zufriedenheit. Remember, Sundowning und Fargo, das lässt sich schnell erahnen, sind jungen Menschen, die klare Vorstellungen von ihrer Zukunft haben und dabei offenäugig der Realität ins Auge sehen. Zwar kann ich den Godfree-Status noch immer nicht komplett ernst nehmen und sehe es noch immer eher als Stilmittel, als Überzeugung, trotzdem strahlt jede Band eine eigene Sympathie und ein eigenes Bewusstsein für ihre Meinungen aus, was sich letztendlich in ihrer, durchweg tollen, Musik wiederspiegelt. Bleibt zu sagen, dass die jungen Bands der deutschen Szene interessanter denn je sind und unbedingt von jedem Freund aktueller Hardcoresounds getestet werden sollten.

Und so lustig es ist, gerade als ich die letzten Zeilen der Story zu Ende tippe, durchfährt mein Zimmer wieder dieses Knirschen. Der Fernseher springt wieder an, das Licht beleuchtet mein Zimmer und der Laptop lädt seine letzten Reserven…

Text: Raphael Schmidt

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